Abgesehen von Vermögen und Macht gibt es drei Dinge, mit denen man zu Freunden kommen kann:
Geist.
Originalität.
Lächerlichkeit.
Man sieht recht häufig, daß Schwächlinge Freunde haben. Die Leute antreiben, ihnen Ratschläge erteilen, sie lenken und in zahlreiche Geschäfte verstricken, aus denen man nicht so leicht mehr herauskommt, das ist eine der Freuden, die man in der Gesellschaft von Leuten mit wenig Intelligenz gern genießt.
Falls Sie von persönlichem Wert sein sollten, wird es eine Gottheit geben, die Ihre Tur unerbittlich gegen jeden nahenden Freund verteidigt. Das ist die Eifersucht. In einem solchen Fall hat man keine andere Möglichkeit, als reich oder geistreich zu sein, denn sonst bleibt man auf der Strecke.
Es gibt auch Freunde, die wie Gönner sind, man wird sie schwerer halten können, als man sie zu gewinnen vermag.
Hier müssen Sie eine äußerst schwierige Prüfung bestehen, welche die verborgenen Gründe Ihres Charakters vollkommen zutage bringt; denn die Freundschaft ist insofern einem anderen Gefühl recht ähnlich, als sie mit ihrem Drang das Natürliche zwingen möchte. Sie haben vielleicht seit einiger Zeit eine frische Freundschaft geschlossen; Ihre Tage sind von keinem Wölkchen getrübt. Nachdem Sie Ihren Freund mit Bedacht analysiert haben, erkennen Sie, daß es nichts an ihm auszusetzen gibt; keinerlei Unbeständigkeit in seinen Stimmungen, er ist nie engstirnig, sondern auf instinktive Weise großzügig und besitzt einen vollendeten Geschmack. Wie wird dieses herzliche Einvernehmen jemals enden können? Seien Sie vorsichtig, achten Sie auf sich und warten Sie ab. Zu einem gewissen Zeitpunkt werden Sie eine Wolke bemerken, eine Änderung im Verhalten, ohne daß Sie feststellen könnten, wie es geschehen ist: ein Freund geht vorbei, ein Freund verschwindet, wenn es einem bei aller Geschicklichkeit nicht gelingt, ihn wiederzugewinnen, oder den Splitter herauszuziehen, der den Bruch endgültig machen wird.
Freunde wollen spazierengeführt, unterhalten, zerstreut, beschäftigt werden, sonst langweilen sie sich. Freunde wollen beraten, beherrscht werden, sonst suchen sie sich einen anderen.
Schließlich müssen Sie die Freunde darauf vorbereiten, Ihnen zu Diensten
zu sein, wenn man sie braucht. Das ist schwierig; Sie müssen ihnen beibringen,
Sie zu beschirmen, notfalls Ihre Verteidigung zu übernehmen,
das ist nahezu unmöglich. - (
joli
)
Freundschaft (2) Das Wasser ging uns bis an die
Knie, folglich konnten wir nur stehend schlafen und zwar dicht aneinander gepreßt,
um eine unbewegliche Masse zu bilden. Endlich ging die vierte Sonne seit unserer
Abfahrt über unser Mißgeschick auf und zeigte uns 10 oder 12 unserer Gefährten,
die auf dem Floß ohne Leben dalagen. Dieser Anblick
griff uns um so mehr an, als wir uns sagen mußten, daß auch wir in kurzem dem
Tod in die Arme sinken würden. Wir warfen die Leichname ins Meer und behielten
nur einen, welcher nun denen zur Nahrung dienen
sollte, die noch den Tag zuvor seine zitternden Hände gedrückt und ihm ewige
Freundschaft geschworen hatten. - Savigny, Corréard: Der
Schiffbruch
der Fregatte
Medusa
.
Nördlingen 1987 (zuerst 1818)
Freundschaft (3) Beim Thema Freundschaft, besonders wenn ich darüber nachdenke, wie manche Freundschaften Bestand haben und andere nicht, fällt mir unwillkürlich ein, daß ich in all meinen Jahren als Autofahrer erst vier Reifenpannen gehabt habe und daß dabei jedesmal dieselbe Person mit mir im Wagen gesessen hat (in drei verschiedenen Ländern, verteilt auf einen Zeitraum von acht bis neun Jahren). J. und ich kannten uns vom College her, und obwohl unsere Freundschaft nie ganz frei von Zwist und Unbehagen war, kamen wir eine Zeitlang gut miteinander aus. Einmal im Frühling, noch während des Studiums, liehen wir uns den uralten Kombi meines Vaters und fuhren in die Wildnis von Quebec hinauf. Dort herrschte noch Winter, denn in diesem Teil der Welt vollzieht sich der Wechsel der Jahreszeiten langsamer als anderswo. Die erste Reifenpanne war kein Problem (wir hatten einen Ersatzreifen dabei), doch als keine Stunde später der zweite Reifen platzte, saßen wir fast den ganzen Tag in der frostigen rauhen Landschaft fest.
