- Friedrich Schiller,
Der Verbrecher aus verlohrener Ehre. Eine wahre Geschichte. 1786
Bürger (2)
Bürger Schreckliche Burgen. Burgen auf Bergen Seit frühem Morgen schelten sie, schnaufen, Prüfen die Uhren, prüfen die Taschen, Und wie sie gehen, peinlich verschlossen, Die Zeitung nehmen sie in die Finger wie Brei Und schwatzen wieder, sehr ernst und ernster, Am Abend sinken die übertrieben Und wieder prüfen sie Taschen, Zettel, Dann beten sie noch: »Laß Gnade walten... |
- Julian Tuwim, nach (
mus
)
Bürger (3) Ich weiß nicht mehr, aus welchen Gründen das Ehepaar Chien Interesse am Tod seines Kindes hatte. Vielleicht habe ich es auch nie gewußt. Es ist ja so lange her! Ich war höchstens zwanzig Jahre alt und habe niemals etwas begriffen von den Kombinationen und Umtrieben der Notare. Ich weiß lediglich, daß nach der Beisetzung des kleinen Chien seine Eltern »in den Genuß« einer hübschen kleinen Summe kamen. Man muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie seit dem Zeitpunkt, da dieses Interesse in ihrem Leben Raum gewann, nur noch auf Mittel und Wege sannen, das arme Kind davon auszuschließen. Es wäre gleichwohl vermessen, daraus zu folgern, daß die Chiens Kanaillen gewesen seien. Sie waren BÜRGER, nichts weiter als BÜRGER, und galten mit gutem Recht als sehr ehrbare Leute. Da sie sich durchaus wohl befanden, hatten sie einen wahren Abscheu vor den »Wolken«, das ist alles.
Der Gatte hatte einen guten Posten im Hôtel de Ville, und die Frau führte
ein Lektürekabinett oder eine Bedürfnisanstalt, ich kann mich nicht mehr genau
erinnern. Beide gehörten der Kategorie der Wohlmeinenden an. Sie hätten Bedenken
gehabt, die Sonntagsmesse auszulassen, und förderten einen Wohltätigkeitszirkel.
Man sagte respektvoll von ihnen: »Sie besitzen dieses und jenes, ganz zu schweigen
von den Aussichten.« - (
bloy
)
Bürger (4)
Ich mag keine unverhofften Anrufe. Meine Telefonnummer macht in der ganzen
Stadt die Runde. Das Telefon ist unter Jüan Rodriguez eingetragen, und die Adresse
fuhrt zum hintersten Ende eines Schrottplatzes. Der alte Mann, der ihn betreibt,
schiebt mir alle zwei Wochen einen Lohnscheck rüber. Ich lös ihn ein und geh
ihm das Geld zurück. Es macht mich zu einem Bürger - ich zahle meine Steuern,
drücke die Sozialversicherung ab, all das. Ein bürgerlicher Name ist wichtig.
Er öffnet das Tor zu all den feinen Sachen: ordentliche Adresse, Führerschein,
Sozialversicherungskarte. Wegen dem FBI hab ich noch keine schlaflose Nacht
verbracht, aber das Finanzamt kämpft mit härteren Bandagen. Ich besitze auch
eine Geburtsurkunde. Sie ist so falsch, daß sogar ein Name des Vaters draufsteht.
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Andrew Vachss, Bluebelle. Berlin und Frankfurt am Main 1991
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