ngeheuer
Auf meinem Sofa liegend,
sah ich rings um mich den Ruf meiner Bösartigkeit wachsen, ohne
daß es mich andere Untaten gekostet hätte als einige Späße, und
ich sagte mir: die Nero und Caligula mußten Verbrechen
häufen, um Haß und Furcht
um sich zu breiten, während doch schon einige Scherzworte ihnen
den Ruf von Ungeheuern verschafft hätten. - - Rivarol, nach
(
riv
)
Ungeheuer (2) Eine Gruppe
von Erzählungen hat als Protagonisten
das kannibalische Ungeheuer Takwish.
Ein junger Indianer ist ihm vor kurzem
zum Opfer gefallen; sein Vater, ein großer Häuptling, beschließt,
ihn zu rächen. Er stattet Takwish einen
Besuch ab und fordert ihn zu einer akrobatischen Tanzprüfung
heraus, in deren Verlauf das Ungeheuer »sich die eigenen Knochen
bricht, sich das Haupthaar abschneidet
und wegwirft, sich die Beine bricht und sie wegwirft, auf den
bloßen Rumpf und den Kopf reduziert davonfliegt
und sich mit den eigenen Händen den Kopf abreißt«; danach
fügt es sich wieder zusammen. Schließlich
wird es von den Indianern getötet und eingeäschert, ersteht jedoch
wieder auf in Gestalt eines feurigen Meteors
oder, genauer, eines Kugelblitzes oder einer Feuerkugel,
wie man sie allem Anschein nach am Himmel Nordamerikas häufig
beobachten kann. - (
str
)
Ungeheuer (3) Im letzten Jahrhundert berichteten einige kräftige Franzosen von stundenlangen Kämpfen mit einem absonderlichen Ungeheuer, das tellergroße Augen habe. Die Wissenschaftler der Französischen Akademie hielten die Berichte allesamt für erstunken und erlogen - inzwischen wissen wir, daß die Männer die lautere Wahrheit erzählt haben! Die Existenz dieser Tiere erscheint uns immer noch von Geheimnissen umgeben: Hier mischen sich Mythen mit Angst, seit Jahrhunderten genährt durch märchenhaft übertriebene Reiseberichte. Noch heute rätseln Forscher, wie groß und schwer einige Exemplare dieser Klasse werden können.
Sie fristen ein eher verstecktes Dasein, ein Glück, denn ihr Aussehen erschreckt sensible Naturen. Dabei sind sie durchaus nicht primitiv im Sinne von »rein instinktgebunden«. Eine »Dompteuse« in den USA behauptet, daß Vertreter kleinerer Arten schnell lernen und schon beim dritten Mal genau wissen, was man von ihnen will. Die Tiere schafften es sogar, eine Glasflasche zu entkorken. Ihr hoch entwickeltes Nervensystem macht es möglich, daß sie blitzschnell die Farbe wechseln können: Bei Wut färben sie sich rot. Nein, das ist kein Blut, denn das sieht farblos bis blaugrün aus.
Dem Menschen, der in ihre Nähe gerät, können sie gefährlich werden, zumal, wenn sich die Tiere angegriffen fühlen. Auch ohne Muskeln entwickeln sie enorme Kräfte. Oder wollen sie sich nur festhalten?! Schlimm genug!
Die Mittelmeer-Völker schätzen das häßliche Wesen seit Jahrtausenden,
Archäologen fanden es als Ornament auf kretisch-mykenischen Vasen.
Der Verzehr gewisser Körperteile hat sich inzwischen auch in
deutschen Küchen ausgebreitet. Etwas gewöhnungsbedürftig ist
vielleicht die Vorliebe der Japaner: Sie schätzen besonders die
tellergroßen Augen. - (
nat
)
Ungeheuer (4)
Ungeheuer (5) Wenn Poesie
wirklich wieder mit allem rechnete, anzüglich leicht mit einem
Scharfsinn und Sarkasmus, wie er nur über den dreckigsten Wellenwirbeln
der Geschichten und Religionen aufleuchtet und tanzt: Was für
ein Ungeheuer könnte aus ihr werden! Was für ein übler Wechselbalg
aus Defätismus, frecher Einsicht, Aphasie und Ketzerei. Dann
erst wäre sie wieder eines der weniger gemütlichen Produkte ihrer
Zeit, absolut ätzend und unzitierbar für die Kulturhüter und
Rhetorikzwerge an allen Auf- und Abbaufronten. Doch das nur nebenbei.