Damals bin ich mit einem Achselzucken darüber hinweggegangen, es war eben Pech; aber als J. vier, fünf Jahre später nach Frankreich kam und L. und mich in dem Haus besuchte, wo wir als Verwalter arbeiteten (er war in elender Verfassung, wie gelähmt vor Gram und Selbstmitleid, und merkte nicht, daß er unsere Gast-freundschaft strapazierte), geschah das gleiche. Wir fuhren für einen Tag nach Aix-en-Provence (eine Fahrt von etwa zwei Stunden), und auf dem Rückweg, spätabends auf einer dunklen, abgelegenen Landstraße, hatten wir wieder einen Platten. Zufall, dachte ich und verdrängte den Vorfall aus meinen Gedanken.
Aber vier Jahre später, in den letzten Monaten meiner Ehe mit L., war J. wieder bei uns zu Besuch — diesmal im Bundesstaat New York, wo L. und ich mit dem kleinen Daniel lebten. Eines Tages stiegen J. und ich ins Auto, um etwas zum Abendessen zu besorgen. Ich setzte den Wagen aus der Garage, wendete auf der unbefestigten Einfahrt, hielt an der Straße, sah nach links, rechts und links und wollte losfahren. In diesem Augenblick, als ich noch einen vorbeikommenden Wagen abwartete, vernahm ich das unverkennbare Zischen. Wieder war einem Reifen die Luft ausgegangen, und diesmal hatten wir noch nicht einmal das Grundstück verlassen. J. und ich lachten natürlich, aber fest steht, daß unsere Freundschaft sich von dieser vierten Reifenpanne nie mehr richtig erholt hat.
Ich sage nicht, diese Reifenpannen seien der Grund für unsere Entfremdung
gewesen, doch auf irgendeine verquere Art waren sie ein Symbol dafür, wie es
immer zwischen uns gestanden hatte, das Zeichen eines unfaßlichen Fluchs. Ich
will nicht übertreiben, aber noch heute fällt es mir schwer, diese Reifenpannen
als bedeutungslos abzutun. Denn Tatsache ist, daß J. und ich keinen Kontakt
mehr haben, daß wir seit über zehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen
haben. - Paul Auster, Das rote Notizbuch. Reinbek bei Hamburg 1996 (zuerst
1995)
Freundschaft (4) Mein Nachbar
hatte eine Sau und die hatte Junge, aber die sind alle
an irgendeiner Lähmung krepiert, bis auf eins. Sie zogen das Ferkel mit der
Flasche auf, und es lief ihnen nach wie ein Hündchen. Als es ausgewachsen war,
sagten sich die Nachbarsleute, daß sie das Schwein abstechen sollten. Weil sie
schwarz schlachteten, ging der Alte nachts in den Keller, und das Schwein ihm
nach, weils, wie ich schon sagte, gewohnt war, hinter ihnen herzulaufen wie
ein Hündchen. Im Keller legte das Schwein den Kopf dem
Nachbarn auf den Schoß, denn es ließ sich nur von ihm den Rüssel kraulen. Der
Bauer rammte ihm den Stiel vom Beil in den Rachen, damit das Schwein nicht schreien
konnte, dabei warf er den Kerzenständer um, und weil der Nachbar das Schwein
schlecht gestochen hatte, mußte er noch einmal mit dem Messer
rein. Dann lag er eine ganze Stunde drauf, eh das Schwein ausgeblutet war in
der Finsternis. Der Bauer, als er nachher aus dem Keller kam, ließ sich aufs
Bett fallen und weinte, und
weil ihn niemand mehr beruhigen konnte, mußten sie ihn nach Kosmonos schaffen.
Ich sag ja immer, es taugt nichts, sich mit Tieren anzufreunden! - Bohumil
Hrabal, Die Bafler. Erzählungen. Frankfurt am Main
1966 (es 180, zuerst 1964)
Freundschaft (5) Die Freundschaft der Schlechten
ist schlecht (denn sie treiben gemeinsam Schlechtes und sind dabei unbeständig
und werden schlecht, indem sie einander ähnlich werden), die Freundschaft der
Tugendhaften ist tugendhaft und wächst durch den Umgang miteinander. Und sie
scheinen auch besser zu werden, indem sie tätig sind und einander korrigieren.
