aserei  Leonartus Fuchsius, Felix Platter und Hercules de Saxonia handeln von einer besonderen Raserei, die von ungezügeltem Forschungsdrang ausgelöst wird. Fernelius bezeichnet das Studium, die Kontemplation und das ununterbrochene Nachdenken als eigenständige Krankheitsursache, und Johannes Arculanus und Levinus Lemnius pflichten ihm bei. Viele Menschen, schreibt letzterer, werden dadurch krank, daß sie nächtelang über ihren Büchern sitzen, und die Gelehrten und diejenigen, die den schärfsten Verstand haben, sind am anfälligsten. Marsilio Ficino rechnet die Melancholie zu den fünf Hauptleiden der Wissenschaftler. Sie ist die Geißel der Gelehrten und bis zu einem gewissen Grad ihr unzertrennlicher Begleiter. Varro nennt die Philosophen wohl aus diesem Grund düster und ernst; und trübsinnig, trocken und freudlos sind die üblichen Attribute, die man Männern der Wissenschaft zuweist. Patricius warnt folglich in seinem Fürstenspiegel davor, Regenten zu großen Gelehrten auszubilden. Denn das Studium schwächt, wie auch Machiavelli behauptet, ihren Körper, stumpft die Lebensgeister ab und läßt Kraft und Mut schwinden. Gute Gelehrte werden niemals gute Soldaten.

Und das hatte jener Gote genau begriffen, der sich nach dem Einfall in Griechenland entschieden gegen die Absicht seiner Landsleute verwahrte, alle Bücher der Unterworfenen zu verbrennen. Laßt ihnen diese Pest, argumentierte er, die im Laufe der Zeit all ihre Kraft und ihren Kampfgeist aufzehren wird. Die Türken setzten den rechtmäßigen Thronfolger Corcutus ab, weil er sich zu intensiv seinen Büchern widmete. - (bur)

Raserei (2)  Im Mai 1893 läßt sich der hoffnungsvolle Neunzehnjährige pompöse Briefbogen drucken: "Elektron Fabriken Ladowitz" und gibt darauf als Referenzen zwei Phantasiefirmen an, unter deren Namen er sich natürlich selbst verbirgt. Der Pluralis majestatis seines Elektrongeschäfts blendet zahllose erstklassige Firmen. Sie liefern ihm Ware in Kommission. Er versilbert sie und verschwindet im Jahre 1894 spurlos. Im Juli 1894 taucht er in Prag auf und macht denselben Schwindel in Maschinen, Bogenlampen und Motoren. Am 22. Oktober 1894 setzt die Prager Polizei seinem Unternehmungsgeist Schranken. Am 8. Juli 1896 hat er seine Kerkerstrafe wegen mehrfachen Betrugs hinter sich. Nun gibt er in Wien und im Oktober 1896 in Hamburg ein Gastspiel. In derselben Rolle. Maschinen und Bogenlampen und Motoren. Am 12. Januar 1897 verschwindet er unter Hinterlassung von ca. 50 geprellten Lieferanten aus seinen Kontors - er hatte gleich mehrere unter verschiedenen Namen zu Hamburg in Betrieb. Im März 1897 eröffnete er in Leipzig ein vornehmes Geschäft. Bereits Ende April ist das prächtige Firmenschild schon wieder entfernt. Er auch. Und mit ihm alle Ware. Wie in Hamburg läßt er auch in Leipzig nur eines zurück: einen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft. Im Juni 1897 gründet er zwei Maschinengeschäfte in Zittau und Reichenberg. Beide Firmen unterstützen einander durch Referenzen ganz wunderbar. Der alte Schwindel florierte, ebensowie einen Monat später in Breslau. Erst im August 1897 mißglückt der Trick in Dresden: er wird verhaftet und nach Breslau transportiert. Am 6. Januar 1898 erhielt er in Breslau wegen Betrugs 5 Jahre Zuchthaus. Transport nach Hamburg, um wegen der dortigen Schwindeleien verhört zu werden. Flucht. Mit Fesseln an beiden Händen. So können wir ihn denn in der zweiten Hälfte des Juni bereits wieder zu Linz in voller Tätigkeit bewundern, deren Erfolg eine Unmenge ergaunerter Fahrräder ist. Vom 18. Juli bis 16. August brandschatzt er als "Josef Huber Fahrräder en gros" - der Mann bewies in der Wahl seiner Pseudonyme Stilgefühl! - München mit demselben Trick. Vom 16. August bis 17. September als "The Electric Co. New York" die Bewohner von Köln. Ende September als "H. Dub" die Bürger von Berlin. Hier erweiterte er sein Qeschäftsfeld: zum Warenschwindel kommt der Kautionsschwindel. Zahlreichen stellungssuchenden Berlinern nimmt er die letzten Groschen ab. Im November betreibt er als "Abzahlungsgeschäft Berlin Leipziger Straße 79 und Prag Sokolstraße 66" Warenschwindel und gleichzeitig als "Juwelier Franz Lange" Kautionsschwindel. Und zwar in solchem Maßstab, daß sein "Biograph" Svorcik, im "Archiv für Kriminologie", Bd. 29, S. 175-185, von "verbrecherischer Raserei" spricht. Am Weihnachtsabend 1898 taucht er wieder in München auf. München dankt für diese Bescherung und nimmt ihn sofort fest. Am 8. Juli 1899 Verurteilung zu 7 Jahren Zuchthaus durch das Landgericht München. Jetzt folgt eine Rundreise im Schubcoupe und zwar zu den Landgerichten Regensburg, l Jahr Zuchthaus, Köln, 5 Jahre, Berlin, 3 Jahre, Leipzig, 3 Jahre, Bautzen, 3 Jahre. Gesamtstrafe 15 Jahre. Das ist am 29. Dezember 1899, genau ein Jahr nach der Münchner Verhaftung. Am 4. November 1902 soll er im Zuchthaus wegen beschlagnahmter Sachen verhört werden. Da erklärt der Anstaltsarzt ihn aber für so geisteskrank und "erregt", daß eine Vernehmung nicht erfolgen dürfe. Es erfolgt stattdessen seine Überführung in die Irrenanstalt von Breslau. Am 26. September 1903 Flucht. Sofort beginnt der alte Schwindel in ungebrochener Frische wieder zu blühen. Als Ingenieur Holub in Halle. Als Sun Electric Co. London und als Spediteur Reibmann in Dresden. Ende November verdankt ihm Bremen zwei neue Geschäftshäuser: "Behrens-Import-Export" und "Rosenauer-Spedition. Vertretung in allen Hauptstädten! Tropensichere Verpackung!" Dazwischen wird er einmal verhaftet und unter dem Namen Karl Neumann photographiert, schwindelt sich aber sofort wieder frei.

