ächeln   Das ist die arme Ophelia, die Hamlet der Däne geliebt hat. Es war ein blondes schönes Mädchen, und besonders in ihrer Sprache lag ein Zauber, der mir schon damals das Herz rührte, als ich nach Wittenberg reisen wollte und zu ihrem Vater ging, um ihm Lebewohl zu sagen. Der alte Herr war so gütig mir alle jene guten Lehren, wovon er selber so wenig Gebrauch machte, auf den Weg mitzugeben, und zuletzt rief er Ophelien, daß sie uns Wein bringe zum Abschiedstrunk, Als das liebe Kind, sittsam und anmutig, mit dem Kredenzteller zu mir herantrat und das strahlend große Auge gegen mich aufhob, griff ich in der Zerstreuung zu einem leeren, statt zu einem gefüllten Becher. Sie lächelte über meinen Mißgriff. Ihr Lächeln war schon damals so wundersam glänzend, es zog sich über ihre Lippen schon jener berauschende Schmelz, der wahrscheinlich von den Kuß-Elfen herrührte, die in den Mundwinkeln lauschten.

Als ich von Wittenberg heimkehrte und das Lächeln Ophelias mir wieder entgegenleuchtete, vergaß ich darüber alle Spitzfündigkeiten der Scholastik, und mein Nachgrübeln betraf nur die holden Fragen: Was bedeutet jenes Lächeln? Was bedeutet jene Stimme, jener geheimnisvoll schmachtende Flötenton? Woher empfangen jene Augen ihre seligen Strahlen? Ist es ein Abglanz des Himmels, oder erglänzt der Himmel nur von dem Widerschein dieser Augen? Steht jenes Lächeln im Zusammenhang mit der stummen Musik des Sphärentanzes, oder ist es nur die irdische Signatur der übersinnlichsten Harmonien? Eines Tages, als wir im Schloßgarten zu Helsingör uns ergingen, zärtlich scherzend und kosend, die Herzen in voller Sehnsuchtsblüte... es bleibt mir unvergeßlich, wie bettelhaft der Gesang der Nachtigallen abstach gegen die himmelhauchende Stimme Ophelias, und wie armselig blöde die Blumen aussahen mit ihren bunten Gesichtern ohne Lächeln, wenn ich sie zufällig verglich mit dem holdseligen Munde Ophelias! Die schlanke Gestalt, wie wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben mir einher.

Ach! das ist der Fluch schwacher Menschen, daß sie jedesmal, wenn ihnen eine große Unbill widerfährt, zunächst an dem Besten und Liebsten was sie besitzen, ihren Unmut auslassen. Und der arme Hamlet zerstörte zunächst seine Vernunft, das herrliche Kleinod, stürzte sich durch verstellte Geistesverwirrung in den entsetzlichen Abgrund der wirklichen Tollheit, und quälte sein armes Mädchen mit höhnischen Stachelreden ... Das arme Ding! das fehlte noch, daß der Geliebte ihren Vater für eine Ratte hielt und ihn totstach... Da mußte sie ebenfalls von Sinnen kommen! Aber ihr Wahnsinn ist nicht so schwarz und brütend düster wie der Hamletische, sondern er gaukelt, gleichsam besänftigend, mit süßen Liedern, um ihr krankes Haupt... Ihre sanfte Stimme schmilzt ganz in Gesang, und Blumen und wieder Blumen winden sich durch all ihr Denken. Sie singt und flechtet Kränze und schmückt damit ihre Stirn, und lächelt mit ihrem strahlenden Lächeln, armes Kind! ... - Heinrich Heine, Shakespeares Mädchen und Frauen (1839)

Lächeln (2) Jerry Hickey lag auf einer schmalen Pritsche, die Zähne zu einem starren Grinsen entblößt. Bis auf die urinbefleckte blauweiße Unterhose war er nackt. Seine Arme waren seitlich an den Körper gepreßt, die Finger ausgestreckt — wie ein magerer Soldat, der in Habachtstellung lag. Seine Füße waren schmutzig, die Zehennägel seit Monaten nicht mehr geschnitten worden. Seine Augen waren geschlossen. Hoke rollte das linke Lid mit dem Daumen zurück. Die Iris war blau.

