ewalttätigkeit Seien wir wild! Gießen wir Branntwein über dieses Zuckerwasser-Jahrhundert!
Ertränken wir den Bourgeois in einem elftausendprozentigen Grog, auf daß sein
Maul ihm brenne und er vor Schmerzen brülle! Vielleicht ist das ein Mittel,
ihn anzustacheln! - Flaubert an Ernest Feydaux, nach: Nachwort
zu Paul Scheerbart, Der Tod der Barmekiden. Arabischer Haremsroman. München
1992
Gewalttätigkeit (2) Das Phantastische offenbart einen Skandal, einen Riß,
einen seltsamen, fast unerträglichen Einbruch in die reale Welt. Das Phantastische
ist kein Kompromiß (wie das Märchen): Es ist eine Aggression.-
Roger Caillois
Gewalttätigkeit (3) Wenn Poesie
wirklich wieder mit allem rechnete, anzüglich leicht mit einem
Scharfsinn und Sarkasmus, wie er nur über den dreckigsten Wellenwirbeln
der Geschichten und Religionen aufleuchtet und tanzt: Was für
ein Ungeheuer könnte aus ihr werden! Was für ein übler Wechselbalg
aus Defätismus, frecher Einsicht, Aphasie und Ketzerei. Dann
erst wäre sie wieder eines der weniger gemütlichen Produkte ihrer
Zeit, absolut ätzend und unzitierbar für die Kulturhüter und
Rhetorikzwerge an allen Auf- und Abbaufronten. Doch das nur nebenbei.
- (
gr
)
Gewalttätigkeit
(4) Indem ich drohende Zusammenschlüsse unzensierbarer Bezauberungen
aufzeige, kompromittierende Lyrik ans Tageslicht zerre, will ich euch zum Entgleisen
bringen - das ist der Stein, den ich auf die Schienen eures Zuges lege. Euch
aus der Ordnung bringen, in der ihr euch befindet. - (
gom
)
Gewalttätigkeit
(5) Poesie, sagte
der Dichter Bondy zu mir, echte Poesie muß verletzen,
wie wenn Sie eine Rasierklinge im Taschentuch
vergessen und sich beim Schneuzen die Nase
zerschneiden, ein ordentliches Buch ist ja auch
nicht dafür da, daß der Leser besser einschläft,
sondern daß er aus dem Bett springt und in Unterhosen geradewegs zum Herrn
Schriftsteller rennt und ihn fäustlings belehrt - (
hra
)
Gewalttätigkeit (6) Gedichte muß man so schreiben,
daß sie, wenn man sie durchs Fenster wirft, die Fensterscheibe zerschlagen.
- (
charms
)
Gewalttätigkeit (7)
Lebendige Kunst muß böse sein, verbreiternd,
vertiefend, verdeutlichend, modern, unsittlich, frech.- Hans Henny
Jahnn
Gewalttätigkeit (8) Vielleicht wäre es gut, das Bier anstatt mit Hopfen mit Stechapfelkörnern zu bittern oder mit jenen Fliegenpilzen, mit deren Aufgüssen sich der Lappländer bösartige Flugträume verschafft. Dieser Wunsch trieb Nietzsche, als er aus Turin an Brandes schrieb, daß man die Deutschen durch »Esprit rasend machen« müsse, und ohne Zweifel mangelt es an Leuten, die die Rolle der Banderilleros beim Stiergefecht zu spielen, das heißt, dem faulen Stier mit Schwärmern und glühenden Schwämmen zu Leibe zu gehen verstehen.
Unsere Hoffnung ruht in den jungen Leuten, die an Temperaturerhöhung leiden,
weil in ihnen der grüne Eiter des Ekels frißt, in den Seelen von Grandezza,
deren Träger wir gleich Kranken zwischen der Ordnung der Futtertröge einherschleichen
sehen. Sie ruht im Aufstand, der sich der Herrschaft der Gemütlichkeit entgegenstellt
und der der Waffen einer gegen die Welt der Formen gerichteten Zerstörung, des
Sprengstoffes, bedarf, damit der Lebensraum leergefegt werde für eine neue Hierarchie.
- (
ej
)
Gewalttätigkeit (9)
Gewalttätigkeit (10)
Gewalttätigkeit (11) »Ich gehe nach Hause zurück, um ein Buch zu schreiben, das zum Alptraum für die Zensoren werden wird.«
»Ich nenne das Zweckentfremdung naturgegebener Kräfte«, erwiderte der Mann.
»Aber ich gebrauche«, fuhr Elena fort, »mein Buch wie eine Ladung Sprengstoff. Ich plaziere es dort, wo es die größte Wirkung hat, und sprenge mir meinen Weg frei.«
Im Augenblick, da sie das sagte, ertönte das Donnern einer entfernten Explosion; eine Straße wurde durch den Berg gesprengt.
Beide lachten. - (
nin
)
Gewalttätigkeit (12)
Ich glaube, man sollte
überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen
und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag
auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich
macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir
keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir
zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie
ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten
als uns, wie wenn wir in Wälder verstoßen würden, von allen Menschen weg, wie
ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene
Meer in uns. - Franz
Kafka
an Oskar Pollak, nach: Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays
zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)
Gewalttätigkeit (13) Meine Poesie wird aus einem einzigen Angriff bestehen, geführt
mit allen Mitteln gegen den Menschen, diese reißende Bestie, wie auch
gegen den Schöpfer, der solch ein Ungeziefer niemals hätte erschaffen
dürfen. Bände auf Bände werden sich türmen bis ans Ende meines Lebens,
und doch wird man darin immer nur diesen einzigen meinem Bewusstsein
dauernd gegenwärtigen Gedanken finden. - (
mal
)
Gewalttätigkeit (14) Ich messe dem Material meiner Werke
eine immer größere Bedeutung bei. Ein prächtiges, farbkräftiges Material scheint
mir notwendig, um dem Betrachter jenen Schlag mitten
ins Gesicht zu versetzen, der ihn treffen soll, noch bevor die Reflexion einsetzt.