Denn jeder nimmt einen Abdruck auf von den Eigenschaften, die ihm am anderen
gefallen, und so heißt es: «Edles lernst du von Edlen.» - (
eth
)
Freundschaft (6) Hinter all dem gab es noch einen Gefühlsabgrund,
den ich verzweifelt zu umgehen suchte, um nicht in einen Tränensturm auszubrechen,
und das war die zarte Freundschaft, die dem Respekt für meinen Vater
zugrunde lag; der Zauber unseres vollkommenen Einverständnisses; die Wimbledon-Turniere,
die wir in den Londoner Zeitungen verfolgten; die Schachprobleme, die wir lösten;
die Puschkinschen Jamben, die so triumphierend über seine Lippen kamen, wenn
ich irgendeinen unbedeutenderen Dichter der Zeit erwähnte. Unsere Beziehung
war gekennzeichnet von jenem unablässigen Austausch von selbstgemachtem Nonsens,
komisch verdrehten Wörtern, vorgeblichen Imitationen angeblicher Intonationen
und all jenen privaten Scherzen, der der Geheimcode glücklicher Familien ist.
Dabei war er in Fragen des Verhaltens außerordentlich streng und neigte zu schneidenden
Bemerkungen, wenn er auf ein Kind oder einen Diener ärgerlich war, doch seine
tiefe Humanität war zu groß, um Ossip wirklich kränkend zu rügen, wenn er das
falsche Hemd herausgelegt hatte, so wie sein unmittelbares Verständnis für den
Stolz eines Jungen die Schroffheit des Tadels milderte und zu plötzlichem Verzeihen
führte. Als er eines Tages erfuhr, daß ich mein Bein direkt überm Knie mit einem
Rasiermesser aufgeschnitten hatte, um in der Klasse einer Rezitation zu entgehen,
auf die ich nicht vorbereitet war (ich habe die Narbe noch immer), schien er
nicht fähig, wirklichen Zorn aufzubringen, und ich war darüber eher verdutzt
als erfreut; daß er in der Folge zugab, in der Jugend selber einen parallelen
Verstoß begangen zu haben, war mein Lohn dafür, daß ich ihm die Wahrheit nicht
vorenthalten hatte. - (
nab
)
Freundschaft (7) FRANCIS BEAUMONT und JOHN FLETCHER
MR FRANCIS BEAUMONT war der Sohn von Richter Beaumont. Es war die wunderbare Übereinstimmung der Imagination gewesen, die zwischen ihm und Mr John Fletcher jene theure Freundschaft stiftete.
Ich denk, sie kamen beide vom Queen's College in Cambridge.
Ich hab Dr John Earles, ehem. Bischof von Sarum, der mit ihnen bekannt, sagen hören, Mr Beaumonts Haupt=Geschäft sey es, die Wucherungen der luxurirenden Phantasie & des überbordenden Witzes von Mr Fletcher zu beschneiden.
Sie lebten zusammen am Bank Side Ufer, unweit des Schauspielhauses, zwei Junggesellen: schliefen beisammen; hatten eine Dirn zwischen sich liegen, der sie so huldigten; teilten sich die selben Kleider & Mantel &cet.