Auf einem runden Samsonite-Bridgetisch neben dem Bett lagen drei zugeklebte Plastiktütchen mit weißem Pulver und Fixer-Utensilien: ein Bic-Feuerzeug, ein Silberlöffel und eine leere Injektionsspritze mit durchgedrücktem Kolben. Im Aschenbecher lag die Kippe einer selbstgedrehten Zigarette und drei fest gedrehte Kugeln aus blauer Alufolie. Hoke packte den Zigarettenstummel, die Folienkügelchen und die viereckigen Päckchen mit dem Pulver in einen Plastikbeutel und steckte den Beutel in die linke Tasche der Popelinejacke seines Freizeitanzugs. Die rechte Tasche war mit Handschuhleder gefüttert und enthielt bereits ein paar lose Patronen .38er Leuchtspurmunition, das Päckchen mit seinen abgeschnittenen Zigaretten, drei Bündel Streichholzheftchen und zwei hartgekochte Eier in Butterbrotpapier.

Hoke trat einen Schritt zurück und nickte Ellita Sanchez zu. Um den linken Oberarm des Toten war ein Halstuch geknotet. Sie untersuchte den Arm, ohne die ungeschickte Aderpresse zu lockern, und betrachtete die Narben auf dem Arm. »Hier ist ein großes Loch«, sagte sie. »Aber die anderen Einstichnarben sehen älter aus.«

»Manchmal spritzen sie sich auch in die Eier.«

»Sie meinen, in den Hodensack. Nicht in die Eier.« Mit einiger Mühe zog Sanchez die fleckigen Boxershorts herunter und untersuchte die Hoden des Mannes. Auf dem Hodensack befanden sich ein halbes Dutzend Krusten.

»Eine unterernährte männliche Person«, sagte sie, »etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt, ohne jeden Zweifel ein gewohnheitsmäßiger User. « Sie zeigte auf eine Reihe fleckiger roter Male am Hals des Toten. »Ich weiß nicht, was das ist. Könnten Würgemale sein, aber auch Liebesbisse.«

Hoke grinste. »Als ich zur Schule ging, nannten wir sie Knutschflecke. Wissen Sie, was wir an der Junior High in Riviera Beach immer gemacht haben? Zwei von uns haben sich in der Pause im Gang irgendein Mädchen geschnappt, meistens eine hochnäsige Ziege. Der eine hat sie dann festgehalten, und der andere hat ihr ein paar Flecken an den Hals gelutscht. Und wenn —« Hoke lachte »— und wenn das Mädchen dann nach Hause kam, war es ihre Sache, ihren Eltern zu erklären, wie sie zu den Dingern gekommen war.«

»Verstehe ich nicht.« Sanchez schien ehrlich verwirrt zu sein. »Warum haben Sie so was getan?«

»Zum Spaß.« Hoke zuckte die Achseln. »Wir waren jung, und wir hielten es für lustig, es einem hochnäsigen Mädchen auf diese Weise zu zeigen.«

»Auf der Shenandoah Junior High hier in Miami ist so was nicht vorgekommen. Zumindest nicht, daß ich wüßte. An der Southwest High hab ich Mädchen mit Knutschflecken gesehen, aber da glaube ich nicht, daß sie gewaltsam angebracht worden waren.«

»Ihr Latino-Mädchen führt eben ein behütetes Leben. Aber worauf ich hinauswill: Diese Male sehen für mich wie Knutschflecken aus.«

»Kann sein, Nach dem Lächeln in seinem Gesicht zu urteilen, ist er glücklich gestorben.«

»Das ist kein Lächeln. Das ist ein Rictus. Eine Menge Leute, die nicht glücklich sterben, grinsen so.« - Charles Willeford, Neue Hoffnung für die Toten. Berlin 2002 (zuerst 1985)

Lächeln (3) Bei vielen Sterbenden will man ein gewisses Lächeln und ungemeine Heiterkeit auf dem Gesichte bemerkt haben. Schwärmer mögen darin den weckenden Engel sehen, uns scheint es den Satz zu bestärken, daß der letzte Akt unseres Lebens weniger schwer ist, als er den Umstehenden scheinen mag. Man sagt "bis zum letzten Seufzer"; warum nicht "bis zum letzten Lächeln"? Oh, mit diesem Lächeln verschied Freund F., der sterbend nach dem Datum fragte. - "Aber wozu?" - "Nun, ich werde doch wissen dürfen, wann ich gestorben bin." Sterben scheint mir in der Regel die letzte süße Empfindung des Lebens zu sein, und gar viele Sterbende haben sogar angenehme Ideen und Gefühle, daher das Lächeln, das Theologen so komisch gedeutet haben. - (kjw)

