ünsche  Jemand sagte: "Ich möchte erleben, wie der letzte König erwürgt wird mit dem Darm des letzten Priesters"   - (Chamfort)

Wünsche (2)  Ich würde gern unter den furchtbarsten Qualen sterben, wenn ich sehen könnte, wie der Henker von Präsident samt seinen Richtern und der Staatsanwalt nebst seinen Gehülfen mit dem Darm des letzten Polizisten erdrosselt würde. - Gefängnisgraffito nach Lombroso (1890)

Wünsche (3)  Die Welt hat nicht eher Ruhe, bis der letzte Minister=General am Darm des letzten Pfaffen gehängt ist. - Arno Schmidt: Eberhard Schlotter - Das Zweite Programm (1961)

Wünsche (4)  In Frankreich gab es ein satanischeres Buch, und zwar das Testament des Pfarrers MELLIER (oder Meslier), der im Jahre 1729 starb. Fragmente dieses Buches wurden von Voltaire (1762) und von Holbach (1772) veröffentlicht. In diesem Testament stand z. B. dies grausige "Wort, das in der Zeit der französischen Revolution berühmt wurde und mit dem Pfarrer Mellier zum Ausdruck brachte, daß man den letzten Priester mit den Eingeweiden des letzten Königs erdrosseln müßte.  - Giovanni Papini, Der Teufel. Anmerkung für eine zukünftige Teufelslehre. Stuttgart 1955

Wünsche (5)   Fechner sagt, unser Bewußtsein, der Mensch, sei versehen mit einer Reihe von Wünschen, Ängsten, die nicht der Dauer des menschlichen Lebens entsprächen. Wenn Dante sagt »N‘el mezzo del cammin de nostra vita«, so erinnert er uns daran, daß uns die Schrift siebzig Lebensjahre zugesteht. Als er die fünfunddreißig Lebensjahre vollendet hatte, kam ihm also diese Vision. Im Verlauf unserer siebzig Jahre (unglücklicherweise habe ich diese Grenze bereits überschritten; ich bin schon achtundsiebzig Jahre alt) empfinden wir Dinge, die in diesem Leben keinen Sinn ergeben. Fechner denkt an den Embryo, den Körper, bevor er den Mutterleib verläßt. An diesem Körper gibt es nutzlose Beine, Arme, Hände, nichts davon hat einen Sinn; es kann nur in einem späteren Leben einen Sinn haben. Stellen wir uns vor, mit uns geschähe das gleiche, wir wären voll von Hoffnungen, Angsten, Überlegungen, und nichts davon nützte uns in einem rein sterblichen Leben. Wir brauchen das, was die Tiere haben, und sie können auf all das verzichten, was später in einem anderen, erfüllteren Leben sinnvoll sein könnte. Das ist ein Argument zugunsten der Unsterblichkeit. - Jorge Luis Borges

Wünsche (6)

Arisches Heiratsgesuch

»Ich suche ein arisches Mädchen zur Frau,
Mit Haaren wie Gold und Augen rein blau,
Von hoher Gestalt und kernigem Leib —
Ein echtes, ein rechtes germanisches Weib.

Die Zähne gesund im rosigen Mund,
Das Antlitz edel und offenkund:
Rein arischer Schnitt, rein arischer Geist
Soll‘n zieren die eine, die Freia mir weist.

Ich wirke in sicherer Stellung und steh‘
Im zweiunddreißigsten Jahre, doch eh‘
Ich keltisch — für arisches Blut erklär‘
Will ich‘s — traun! Bedenken für und für!

Drum wissen die Götter mir glückliche Mär,
So senden sie diese der ›Ostara‹ her
Unter ›Zwanzigjährig‹ zum Heil und Sieg!
Verschwiegenheit gilt! Und nun, Brieflein, flieg.«

Heiratsanzeige aus Ostara, Jahrgang 1906

 - Aus: Hannsferdinand Döbler, Die Germanen. Legende und Wirklichkeit. München 1979