John Fletcher, auf Einladung eines Ritters, mit ihm zur Zeit der Pest 1625
nach Norfolk oder Suffolk zu gehen, blieb nur um sich noch einen Satz Kleider
machen zu lassen, und erkrankte, während sie gemacht wurden, an der Pest und
verschied. Das hab ich (1668) von seinem Schneider, itzt ein steinalter Mann
und Küster zu St. Mary Overy's in Southwark. Mr Fletcher
hatte auf seinem Arm ein Aderlaßgeschwür (ich dacht, 's sey vor so langer Zeit
noch nicht Usus gewesen). Der Küster (der, es zu bedekken, ihm Efeu0blätter
zu bringen pflog) kam und entdeckte auf ihm die Beulen. Der Tod
ließ ihm den Schlagbaum herab und streckte ihn nieder auf der Stelle. - (
aub
)
Freundschaft (8) Die Freundschaft zwischen dem Autor
und dem Bären begann eines schönen Sommermorgens, am
12. Juni 1921, in St. Achatz am Walde, einem Waldgeviert im Waldviertel. Seitdem
sind die beiden unzertrennlich, streiten sich wohl einmal wegen eines Mädchens,
zweifeln auch einmal an der Kompetenz des Freundes, sich in dem-und-dem Subdialekt
einer patagonischen Provinz oder einer Prager Vorstadt idiomatisch sauber und
rein in der Intonation bewegen zu können, und gehen nicht immer eins in der
Beurteilung von Nutzen oder Nachteil geistiger Getränke, doch vermögen derlei
Differenzen nicht, an der Unverbrüchlichkeit der Bande zu rühren. -
H.C.Artmann
, Der aeronautische
Sindtbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain. Ein fragment
von dem Autore selbst aus dem yukatekischen anno 1958 ins teutsche gebracht
sowie edirt & annotirt durch Klaus Reichert. München 1975 (dtv 1067,
zuerst 1958)
Freundschaft (9) Nach einer Erzählung
studierten Hasan-i Sabbah, der Dichter Omar Chajjam
und der spätere Wesir Nizam al-Mulk gemeinsam bei
demselben Lehrer. Die drei schlossen einen Freundschaftspakt:
Derjenige von ihnen, der zuerst weltlichen Ruhm und Erfolg ernte, werde die
beiden anderen unterstützen. Nach einiger Zeit wurde Nizam al-Mulk Wesir des
Sultans, und seine Studienkollegen erinnerten ihn an das Versprechen. Er bot
ihnen Gouverneursposten an, die sie aber beide ablehnten, freilich mit sehr
unterschiedlicher Begründung. Omar Chajjam scheute die Verantwortung des Amtes
und zog eine Pension und ein Leben in ungestörter Muße vor; Hasan mochte nicht
mit einem Provinzposten abgespeist werden und strebte ein hohes Amt am Hofe
an. Sein Wunsch wurde erfüllt. Recht bald jedoch wurde er Kandidat für das Wesirat
und als solcher ein gefährlicher Rivale für Nizam al-Mulk selbst. Deshalb intrigierte
der Wesir gegen ihn und erreichte durch einen Trick, daß er beim Sultan in Ungnade
fiel. Gekränkt und grollend floh Hasan-i Sabbah nach Ägypten, wo er auf Rache
sann. - Dschuweini, nach: Bernard Lewis, Die Assassinen. Zur Tradition
des religiösen Mordes im radikalen Islam. (Die Andere Bibliothek 59, 1989,
zuerst 1967)
Freundschaft (10) Wenn nur die wichtigsten Belange des
Staates gesichert sind, wird man gern den Freunden
großmütig helfen und beistehen und sie in ihren Bemühungen unterstützen. Es
gibt manche Freundschaftsbezeigungen, denen der Neid
nichts anhaben kann, etwa den Freund bei der Bewerbung um ein Amt zu bevorzugen,
ihm einen ehrenvollen Verwaltungsposten zu übertragen oder eine hochangesehene
Gesandtschaft, die ihm die Liebe des Volkes gewinnt. - (
plu
)
Freundschaft (11) Am nächsten Tage photographierte Wieland ihn auf dem Balkon. Eugen stützte einen Ellenbogen in die Hand, hielt das Bernsteinröhrchen mit der Zigarette und sagte, als die Aufnahmen entwickelt worden waren, das also sei seine stille Kaffeehauspose. Auf einem andern Bild [von der Seite mit hochgezogenen Schultern] erschien er sich als affektierter Simpel, dem das Haar in den Nacken hing, und auf einem dritten hatte er geblähte Nüstern, als habe es beim Knipsen schlecht gerochen; trotzdem gefiel ihm dieses Bild. Wieland war ›a feiner Kerle‹, allerdings nicht nur, weil er so gut photographieren konnte, sondern auch, weil er vor Pfingsten gesagt hatte, ach, du liebe Zeit, wieviel Geld werde er jetzt wieder brauchen, wenn er zu zweit [mit Fräulein Wendlinger] in die Ferien fahre; da habe es Eugen, der allein hierbleibe, jedenfalls viel besser. »Denk bloß an die vielen Nachmittagskaffeeportionen, die ich bezahlen muß, um von anderem zu schweigen. Du wirst so viel sparen, daß du dir später einmal einen Wagen kaufen kannst.« - »Darauf bin ich nicht scharf«, erwiderte er ihm, und Wieland änderte seine Zukunftsvision dahin ab, daß dann also für Eugen eine Achtzehnhundertneunzig-Villa herausspringe, exquisit mit Biedermeiermöbeln ausgestattet.
