(
Chamfort
)
Wünsche (2) Ich würde
gern unter den furchtbarsten Qualen sterben, wenn ich sehen könnte, wie
der Henker von Präsident samt seinen Richtern und der Staatsanwalt nebst
seinen Gehülfen mit dem Darm des letzten Polizisten
erdrosselt würde. -
Gefängnisgraffito
nach
Lombroso
(1890)
Wünsche (3) Die Welt hat nicht
eher Ruhe, bis der letzte Minister=General am Darm des letzten Pfaffen
gehängt ist. - Arno Schmidt:
Eberhard Schlotter - Das Zweite Programm (1961)
Wünsche (4) In Frankreich gab es ein satanischeres
Buch, und zwar das Testament des Pfarrers MELLIER (oder Meslier), der im Jahre
1729 starb. Fragmente dieses Buches wurden von Voltaire
(1762) und von Holbach (1772) veröffentlicht. In diesem Testament stand
z. B. dies grausige "Wort, das in der Zeit der französischen Revolution
berühmt wurde und mit dem Pfarrer Mellier zum Ausdruck brachte, daß man den
letzten Priester mit den Eingeweiden des letzten Königs erdrosseln müßte. - Giovanni Papini, Der Teufel.
Anmerkung für eine zukünftige Teufelslehre. Stuttgart 1955
Wünsche (5) Fechner
sagt, unser Bewußtsein, der Mensch, sei versehen mit einer Reihe von Wünschen,
Ängsten, die nicht der Dauer des menschlichen Lebens entsprächen. Wenn
Dante sagt »N‘el mezzo del cammin de nostra vita«, so erinnert er
uns daran, daß uns die Schrift siebzig Lebensjahre zugesteht. Als
er die fünfunddreißig Lebensjahre vollendet hatte, kam ihm also diese Vision.
Im Verlauf unserer siebzig Jahre (unglücklicherweise habe ich diese Grenze
bereits überschritten; ich bin schon achtundsiebzig Jahre alt) empfinden
wir Dinge, die in diesem Leben keinen Sinn ergeben. Fechner denkt
an den Embryo, den Körper, bevor er den Mutterleib verläßt. An diesem Körper
gibt es nutzlose Beine, Arme, Hände, nichts davon hat einen Sinn; es kann
nur in einem späteren Leben einen Sinn haben. Stellen wir uns vor, mit
uns geschähe das gleiche, wir wären voll von Hoffnungen, Angsten, Überlegungen,
und nichts davon nützte uns in einem rein sterblichen Leben. Wir brauchen
das, was die Tiere haben, und sie können auf all
das verzichten, was später in einem anderen, erfüllteren Leben sinnvoll
sein könnte. Das ist ein Argument zugunsten der Unsterblichkeit. -
Jorge Luis Borges
Wünsche (6)
Arisches Heiratsgesuch »Ich suche ein arisches Mädchen
zur Frau, Die Zähne gesund im rosigen Mund, Ich wirke in sicherer Stellung und steh‘ Drum wissen die Götter mir glückliche Mär, Heiratsanzeige aus Ostara, Jahrgang 1906 |
- Aus: Hannsferdinand Döbler, Die Germanen.
Legende und Wirklichkeit. München 1979
Wünsche (7) Lebensreformer,
Anfang der Dreißiger, gebildet, wünscht mit gebildetem deutschen Mädel
zwecks Heirat in Verbindung zu treten. Bedingungen: Alter etwa 17 bis 22
Jahre, arisch-germanischer Rasse, blondes Haar, langschädelig, gezeugt
und geboren von streng vegetarisch lebenden Eltern, an Mutterbrust gestillt,
vegetarisch ernährt und in lebensreformerischem Sinne erzogen. Anhängerin
der Nacktkultur und der Reformkleidung. Freundliche Zuschriften im obigen
Sinne mit Lebenslauf und Bild in Reformtracht sowie drei Ganzaktlichtbildern,
Vorder-, Seiten- und Rückenaufnahme, an die ›Vegetarische Warte‹ erbeten.