Lächeln (4)  Die Wahrsagerin redet gleißnerisch. Sie hat es auf die Gunst des Ladenschwengels abgesehen. Sie prunkt mit ihrem Geschick, zeigt, was sie kann: sie singt sich den Lebensunterhalt auf der Straße zusammen, verkauft ein Lächeln nach dem anderen, verdingt sich zu Gelegenheitsarbeiten, wird Blumenmädchen, flirtet mit dem Akrobaten, blickt lange in den Eingang bei dem Gemüsekrämer, verkauft sich in die Prostitution und steckt die Menschen mit Lepra an, wobei sie ganz unwissend tut.  - (liu)

Lächeln (5) Jenen Sommer fuhr ich jedesmal an einer bestimmten Hütte vorbei, in deren Eingang Polenka, die Tochter unseres ersten Kutschers Sachar, ein Mädchen in meinem Alter, in der Abendsonne stand, an den Türpfosten gelehnt, die bloßen Arme friedfertig und bequem gekreuzt, wie es im ländlichen Rußland Brauch ist. Wenn sie mich kommen sah, grüßte mich ihr Gesicht mit einem entzückenden Leuchten, doch wenn ich näher kam, wurde es zu einem halben Lächeln und dann zu einem schwachen Leuchten in den Winkeln ihres fest zusammengepreßten Mundes, und am Ende schwand auch das, so daß jeder Ausdruck aus ihrem runden, hübschen Gesicht gewichen war, wenn ich schließlich bei ihr war. Sobald ich jedoch vorbei war und einen Augenblick lang zurückblickte, ehe ich mit aller Kraft bergauf strampelte, war das Grübchen wieder da, und das rätselhafte Leuchten spielte wieder auf ihren mir so lieben Zügen. Ich wechselte kein Wort mit ihr, doch noch lange, nachdem ich es aufgegeben hatte, zu jener Stunde vorbeizufahren, wurde unsere Augenbekanntschaft zwei oder drei Sommer lang hin und wieder aufgefrischt. Wer weiß woher tauchte sie auf, hielt sich immer ein wenig abseits, immer barfuß, rieb den linken Spann an der rechten Wade oder kratzte mit dem Ringfinger den Scheitel ihres hellbraunen Haares, und immer lehnte sie gegen irgend etwas - gegen die Stalltür, wenn mein Pferd gesattelt wurde, oder gegen einen Baumstamm, wenn das ganze Aufgebot der Dienstboten an frischen Septembermorgen unserem Aurbruch in die Stadt beiwohnte. Jedesmal schien mir ihr Busen ein wenig weicher, ihr Unterarm ein wenig stärker, und kurz bevor ich sie aus meinem Gesichtskreis verlor (mit fünfzehn heiratete sie einen Schmied in einem weit entfernten Dorf), bemerkte ich in ihren weit auseinanderliegenden nußbraunen Augen ein- oder zweimal einen Schimmer milden Spottes. Seltsam genug war sie die erste, die einfach dadurch, daß sie nicht zu lächeln aufhörte, die schmerzliche Macht besaß, ein Loch in meinen Schlaf zu brennen und mich zu klammem Bewußtsein wachzurütteln, wenn ich von ihr träumte - und das, obwohl im wirklichen Leben meine Angst, von ihren schlammüberkrusteten Füßen und muffigen Kleidern abgestoßen zu werden, noch größer war als die, sie durch die Banalität quasiseigneurialer Annäherungsversuche zu verletzen. - (nab)