Das ließe sich schon eher hören, obwohl sein Traum
halt immer noch der Weinbergturm zwischen Hagnau und Meersburg sei: »Für mich
würd der genügen; denn aufs Zu-zweit-sein bin ich nicht besonders scharf...
Find du mal heutzutage eine, die gegen den Hitler und fürs alte Wien ist«, sagte
er. Und Wieland gab zu, dies werde allerdings schwer gehen. - Hermann
Lenz, Andere Tage. Frankfurt am Main 1978 (st 461, zuerst 1968)
Freundschaft (12) Ich
glaube, daß
es im Tempel
der Pallas,
wie wir es
in allen übrigen
Religionen
sehen, äußere
Geheimnisse
gab, die dem
Volk zur Schau
gestellt wurden,
und andere,
verborgenere
und höhere
Geheimnisse,
die nur den
Eingeweihten
offenbart zu
werden bestimmt
waren. Es ist
wahrscheinlich,
daß unter diesen
sich auch das
wahre Gesetz
der Freundschaft
findet, die
man sich selber
schuldet. Nicht
eine falsche
Freundschaft,
die uns mit
vornehmlicher
und maßloser
Gier nach dem
Ruhm, nach
der Wissenschaft,
nach dem Reichtum
und dergleichen
Dingen jagen
läßt, als wären
es Stücke unseres
Wesens; noch
eine weichliche
und zudringliche
Freundschaft,
mit der es
geht wie mit
dem Efeu, der
die Mauer,
an die er sich
schmiegt, zerfrißt
und zerfallen
läßt; sondern
eine heilsame
und besonnene
Freundschaft,
nützlich und
angenehm zugleich.
Wer ihre Pflichten
kennt und tut,
der sitzt wahrhaft
im Rate der
Musen; er hat
den Gipfel
der menschlichen
Weisheit und
unseres Glückes
erreicht. Weil
er genau weiß,
was er sich
selber schuldig
ist, findet
er in seiner
Rolle auch
vorgeschrieben,
daß er der
Dienste anderer
Menschen und
der Welt bedürfe
und zu diesem
Ende der öffentlichen
Gesellschaft
die Dienste
und Handreichungen
besteuern muß,
die ihn betreffen.
Wer überhaupt
nicht für andere
lebt, der lebt
auch kaum für
sich. Qui sibi
amicus est,
scito hunc
amicum omnibus
esse. Die oberste
Aufgabe, zu
der wir berufen
sind, ist für
jeden die Führung
des eigenen
Lebens; und
dies ist es,
wofür wir hier
sind. Wie der
ein Tor wäre,
der vergäße,
selbst recht
und heilig
zu leben, und
sich mit seiner
Pflicht im
reinen glaubte,
indem er andere
dazu anwiese
und hinleitete;
ganz ebenso
schlägt der
meines Bedünkens
einen falschen
und verderblichen
Weg ein, der
die Gesundheit
und Heiterkeit
seines eigenen
Lebens dahingibt,
um damit andern
zu dienen.
-
(
mon
)
Freundschaft (13) 1623 wurde ein langjähriger Freund Galileis zum Papst ernannt. Sofort bemühte sich Galilei um den Widerruf des Dekrets von 1616. Das gelang ihm nicht, aber er bekam die Erlaubnis, ein Buch über die Aristotelische und die Kopernikanische Theorie zu schreiben — unter zwei Bedingungen: er durfte nicht Partei ergreifen, und er sollte zu dem Ergebnis kommen, daß der Mensch auf keinen Fall erkennen könne, wie die Welt beschaffen sei, weil Gott in seiner unbeschränkten Allmacht die gleichen Wirkungen auch auf eine Weise hervorbringen könne, die dem Menschen nicht vorstellbar sei.
Das Buch, der «Dialog über die großen Weltsysteme», wurde 1631 abgeschlossen
und mit dem vollen Einverständnis der Zensur veröffentlicht.