Wünsche (7)   Lebensreformer, Anfang der Dreißiger, gebildet, wünscht mit gebildetem deutschen Mädel zwecks Heirat in Verbindung zu treten. Bedingungen: Alter etwa 17 bis 22 Jahre, arisch-germanischer Rasse, blondes Haar, langschädelig, gezeugt und geboren von streng vegetarisch lebenden Eltern, an Mutterbrust gestillt, vegetarisch ernährt und in lebensreformerischem Sinne erzogen. Anhängerin der Nacktkultur und der Reformkleidung. Freundliche Zuschriften im obigen Sinne mit Lebenslauf und Bild in Reformtracht sowie drei Ganzaktlichtbildern, Vorder-, Seiten- und Rückenaufnahme, an die ›Vegetarische Warte‹ erbeten. Strengste Verschwiegenheit zugesichert und verlangt. Die Bilder werden, wenn nicht zusagend, zurückgesendet. - Heiratsgesuch in der »Vegetarischen Warte«, nach: Carl Christian Bry, Verkappte Religionen. Kritik des kollektiven Wahns. Nördlingen 1988 (Greno 10/20 85, zuerst 1924)

Wünsche (8) WAS ICH GERN HÄTTE

Tränen oder Weide auf dem Boden
aus Goldzähnen
aus Blütenstaubzähnen
wie der Mund eines Mädchens
aus dessen Haar der Fluß entsprang
in jedem Tropfen ein kleiner Fisch
in jedem Fisch ein Goldzahn
in jedem Goldzahn ein Lächeln fünfzehn Jahre alt,
damit sich die Libellen fortpflanzen

An was wohl eine Jungfrau denkt
wenn ihr der Wind die Schenkel freilegt?  - (bun)

Wünsche (9) Meine Wünsche machen mir die Welt immer viel zu groß, verstehst du das? sagte er zu Dagmar; ich leide an einer von mir erfundenen Weltvergrößerung, wenn es so etwas überhaupt gibt. Dagmar schwieg. Und wenn ich die Welt ordentlich vergrößert habe, falle ich auf meine eigene Selbstverkleinerung herein, sagte er. Aber du hast doch eben gesagt, antwortete sie, daß deine Wünsche dir die Welt immer größer machen, als sie ist. Ja, sagte er, aber das weiß die Welt ja nicht, das weiß nur ich; und wenn ich die Welt größer mache, dann muß ich ja kleiner werden, oder? Was ist denn zuerst da, fragte sie, die Weltvergrößerung oder die Selbstverkleinerung? Das habe ich mir noch gar nicht überlegt, sagte er, wahrscheinlich aber die Selbstverkleinerung. Sieh dir das Beispiel mit den Äpfeln an, sagte er. Ich sah die Apfelbäume, und sofort war die Weltvergrößerung perfekt: Ich glaubte, ich wollte alle Äpfel haben. Nein, sagte Dagmar, wenn du glaubst, du wolltest alle Äpfel haben, dann hast du dich selbst ver-größert und nicht die Welt. Er überlegte. Nein, sagte er, die Apfelbäume sind etwas, was außen ist, sie gehören zur Welt, nicht zu mir, und beim Anblick der Apfelbäume sind meine Wünsche in Bewegung geraten. Aber damit waren alle Apfelbäume eine innere Angelegenheit von dir geworden, rief Dagmar. Sie stritten sich. Unbegreiflicherweise war der Ton ihrer Auseinandersetzung gegnerisch und hart geworden. Abschaffel wollte sich nicht mit Dagmar zerstreiten. Ich habe das Gefühl, sagte sie, daß du derartige Manöver dazu benutzt, um alles, was außerhalb von dir selbst liegt, einfach abzuwerten. Das glaube ich nicht, sagte er. Ich bin noch nicht fertig, sagte sie; ich habe dich noch nicht von etwas anerkennend sprechen hören, was außerhalb von dir selbst liegt. Ich glaube, du meinst, daß dir die Welt nichts bieten kann, sagte Dagmar.