Strengste Verschwiegenheit zugesichert und verlangt. Die Bilder werden,
wenn nicht zusagend, zurückgesendet. - Heiratsgesuch in der »Vegetarischen
Warte«, nach: Carl Christian Bry, Verkappte Religionen. Kritik des kollektiven
Wahns. Nördlingen 1988 (Greno 10/20 85, zuerst 1924)
Wünsche (8) WAS ICH GERN HÄTTE
Tränen oder Weide auf dem Boden
aus Goldzähnen
aus Blütenstaubzähnen
wie der Mund eines Mädchens
aus dessen
Haar der Fluß entsprang
in jedem Tropfen ein kleiner Fisch
in jedem
Fisch ein Goldzahn
in jedem Goldzahn ein Lächeln
fünfzehn Jahre alt,
damit sich die Libellen fortpflanzen
An was wohl eine Jungfrau denkt
wenn ihr der Wind
die Schenkel freilegt? - (
bun
)
Wünsche (9) Meine Wünsche machen mir die Welt immer viel zu groß, verstehst du das? sagte er zu Dagmar; ich leide an einer von mir erfundenen Weltvergrößerung, wenn es so etwas überhaupt gibt. Dagmar schwieg. Und wenn ich die Welt ordentlich vergrößert habe, falle ich auf meine eigene Selbstverkleinerung herein, sagte er. Aber du hast doch eben gesagt, antwortete sie, daß deine Wünsche dir die Welt immer größer machen, als sie ist. Ja, sagte er, aber das weiß die Welt ja nicht, das weiß nur ich; und wenn ich die Welt größer mache, dann muß ich ja kleiner werden, oder? Was ist denn zuerst da, fragte sie, die Weltvergrößerung oder die Selbstverkleinerung? Das habe ich mir noch gar nicht überlegt, sagte er, wahrscheinlich aber die Selbstverkleinerung. Sieh dir das Beispiel mit den Äpfeln an, sagte er. Ich sah die Apfelbäume, und sofort war die Weltvergrößerung perfekt: Ich glaubte, ich wollte alle Äpfel haben. Nein, sagte Dagmar, wenn du glaubst, du wolltest alle Äpfel haben, dann hast du dich selbst ver-größert und nicht die Welt. Er überlegte. Nein, sagte er, die Apfelbäume sind etwas, was außen ist, sie gehören zur Welt, nicht zu mir, und beim Anblick der Apfelbäume sind meine Wünsche in Bewegung geraten. Aber damit waren alle Apfelbäume eine innere Angelegenheit von dir geworden, rief Dagmar. Sie stritten sich. Unbegreiflicherweise war der Ton ihrer Auseinandersetzung gegnerisch und hart geworden. Abschaffel wollte sich nicht mit Dagmar zerstreiten. Ich habe das Gefühl, sagte sie, daß du derartige Manöver dazu benutzt, um alles, was außerhalb von dir selbst liegt, einfach abzuwerten. Das glaube ich nicht, sagte er. Ich bin noch nicht fertig, sagte sie; ich habe dich noch nicht von etwas anerkennend sprechen hören, was außerhalb von dir selbst liegt. Ich glaube, du meinst, daß dir die Welt nichts bieten kann, sagte Dagmar.
Sie kehrten um und gingen den gleichen Weg zurück. Zum Zeichen, daß
Abschaffel böse mit ihr war und so nicht mit sich reden lassen wollte,
ging er ein wenig schneller als sie, so daß sie immer einen halben Meter
hinter ihm war. Du mußt Apfelbäume und Äpfel abwerten, etwas anderes bleibt
dir gar nicht übrig, sagte sie. Soll das eine Beschuldigung sein? sagte
er. Das Gespräch war heftig geworden, und Dagmar und Abschaffel richteten
ihre Sätze gegeneinander. Du redest Unsinn, sagte er. Ich ziehe nur andere
Schlüsse als du, sagte sie; was holst du dir denn aus der Außenwelt? Du
lehnst alles ab, und wenn du es nicht sofort ablehnen kannst, dann schaltest
du es durch Fremdheit erst mal aus. Ich weiß nicht, sagte er heftig, wie
du zu dieser Meinung kommst, ich möchte darauf nicht mehr antworten. -
(
absch
)
Wünsche (10) Einmal,
in einem Kaufhaus, blieb er an einem Verkaufsstand mit Schwangerschaftsbüchern
stehen. Er schlug eines der Bücher auf und sah sich die Bilder an, und
sie gefielen ihm. Er betrachtete die großen Köpfe der Säuglinge, wie sie
an den entblößten Brüsten der Mütter lagen, und er wurde ganz gierig, die
Texte unter den Bildern zu lesen. Und er las: DER KINDLICHE MUND
UMFASST DEN WARZENHOF. DIE NASE DES SÄUGLINGS MUSS
BEIM TRINKEN FREILIEGEN. Und plötzlich sehnte
sich Abschaffel danach, eine ganz andere Sorte von Sorgen zu haben, und
er wünschte sich, eine Brust und einen Säugling zu besitzen und den Säugling
säugen zu können. Wie immer wurde es ihm heiß und schön, wenn er einen
ganz neuen Wunsch entdeckt hatte, und wie immer wurde es ihm kalt und ernst,
wenn er wenig später bemerkte, wie sinnlos und unmöglich der neue Wunsch
war. War er denn irrsinnig geworden, sich eine einzelne Brust zu wünschen?