Lächeln (6) Allah sah, daß Jesus durch ein Tal wanderte und einschlief und träumte und in dem Traum einen Schädel bleichen sah. Allah sagte: Ach, Jesus, frage ihn und er wird dir antworten. Jesus verrichtete sein Gebet mit lauter Stimme und dank seinem wundertätigem Atem hob der Schädel zu sprechen an. Er sagte, seine Seele wandle seit ewigen Zeiten in der Heimsuchung, weil er einem Volk angehört habe, das den Zorn Allahs erlitten habe; er beschrieb Azrayel, den Todesengel und die Visionen und Strafen, die er vor jeder der sieben Tore der Hölle erlitten habe. Wieder betete Jesus, und der Schädel gewann Leib und Leben wieder, um dem Allgegenwärtigen zwölf Jahre zu dienen und im Frieden Gottes zu sterben. Darüber erwachte Jesus und lächelte. Darüber lächelte Allah. - Aus dem Mittleren Osten überliefert, nach (bo3)

Lächeln (7) Er fährt mit der Eisenbahn nach einem in der Bannmeile gelegenen Hippodrom, wo er Gelegenheit haben wird, Pferdebeine zu zeichnen. In seinem Abteil sitzen ein paar verdächtig aussehende Kerle, die miteinander "Kümmelblättchen" zu spielen beginnen, wozu sie ihn sofort auch einladen. Degas verwahrt sich: er spiele nicht um Geld. "Wozu besuchen Sie denn das Rennen, wenn Sie doch nicht spielen?" klingt es drohend zurück. Degas, der von dieser Wendung des Gesprächs gar nicht erbaut ist, erwidert, um ihnen heimzuzahlen, mit rätselhaft vielsagendem Lächeln: "Sie wären baß erstaunt, wenn Sie wüßten, was ich dort zu tun habe!" Die andern, in der Meinung, er sei von der Polizei, sagen hierauf nichts mehr und machen sich bei der ersten Haltestelle schleunigst aus dem Staub.  - (deg)

Lächeln (8)

Lächeln

- (retz)

Lächeln (9)  Ein in Paris vorbestrafter und seit 1909 auf einer Bertillonschen Meßkarte registrierter Italiener namens Vicenzo Perruggia leitete den Niedergang Bertillons und der Bertillonage in Frankreich ein. Am Morgen des 22. August 1911 meldeten die Zeitungen das Unmögliche, das Verschwinden der Mona Lisa aus dem salon carré des Louvre. Die zuständigen Behörden suchten verzweifelt nach einer harmlosen Erklärung. Es hieß, das Gemälde sei zu einem Photographen gebracht worden. Aber bald mußte sich die Direktion des Louvre der Erkenntnis beugen, daß das weltberühmte Kunstwerk einem unbekannten Dieb in die Hände gefallen war. Am Quai d'Orfèvres wurden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Die Polizei des ganzen Landes schwärmte aus. Man schloß sämtliche Grenzübergänge und Häfen, überprüfte Hunderte von Verdächtigen, unter ihnen Pablo Picasso. Man durchforschte die Irrenanstalten nach Verehrern der Vermißten. Es hieß, Wilhelm II. habe den Diebstahl veranlaßt, um Frankreich in seiner Ehre zu treffen. Es war eine nationale Katastrophe. Und ein Sturm der Entrüstung brach über die Sûreté und ihren Erkennungsdienst herein, als sich herumsprach, daß die Ermittlungen keinen Schritt vorangekommen waren, obgleich der Dieb eine deutliche Fingerspur hinterlassen hatte. Als die italienische Polizei auf die Anzeige eines Antiquitätenhändlers hin am 2. Dezember 1913 in Florenz einen gewissen Leonard verhaftete, der versuchte, die Mona Lisa zu verkaufen, stellte sich heraus, daß Perruggia, ein arbeitsscheuer, durch Beischlafdiebstähle an Prostituierten aufgefallener Anstreicher und ehemaliger Angestellter des Louvre, der für den fraglichen Tag kein Alibi besaß, von Anfang an in den Kreis der Hauptverdächtigen einbezogen worden war. Man hatte die Tatortspur mit den fünf Einzelfingerabdrücken auf Perruggias Meßkarte verglichen, ohne einen identischen Abdruck zu finden. Man hatte Perruggia zitiert, um Abdrücke von den Fingern seiner linken Hand zu nehmen. Man hatte, als er nicht erschien, einen Beamten ausgeschickt, Perruggia zu verhaften. Aber man hatte, als der Beamte unverrichteter Dinge zurückkehrte, es versäumt, die Spur weiter zu verfolgen. Man hatte nur das Äußerste versucht. Statt einmal unter dem Bett in Perruggias elender Kammer in der Rue d'Hôpital Saint-Louis nachzusehen, unter dem die Schöne achtundzwanzig Monate lang lag und gelächelt hat.  - (net)

Lächeln (10)   Der Sekretär erhob sich nicht, machte nicht einmal Anstalten, die beiden Herren zu begrüßen, die er nacheinander musterte.

