. - Emanuel Swedenborg
, nach
(je)
Flugtraum (2) Ich träumte: »jetzt kann
ich im Traum überall hinfliegen ohne aus dem Bette heraus zu gehen und komme
doch an; ich flog Nachts durch eine Stadt, finde einen Hut, draussen wars doch
Tag; ich fliege zurück und sage in der Stube, jetzt will ich erwachen, geschieht;
sagte, seht wenn ich mich jetzt heben will, ist alles wie Blei.« Endlich
erwacht' ich. - (
idg
)
Flugtraum (3) Ich wippe mit der Fußspitze — und schwebe ohne Anstrengung ziemlich rasch durchs offene Fenster schräg über die Straße auf irgend einen Balkon.
Nun bin ich aber doch im Zweifel, ob das Ganze nicht bloß ein Traum ist. Um mich von der Wirklichkeit meines Fluges zu überzeugen, gehe ich durch die Glastüre des Balkons in die fremde Wohnung. Offenbar in ein Speisezimmer. Vor dem großen Spiegel schneide ich allerhand Grimassen, immer noch im Zweifel, ob ich nicht träume, dann knipse ich dicht vor den Ohren mit den Fingernägeln. Nein, ich höre es, bin also vollkommen wach.
Eine Platte mit herrlich belegten Brötchen lenkt mich ab. Ohne weiteres verschlinge ich davon eine ganze Anzahl, wodurch auch der letzte Verdacht, nur zu träumen, behoben wird. Maßloser Jubel erfüllt mich jetzt, da es Wahrheit ist: ich kann fliegen! Nur wegen der verzehrten Brötchen bin ich etwas beklommen.
Und wie ich mich scheu im Zimmer umsehe, liegt auf einer seidenen Causeuse
nackt, mit einem Lächeln, das sagt: „Ich habe alles von Anfang an beobachtet",
ein junges Weib, herausfordernd schön, mit Hüften, die
meines Fluges Kurven zu vollenden scheinen. Größte Verlegenheit und scheuloses
Begehren lassen mich wortlos vor sie hintreten, ihre Hand ergreifen und wie
mit der Bitte um Verzeihung und um Hingabe festhalten. Da verstärkt sich ihr
Lächeln, sie preßt meine Hand auf ihre rechte Brust
— so elastisch, weich, daß ich mit rasender Lust meine Nägel hinein klammere
(so wie beim Spiel mit jungen Katzen). Sie schlingt ihren Arm um meinen Hals
und preßt mein Gesicht in ihren Schoß, den statt der Schamhaare ein Strauß dunkler
Veilchen schmückt; deren Duft, gemischt mit dem Blumenerdegeruch des Frauenfleisches,
atme ich tief und lange ein — bis ein Gefühl restloser Zufriedenheit sich mehr
und mehr in mir ausbreitet, meine Finger sich langsam aus den ein wenig abgekühlten
Brüsten lösen. Nur mein Atem bleibt sengend heiß,
und bald sind die Veilchen des Frauenschoßes unter meinen Lippen verdorrt. Da
erhebe ich mich im Traume und sehe, daß ich geträumt haben muß, daß ich auf
einer Causeuse eingeschlafen bin, die mit Veilchensträußen gemustert ist. Und
nun zweifle ich auch wieder daran, ob ich fliegen kann, will es sofort versuchen,
weiß aber überhaupt nicht mehr, wie es anzufangen ist. -
Wieland Herzfelde, nach (
je
)
Flugtraum (4)
Ich bin nie ganz ohne Verbindung zur Erde, ich stoße mich ab und fliege sehr
hoch, und ich komme immer wieder runter. So sind meine Flugträume. Es ist so
eine Art Trampolinflug. Schön. Herrlich. Nicht so häufig. Leider. Das würde
man gern öfter träumen. - Anita Albus, Berliner Zeitung
vom 11./12. März 2006
Flugtraum (6) Der Aeroplan - ich spüre ihn als mir zugehörig wie ein Kleidungsstück - steigt geräuschlos, unaufhörlich. Bald liegt die Erde schon so tief unter uns, daß sie gewölbt erscheint. Nur weil sie immer kleiner und zusammengeballter wird, schließen wir auf unsere Bewegung, die in ihrer Stetigkeit jeden Sinn für Zeit und Maß ausschaltet.