- (
gr
)
Ungeheuer (6) In diesem Jahr geistern draußen auf dem Lande Ungeheuer. Ein Schafhirt, ein Bauer und eine Frau haben gesehen, wie sich ihnen so etwas wie ein struppiger, nachtschwarzer, riesiger Schimpanse näherte und dann Reißaus nahm. Viele Bauern haben die biddina gesehen, eine Wasserschlange, die sich aber auch auf sonnenverbrannter Erde sehr wohl fühlt, armdick, über zwei Meter lang mit einem stachligen Kamm auf dem Kopf. In meiner Kindheit erzählte man sich Geschichten über sie, doch damals behauptete niemand, sie gesehen zu haben. Heute dagegen wird sie von vielen gesehen. Dann gibt es noch die guizzine, die durch diabolische Verwandlung im Wasser aus Pferdehaar entstehen: aus dem Schweif und der Mähne. Es sind pfeilschnelle hochgiftige Wasservipern.
Ein paar Kilometer von hier, in den Tempeln von Agrigent,
gibt es auch ein Gespenst. Es haust
offenbar im Demetertempel. Abends kommt es flackernd hervor.
Es hat sich als Petrone vorgestellt, aber vielleicht hat man
es nicht richtig verstanden, wahrscheinlich handelt es sich um
den durch immerhin zwei Filmfassungen des »Satyricon« mit Nachdruck
in die Oberwelt zurückgerufenen Petronius. - Leonardo Sciascia, Schwarz auf
schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)
Ungeheuer (7) Durch sehr rigorose Verfahren
kann es einem gelingen, das verborgene Ungeheuer zu erkennen. Du wirst dich
gefragt haben, wer es ist und was es macht, wie es aussieht und ob es überhaupt
ein Aussehen hat. Ob es existiert. Man kann mit Sicherheit antworten, daß das
Ungeheuer existiert und handelt. Um es zu erkennen, kannst du dich normalerweise
einer elektrischen Taschenlampe bedienen, aber wenn du über einen kleinen Geigerzähler
verfügtest, würde dir das dein Unternehmen sehr erleichtern. Die Ungeheuer sind
meistens radioaktiv. Du mußt dir auch bewußt sein, daß das Ungeheuer als Polizist
in Zivil verkleidet durch die Straßen gehen kann, es kann an einem Wirtshaustisch
sitzen oder in einer Ecke der Hauptpost oder des Bahnhofs herumstehen. Die Ungeheuer
haben häufig eine Vorliebe für Eisenbahnen. Die Ungeheuer lieben die Uniformen
nicht, aber es wird erzählt, daß man einmal eines in den Kleidern des Stationsvorstandes
von Pavona, einem kleinen Dorf im Latium, gefunden hat. Von einem anderen Ungeheuer
dagegen sagt man, es habe sich bei der Bewegung der Focolarine eingeschrieben
und sei als Missionarin verkleidet durchs Land gegangen, um die Leute zu bekehren.
Es scheint, es habe über hundentausend Personen bekehrt. Es ist schwierig, das
verborgene Ungeheuer zu erkennen, man braucht Mittel und vor allem Spürsinn.