Sie kehrten um und gingen den gleichen Weg zurück. Zum Zeichen, daß Abschaffel böse mit ihr war und so nicht mit sich reden lassen wollte, ging er ein wenig schneller als sie, so daß sie immer einen halben Meter hinter ihm war. Du mußt Apfelbäume und Äpfel abwerten, etwas anderes bleibt dir gar nicht übrig, sagte sie. Soll das eine Beschuldigung sein? sagte er. Das Gespräch war heftig geworden, und Dagmar und Abschaffel richteten ihre Sätze gegeneinander. Du redest Unsinn, sagte er. Ich ziehe nur andere Schlüsse als du, sagte sie; was holst du dir denn aus der Außenwelt? Du lehnst alles ab, und wenn du es nicht sofort ablehnen kannst, dann schaltest du es durch Fremdheit erst mal aus. Ich weiß nicht, sagte er heftig, wie du zu dieser Meinung kommst, ich möchte darauf nicht mehr antworten. - (absch)

Wünsche (10)  Einmal, in einem Kaufhaus, blieb er an einem Verkaufsstand mit Schwangerschaftsbüchern stehen. Er schlug eines der Bücher auf und sah sich die Bilder an, und sie gefielen ihm. Er betrachtete die großen Köpfe der Säuglinge, wie sie an den entblößten Brüsten der Mütter lagen, und er wurde ganz gierig, die Texte unter den Bildern zu lesen. Und er las: DER KINDLICHE MUND UMFASST DEN WARZENHOF. DIE NASE DES SÄUGLINGS MUSS BEIM TRINKEN FREILIEGEN. Und plötzlich sehnte sich Abschaffel danach, eine ganz andere Sorte von Sorgen zu haben, und er wünschte sich, eine Brust und einen Säugling zu besitzen und den Säugling säugen zu können. Wie immer wurde es ihm heiß und schön, wenn er einen ganz neuen Wunsch entdeckt hatte, und wie immer wurde es ihm kalt und ernst, wenn er wenig später bemerkte, wie sinnlos und unmöglich der neue Wunsch war. War er denn irrsinnig geworden, sich eine einzelne Brust zu wünschen? Schnell stellte er das Schwangerschaftsbuch in das Regal zurück und verließ das Kaufhaus. Zum Glück vergaß er seinen Wunsch schnell, aber es blieb eine Verärgerung zurück wie immer, wenn er einen Wunsch zurückschicken mußte nach dorthin, wo er hergekommen war. - (absch)

Wünsche (11)

Lachend in die Siegesallee
schwenkt ein Mädchenpensionat.

Donnerwetter, sind die chic!

Wippende, grünblau schillernde Changeantschirme,
lange, buttergelbe schwedische Handschuhe,
sich bauschende, silbergraue, von roten Tulpen durchkämmte Velvetblousen.

Drei junge Leutnants drehn ihre Schnurrbärte.

Monocles.

Die Kavalkade amüsiert sich.

Fünfzig braune, trappelnde Strandschuhe,
fünfundzwanzig klingelnde Bettelarmbänder.

Links,  
hinter ihnen drein,
die Blicke kohlschwarz,
ihr Drache.

Wehe !

Wie die Sonne durch die Bäume goldne Kringel wirft...

Ach was!

Und ich kriege die Schönste, die sich nicht sträubt, um die Taille,
— die ganze Gesellschaft stiebt kreischend auseinander,
Huuch! die alte Anstandsglucke fällt in Ohnmacht --
und rufe:

Mädchen, entgürtet euch und tanzt nackt zwischen Schwertern!

- Arno Holz, Phantasus (1898)

Wünsche (12) Wenn ich etwas erreichen konnte, dann interessierte es mich nicht mehr. Nur das Wünschen erfreute mich. Alles, was mein Geist ersehnte, war erreichbar — wie jeder gesunde Ehrgeiz jedes gesunden Menschen; und wenn ein Wunsch Gestalt annahm, pflegte ich mich bis zu dem Punkt anzustrengen, wo ich nur die Hand auszustrecken brauchte, um alles zu erreichen. Dann wandte ich mich ab und begnügte mich damit, daß es in meiner Macht gelegen hatte. Ich begehrte nur, mich zu bestätigen, und scherte mich nicht im geringsten darum, es andere wissen zu lassen.