Das Gefühl, gänzlich in sich geschlossen und mit sich ausgesöhnt zu
sein, während das Verlangen, sich der Umwelt mitzuteilen, sich mit ihr auseinanderzusetzen,
abstirbt, da nichts Fremdes mehr in ihr enthalten ist - dieser Zustand, wie
ich ihn ähnlich nur kenne, wenn ich tagelang keinen Laut vernommen oder geäußert
habe, wenn mein Bewußtsein nur noch in den Augen wohnt, die weit geöffnet alles
in sich saugen, ohne auf Widerstand zu stoßen, erfüllt mich so ausschließlich,
daß ich der bereits als hellgrünes Rund erscheinenden Erde ein wenig zulächle
wie einer Vergangenheit. -
Wieland Herzfelde, Tragigrotesken der Nacht. Berlin 1920 (Malik)
Flugtraum (7)
Flugtraum (8) Ihm träumte, er wäre krank wie manchmal,
und würde aus einer Heilquelle seines Landes gehoben. Männer rieben und bewegten
seine Glieder. Aber wenn sie sie bewegt hatten, wurden die Glieder wieder steif,
schließlich gingen die Wärter hintereinander aus der Kammer mit ihren Tüchern
und Salben heraus. Sobald sie aber die Kammer verlassen hatten, fühlte er sich
vom Boden aufgehoben, flog und verneigte sich vor der Sonne, die über den Berggipfeln
hervortrat. Und da er unverändert wie ein Leichnam mit Binden umwickelt war,
so flog er weiter, immer höher. Die Sonne fing an, furchtbar zu brennen. Die
Glut wurde unermeßlich. Er suchte anzuhalten, in Angst. Aber die Kraft des Fliegens
ließ nicht nach. Rauch stieg schon aus seinem Körper, die Binden lösten sich
und loderten. Da wußte er, daß er ein Opfer war und daß er dargebracht wurde.
Er wand sich in einem furchtbaren Schmerz, war im Ersticken.
-
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Flugtraum (9) Ich lief mit dem Kriegsschrei Sitting
Bulls über die Gasse, lief in einer Weise, die ich zu der Zeit erfunden hatte
und die darin bestand, zu laufen, ohne die Knie anzuwinkeln, so, als ob ich
einen Ball treten würde. Es machte kaum müde und war wie Fliegen,
obwohl es nicht mit dem Traum vom Fliegen zu vergleichen war, den ich damals
immer hatte und der darin bestand, daß ich die Beine vom Erdboden abhob und
mit einer unmerklichen Hüftbewegung zwanzig Zentimeter über dem Boden dahinflog,
so himmlisch, daß man es nicht erzählen kann, lange Straßen weit zu fliegen,
zuweilen ein wenig steigend, ein andermal dicht über dem Boden, wobei ich die
ganz klare Empfindung hatte, wach zu sein, abgesehen von dem Widerspruch, daß
ich in diesem Traum stets träumte, ich wäre wach und flöge wirklich, hätte vorher
geträumt, erlebte es jetzt aber leibhaftig, und wenn ich erwachte, war es, als
fiele ich zu Boden, und es war traurig, draußen zu gehen oder zu laufen und
dabei immer sein Gewicht zu fühlen und bei jedem Sprung nach unten zurückkehren
zu müssen. - Julio Cortázar, Die Gifte. In: J. C., Die Nacht
auf dem Rücken. Frankfurt am Main 1998 (Die Erzählungen Bd. 1)
Flugtraum (10)
Flugtraum (11)
- Franz Sedlacek
Flugtraum (12) Mit Flügeln zu fliegen, ist für alle ohne Ausnahme günstig. Sklaven werden nach diesem Traumerlebnis die Freiheit erlangen, weil alle fliegenden Vögel herrenlos sind und keinen Gebieter über sich haben. Arme werden viel Geld erwerben; denn wie das Geld die Menschen emporträgt, so auch die Flügel die Vögel. Reichen und einflußreichen Männern verschafft es Staatsämter; wie die Vögel über das am Boden kriechende Getier erhaben sind, so die Regierenden über die Bürger. Ohne Flügel und in großer Entfernung vom Erdboden zu fliegen bedeutet dem Träumenden Gefahr und Schrecken. Das Herumfliegen um Ziegeldächer, Häuser und Kreuzwege prohezeit Verwirrungen und Beunruhigungen der Seele. Im Traum himmelwärts zu fliegen, zeigt Sklaven in jedem Fall an, daß sie in reichere Häuser überwechseln, häufig auch, daß sie an den kaiserlichen Hof kommen werden. Dagegen machte ich bei Freien häufig die Erfahrung, daß sie selbst gegen ihren Willen nach Italien reisen mußten; denn wie der Himmel der Sitz der Götter ist, so ist Italien der Sitz der Kaiser. Menschen aber, die verborgen bleiben wollen und sich verstecken, entdeckt es; denn alle Dinge am Himmel sind sichtbar und für jeden gut wahrzunehmen.