Schnell stellte er das Schwangerschaftsbuch in das Regal zurück und verließ
das Kaufhaus. Zum Glück vergaß er seinen Wunsch schnell, aber es blieb
eine Verärgerung zurück wie immer, wenn er einen Wunsch zurückschicken
mußte nach dorthin, wo er hergekommen war. - (
absch
)
Wünsche (11)
Lachend in die Siegesallee Donnerwetter, sind die chic! Wippende, grünblau schillernde Changeantschirme, Drei junge Leutnants drehn ihre Schnurrbärte. Die Kavalkade amüsiert sich. Fünfzig braune, trappelnde Strandschuhe, Links, Wehe ! Wie die Sonne durch die Bäume goldne Kringel wirft... Ach was! Und ich kriege die Schönste, die sich nicht sträubt, um
die Taille, Mädchen, entgürtet euch und tanzt nackt zwischen Schwertern! |
Wünsche (12) Wenn ich etwas erreichen konnte, dann interessierte es mich nicht mehr. Nur das Wünschen erfreute mich. Alles, was mein Geist ersehnte, war erreichbar — wie jeder gesunde Ehrgeiz jedes gesunden Menschen; und wenn ein Wunsch Gestalt annahm, pflegte ich mich bis zu dem Punkt anzustrengen, wo ich nur die Hand auszustrecken brauchte, um alles zu erreichen. Dann wandte ich mich ab und begnügte mich damit, daß es in meiner Macht gelegen hatte. Ich begehrte nur, mich zu bestätigen, und scherte mich nicht im geringsten darum, es andere wissen zu lassen.
Eine besondere Anziehungskraft war für mich immer der Anfang
einer Sache, was mich stets wieder dazu trieb, meine Persönlichkeit von
Wachstum zu befreien und sie auf ein neues Medium zu projizieren, damit
meine Neugierde sich an seinem wehrlosen Schatten
nähren konnte. Das unsichtbare Ich spiegelte sich scheinbar am klarsten
in dem stillen Wasser eines anderen, noch unbefangenen Charakters wider.
Überlegte Urteile, die Vergangenheit und Zukunft mit einbezogen, waren
wertlos, verglichen mit der alles enthüllenden ersten Begegnung,
bei welcher der Mensch dem Fremden instinktiv sich gab oder sich verschloß.
- T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit. München 1979 (dtv
1456, zuerst 1922)
Wünsche (13) Ich habe oft
den Wunsch bemerkt, man möchte ein Mädchen,
ein schönes Mädchen sein, aber nur zwischen dreizehn und zweiundzwanzig
Jahren; danach aber - ein Mann werden. -
(
bru
)
Wünsche (14) Es war einmal
ein Mann, der sein ganzes Leben lang wünschte, die Nacht der Allmacht1
zu schauen. Wie der eines Nachts gen Himmel blickte, sah er die Engel und
sah die Tore des Himmels offen. Auch sah er, wie alle Wesen, ein jedes
an seiner Stelle, sich anbetend niederwarfen. Nachdem er das geschaut hatte,
sprach er zu seiner Frau: ,Du, Allah hat mich die Nacht der Allmacht sehen
lassen, und mir ist verheißen worden, bei ihrem Anblicke dürfe ich drei
Wünsche tun, die mir erfüllt werden sollten. Nun frage ich dich um Rat:
,Was soll ich mir wünschen?' Da sagte die Frau: »Sprich: O Allah, laß meine
Rute größer werden!' Er sprach diesen Wunsch aus,
und da wurde seine Rute so groß wie ein Kürbiskopf. Der Mann aber konnte
sich nun mit ihr kaum noch erheben. Und wenn er seiner Frau nahen wollte,
so lief sie vor ihm weg, von Ort zu Ort. Schließlich sprach er zu ihr:
»Was ist zu tun?. Dies war doch dein Wunsch, die Folge deiner Brunst!'