Eine besondere Anziehungskraft war für mich immer der Anfang einer Sache, was mich stets wieder dazu trieb, meine Persönlichkeit von Wachstum zu befreien und sie auf ein neues Medium zu projizieren, damit meine Neugierde sich an seinem wehrlosen Schatten nähren konnte. Das unsichtbare Ich spiegelte sich scheinbar am klarsten in dem stillen Wasser eines anderen, noch unbefangenen Charakters wider. Überlegte Urteile, die Vergangenheit und Zukunft mit einbezogen, waren wertlos, verglichen mit der alles enthüllenden ersten Begegnung, bei welcher der Mensch dem Fremden instinktiv sich gab oder sich verschloß. - T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit. München 1979 (dtv 1456, zuerst 1922)

Wünsche (13)   Ich habe oft den Wunsch bemerkt, man möchte ein Mädchen, ein schönes Mädchen sein, aber nur zwischen dreizehn und zweiundzwanzig Jahren; danach aber - ein Mann werden.  - (bru)

Wünsche (14)   Es war einmal ein Mann, der sein ganzes Leben lang wünschte, die Nacht der Allmacht1 zu schauen. Wie der eines Nachts gen Himmel blickte, sah er die Engel und sah die Tore des Himmels offen. Auch sah er, wie alle Wesen, ein jedes an seiner Stelle, sich anbetend niederwarfen. Nachdem er das geschaut hatte, sprach er zu seiner Frau: ,Du, Allah hat mich die Nacht der Allmacht sehen lassen, und mir ist verheißen worden, bei ihrem Anblicke dürfe ich drei Wünsche tun, die mir erfüllt werden sollten. Nun frage ich dich um Rat: ,Was soll ich mir wünschen?' Da sagte die Frau: »Sprich: O Allah, laß meine Rute größer werden!' Er sprach diesen Wunsch aus, und da wurde seine Rute so groß wie ein Kürbiskopf. Der Mann aber konnte sich nun mit ihr kaum noch erheben. Und wenn er seiner Frau nahen wollte, so lief sie vor ihm weg, von Ort zu Ort. Schließlich sprach er zu ihr: »Was ist zu tun?. Dies war doch dein Wunsch, die Folge deiner Brunst!' Sie gab ihm zur Antwort: ,Ich habe doch nicht begehrt, daß sie so groß werden sollte!' Da hob der Mann sein Haupt gen Himmel und sprach: ,O Allah, befreie mich von dieser Plage und erlöse mich von ihr!' Nun aber wurde der Mann ganz glatt und hatte keine Rute mehr. Als seine Frau das sah, sprach sie zu ihm: »Jetzt mag ich dich nicht mehr, dieweil du keine Mannheit hast.' Und er klagte: ,Dies kommt alles von deinem unseligen Rat und deiner törichten Art! Ich hatte drei Wünsche an Allah frei, durch die ich alle Güter der Erde und des Himmels hätte erlangen können. Jetzt sind schon zwei Wünsche dahin, und ich habe nur noch einen übrig.' Sie aber sagte: »Bitte zu Allah dem Erhabenen, daß er dich mache, wie du früher gewesen bist!' Also betete er zu seinem Herrn und wurde, wie er gewesen war. Und all das geschah, o König, weil die Frau so töricht dachte.   - (1001) 

1- Die ,Nacht der Allmacht' ist die Nacht, in der Allah dem Erzengel Gabriel den Koran offenbarte, der ihn seinerseits dem Propheten Mohammed offenbarte. In ihr sollen sich alle Schicksale der Menschen für das folgende Jahr entscheiden; sie ist eine der letzten Nächte des Monats Ramadân.

Wünsche (15)   in einer raumkapsel müßte man sein auf längere zeit meine ich so zwo drei jahrtausende in einer ozongefüllten kapsel mit einer geliebten frau die einem im bett nie zuwider wird und einer magischen kühltruhe wie bei grimm voll spezialitäten malossolkaviar wachteleiern westfälerschinken britischen jams und marmeladen jourgebäck aus der wienerbäckerei in Salzburg und diversen schnäpschen und edelzwickern   - H. C. Artmann, Nachrichten aus Nord und Süd. München 1981 (dtv 6317, zuerst 1978)