Mit Vögeln fliegen bedeutet, man werde sich unter Menschen fremder Zunge und unter Ausländern bewegen. Für Übeltäter ist es ein schlimmes Zeichen; denn solche haben mit Strafe, häufig mit Kreuzigung zu rechnen. Fliegt man weder allzu entfernt vom Erdboden noch allzu nahe, sondern so, daß man gut wahrnehmen kann, was auf der Erde vor sich geht, kündigt es eine Reise und Ortsveränderung an. Es kann nun der Träumende aus den Dingen, die er auf der Erde schaut, erschließen, was ihm alles auf der Reise widerfahren wird. So verheißen z.B. Ebenen, Kornfelder, Städte, Dörfer, Gehöfte und alles von Menschenhand Geschaffene, ferner schöne Flüsse, Seen, ein stilles Meer, Häfen, bei günstigem Wind dahinsegelnde Schiffe, all das im Traum geschaut, eine glückliche Reise. Dagegen kündigen Schluchten, Bergklüfte, Täler, Felsen, wilde Tiere, reißende Ströme, Berge und schroffe Abhänge lauter Widerwärtigkeiten auf der Reise an.
Immer ist es ein gutes Zeichen, wenn man nach einem Flug wieder zur Erde gelangt und so erwacht, am allerbesten aber ist es, wenn man nach Belieben fliegt und nach Belieben damit aufhört; es sagt große Leichtigkeit und glatte Abwicklung in den Geschäften voraus. Wird man beim Fliegen von einem wilden Tier, einem Menschen oder einem Dämon verfolgt, so ist das ein übles Zeichen; es beschwört große Schrecknisse und Gefahren herauf; denn im Traum war die Furcht so mächtig, daß man glaubte, die Erde biete nicht genug Schutz für ein Entkommen, und man deswegen den Himmel zu erreichen suchte.
Glück bringt es einem Sklaven, wenn er im Haus seines Herrn umherfliegt; er wird viele im Haus überflügeln. Fliegt er außerhalb des Hauses, so wird er nach Tagen des Glücks als Toter das Haus verlassen, falls er durch den Hof ausflog; falls durch den Toreingang, als Verkaufter, wenn durch ein Fenster, als Ausreißer. Rücklings fliegen ist für einen, der zur See fährt oder eine Seereise antreten will, kein übles Vorzeichen; für gewöhnlich liegen ja die Leute an Bord auf dem Rücken, wenn sie nicht von einem Unwetter heimgesucht werden. Allen anderen zeigt es Untätigkeit an; man sagt bekanntlich von untätigen Menschen, sie lägen auf dem Rücken. Kranke rafft es hinweg.
Am allerschlimmsten und übelsten aber ist es, fliegen
zu wollen und es nicht zu können,
oder, wenn man schon fliegt, den Kopf gegen die Erde, die Füße gen Himmel gekehrt
zu haben; es prophezeit dem Träumenden viele böse Schicksalsschlage. Ein Kranker
wird, in welcher Lage er auch fliegt, sterben; denn man sagt, daß die Seelen,
vom Körper getrennt, mit einer außergewöhnlichen Schnelligkeit und sozusagen
wie Vögel in den Himmel emporsteigen. - (art)
Flugtraum (13) Zum Wesen meines Flugs gehörte, daß er nicht abgebrochen werden durfte, auf unerklärte Weise wußte ich, daß mir ein schlimmer Absturz drohte, und zwar viel tiefer noch als von der Spitze dieses Turmes, falls ich es wagen sollte, ein Innehalten anzustreben. In meiner Not schraubte ich meine Flugbahn höher. Über dem Dach des Hitzik-Hauses, wo kalte, dünne Luft, knatternd wie Zellophan, um meine Ohren schlug, bemühte ich mich, möglichst enge Runden zu fliegen. Und als ich so, Arme und Beine abgespreizt, Hände und Füße gleich weit entfernt von meiner Körpermitte, fast um mich selber wirbelnd, symbolisch eine Art von Stillstand schaffte, erbarmte sich das Bauwerk selbst, und ächzend, einer gewaltigen Mechanik Folge leistend, klappte das Dach des Hauses zu drei gewölbten Dreiecken auseinander. Die weichenden Ziegel, Dachbalken und Deckenbohlen gaben mir freien Einblick in die oberste Etage.