Am 19. Januar 1904 Verhaftung in Bremen. Der Gerichtsarzt entdeckt Geisteskrankheit. F. ist erregt. Deshalb am 21. Januar Einlieferung ins Skt. Jürgenasyl. Am 28. Mai Flucht. Im Juli sehen wir ihn bereits wieder - in bewundernswerter geistiger Frische - am Werk. Er entfaltet in Berlin als "Electromobil C. New York U.S.A." seine alte Tätigkeit und gaunert den kessen Berliner Geschäftsleuten in wenigen Tagen 48 000 Mark ab. Nun wird er adlig. Als Karl von Sitta betrügt er ganz Stettin, Görlitz, Küstrin. In Berlin wird er endlich am 5. August 1905 abermals verhaftet. Was ihn natürlich wieder sehr "erregt", so daß er am 16. November 1905 wieder in eine Irrenanstalt gesteckt wird. Am 4. Januar 1907 holt ihn sein Bruder ab, "um ihn in eine Privatirrenanstalt in der Nähe Prags zu bringen". Man gibt gerührt den Bruder dem Bruder. In Prag sind die beiden heute noch nicht angekommen. Wohl aber tauchte F. sofort in Lübeck und Magdeburg auf - natürlich als Warenschwindler. In Cottbus wurde das par nobile fratrum Ende März 1907 verhaftet - wegen Warenschwindels. Beide erklärten, sich nicht zu kennen, und spielten die Rolle so gut, daß man sie unter vielen Entschuldigungen wieder entließ. Am 18. April 1907 Verhaftung in Wien wegen Warenschwindels. Am 21. Juni 1907 Einlieferung in die Landesirrenanstalt Prag. Am 27. September 1907 Flucht. Was nach dem 27. September 1907 aus unserem F. wurde, konnten wir nicht feststellen. Seine Geschichte verliert sich hier im geheimnisvollen Nichts.  - Dr. Robert Heindl, Der Berufsverbrecher, nach (net)

Raserei (3)

Auf einmal nun erfüllt mit wildem Hassen
Ihn dieser Landmann, dieses Bett, dies Haus;
Und alsogleich, ohn' auf den Mond zu passen,
Noch ob dem Tag ein Schimmer fliegt voraus,
Eilt er, die Waffen und das Roß zu fassen,
Flieht mitten in des Waldes dunkeln Graus
Und öffnet nun, einsam am öden Orte,
Mit Schrei'n und Heulen seinem Schmerz die Pforte.