Wünsche (15)   Bitter, dieser Dichter, sagte zu ihrem Bruder, in einer Zeit wie dieser sollten junge Leute Freiheitslieder schreiben. »Überlegen Sie sich das mal mit den Freiheitsliedern.« Als Eugen ihr's erzählte, meinte er, das Gesicht des Bitter sei ihm dabei vorgekommen, als hätte es zwei Gewehrkugeln statt der Pupillen gehabt: »Der hat gut ausgesehen und seine Pfeife schnorcheln lassen.« Und bald danach fand sie auf Eugens Schreibtisch ein mit Bleistift bekritzeltes Blatt und las: »Hitler muß verrecken / Schlagt ihn endlich tot, / Daß die Hunde lecken / Sein Tyrannenblut. / Auf dem Kirchturmknopfe / Hängen wir ihn auf, / Daß von seinem Kopfe / Tropft des Blutes Lauf.« Er hatte vieles durchgestrichen, und sie las es mühsam, brachte es aber zuletzt heraus. Auf der Rückseite stand noch etwas anderes, und das ging so: »Deutschland ist unter Hitler uns zum Kotzen, / Das sollt ihr wissen auf dem Nazi-Thron, / Ihr Bourgeois, ihr fetten Ordensprotzen, / Euch schwimmt der pralle Arsch im Angstschweiß schon.« Besser als das mit dem Kirchturmknopfe war es nicht, und was hatte er damit schon anderes gemacht, als etwas Komisches auf dem Papier. Er tat ja nichts, machte nichts anders, schimpfte bloß und konnte es nicht ändern; und daß den fetten Ordensprotzen der Arsch in Angstschweiß schwimme, war ganz einfach falsch; er wünschte es sich bloß. - Hermann Lenz, Andere Tage. Frankfurt am Main 1978 (st 461, zuerst 1968)

Wünsche (17)  Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wünsche

Numero eins: Verstand, daß du wissen mögest, was du

Numero zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich wäre, daß du alsdann etwas wähltest, was ein törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch

Numero drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.

Oder so:

Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.   - (hebel)

Wünsche (18)

O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.

 - (benn)

Wünsche (19)

Essen,
was man noch nie geschmeckt hat,
niemals satt sein, was es auch gibt,
schmecken wie Erde ist,
Eierschalen, Unrat
vom Boden lecken, Gras -
aus einem Kleefeld den Kopf nicht heben,
mit einer Zunge dreimal so groß
Wasser trinken, sich entleeren
unter einem haarigen Schwanz,
oder ein Mann sein,
der einem Schaf
hinten sich eindrängt,
langhaarig, weiß,
vor der Krippe,
gerade geschoren,
Schaf sein,
die Frau, die ein Fell spürt,
Pfoten.
Beides haben,
und Brüste dazu
bis zum Nabel hinunter fühlen,
alles auf einmal können,
und selbst,
ununterbrochen
nie zu viel
wie man Atem holt.

- Renate Rasp, in: Tintenfisch 1. Jahrbuch für Literatur. Berlin 1968

Wünsche (20)  Es war der vielen jungen Herzen wohlbekannte Zustand der Heimatlosigkeit inmitten einer engen, durch Erziehung und bürgerliche Gewohnheiten mit mancherlei Stoffblenden künstlich verspannten Welt. Man befand sich schließlich, im lauen Wohlbehagen einer liberalistischen Zeit, gar nicht schlecht dabei. Aber irgend etwas mußte doch wohl zu wünschen übrig sein. Und Wünsche, die zu lange ohne Bestimmung, ja ohne Bewußtsein bleiben, dringen zuletzt wie fällendes Gift ins Blut; sie bringen jenes Altjüngferliche hervor, das satten Generationen und ganzen Epochen eigentümlich ist. So aber leuchtete doch hier und da, im Geheimnisvollen, im Traum, im Schönen oder im Besonderen, ein Funke auf als eine beruhigende und doch zugleich spornende Bestätigung der anderen, im Weiten geahnten und dem Herzen näheren Welt Es schien dies alles ein Versprechen des Glückes zu sein. Dieses Versprechen war wie ein von fern her klingender Ton, der tief und innig ausschwingen konnte in der schläfrigen Ruhe der alten Stadt. Es war wie ein vager Duft, von fremden Küsten verweht, in dem die Seele gierig ein Unbestimmt-Bekanntes witterte. Ja, und dieses Land des Glückes, das Land eines reicheren und sinnvolleren Lebens, der heißen, kühnen Bewegung und der großen, einsamen Abenteuer — es mußte wohl Afrika sein.