Wenn es einmal erkannt ist, kann man es mit einer Nadel oder einem einfachen
Angelhaken fangen. - (
gesp
)
Ungeheuer (8)
Das ungeheure Tier kommt hergezogen, Der Ritter hält, den Kraken zu erreichen, Da er des ersten Streichs sich wenig freute, So kommt der Aar, sieht er im Grase schweifen So fährt auch Rüd'ger nicht mit Lanz' und Degen So kämpft die kecke Fliege mit dem Hunde So schlägt der Schweif das Meer, daß aus den Tiefen Er will den Kampf mit andern Waffen enden Ich meine jenen Ring, den Bradamante Damit er nicht des Schildes Glanz bestreite, Des Schildes Zauberlicht schießt auf der Stelle Die Schöne fleht, nicht länger mit dem Speere |
- (
rol
)
Ungeheuer (9) Die fleischseite seiner
haut war nach außen gekehrt, die fellseite nach innen, er fror nicht, er roch
wie ein toter bär unter maden, seine füße waren die hinterflossen des seehunds,
sein sich fortbewegen verursachte ein unangenehmes geräusch, schmatzendes
schlurfen durch frühlingsschlamm, seine augen waren zwiebeln eines liliengewächses,
faulig glosend, es war eine finstere nacht ohne mondschein flußaufwärts. Das
ungeheuer kam aus der meeresbucht, es war über das wasser geschwommen. Der morgen
begann es stunden später einzuholen, es wurde sichtbarer, aber nur ein zobel
sah ihn, ein hermelin, ein murmeltier, ein fischotter und eine drossel, die
auf einem eisendraht saß; der tag kroch aus der schale, »der tag ist ein vogeljunges«
, sagte das ungeheuer. - (
ei
)
Ungeheuer (10) Wer immer einen Katalog von Ungeheuern erstellen wollte, müßte nur in Worten jene Dinge photographieren, die die Nacht schläfrig schlaflosen Seelen zuträgt. Diese Dinge sind zusammenhanglos wie Träume ohne das Alibi, man habe geschlafen. Sie schweben wie Fledermäuse über der Passivität der Seele oder wie Vampire, die das Blut der Unterwürfigkeit saugen.
Es sind Larven im Müll an
den Abhängen, Schatten, die das Tal bevölkern, Spuren, zurückgelassen vom Schicksal.
Manchmal sind es Würmer, ekelerregend selbst für die
Seele, die sie hegt und aufzieht; em andermal sind es Gespenster
und umkreisen düster ein Nichts; dann wieder schnellen sie wie Schlangen aus
den absurden Schlupfwinkeln verlorener Gefühle. -
Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich
2003
Ungeheuer (11) Garnele
vom Azur und vom Innern der Steine, Ungeheuer mit dem prompten Schwanz, der
den Blick verwirrt; skeptisch, gebogen, zweifelhaft, fiktiv, feige Garnele,
von einem rücksichtsvollen Periskop weltweit unterrichtet, wenn es sich auch
bei der geringsten Fühlungnahme zurückzieht, flüchtige, die du nicht störend
wirkst, nichts in Aufruhr versetzt, nicht mit den Sinnesfäden zuckst wie die
Hohltiere noch etwa mit der kleinsten Feder . . ., die nach Belieben sich tummeln.
Ungeheuer, geduckt auf der Lauer, allem auflauernd, auf der Lauer, wenn ein
x-beliebiger Spaziergänger das unscheinbarste Fleckchen, das unscheinbarste
und bis dahin unbekannte Gelände entdeckt; lauernd und trotzdem ruhig, des Wertes,
der Schnelligkeit und Genauigkeit seiner Instrumente zur Umsicht und Gissung
sicher: nichts, das mehr von einem Kenner an sich hätte, nichts Diskreteres.
- (
frp
)
Ungeheuer (12) Ich glaube nicht, daß mit dem Charakter des idealen Künstlers etwas Gutes zu bewerkstelligen wäre. Das wäre ein Ungeheuer. Die Kunst ist nicht geschaffen, um Ausnahmen zu schildern, außerdem empfinde ich eine unüberwindliche Abneigung, etwas aus meinem Herzen zu Papier zu bringen. Ich finde sogar, daß ein Romancier nicht das Recht hat, seine Meinung über irgend etwas auszudrücken. Hat der liebe Gott jemals seine Meinung gesagt? Deshalb gibt es eine Menge Dinge, an denen ich ersticke, die ich ausspucken möchte, die ich aber hinunterschlucke. Warum soll ich sie auch sagen? Der erstbeste ist interessanter als Herr G. Flaubert, weil er allgemeiner ist und infolgedessen typischer.
Es gibt trotzdem Tage, an denen ich mich unterhalb der Verblödung fühle. Ich habe jetzt ein Becken mit Goldfischen, und das macht mir Spaß. Sie leisten mir Gesellschaft, während ich esse. Was für eine Dummheit, sich für so einfältige Dinge zu interessieren! Leben Sie wohl, es ist spät, mein Kopf ist ausgebrannt.