Sie gab ihm zur Antwort: ,Ich habe doch nicht begehrt, daß sie so groß
werden sollte!' Da hob der Mann sein Haupt gen Himmel und sprach: ,O Allah,
befreie mich von dieser Plage und erlöse mich von ihr!' Nun aber wurde
der Mann ganz glatt und hatte keine Rute mehr. Als seine Frau das sah,
sprach sie zu ihm: »Jetzt mag ich dich nicht mehr, dieweil du keine Mannheit
hast.' Und er klagte: ,Dies kommt alles von deinem unseligen Rat und deiner
törichten Art! Ich hatte drei Wünsche an Allah frei, durch die ich alle
Güter der Erde und des Himmels hätte erlangen können. Jetzt sind schon
zwei Wünsche dahin, und ich habe nur noch einen übrig.' Sie aber sagte:
»Bitte zu Allah dem Erhabenen, daß er dich mache, wie du früher gewesen
bist!' Also betete er zu seinem Herrn und wurde, wie er gewesen war. Und
all das geschah, o König, weil die Frau so töricht dachte.
- (
1001
)
1- Die ,Nacht der Allmacht' ist die Nacht, in der Allah dem Erzengel Gabriel den Koran offenbarte, der ihn seinerseits dem Propheten Mohammed offenbarte. In ihr sollen sich alle Schicksale der Menschen für das folgende Jahr entscheiden; sie ist eine der letzten Nächte des Monats Ramadân.
Wünsche (15) in
einer raumkapsel müßte man sein auf längere zeit meine ich so zwo drei
jahrtausende in einer ozongefüllten kapsel mit einer geliebten frau die
einem im bett nie zuwider wird und einer magischen
kühltruhe wie bei grimm voll spezialitäten malossolkaviar wachteleiern
westfälerschinken britischen jams und marmeladen jourgebäck aus der wienerbäckerei
in Salzburg und diversen schnäpschen und edelzwickern - H.
C. Artmann, Nachrichten aus Nord und Süd. München 1981 (dtv 6317, zuerst
1978)
Wünsche (15) Bitter, dieser
Dichter, sagte zu ihrem Bruder, in einer Zeit
wie dieser sollten junge Leute Freiheitslieder schreiben. Ȇberlegen Sie
sich das mal mit den Freiheitsliedern.« Als Eugen ihr's erzählte, meinte
er, das Gesicht des Bitter sei ihm dabei vorgekommen, als hätte es zwei
Gewehrkugeln statt der Pupillen gehabt: »Der
hat gut ausgesehen und seine Pfeife schnorcheln lassen.« Und bald danach
fand sie auf Eugens Schreibtisch ein mit Bleistift bekritzeltes Blatt und
las: »Hitler muß verrecken / Schlagt ihn endlich tot, / Daß die Hunde lecken
/ Sein Tyrannenblut. / Auf dem Kirchturmknopfe / Hängen wir ihn auf, /
Daß von seinem Kopfe / Tropft des Blutes Lauf.« Er hatte vieles durchgestrichen,
und sie las es mühsam, brachte es aber zuletzt heraus. Auf der Rückseite
stand noch etwas anderes, und das ging so: »Deutschland ist unter Hitler
uns zum Kotzen, / Das sollt ihr wissen auf dem
Nazi-Thron, / Ihr Bourgeois, ihr fetten Ordensprotzen, / Euch schwimmt
der pralle Arsch im Angstschweiß
schon.« Besser als das mit dem Kirchturmknopfe war es nicht, und was hatte
er damit schon anderes gemacht, als etwas Komisches auf dem Papier. Er
tat ja nichts, machte nichts anders, schimpfte
bloß und konnte es nicht ändern; und daß den fetten Ordensprotzen der Arsch
in Angstschweiß schwimme, war ganz einfach falsch; er wünschte es sich
bloß. - Hermann Lenz, Andere Tage. Frankfurt am Main 1978 (st 461,
zuerst 1968)
Wünsche (17) Merke: Wenn dir einmal die Bergfei also kommen sollte, so sei nicht geizig, sondern wünsche
Numero eins: Verstand, daß du wissen mögest, was du
Numero zwei wünschen sollest, um glücklich zu werden. Und weil es leicht möglich wäre, daß du alsdann etwas wähltest, was ein törichter Mensch nicht hoch anschlägt, so bitte noch
Numero drei: um beständige Zufriedenheit und keine Reue.