Ich sagte, daß das Ungeahnte, die magische Perspektive, das Versprechen des Glückes, den Atem stocken läßt. Der Volksglaube kennt ein schönes Beispiel für diesen Augenblick, ein Beispiel, das auch das in die Verheißung gebettete Wesen des Glückes errät. Es ist das vom Wanderer, der, vom sprühenden Bogen einer Sternschnuppe überrascht, seine Bewunderung verhält und mit schweigendem Nachdruck auf einen Wunsch versammelt, dessen Erfüllung dann nicht ausbleiben kann. So sprang auch damals, wenn ein solcher Augenblick unerwartet die Schmetterlingsflügel öffnete, ein Wunsch wie ein Pfeil von der Bogensehne: der Wunsch, die erhabenen, bunten und giftigen Wunder des dunklen Erdteils zu schauen, nach dem jeder von uns einmal Sehnsucht trug und der doch für jeden einen anderen Namen besaß — — — oder noch heute besitzt. - (ej)

Wünsche (21)

Möchtest du die Sprache wiederfinden, du, der an der Stummheit erstickt!

Möge die Tinte lebendige Arabesken auf dein Leichentuch aus weißem Papier zeichnen!

Möge eine Spinne in dir das Netz weben, in dem die Fliegen sich dir ergeben auf Gnade oder Ungnade!

Möge der Tisch, auf dem dein Heft sich öffnet, der gezimmerte Nachen werden, den ein windgeblähtes Segel vorwärtstreibt!

Mögen dein Stuhl und das Viereck seiner Füße dich verbinden mit den vier Himmelsrichtungen, anstatt nur der Schemel zu sein, der dich von allem trennt, sobald du auf ihm Platz genommen hast!

Möge die Lampe, die dir Licht spendet, dich lehren, nicht länger ein kärgliches Feuer zu sein!

Möge das Querkissen, der Freund deines Schlafes, ein Schlauch voller Träume sein!

Möge der Boden, den du betrittst, sei er weich oder hart, dich daran erinnern, daß du nicht auf dem Kopf gehst!

Mögen die Häuser auf der Straße für deinen Blick weniger Mauern sein als Fenster!

Mögen die wenigen Jahre, Monate oder Tage, die dir bleiben, eher Glut als Hefe sein!

Möge der Knoten, der dich würgt, sich lösen, bevor die Zeit ihn durchschneidet!

Mögest du, anstatt verriegelt zu bleiben, im Geist die Gefährtin umarmen, die deine Hinfälligkeit im Fleisch zu umarmen dir nicht mehr erlaubt!

Mögest du das Sprachrohr der Worte sein und nicht ihr bedürftiger Benutzer!

Möge dein Winterfest ganz ohne Finsternis in Damast und in Kristall erstrahlen! - (leiris2)

Wünsche (22)  Unter einem so bedürftigen und aus Bedürfnissen bestehenden Geschlecht, wie das menschliche, ist es nicht zu verwundern, daß Reichthum, mehr und aufrichtiger als alles Andere, geachtet, ja verehrt wird, und selbst die Macht nur als Mittel zum Reichthum; wie auch nicht, daß zum Zwecke des Erwerbs alles Andere bei Seite geschoben, oder über den Haufen geworfen wird, z. B. die Philosophie von den Philosophieprofessoren.

Daß die Wünsche der Menschen hauptsächlich auf Geld gerichtet sind und sie dieses über Alles lieben, wird ihnen oft zum Vorwurf gemacht. Jedoch ist es natürlich, wohl gar unvermeidlich, Das zu lieben, was, als ein unermüdlicher Proteus, jeden Augenblick bereit ist, sich in den jedesmaligen Gegenstand unserer so wandelbaren Wünsche und mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln.  - (schop)

Wünsche (23)   Wieder sind wir allein. All das ist so träge, so schwer, so traurig... Bald werde ich alt sein. Und es wird endlich zu Ende sein. So viele Leute sind in mein Zimmer gekommen. Sie haben allerhand gesagt. Wichtiges haben sie mir nicht gesagt. Sie sind fortgegangen. Sie sind alt, elend und träge geworden, jeder in einem Winkel der Welt.