Sofort nach Erscheinen feierte man es in ganz Europa als literarisches und philosophisches
Meisterwerk. Schon bald wurde dem Papst klar, daß die Menschen in dem Buch eine
überzeugende Beweisführung für die Richtigkeit der Kopernikanischen Lehre sahen,
und er bedauerte, seiner Veröffentlichung zugestimmt zu haben. Er erklärte,
trotz der offiziellen Billigung der Zensur habe Galilei gegen das Dekret von
1616 verstoßen, und brachte ihn vor das Inquisitionsgericht, das ihn zu lebenslangem
Hausarrest verurteilte und von ihm verlangte, sich öffentlich vom Kopernikanismus
loszusagen. Galilei fügte sich auch diesmal. - Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte
der Zeit. Reinbek bei Hamburg 1991 (zuerst 1988)
Freundschaft (14) Ihr Blick
war einer des schwarzen Zorns, nicht auf ihn im besonderen, sondern überhaupt;
ein Grundzorn. Das gerade zwischen ihnen Geschehene konnte nicht alles gewesen
sein. Es durfte nicht alles sein. Ihre Zeit war, was sie, die Frau, betraf,
ganz und gar nicht um, nie würde die um sein. Und er, Don Juan, erfuhr so auch,
daß er augenblicklich von ihr fortmußte — ja, er wollte nicht fliehen, er sträubte
sich dagegen — er mußte. Sie ihrem Mann zurückgebracht, welcher ihm im übrigen
schon von weitem entgegensah als einem sehr lieben Freund, so wie auch er, indem
er ihn endlich wahrnahm, ein ehrliches Freundschaftsgefühl bekam, und weg aus
der Gegend. - Peter Handke, Don Juan (erzählt von ihm selbst)
Frankfurt am Main 2006 (st 3739, zuerst 2004)
Freundschaft (15) Neulich traf ich kurz hintereinander
zwei Personen, die sich nicht leiden können. Beide trugen Bärte,
beinahe hätte ich sie nicht erkannt. Dem ersten gestand ich meine Verwunderung,
denn ich hätte nicht erwartet, daß er sich in seinem Alter einen Bart wachsen
ließe. Beim zweiten war ich ein bißchen boshafter. Ich erzählte ihm von der
Begegnung mit seinem Freund Z. (Geringschätzung schließt ja Freundschaft nicht
aus), der nun auch einen schönen Bart trage. Ich glaube, er ist unverzüglich
zum Friseur gerannt, denn als ich ihm am nächsten Tag wieder begegnete, war
er glattrasiert und antwortete auf meine Frage nach dem verschwundenen Bart,
er habe ihn nicht aus modischen Gründen wachsen lassen, sondern nur, weil er
in letzter Zeit so viel zu tun gehabt hätte, daß er nicht zum Rasieren gekommen
sei; nun sei die Arbeit beendet und der Bart wieder ab. Er hatte ganz offenkundig
aussehen wollen wie Marx oder Franz Joseph oder Pater Pio (ich kenne seine Weltanschauung
nicht, falls er eine hat), aber die Aussicht, am Ende seinem Freund Z. ähnlich
zu sehen, hatte ihn aus der Fassung gebracht. - Leonardo Sciascia,
Schwarz auf schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)
Freundschaft (16) Wir lesen wir bei Saxo Grammaticus, daß ein gewisser Asuit und Asmund sich gegenseitig durch einen Eid verpflichtet haben, daß wer von ihnen den andern überlebe, sich mit dem zuerst Sterbenden begraben lassen müsse. Als nun Asuit von einer Krankheit hingerafft wurde, setzte man ihn mit seinem Hunde und seinem Pferde in einer großen Gruft bei, und auch Asmund ließ sich wegen seines Freundschaftsbündnisses lebendig mit ihm begraben, nahm aber so viel Speise mit sich, um lange Zeit davon leben zu können. Als nachher der schwedische König Erich, auf einem Heereszuge durch jene Gegend, Asuit's Grab, wo er einen Schatz vermutete, öffnen ließ, brachte man den Asmund wieder ans Tageslicht hervor, aber mit schauerlich entstelltem, leichenartigem Gesichte und mit aus einer frischen Narbe fließendem Blute bedeckt, denn Asuit war nachts wieder lebendig geworden und hatte in häufigem Ringen ihm das linke Ohr abgerissen. Die Ursache seiner Wunde erzählte nämlich Asmund selbst auf Befehl des Königs in folgenden Versen:
Was staunet ihr, daß ihr so bleich mich seht?
Der
Lebende verkommt wohl unter Toten.
Ich weiß nicht, welche Macht es zugelassen,
Daß Asuits Geist der Unterweit entstieg,
Mit gierigen Zähnen erst sein
Roß verzehrte,
Dann seinen Hund zum ekeln Mahl sich nahm.
Doch nicht
zufrieden mit dem Pferd und Hunde,
Reckt bald nach mir er seine Krallen
aus.