Oder so:
Alle Gelegenheit, glücklich zu werden, hilft
nichts, wer den Verstand nicht hat, sie zu benutzen.
- (
hebel
)
Wünsche (18)
O daß wir unsere Ururahnen wären. Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel, |
- (
benn
)
Wünsche (19)
Essen, |
- Renate Rasp, in: Tintenfisch 1. Jahrbuch für Literatur. Berlin 1968
Wünsche (20) Es war der vielen jungen Herzen wohlbekannte Zustand der Heimatlosigkeit inmitten einer engen, durch Erziehung und bürgerliche Gewohnheiten mit mancherlei Stoffblenden künstlich verspannten Welt. Man befand sich schließlich, im lauen Wohlbehagen einer liberalistischen Zeit, gar nicht schlecht dabei. Aber irgend etwas mußte doch wohl zu wünschen übrig sein. Und Wünsche, die zu lange ohne Bestimmung, ja ohne Bewußtsein bleiben, dringen zuletzt wie fällendes Gift ins Blut; sie bringen jenes Altjüngferliche hervor, das satten Generationen und ganzen Epochen eigentümlich ist. So aber leuchtete doch hier und da, im Geheimnisvollen, im Traum, im Schönen oder im Besonderen, ein Funke auf als eine beruhigende und doch zugleich spornende Bestätigung der anderen, im Weiten geahnten und dem Herzen näheren Welt Es schien dies alles ein Versprechen des Glückes zu sein. Dieses Versprechen war wie ein von fern her klingender Ton, der tief und innig ausschwingen konnte in der schläfrigen Ruhe der alten Stadt. Es war wie ein vager Duft, von fremden Küsten verweht, in dem die Seele gierig ein Unbestimmt-Bekanntes witterte. Ja, und dieses Land des Glückes, das Land eines reicheren und sinnvolleren Lebens, der heißen, kühnen Bewegung und der großen, einsamen Abenteuer — es mußte wohl Afrika sein.
Ich sagte, daß das Ungeahnte, die magische Perspektive, das Versprechen des
Glückes, den Atem stocken läßt. Der Volksglaube kennt ein schönes Beispiel für
diesen Augenblick, ein Beispiel, das auch das in die
Verheißung gebettete Wesen des Glückes errät. Es ist das vom Wanderer, der,
vom sprühenden Bogen einer Sternschnuppe überrascht, seine Bewunderung verhält
und mit schweigendem Nachdruck auf einen Wunsch versammelt, dessen Erfüllung
dann nicht ausbleiben kann. So sprang auch damals, wenn ein solcher Augenblick
unerwartet die Schmetterlingsflügel öffnete, ein Wunsch wie ein Pfeil von der
Bogensehne: der Wunsch, die erhabenen, bunten und giftigen Wunder des dunklen
Erdteils zu schauen, nach dem jeder von uns einmal Sehnsucht trug und der doch
für jeden einen anderen Namen besaß — — — oder noch heute besitzt. - (
ej
)
Wünsche (21)
Möchtest du die Sprache wiederfinden, du, der an der Stummheit erstickt!
Möge die Tinte lebendige Arabesken auf dein Leichentuch aus weißem Papier zeichnen!
Möge eine Spinne in dir das Netz weben, in dem die Fliegen sich dir ergeben auf Gnade oder Ungnade!
Möge der Tisch, auf dem dein Heft sich öffnet, der gezimmerte Nachen werden, den ein windgeblähtes Segel vorwärtstreibt!
Mögen dein Stuhl und das Viereck seiner Füße dich verbinden mit den vier Himmelsrichtungen, anstatt nur der Schemel zu sein, der dich von allem trennt, sobald du auf ihm Platz genommen hast!
Möge die Lampe, die dir Licht spendet, dich lehren, nicht länger ein kärgliches Feuer zu sein!
Möge das Querkissen, der Freund deines Schlafes, ein Schlauch voller Träume sein!
Möge der Boden, den du betrittst, sei er weich oder hart, dich daran erinnern, daß du nicht auf dem Kopf gehst!