Gestern um acht Uhr ist Frau Bérenge, die Hausmeisterin, gestorben. Ein starker Sturm erhebt sich in der Nacht. Ganz oben, wo wir sind, zittert das Haus. Sie war eine liebe, nette und treue Freundin. Morgen begräbt man sie in der rue des Saules. Sie war wirklich alt, ganz - am Ende des Alters. Vom ersten Tag an, als sie zu husten anfing, sagte ich ihr: «Legen Sie sich nur nicht hin!... Bleiben Sie im Bett sitzen!» Ich mißtraute der Sache. Und dann kam's... Und dann... da kann man nichts machen...

Ich habe nicht immer die Medizin ausgeübt, diese Scheiße. Ich will ihnen schreiben, daß Frau Bérenge gestorben ist, jenen, die mich gekannt haben, die sie gekannt haben. Wo sind sie?...

Ich wünschte, daß der Sturm einen noch viel größeren Krach machte, daß die Dächer einstürzten, daß der Frühling nie wiederkehrte, daß unser Haus verschwände. - Louis-Ferdinand Céline, Tod auf Kredit. Reinbek bei Hamburg  1974 (zuerst 1936)

Wünsche (24)   So wie manchmal, wenn mich etwas Gelesenes gierig machte, es sofort nachzuerleben, rief mich jetzt auch der große Gatsby auf, mich auf der Stelle zu ändern. Das Bedürfnis, anders zu werden als ich war, wurde plötzlich leibhaftig, wie ein Trieb. Ich überlegte, wie ich die Gefühle, die der große Gatsby bei mir möglich gemacht hatte, zeigen und in meiner Umgebung auch anwenden  könnte. Es waren Gefühle von Herzlichkeit, Aufmerksamkeit, von Heiterkeit und Glück, und ich spürte, daß sie mir meine Anlage zu Schrecken und Panik für immer austreiben mußten. Sie waren anwendbar, nie mehr würde ich austrocknen vor Angstgefühl! Wo aber war die Umgebung, in der ich endlich zeigen würde, daß ich anders sein konnte?  - Peter Handke, Der kurze Brief zum langen Abschied. Frankfurt am Main 1972

Wünsche (25)   »Und nun habe ich es heute nacht eilig«, sagt er, »aber sag mir rasch, was soll ich für dich tun? Willst du eine Frau haben? Ich kann dir das hübscheste Mädchen der Stadt geben. Willst du reich sein? Ich gebe dir Gold, soviel du tragen kannst. Oder willst du Hilfe bei deiner Arbeit? Sag es nur.« Tom kratzte sich am Kopf. »Nun, was eine Frau betrifft, so hab ich keine Sehnsucht danach. Das sind nur lästige Wesen, und zu Hause habe ich genug Weibervolk, das mir meine Fetzen flickt. Und was das Gold betrifft, damit mag es so bleiben wie es ist. Aber wegen der Arbeit, nun, ich kann Arbeit nicht ausstehen, und wenn Ihr mir dabei helfen wolltet, werde ich Euch danken - « - (engl)

Wünsche (26)  Engländer wünschten sich von einer Frau: "Sie solle erstlich fröhlich im Gemüt sein, sodann wohlgebildet, drittens eine breite Stirn haben, viertens breite Hinterbacken, fünftens stets auf der Hut sein, sechstens leicht zu bespringen, siebentens gut zu brauchen auf einer langen Fahrt, achtens muss sie sich fleißig unter dem Manne rühren, neuntens stets hurtig mit dem Munde sein und zehntens allzeit auf den Zaum beißen." - Geschichte der Sexualität

Wünsche (27) Mit Fieber und im Bett schreibt sie das Manuskript: »Im Hause der Krankheitem.