Er hört nicht auf zu klagen und zu weinen,
Gönnt Tag und Nacht sich keine Ruh noch Rast.
Auf harter Erde liegt er in den Hainen,
Denn Stadt' und Dörfer sind ihm jetzt verhaßt.
Es muß zuletzt ihm selbst ein Wunder scheinen,
Daß solchen Tränenquell sein Auge faßt,
Daß immer noch die Seufzer sich vermehren;
Und oftmals spricht er so bei seinen Zähren:

»Das sind nicht Tränen mehr, muß ich vermuten,
Was vollen Stromes meinem Äug' entweicht.
Nicht gnügten für den Schmerz der Tränen Fluten,
Sie waren all, eh er die Hälft' erreicht.
Der Lebenssaft, gedrängt von innern Gluten,
Flieht auf dem Weg, der zu den Augen reicht;
Er ist's, was sie in solcher Fülle spenden,
Und wird zugleich mir Schmerz und Leben enden.

Und sie, die Zeugen meiner Qual zu nennen,
Sind Seufzer nicht; die kenn' ich nur zu gut.
Sie lassen nach; doch nie ist zu erkennen,
Daß dieser Sturm in meinem Busen ruht.
Amor erregt ihn, will mein Herz verbrennen
Und facht mit wildem Flügelschlag die Glut.
Durch welches Wunder, Amor, hältst du's immer
In hellem Brand, und ach! verzehrst es nimmer?

Ich bin nicht der, den mein Gesicht läßt schauen;
Der Roland war, liegt tot in Grabesnacht.
Durch Treubruch hat die schnödeste der Frauen
Grausamerweis' ums Leben ihn gebracht.
Ich bin sein Geist, der, unter Qual und Grauen,
Von ihm getrennt, in dieser Hölle wacht,
Damit er noch mit diesem Schattenleibe
Dem, der auf Liebe traut, ein Beispiel bleibe.«

Die ganze Nacht irrt' er umher im Haine;
Und als des Tages Fackel sie vertrieb,
Da führt' ihn sein Geschick beim Morgenscheine
Zur Quelle, wo Medor die Verse schrieb.
Dies Zeugnis seiner Schmach am Felsensteine
Entflammt' ihn so, daß ihm kein Tropfen blieb,
Den Haß, Wut, Zorn und Ingrimm nicht durchschäumen;
Und seinen Stahl entblößt er ohne Säumen,

Zerhaut die Schrift, den Stein, und sprengt die Scherben
In kleinen Splittern in die Luft empor.
Weh dieser Höhl', und jedem Baum Verderben,
An dem man liest: Angelica, Medor.
Nicht Schatten mehr noch Kühlung zu erwerben
Bleibt hier den Herden und der Hirten Chor.
Die Quelle selbst, die reinen, klaren Fluten,
Sind nicht geschützt vor seines Zornes Gluten.

Denn Äst' und Klötze, Stämme, Stein' und Schollen
Wirft er in sie hinein ohn' Unterlaß;
Und daß sie nie sich wieder läutern sollen,
Trübt er bis auf den Grund das klare Naß.
Ermattet nun, mit Schweiß wie überquollen,
Da sein erschöpfter Atem nicht dem Haß,
Der Wut, dem Zorne mehr vermag zu frönen,
Sinkt er aufs Feld mit Ächzen und mit Stöhnen.

Zu Boden sinken die erschlafften Glieder;
Er starrt zum Himmel auf und spricht kein Wort.
Dreimal entflieht die Sonn' und kehret wieder,
Und ohne Speis' und Schlummer liegt er dort.
Der Schmerz drückt immer mehr den Geist darnieder,
Und endlich fliehn ihm alle Sinne fort.
Am vierten Tag, zum Tollen umgeschaffen,
Reißt er vom Leibe Panzerhemd und Waffen.

Das Schwert wird da-, dorthin der Helm geschmissen,
Der Harnisch weit, und weiter noch der Schild;
Kurz, alle seine Waffen, sollt ihr wissen,
Zerstreut er rings im waldigen Gefild.
Dann zeigt er, da er sein Gewand zerrissen,
Den rauhen Bauch, Brust, Rücken, nackt und wild.
Und so beginnt die Raserei zu toben,
Furchtbar, wie keine jemals sich erhoben.

Je heft'ger nun sich Wut und Tollheit regen,
Sinkt jeder Sinn in immer tiefre Nacht.
Ihm fällt nicht ein, die Hand ans Schwert zu legen,
Sonst hätt' er wohl der Wunder viel vollbracht;
Doch er bedarf nicht Streitaxt, Beil noch Degen,
Bei seines Armes ungeheurer Macht.
Hier zeigt er wohl, was seine Kraft verrichte:
Ein Ruck entwurzelt gleich die höchste Fichte.