Maigret erinnerte sich noch aus seiner Schulzeit an das ›häßliche Lächeln‹ Voltaires, obwohl der junge Maigret vor der Büste

Voltaire

Houdons

dieser Ansicht nicht hatte zustimmen können. Seitdem hatte er oft, sehr oft, ein arrogantes, aggressives oder perfides Lächeln gesehen. Doch das Lächeln Fuad Quenis war das erste, bei dem ihm das Wort ›häßlich‹ wieder einfiel. - Georges Simenon, Maigret und der Fall Nahour. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 108, zuerst 1967)

Lächeln (11) Nach einem Teller Suppe zur Comédie Française. ›Le Misanthrope‹. Während der Pause suchte ich wieder den Voltaire von Houdon auf. Besonders leuchtete mir diesmal die Mischung von Bosheit mit Kindlichem ein. - Ernst Jünger, Strahlungen (14. März 1942)

Lächeln (12) Die Art, wie sie sich nach dem Essen im Rauchsalon, wo es wieder zu trinken gab, angesehen hatten ... Sie waren wie Komplizen, die einander mißtrauen, die sich aber dennoch einig sind und ihre Beute beobachten . . . Tante Eloi hatte große Zähne, und wenn sie lächelte - sie lächelte die ganze Zeit über grundlos, vielleicht weil sonst ihr Gesicht entsetzlich hart war? -, wenn sie lächelte, sah sie immer aus, als beiße sie ins Leere. - Georges Simenon, Ankunft Allerheiligen. Zürich 1979 (detebe 135/14, zuerst 1941)

Lächeln (13) Man hatte ihn auf den Boulevards aufgegriffen, weil er wie ein Irrer zwischen den Autobussen und Autos hin und her lief. Man verhörte ihn auf französisch. Keine Antwort. Man versuchte es mit sieben oder acht anderen Sprachen. Nichts. Auch auf die Sprache der Taubstummen reagierte er nicht.

Ein Verrückter?  In Maigrets Büro hatte man ihn durchsucht. Sein Anzug war neu, seine Wäsche und seine Schuhe ebenfalls. Alle Firmenzeichen waren entfernt. Er hatte keine Papiere bei sich, keine Brieftasche, nur fünf Tausendfrancsnoten in einer seiner Taschen. Man hatte in Polizeiakten gestöbert, hatte Telegramme in verschiedene Orte in Frankreich und ins Ausland geschickt. Und trotz der zermürbenden Verhöre hatte der Mann von morgens bis abends liebenswürdig gelächelt.

Er war etwa fünfzig Jahre alt, klein und breitschultrig. Er blieb die Ruhe selber, bemühte sich manchmal, in seinem Gedächtnis zu kramen, verlor aber gleich darauf wieder den Mut...

Litt er an Gedächtnisschwund? Eine Perücke rutschte von seinem Kopf, und man stellte fest, daß sein Schädel vor höchstens zwei Monaten durch eine Kugel gespalten worden war. Die Ärzte bewunderten die exakte und geschickte Operation. - Georges Simenon, Maigret und der geheimnisvolle Kapitän. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 97, zuerst 1931)

Lächeln (14)  Watt hatte beobachtet, wie Leute lächelten, und glaubte zu wissen, wie man so was macht. Und wahrhaftig glich Watts Lächeln, wenn er lächelte, mehr einem Lächeln als beispielsweise einem Grinsen oder einem Gähnen. Aber etwas fehlte an Watts Lächeln, eine Kleinigkeit fehlte, und Leute, die es zum erstenmal sahen, und die meisten Leute, die es sahen, sahen es zum erstenmal, waren manchmal im Zweifel darüber, was es eigentlich ausdrücken sollte. Für viele sah es aus, als sauge er bloß an den Zähnen. - (wat)

Lächeln (15)