Zerfleischt mir meine Wange, reißt ein Ohr
Hinweg, drum bin so
gräßlich ich entstellt,
Und in der offnen Wunde quillt noch Blut!
Allein
nicht straflos blieb das Ungeheuer,
Denn seinen Kopf schlug mit dem Schwert
ich ab,
Mit einem Pfahl durchbohrt ich seinen Körper.
- (nett)
Freundschaft (17) Antonio
reiste nach Catania ab. Ein großer magerer und hinfälliger Hund lief ihm
nach, der, obwohl Koffer an seine Schnauze stießen, Leute, die ihm entgegenkamen,
ihn traten, alte cholerische Damen mit ihren Schirmen auf ihn einschlugen, dennoch
unbeirrbar dem weißen Pudel folgte, mit dem er im Treppenhaus eine glühende
Freundschaft geschlossen hatte. Dieser Pudel, der an der Leine geführt und von
Antonio rasch weitergezerrt wurde, hörte nicht auf, sich nach dem so häßlichen,
aber netten Freund umzuschauen, so schön und wohlgekämmt er selbst auch war.
-
Vitaliano Brancati, Bell'Antonio. Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)
Freundschaft (18) Auf dem Heimweg fiel mir ein, dass ich das Pferd eigentlich zum Abendessen hätte einladen müssen. Auch egal, sagte ich mir. Ich kaufte einen Kopfsalat und Kartoffeln. Zu Hause angekommen, machte ich ein wenig Feuer, um mein Abendessen zuzubereiten. Ich trank Tee, dachte an die Ereignisse des Tages und vor allem an das Pferd, das ich trotz unserer noch kurzen Bekanntschaft bereits als einen Freund ansah. Ich hatte nur wenige Freunde und war glücklich, mit einem Pferd befreundet zu sein. Nach dem Essen rauchte ich eine Zigarette und dachte daran, wie herrlich es wäre auszugehen, statt mit mir selber zu plaudern und mich mit den ewig gleichen Geschichten, die ich mir fortwährend vorerzählte, zu Tode zu langweilen. Ich bin trotz meiner enormen Intelligenz und meines tadellosen Aussehens eine sehr langweilige Person, und keiner weiß das besser als ich selber. Oft habe ich mir eingeredet, ich würde vielleicht, böte man mir nur die Gelegenheit dazu, der Mittelpunkt der intellektuellen Gesellschaft werden, aber durch das viele Plaudern mit mir selber neige ich dazu, immer wieder dieselben Dinge zu sagen. Nun ja, ich bin halt eine Einzelgängerin. Während ich so vor mich hin grübelte, klopfte mein Freund, das Pferd, mit solcher Wucht an meine Tür, dass ich fürchtete, die Nachbarn würden sich beschweren. »Ich komme«, rief ich.
In der Dunkelheit konnte ich kaum die Richtung
erkennen, die wir einschlugen. Ich rannte neben dem Pferd her und hielt mich
an seiner Mähne fest. Wenig später bemerkte ich vor, hinter und neben uns andere
Pferde, deren Zahl in der weiträumigen Landschaft immer größer wurde. Sie blickten
starr geradeaus, und jedes von ihnen hatte etwas Grünzeug im Maul. Sie waren
in großer Eile, und der Boden erdröhnte unter dem Lärm ihrer Hufe. Es wurde
beißend kalt. - (
wind
)
Freundschaft (19) Baldasseroni ist ein Freund.
Was ist Baldasseroni? Ein Freund. Wenn er deinen Laden betritt, mußt du ihn
mit einem Lächeln empfangen, wenn er die Briefmarken auf den Boden fallen läßt,
so mußt du ihm ein anderes Album zum Durchblättern geben. Warum? Weil Baldasseroni
ein Freund ist. Wenn du zufällig ein antikes Marmorstück entdeckst, mußt du
es mitnehmen. Und wenn Baldasseroni zu dir kommt, so schenke es ihm. Wenn du
nicht zufällig ein seltenes Marmorstück findest, so geh es suchen. Das Wort
Freundschaft ist leicht gesagt, die Freundschaft erhält man mit Freundlichkeit,
mit Geschenken, sie besteht aus kleinen Dingen. Die Abneigung, der Ekel, die
Antipathie nützen der Freundschaft nicht, sie sind ihr im Gegenteil schädlich.