Nach ihr entwurzelt' er noch mehr dergleichen,
Als wär' es Fenchel, Dill und Attich nur;
Was auch sodann den alten Ulmen, Eichen,
Bucheschen, Birken, Tannen widerfuhr.
Dem Vogelsteller mag er sich vergleichen,
Der für die Netze von bewachsner Flur
Gestrüpp und Nesseln pflegt beiseit' zu räumen;
So räumt' er auf mit hundertjähr'gen Bäumen.

 - (rol)

Raserei (4)  Inmitten der Folterungen erwachte sie; sie sah uns wie eine Wahnsinnige an und verfiel sofort in krampfhafte Zuckungen. Kaum waren sechs von uns imstande, sie festzuhalten. Nur die schleckende Zunge eines Hundes vermochte sie zu beruhigen. In Strömen ergoß sich ihr Liebessaft. Wenn aber diese Erleichterung sich einmal nicht einstellte, dann wurde die Unglückliche geradezu entsetzlich in ihrer Raserei und schrie laut nach einem Esel.  - Alfred de Musset, Gamiani. Nach: Carolin Fischer, Gärten der Lust. Eine Geschichte erregender Lektüren. München 2000 (dtv 30768, zuerst 1997)

Raserei (5)  Aus den Hecken, den Büschen tauchen von allen Seiten Leute auf, um uns zu bewundern, zu zweit, zu viert, in Scharen. Sie halten alle ihren Pinsel in der Hand, die Damen vorn und hinten aufgeschürzt. Freche sind darunter, Leichtfertige, Vorsichtigere...

«Geh ran, Ferdinand», feuern sie mich alle an. Ein Riesenlärm!

«Vertrimm sie tüchtig, deinen Goldfisch!» Sie reizten mich so, daß ich ganz brutal wurde.

Mireille setzte sich kreischend in Trab. Ich hinter ihr her, nehme die Beine in die Hand. Ich versetze ihr einen gemeinen Quantenstoß nach dem andern in den Hintern. Es klingt schwer und dumpf. Aus Richtung Ranelagh strömten noch Wüstlinge zu Hunderten herbei...

Die Rasenflächen waren bald dicht bedeckt, Tausende standen in den Alleen. Und immer neue kamen aus dem Dunkel der Nacht heran... Alle Kleider waren zerfetzt... wackelnde, zerkratzte Titten... Knäblein ohne Hosen... Sie überrannten einander, traten einander mit Füßen ... Manche hingen in den Bäumen... Eine Alte, eine Engländerin, streckte ihren Kopf so heftig aus einem kleinen Auto, daß sie ihn sich beinahe abriß, sie störte mich sogar bei der Arbeit... Niemals habe ich so glückliche Augen gesehen wie die ihren... «Hurra! Hurra!... Großartiger Bursche!» rief sie mir begeistert zu... «Hurra! Du wirst ihr die Zwiebel kaputtschlagen! Auf den Sternen wird Massenandrang sein! Die Ewigkeit wird ihr herauskommen! Es lebe die Christian Science!»

Ich beeilte mich noch mehr. Ich lief schneller als ihr Auto. Ich gab mich meiner Aufgabe ganz hin, ich triefte von Schweiß! Beim Schlagen dachte ich an meinen Posten... Daß ich ihn bestimmt verlieren würde. Das kühlte mich ab: «Mireille! Erbarmen! Ich liebe dich! Willst du auf mich warten, du Dreckstück? Glaube mir doch!»

Beim Triumphbogen angelangt, begann die ganze Horde Mireille zu verfolgen. Überall lagen schon Tote umher. Andere rissen einander die Organe heraus. Die Engländerin schwingt ihr Auto über ihrem Kopf! Hurra! Hurra! Sie wirft damit den Autobus um. Der Verkehr wird von drei Reihen bewaffneter Mobilgarde abgesperrt. Jetzt sind wir an der Reihe. Mireilles Kleid fliegt davon. Die alte Engländerin stürzt sich auf sie, packt sie an den Brüsten, es spritzt heraus, es zischt, alles ist rot. Wir stürzen hin, alle wimmeln durcheinander, man würgt einander. Eine große Raserei.

Die Flamme unter dem Triumphbogen steigt, steigt noch immer, sie teilt sich, durchschießt die Sterne, versprüht über dem Himmel... Überall riecht es nach geräuchertem Schinken... Da kommt endlich Mireille und sagt mir etwas ins Ohr. «Ferdinand, mein Süßer, ich liebe dich!... Du hast wirklich herrliche Einfälle!» Ein Flammenregen fällt auf uns herab, jeder erwischt ein großes Stück... Man steckt es einander in den Hosenstall, es knistert, wirbelt. Die Damen stecken sich Feuersträuße an... So schlief man ein, in Haufen übereinanderliegend. - (tod)

Raserei (6)  

  Bewegung Wahnsinn
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