Der dargebotene Raum war groß, fast völlig leer. Aber
was sich als einziges Objekt am Grund der kahlen Riesenkiste fand, war
trotzdem schwierig auszuspähen. Das lag an meiner unglückselig
zugespitzten Lage. In allerengstem Kreis über dem offenen Dach
herumgeführt, machte mich das Bestreben, den Gegenstand dort unten zu
fixieren, sofort entsetzlich schwindeln. Magen und Kopf verkrampften
sich in Übelkeit. Zumindest erkannte ich die Sache als ein Möbel. Da
stand ein Tischlein, putzig klein, mit einem Stühlchen zu einem
flachen Pütt verbunden. Die Armlehnen verjüngten sich und gingen in
feinem Schwung in die hochgezogenen Randleisten der Platte über. Allein
von oben war ein Einstieg auf die Sitzfläche möglich. Die Tischplatte
schmückte ein buntes Bild, und mit knirschenden Zähnen, den Brechreiz
immer neu hinunterwürgend, mühte ich mich, mein Hinschauen so zu
justieren, daß ich das Aufgemalte deuten könnte. Aber die letzte
Schärfe blieb mir doch versagt; ich kann nur sagen, daß es menschliche
Gestalten waren, vermutlich Märchen- oder Sagenwesen, die, zu Posen
erstarrt, unter dem harten Lack verharrten. - Georg Klein, Barbar Rosa. Berlin
2001
Flugtraum (14) Ich war von Häschern verfolgt, Männern in Trachten der Inquisitionszeit,
und konnte plötzlich fliegen. Ich flog ganz langsam über den Eichenhain
bei unsermForsthausinCremmen;erwarhalbkahl wie im November, am Rande
standen die Häscher und schrien mir nach. Auf einmal empfand ich, daß
ich hinüber ins ewige Leben fliege, und sah den Auferstehungstag
unter mir. Aus den braungelben, abgefallenen Blättern der Eichen kamen
wie Würmer unzählige menschliche Ärmchen und Beinchen gekrochen, in den
wachsbleichen Farben der mittelalterlichen Gemälde, und schließlich
waren es ganze Menschlein, alle nackt, nicht größer als Marionetten,
alle sehr schlank, mit allerlei fahlen bunten Schamlappen; der ganze
Waldboden unter mir wimmelte von diesen welken, nackten Angstkörperchen.
Eine ungeheure Seligkeit
erfüllte mich, wie ich so frei darüber hinflog. Am Waldrand standen
noch immer die Häscher und schrien mir nach, ich sei wohl
größenwahnsinnig, ich hielte mich wohl für Nietzsche,
sie würden mich schon noch kriegen, den Nietzsche hätten sie auch
gekriegt — ich dachte selig: ja, ihr Halunken! den Ärmsten habt ihr da
unten genug gequält — „oder für Bismarck" schrien sie — ich dachte halb
beklommen: ja, der hat freilich schon bei Lebzeiten triumphiert! Auch Goethe!
— In diesem Augenblick sah ich Goethes Gesicht aus einer Wolke
aufleuchten — die grauen Haare flössen zusammen mit dem Gewölk, die
großen braunen Augen begrüßten mich mit solchem Zutrauen und
Einverständnis, daß ich vor grenzenloser Freude das Bewußtsein verlor —
ich fühlte, wie ich bewußtlos wurde — und als ich wieder zu mir
kam, stand ich auf der Chaussee am Eichenhain, und Paula mit Peter-Heinz
kam mir entgegen. Ich glaubte mich wach und erzählte ihr den Traum. - Richard Dehmel, nach
(je)
Flugtraum (15) Ich sah einen ganz
kleinen Mann, der war nur einen Fuß hoch. Er stand in meines Vaters Haus
in der Kaiserstraße 9 in Würzburg auf dem langen Korridor unserer
Wohnung unter der Gasflamme, die dort brannte. Ich dachte, furchtbar
erschreckt durch die kleine Erscheinung: ,Was will der Mensch da, dieser
übernatürliche.' Ich wurde so aufgeregt, daß ich ihm einen Fußtritt
geben wollte. Wie erstaunte ich aber, die Gestalt schwebte
plötzlieh zum Gangfenster in den Hof hinaus und in die Höhe. Und ich
folge ihr und schwebte plötzlich auch in der Luft zum Gangfenster
hinaus. Draußen in der Luft sah ich plötzlich, daß der Kleine sich in
eine ganz natürliche Menschengestalt verwandelte. Ein junger Mann in
schwarzem Anzug sah mich in der Luft schwebend an. Ich kehrte darauf,
durch das Gangfenster schwebend, wieder in das Haus zurück, war
aufgeregt und rief: „Hilfe !" Denn ich sah Licht unter der Küchentür,
und mir schien, die Erscheinung sei in den Kelter gesunken, wo die Küche
unter meines Vaters Wohnung lag.
- Max Dauthendey, nach
(je)