Ich umarme Sie. - Flaubert an George Sand, nach (
flb
)
Ungeheuer (13) Vielleicht sollte man
das Mädchen, in das man einmal verliebt
war, nicht an dem Tag besuchen, an dem ihr die Brüste
wegoperiert werden. Wenn auch nur aus Selbstschutz. Aber ich hatte keine Lust,
mich zu schützen, ich hatte mich bereits ergeben. Und so ging ich hin. Ich wartete
im Korridor auf sie, vor dem Operationssaal, wo der jeweilige Patient ein paar
Minuten warten mußte, bis er an der Reihe war. Sie brachten sie auf dem Rollbett,
und auf ihrem Gesicht lag die unschuldige Fröhlichkeit der Vornarkose, die,
glaube ich, eine Rührseligkeit ohne Bewußtsein erzeugt. Ihre Augen glänzten,
und ich drückte ihr die Hand. Ich begriff, daß sie noch immer Angst hatte, eine
von der Chemie gedämpfte Angst. Sollte ich etwas sagen? Am liebsten hätte ich
gesagt: Maddalena, ich war immer in dich verliebt, keine Ahnung, warum ich dir
das nicht früher habe sagen können. Aber einem Mädchen, das gerade in den Operationssaal
gebracht wird, zu einer derartigen Operation, kann man so etwas nicht sagen.
Also flüsterte ich so schnell ich konnte: Vielgestaltig ist das Ungeheure, und
nichts ist ungeheurer als der Mensch, auch über das graue Meer im winterlichen
Südwind geht er und unter rings aufbrüllendem Wogenschwall kommt er hindurch
- ein Satz aus »Antigone«, den ich bei der Aufführung vor vielen Jahren zu ihr
gesagt hatte; keine Ahnung, warum er mir so deutlich vor Augen stand und ob
sie sich an ihn erinnerte, ob sie imstande war zu verstehen; sie drückte mir
die Hand, und sie brachten sie weg. - Antonio Tabucchi. Kleine Mißverständnisse
ohne Bedeutung. München 1999 (zuerst 1985)
Ungeheuer (14) Ungeheuer (portenta)
sind solche, die eine andere Gestalt annehmen, wie etwa im Falle einer Frau
in Umbrien, von der berichtet wird, sie habe eine Schlange zur Welt gebracht.
Daher heißt es auch bei Lukan: Die Mutter erschrak über das eigene Kind.
Mißgeburten (portentuosa) hingegen zeigen eine
leichte Veränderung, wie etwa ein Kind, das mit sechs Fingern geboren wird.
In einigen Fällen zeichnen sich Ungeheuer oder Mißgeburten durch eine Vergrößerung
des gesamten Körpers über das bei Menschen übliche Maß hinaus aus: so wie Tityus,
der laut Homer neun Plethren an Länge maß. In anderen Fällen kommt es
zu einer Verkleinerung des gesamten Körpers, wie bei den Zwergen (nani)
oder denen, die bei den Griechen Pygmäen heißen, weil sie nur eine Elle lang
sind. Bei anderen sind bestimmte Körperteile besonders groß geraten, wie etwa
ein Wasserkopf, oder sie haben zusätzliche Körperteile, zwei Köpfe oder drei
Hände oder die cynodontes, die zwei Zahnreihen haben. Bei anderen sind
die Körperteile unterschiedlich ausgefallen, die eine Hand sieht anders aus
als die andere, der eine Fuß anders als der andere. Bei anderen fehlt ein Körperteil,
wie etwa bei denen, die ohne Hand oder Kopf zur Welt kommen; die Griechen nennen
sie sferes. Andere sind praenumeria,wenn nur ein Kopf oder ein
Bein geboren wird. Einige sind zum Teil von anderer Gestalt, wenn sie den Kopf
eines Löwen oder Hundes haben oder den Kopf oder Körper eines Stiers; man denke
an den Minotaurus, den Pasiphae gebar.