»Das Wünschen ist verboten -«, sagt in diesem Hause der Arzt, Doktor Mortimer, zu ihr. »Das Wünschen schadet der Gesundheit. Ich verbiete es Ihnen. Das Märchen von der Erfüllung des letzten Wunsches ist nichts als ein Märchen. Sie sind sehr krank, denn Jemand hat die beiden Herzen aus Ihren Augen herausgeschossen. Kein Wunder, daß Sie nun immer in die linke Richtung blicken müssen - in die Richtung, wo sich Ihr Mörder befindet. « - Unica Zürn, Der Mann im Jasmin. Frankfurt am Main - Berlin  1977

Wünsche (28)  

Ein Weib saß an ihrer Haspel bei Nacht;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar breite, breite Sohlen, und
ließ sich nieder vor dem Feuer;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar kleine, kleine Beine
und ließ sich nieder auf den breiten, breiten Sohlen;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar große, große Knie, und
ließ sich nieder auf den kleinen, kleinen Beinen;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar kleine, kleine Schenkel
und ließ sich nieder auf den großen, großen Knien;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar große, große Hüften, und
ließ sich nieder auf den kleinen, kleinen Schenkeln;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein kleiner, kleiner Leib, und
ließ sich nieder auf den großen, großen Hüften;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar breite, breite Schultern und ließ
sich nieder auf dem kleinen, kleinen Leib;
Und immerfort saß sie, und immerfort wandsie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar kleine, kleine Arme, und ließ
sich nieder auf den breiten, breiten Schultern;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein Paar große, große Hände, und ließ
sich nieder auf den kleinen, kleinen Armen;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein kleiner, kleiner Hals, und ließ
sich nieder auf den breiten, breiten Schultern;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

Herein kam ein großes, mächtiges Haupt, und ließ
sich nieder auf dem kleinen, kleinen Hals;
Und immerfort saß sie, und immerfort wand sie das Garn,
und immerfort wünschte sie sich Gesellschaft herbei.

»Wovon hast du so breite, breite Füße?« sagte das Weib.
»Vom vielen Gehen, vom vielen Gehen.« (barsch)

»Wovon hast du so kleine, kleine Beine?«
»O weh-h-h! — bin tot und nur ein we-e-enig Kirchhofserde.'
(wimmernd)

»Wovon hast du so große, große Knie?«
»Vom vielen Beten, vom vielen Beten.«
(andächtig)

»Wovon hast du so kleine, kleine Schenkel?«
»O weh-h-h! - bin tot und nur ein we-e-enig Kirchhofserde.«
(wimmernd)

»Wovon hast du so große, große Hüften?«
»Vom vielen Sitzen, vom vielen Sitzen.«
(barsch)

»Wovon hast du einen so kleinen, kleinen Leib?«
»O weh-h-h! - bin tot und nur ein we-e-enig Kirchhofserde.«

»Wovon hast du so breite, breite Schultern?«
»Vom Reisigtragen, vom Reisigtragen.«

»Wovon hast du so kleine, kleine Arme?«
»O weh-h-h! - bin tot und nur ein we-e-enig Kirchhofserde.«

»Wovon hast du so große, große Hände?«
»Vom Dreschen mit dem Eisenflegel, vom Dreschen mit dem Eisenflegel.«

»Wovon hast du einen so kleinen, kleinen Hals?«
»O weh-h-h! - bin tot und nur ein we-e-enig Kirchhofserde.«
(jammernd)

»Wovon hast du ein so großes, großes Haupt?«
»Von großem Witz und Verstand, von großem Witz und Verstand.«
(mutig)

»Für was kommst du her?«
»Für dich!«

- (schot)

Wünsche (29)  «Mann, ich möchte mal der liebe Gott sein», sagte Grave Digger heiser. «Bloß eine einzige beschissene Sekunde lang.»

«Ich weiß schon», knurrte Coffin Ed. «Du würdest die Erdoberfläche betonieren, die Weißen in Schweine verwandeln und zuschauen, wie sie zu wühlen versuchen.»

«Ich bin aber nicht der liebe Gott», erklärte Grave Digger.   - Chester Himes, Schwarzes Geld für weiße Gauner. Reinbek bei Hamburg 1967

Wünsche (30)  

Wünsche (31)  

Wünsche (32)  Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz  erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf. - (kaf)

Bedürfnisse Magie
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VB
Bedürfnisse
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