Johannes der Täufer

- Leonardo da Vinci

Lächeln (16) Hoch, und sehr bleich, und eigentümlich gelassen war ihre Stirn; das einst rabenschwarz schwellende Haar fiel ihr stellenweise hinein, und überschattete die eingefallenen Schläfen in zahllosen Ringeln, aber itzt von einem lebhaften Gelb, und in ihrem fantastischen Charakter im schreiendsten Widerspruch mit der das Gesicht ansonsten beherrschenden Schwermut. Die Augen waren ohne Leben, stumpf, und scheinbar pupillenlos; ich schauderte unwillkürlich vor ihrem glasigen Stieren zurück, und wandte mich der Betrachtung der dünn gewordnen, eingeschrumpften Lippen zu. Die gingen auseinander; und, in einem Lächeln von absonderlicher Bedeutsamkeit, enthüllten sich die Zähne der veränderten Berenice langsam meinen Blicken. Wollte GOtt, daß ich ihrer nie ansichtig geworden, oder aber, im selben Augenblick, tot zu Boden gesunken wäre!

Das Zufallen einer Tür störte mich auf; und als ich hoch schaute, gewahrte ich, daß meine Kusine den Raum verlassen hatte. Aber die regelwidrigen Räume meines Hirns hatte es, weh mir!, nicht verlassen, und wollte sich auch durch nichts austreiben lassen, das weiß geisternde Spectrum der Zahnreihen. Kein Pünktchen ihrer Vorderflächen - keine Trübung ihres Schmelzes - nicht die leichteste Zackung ihrer schneidigen Beißkanten - nichts war mir entgangen; der Zeitbruchteil ihres Lächelns hatte hingereicht, mein Gedächtnis damit zu brandmarken. Sah ich sie doch jetzt noch unverwechselbarer vor mir, als ich sie vorhin wahrgenommen hatte. Die Zähne! - die Zähne! - sie waren hier & da & überall, und waren schau- & tastbar vor mir: lang, und eng gestellt, und von extremer Weißheit, und blasse Lippenfäden krümmten sich um sie herum, genau wie im Moment ihrer ersten schreckhaften Bloßlegung.  

Schon setzte, mit voller Wucht & Wut meine Monomanie ein; und ich rang vergebens an gegen ihren unerhörten und unwiderstehlichen Einfluß. Unter all den minutiösen Tausendfältigkeiten der Außenwelt fand ich keinen andern Gedanken, als nur den an diese Zähne. Nach ihnen verehrte ich mich, in phrenetischem Verlangen. Alle sonstigen Angelegenheiten, sämtliche irgend divergierenden Interessen, gingen unter in dieser 1 speziellen Betrachtung. Sie - und nur SIE - waren dem inneren Auge gegenwärtig; und sie, in ihrer spezifischen Einundeinzigkeit, wurden zum Grundton meiner ganzen Mentalität. Ich versetzte sie in jegliche Beleuchtung. Ich drehte sie unter jedem denkbaren Winkel. Ich maß feldmesserisch ihre Topografie. Ich verweilte auf ihren Eigenheiten. Ich sann nach über ihren Feinbau. Ich vertiefte mich in mögliche Wandlungen ihres Wesens. Ich schauderte, als ich ihnen im Geist die Gabe zuschrieb, zu fühlen & zu empfinden; ja, selbst unterstützt von Lippen, eine Fähigkeit, Moralitäten auszudrücken. Man hat von Ma'm'selle Sallé sehr hübsch gesagt, <que tous ses pas etaient des sentiments>; aber ich, meinerseits, möchte von Berenice weit ernstlicher annehmen, que toutes ses dents etalent des idees. Siehe da: des ideés - das war der idiotische Einfall, der mir zum Verderben wurde! <Des idees!> - ach, deshalb also gelüstete mich so wahnwitzig nach ihnen! Deshalb hatte ich die Empfindung, daß ihr Besitz allein mir jemals Frieden bringen, mich der Verständigkeit wiedergeben könne. - Edgar Allan Poe, Berenice. In: E. A. P., Werke II. Übs. Arno Schmidt, Hans Wollschläger. Olten und Freiburg im Breisgau 1967

Lächeln (17)