Mögen die Häuser auf der Straße für deinen Blick weniger Mauern sein als Fenster!
Mögen die wenigen Jahre, Monate oder Tage, die dir bleiben, eher Glut als Hefe sein!
Möge der Knoten, der dich würgt, sich lösen, bevor die Zeit ihn durchschneidet!
Mögest du, anstatt verriegelt zu bleiben, im Geist die Gefährtin umarmen, die deine Hinfälligkeit im Fleisch zu umarmen dir nicht mehr erlaubt!
Mögest du das Sprachrohr der Worte sein und nicht ihr bedürftiger Benutzer!
Möge dein Winterfest ganz ohne Finsternis in Damast und in Kristall erstrahlen!
- (
leiris2
)
Wünsche (22) Unter einem so bedürftigen und aus Bedürfnissen bestehenden Geschlecht, wie das menschliche, ist es nicht zu verwundern, daß Reichthum, mehr und aufrichtiger als alles Andere, geachtet, ja verehrt wird, und selbst die Macht nur als Mittel zum Reichthum; wie auch nicht, daß zum Zwecke des Erwerbs alles Andere bei Seite geschoben, oder über den Haufen geworfen wird, z. B. die Philosophie von den Philosophieprofessoren.
Daß die Wünsche der Menschen hauptsächlich auf Geld
gerichtet sind und sie dieses über Alles lieben, wird ihnen oft zum Vorwurf
gemacht. Jedoch ist es natürlich, wohl gar unvermeidlich, Das zu lieben, was,
als ein unermüdlicher Proteus, jeden Augenblick bereit
ist, sich in den jedesmaligen Gegenstand unserer so wandelbaren Wünsche und
mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln. -
(
schop
)
Wünsche (23) Wieder sind wir allein. All das ist so träge, so schwer, so traurig... Bald werde ich alt sein. Und es wird endlich zu Ende sein. So viele Leute sind in mein Zimmer gekommen. Sie haben allerhand gesagt. Wichtiges haben sie mir nicht gesagt. Sie sind fortgegangen. Sie sind alt, elend und träge geworden, jeder in einem Winkel der Welt.
Gestern um acht Uhr ist Frau Bérenge, die Hausmeisterin, gestorben. Ein starker Sturm erhebt sich in der Nacht. Ganz oben, wo wir sind, zittert das Haus. Sie war eine liebe, nette und treue Freundin. Morgen begräbt man sie in der rue des Saules. Sie war wirklich alt, ganz - am Ende des Alters. Vom ersten Tag an, als sie zu husten anfing, sagte ich ihr: «Legen Sie sich nur nicht hin!... Bleiben Sie im Bett sitzen!» Ich mißtraute der Sache. Und dann kam's... Und dann... da kann man nichts machen...
Ich habe nicht immer die Medizin ausgeübt, diese Scheiße. Ich will ihnen schreiben, daß Frau Bérenge gestorben ist, jenen, die mich gekannt haben, die sie gekannt haben. Wo sind sie?...
Ich wünschte, daß der Sturm einen noch viel größeren Krach machte, daß die
Dächer einstürzten, daß der Frühling nie wiederkehrte, daß unser Haus verschwände.
- Louis-Ferdinand Céline, Tod auf Kredit. Reinbek bei Hamburg 1974
(zuerst 1936)
Wünsche (24) So wie manchmal, wenn
mich etwas Gelesenes gierig machte, es sofort nachzuerleben, rief mich jetzt
auch der große Gatsby auf, mich auf der Stelle zu ändern.
Das Bedürfnis, anders zu werden als ich war, wurde plötzlich leibhaftig, wie
ein Trieb. Ich überlegte, wie ich die Gefühle, die der große Gatsby bei mir
möglich gemacht hatte, zeigen und in meiner Umgebung auch anwenden könnte.