Wenn Baldasseroni deine Gedanken unterbricht, mußt du den natürlichen Haß unterdrücken,
auch wenn dich das Mühe kostet. Kontrolliere dich in den Worten, in den Gesten
und vor allem in den Gefühlen, wie der Architekt sagt. Du darfst nie deinen
ersten Impulsen, der Improvisation folgen. Nur so kannst du die Freundschaft
von Baldasseroni, deines einzigen Freundes, bewahren. Bei einem Menschen, der
keine Freunde hat, ist etwas nicht in Ordnung. Lobe sein Auto seinen Anzug seine
Krawatte seine Sonnenbräune, auch wenn es dir vorkommt, als habest du einen
Wurm vor dir. Baldasseroni ist kein Wurm. Er ist ein
Freund. - Luigi Malerba, Die Schlange. München 1992 (zuerst
1966)
Freundschaft (20) Für Freundschaft oder, was dasselbe
ist - Dienst - brauche ich eine gesunde Wurzel. Freundschaft und Herablassung,
nur Mitleid - ist Erniedrigung. Ich bin nicht Gott, daß ich mich herablassen
kann. Ich selber brauche einen Höheren oder wenigstens einen Gleichen. Von welcher
Gleichheit spreche ich? Es gibt nur eine - die Gleichheit der Anstrengung.
Es ist mir vollkommen gleichgültig, wieviel Sie tragen können, Wichtig ist für
mich, wie Sie sich spannen können. Anstrengung ist Wollen. Und wenn Sie dieses
Wollen nicht haben, haben wir miteinander nichts zu tun ... Wenn Sie nach Paris
gekommen wären wegen Ihrer Einsamkeit ... ich hätte Ihnen beide Hände entgegengestreckt
und sofort wieder fallengelassen: leb allein! Aber Sie kommen zu Nichtigen,
ins Nichtige, einfach - ins Nichts, in die Boheme, die leerer ist als das Nichts;
für nichts verbrennen - zu keines Ruhm, zu keines Erwärmen sogar - wie können
Sie das wagen, Sie ein Dichter! - Marina Zwetajewa an Anatoly Steiger,
nach: M. Z., Vogelbeerbaum. Hg. Fritz Mierau. Berlin 1986
Freundschaft (21) Weinerlich wurde plötzlich die
Freundschaft I/Kleinl. Verbundensein durch Saufereien, den Abtritt
nachher (artig wartete der eine der beiden draußen auf den anderen und dann
der andere auf den einen, nie stellten sie sich zu gleicher Zeit in die Reihe
vor den tablettenstinkenden Pißbehältern), die auf stille Verabredung immer
unwahrgenommenen Mädchengelegenheiten in solchen Sufflokalen, das genügte anscheinend
nicht, sondern KleinI mußte (in einem Volletraum nach „bulgarischer Hirtenspeise")
träumen, daß I als sein Sohn in Bulgarien zu Grabe getragen wurde (I war nur
drei Jahre jünger als K), aber I seinerseits träumte, daß K ein rührend tapirähnliches
Tier war, das ihm freundlich zulächelte worauf sich beide nach slawischadliger
Art umarmten und etwa „Bruder" sagten. Undenkbar in Wahrheit bei zwei so
borkigen, demotischen, unfamiliären Männern. - (met)
Freundschaft (22) Die Aechtheit
eines Freundes zu erproben, hat man, nächst den Fällen wo man ernstlicher Hülfe
und bedeutender Opfer bedarf, die beste Gelegenheit in dem Augenblick, da man
ihm ein Unglück, davon man soeben getroffen worden, berichtet. Alsdann nämlich
malt sich, in seinen Zügen, entweder wahre, innige, unvermischte Betrübniß;
oder aber sie bestätigen, durch ihre gefaßte Ruhe, oder einen flüchtigen Nebenzug,
den bekannten Ausspruch des Rochefoucauld: dans l'adversité de nos
meilleurs amis, nous trouvons toujours quelque chose qui ne nous déplait pas
[Im Mißgeschick unserer besten Freunde finden wir immer etwas, was uns nicht
unangenehm ist]. Die gewöhnlichen sogenannten Freunde vermögen, bei solchen
Gelegenheiten, oft kaum das Zucken zu einem leisen, wohlgefälligen Lächeln
zu unterdrücken. - Es giebt wenig Dinge, welche so sicher die Leute in gute
Laune versetzen, wie wenn man ihnen ein beträchtliches Unglück, davon man kürzlich
getroffen worden, erzählt, oder auch irgend eine persönliche Schwäche ihnen
unverhohlen offenbart. - Charakteristisch! - - Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit
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