- Joan Miró, nach: Raymond Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben.
München 1990 (zuerst 1950)
Gewalttätigkeit (15)
Der Surrealismus ist vor einem Dogma der absoluten Revolte, der
totalen Unbotmäßigkeit, der obligatorischen Sabotage nicht zurückgeschreckt
und er verspricht sich einzig von der Gewalt etwas. Die einfachste surrealistische
Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten
auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen.
- André Breton, 2. Surrealistisches Manifest 1930
Gewalttätigkeit (16) Dada
ist die Faust aufs Auge und der Tritt in den verlängerten Rücken.
- Raoul
Hausmann, Dada ist mehr als Dada (1921)
Gewalttätigkeit (17)
Jede Seite soll explodieren, entweder durch
das Ernsthafte, tief und schwer, oder durch den Aufruhr, oder durch die Übelkeit,
das Neue, das Ewige, oder durch vernichtenden Unsinn,
durch den Enthusiasmus der Prinzipien oder durch die Art und Weise, wie sie
gedruckt wird. Die Kunst soll der Höhepunkt der Unästhetik werden, unnütz und
durch nichts zu rechtfertigen. - Francis Picabia, nach:
Hans
Richter: Dada - Kunst und Anti-Kunst. Köln 1964
Gewalttätigkeit (18)
Denkst Du an die Welt, versetz ihr auf meinen Wunsch noch
einen Hieb mehr. - Swift an Pope, nach: David B. Morris, Geschichte des Schmerzes. Frankfurt am Main 1996
Gewalttätigkeit (19)
Swifts Lieblingswort war »Haß«. Als
Pope Swift für seine Verteidigung der irischen
Interessen gegen die englische Unterdrückung lobte, führte Swift keine hochherzigen
patriotischen oder literarischen Motive an. »Was ich tue«, antwortete er, »verdankt
sich vollkommener Wut und Ablehnung und dem ärgerlichen
Anblick von Sklaverei, Dummheit und niedriger
Gesinnung um mich herum, mit dem ich gezwungen bin zu leben.« - Nach: David B. Morris, Geschichte des Schmerzes. Frankfurt am Main 1996
Gewalttätigkeit (20)
Gewalttätigkeit (21)
Gewalttätigkeit (22) Ich trete ein für die Unverletzlichkeit der Seele und für die Größe der Nichtigkeit unseres Lebens; für die Förmlichkeit seines Stumpfsinns; für die Orthodoxie seiner Dummheit. Tötet! Tötet! es werde frisches Fleisch ...
Berauscht von Verboten schwingt sich die Imagination zu trunkenen Höhen auf, die Welt zu zerstören. Laßt sie wüten, laßt sie töten. Die Imagination ist das Höchste. Ihr sind all unsere Werke geweiht - von der fernsten Vergangenheit bis in die fernste Zukunft. So war es, so ist es, so wird es immer sein. Für sie allein bieten wir unseren ganzen Witz auf, indem wir ihr zu Ehren nicht einmal den kleinsten Kiesel als Denkmal errichtet haben. Und ihr widmen wir nun unser Geheimprojekt: die Tilgung jeder menschlichen Kreatur vom Antlitz der Erde. Das ist zuvor noch nie unternommen worden. Keiner wird bleiben - nur die niederen Wirbeltiere, Mollusken, Insekten, Pflanzen. Dann endlich wird die Welt neu geschaffen sein. Häuser zerbröckeln zu Staub, Städte verschwinden und weichen Wällen von Erde, die der Wind dahinweht, Busch und Gras machen Bäumen Platz, die alt werden und auf die andere Bäume folgen - ungezählte Generationen lang. Heitere, wundervolle Stille, nur dann und wann unterbrochen vom Ruf eines Vogels oder wilden Tiers, herrscht auf dem Erdenrund. Ruhe und Frieden überall.
Diesen letzten Holocaust haben wir uns selbst verordnet - aus reinster, süßester
Liebe, damit die gesamte Menschheit, gelb, schwarz, braun, rot und weiß, zu
einer einzigen ungeheuren Seele zusammengebacken, den Himmel der Himmel schaue
und sich dort zur Ruhe setze, um endlich zufrieden auf ihren Lorbeeren auszuruhen.
Dort, im Anblick ihrer grausigen Einheit, brodelt die Seelenseele und verdaut
sich selbst im Gewebe des großen Ewigen Wesens, zu dem wir dann geworden sind.
Unter den herrlichen Entladungen und Wohlgerüchen kommt der Tag, an dem wir,
das Große Eine unter allen Geschöpfen, anfangen über die Wünsche
nachzudenken, die wir uns selbst verboten haben und die wir nun vor der inneren
Parade unseres Gedärms Revue passieren lassen - et cetera et cetera ... und
Frühling ist's - auf Lateinisch und Türkisch,
Englisch und Holländisch, Japanisch und Italienisch; es ist Frühling am Stinkenden
Strom, wo eine blattlose Magnolie vor dem, was einst ein Farmhaus war und heute
eine Bruchbude für Hüttenarbeiter ist, ihre wuchernden Zweige mit elfenbeinbleichen
Blüten in den Himmel reckt. - William Carlos Williams, Frühling und Alles. Nach
(wcw)
Gewalttätigkeit (23)
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