Es waren Gefühle von Herzlichkeit, Aufmerksamkeit, von Heiterkeit
und Glück, und ich spürte, daß sie mir meine Anlage
zu Schrecken und Panik für
immer austreiben mußten. Sie waren anwendbar, nie mehr würde ich austrocknen
vor Angstgefühl! Wo aber war die Umgebung, in der ich endlich zeigen würde,
daß ich anders sein konnte? - Peter Handke, Der kurze Brief zum langen Abschied. Frankfurt am
Main 1972
Wünsche (25) »Und nun habe
ich es heute nacht eilig«, sagt er, »aber sag mir rasch, was soll ich für dich
tun? Willst du eine Frau haben? Ich kann dir das hübscheste Mädchen der Stadt
geben. Willst du reich sein? Ich gebe dir Gold, soviel du tragen kannst. Oder
willst du Hilfe bei deiner Arbeit? Sag es nur.« Tom kratzte sich am Kopf. »Nun,
was eine Frau betrifft, so hab ich keine Sehnsucht danach. Das sind nur lästige
Wesen, und zu Hause habe ich genug Weibervolk, das mir meine Fetzen flickt.
Und was das Gold betrifft, damit mag es so bleiben wie es ist. Aber wegen der
Arbeit, nun, ich kann Arbeit nicht ausstehen, und wenn
Ihr mir dabei helfen wolltet, werde ich Euch danken - « - (
engl
)
Wünsche (26) Engländer
wünschten sich von einer Frau: "Sie solle erstlich fröhlich im Gemüt sein,
sodann wohlgebildet, drittens eine breite Stirn haben, viertens breite Hinterbacken,
fünftens stets auf der Hut sein, sechstens leicht zu bespringen, siebentens
gut zu brauchen auf einer langen Fahrt, achtens muss sie sich fleißig unter
dem Manne rühren, neuntens stets hurtig mit dem Munde sein und zehntens allzeit
auf den Zaum beißen." -
Geschichte
der Sexualität
Wünsche (27) Mit Fieber und im Bett schreibt sie das Manuskript: »Im Hause der Krankheitem.
»Das Wünschen ist verboten -«, sagt in diesem Hause der Arzt, Doktor Mortimer,
zu ihr. »Das Wünschen schadet der Gesundheit. Ich verbiete es Ihnen. Das Märchen
von der Erfüllung des letzten Wunsches ist nichts als ein Märchen. Sie sind
sehr krank, denn Jemand hat die beiden Herzen aus Ihren Augen herausgeschossen.
Kein Wunder, daß Sie nun immer in die linke Richtung blicken müssen - in die
Richtung, wo sich Ihr Mörder befindet. « - Unica Zürn, Der Mann im Jasmin. Frankfurt
am Main - Berlin 1977
Wünsche (28)
Ein Weib saß an ihrer Haspel bei Nacht; Herein kam ein Paar breite, breite Sohlen, und Herein kam ein Paar kleine, kleine Beine Herein kam ein Paar große, große Knie, und Herein kam ein Paar kleine, kleine Schenkel Herein kam ein Paar große, große Hüften, und Herein kam ein kleiner, kleiner Leib, und Herein kam ein Paar breite, breite Schultern und ließ Herein kam ein Paar kleine, kleine Arme, und ließ Herein kam ein Paar große, große Hände, und ließ Herein kam ein kleiner, kleiner Hals, und ließ Herein kam ein großes, mächtiges Haupt, und ließ »Wovon hast du so breite, breite Füße?« sagte das Weib. »Wovon hast du so kleine, kleine Beine?« »Wovon hast du so große, große Knie?« »Wovon hast du so kleine, kleine Schenkel?« »Wovon hast du so große, große Hüften?« »Wovon hast du einen so kleinen, kleinen Leib?« »Wovon hast du so breite, breite Schultern?« »Wovon hast du so kleine, kleine Arme?« »Wovon hast du so große, große Hände?« »Wovon hast du einen so kleinen, kleinen Hals?« »Wovon hast du ein so großes, großes Haupt?« »Für was kommst du her?« |
- (
schot
)
Wünsche (29) «Mann, ich möchte mal der liebe Gott sein», sagte Grave Digger heiser. «Bloß eine einzige beschissene Sekunde lang.»
«Ich weiß schon», knurrte Coffin Ed. «Du würdest die Erdoberfläche betonieren, die Weißen in Schweine verwandeln und zuschauen, wie sie zu wühlen versuchen.»
«Ich bin aber nicht der liebe Gott», erklärte Grave Digger. -
Chester Himes, Schwarzes Geld für weiße Gauner. Reinbek bei Hamburg 1967
Wünsche (30)
Wünsche (31)
Wünsche (32) Wenn man doch ein Indianer
wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer
wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ,
denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel,
und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals
und Pferdekopf. - (
kaf
)
|
|
|