Andere verwandeln sich vollständig in ein fremdartiges Ungeheueres gibt die
Geschichte von einer Frau, die eine Kuh zur Welt brachte. Bei anderen sind manche
Körperteile unverändert, aber an anderer Stelle, etwa Augen an der Brust oder
an der Stirn oder Ohren oberhalb der Schläfen. Oder
wie Aristoteles berichtet, hatte jemand seine
Leber links und die Milz rechts. Andere haben aufgrund einer connaturatio
an einer Hand oder einem Fuß mehr oder weniger Finger bzw. Zehen, weil sie zusammengewachsen
sind. Andere zeigen vorzeitige oder übermäßige Merkmale und kommen schon mit
Zähnen, einem Bart und grauen Haaren zur Welt. - Isidor von Sevilla, nach
(eco)
Ungeheuer (15) Es ist ziemlich merkwürdig
zu sehen, daß der Islam lediglich die Wiedergabe einiger in der Klasse der Ungeheuer
anzusiedelnder Tiere erlaubt. So etwa eine Art Sphinx,
deren Darstellung man zu Tausenden in den Cafés und bei den Barbieren Konstantinopels
begegnet. Es ist ein wunderschöner Frauenkopf auf einem Greifenkörper; das schwarze
Haar fällt in langen Zöpfen auf Rücken und Brust herab, die sanften Augen sind
braun umrandet, die geschwungenen Brauen stoßen auf der Stirn aneinander. Jeder
Maler vermag ihr die Züge seiner Geliebten
zu geben, und alle können bei ihrem Anblick von der idealen Schönheit träumen,
denn im Grunde handelt es sich um die Abbildung eines himmlischen Geschöpfes,
jener Stute, die Mohammed ins dritte Paradies
trug. - Gérard de Nerval, Reise in den Orient.
München 1986 (zuerst 1851)
Ungeheuer (16) Kaum aber hatte Dilldapp wenige Schritte gemacht, so kam ihm und dem Esel ein flinker Knüppel in den Weg, der sie beide in eine Höhle hineintrieb, in welcher ein großes, dickes, fettes Ungeheuer von einer so außerordentlich großen Herzensgüte saß, daß man sie mit Ellen ausmessen konnte. Ach, Mutter! wie abscheulich groß und gut war das Ungeheuer!
Das Ungeheuer sah aus wie ein anderer Mensch auch, außer daß es
wohl dreimal so groß und viermal so breit war. Es hatte eine sehr edle
Gesichtsbildung, nur sein Kopf war so dick wie ein Pfefferballen; seine
Nase so breit wie ein Blasebalg; seine Augen, deren es nur eines hatte,
und zwar mitten auf der Stirne, waren lieblich spielend, wie das Rad an
einem Schiebkarren; sein Mund war freundlich, aber so groß als die
Brieftasche eines Postmeisters; und seine Ohren, die es spitzen konnte
wie ein kluger Spitzhund, und niederhängen wie ein treuer Pudelhund,
waren nicht größer, als daß in einem die Schwalben ihr Nest, im andern
die Bienen ihr Haus drin bauen konnten, was seiner freundlichen Seele
eine sehr angenehme Unterhaltung gewährte. - Clemens Brentano, Das Märchen von dem Dilldapp oder Kinder und Toren haben das Glück bei den Ohren
Ungeheuer (17) DIE
GRÄFIN : «Wenn ich Elise nicht begegnet wäre, ich
hätte niemals geglaubt, daß ein menschliches Wesen die Habgier, die Fühllosigkeit,
den Hochmut, die Halsstarrigkeit in der Verfolgung der eigenen Ziele so weit
treiben könnte. Da dies alles sich hinter einem edlen Gehaben verbirgt, hinter
einer Fassade von Pracht, von scheinbarer Absichtslosigkeit, ja von Religiosität,
was ihren Fall eigentlich noch schlimmer machen sollte, verwundert es mich aufs
höchste, daß man ihr dennoch nichts übelnehmen oder nachtragen kann - vielleicht
gerade darum, weil sie es ist; als ob man es mit einer Ausnahme, einem Ungeheuer,
einzig in seiner Art, einer
unwahrscheinlichen Ausgeburt der Laune zu tun hätte,
von denen man, wenn es sie nicht gäbe, kein Beispiel hätte, weiß man ihr Dank
für alles, was sie tut, was sie ist, und sollte man selber darunter leiden.»
- Marcel Jouhandeau, Elise. Reinbek bei Hamburg
1968 (zuerst 1933 ff.)
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