Lächeln, weibliches

- Charles M. Schulz, Nobody's perfect, Charlie Brown. Greenwich Conn. 1968 (Fawcett Crest, zuerst ca. 1962)

Lächeln (18)   «Jenes süße und friedvolle Lächeln - jenes Lächeln, wie wir es einzig auf dem Antlitz der Sterbenden und der Verstorbenen sehen» - Ernest Maltravers. Bulwer ist nicht der Mann, einer Unerbittlichkeit ins Auge zu blicken. Lieber wird er sentimental über einem ziemlich gewöhnlichen wiewohl auch recht ansprechenden Irrtum. Wer hätte jemals in Wahrheit auf den lächelnden Zügen der Todten Andres gesehn denn Entsetzen? Unser Wünschen ist so ernstlich drauf aus, jene « Süße » darin zu erblicken - Dies allein ist die Quelle des Irrtums, falls es in solcher Frage je einen Irrtum gegeben hat. - Edgar Allan Poe, Marginalia. In: Werke Bd. IV, Olten 1966

Lächeln (19)  Melinda ist tot, dachte er. Ich bin auch tot. Dann war ihm auf einmal klar, warum er sich so leer fühlte; er hatte sein Leben in dem Haus hinter sich gelassen, seine Schuld und seine Scham, seine Erfolge und sein Versagen, den Mißerfolg seines Experiments, und die letzte brutale Geste kleinlicher Rache.

Er schritt elastisch und beschwingt aus. Der Weg zu dem Polizeiwagen am Ende der Auffahrt schien endlos. Er fühlte sich jetzt frei und heiter und auch schuldlos. Er sah zu Wilson hinüber, der neben ihm ging und noch immer seine langweiligen Informationen herunterpsalmodierte, und fühlte sich sehr ruhig und glücklich. Er behielt Wilsons rastlosen Kiefer im Auge und dachte an die vielen Wilsons auf dieser Erde; vielleicht war die Hälfte aller Menschen so, zumindest potentiell, und er fand, daß es gar nicht so schlecht sei, sie alle hinter sich zu lassen. Häßliche Vögel ohne Schwingen. Diese Mittelmäßigen, die bis in alle Ewigkeit Mittelmäßigkeit hervorbringen, die für die Mittelmäßigkeit kämpfen und sterben. Er lächelte über Wilsons grimmigen, übelnehmerischen Die-Welt-schuldet-mir-was-Ausdruck, der den kleinen, öden Geist dahinter widerspiegelte, und er verfluchte diesen Geist und alles, wofür er eintrat. Er fluchte schweigend und lächelte dabei.  - Patricia Highsmith, Tiefe Wasser. Zürich 1976 (zuerst 1957)

Lächeln (20)

"Ehrendame der Infantin Isabella"

-  Peter Paul Rubens, nach: Walter Koschatzky, Die Kunst der Zeichnung. Technik, Geschichte, Meisterwerke. München 1981 (dtv 30741, zuerst 1977)

Lächeln (21)  Das Antlitz des Mordes ist  viel öfter weich als brutal, und auf seine Lippen tritt viel rascher ein Lächeln als ein mürrischer Ausdruck. Jeder, der daran erinnert werden muß, daß echte Mörder so gar nicht wie Mörder aussehen, sollte einmal Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett besuchen. Dort, unten in der Schreckenskammer, stehen die Londoner Mörder zu Dutzenden - Heath, Christie, Haigh, Badewannen-Smith, Chapman, der Barmädchen vergiftete, Mrs. Pearcey, die die Leichen ihrer Opfer in einem Kinderwagen durch London karrte, Crippen, Sheppard, der in Tyburn gehenkt wurde, Dougal von der Moat Farm - eine Truppe, wie man sie sich niederträchtiger nicht wünschen kann, auf die der Londoner indes, wenn auch verstohlen, natürlich stolz ist. - (beg)

Lächeln (22)

Luthers Totenmaske

 - Luthers Totenmaske, nach: Tintenfass 11. Zürich 1984

Lächeln (23)

- Marx Brothers

Lächeln (24)

Badezimmer-Lächeln

- Nach (rom)

Lächeln (25)

- Almut Gernhardt, nach: Der Rabe. Magazin für jede Art von Literatur 25. Zürich 1989

Lächeln (26)  Der Alte zeigte mir einige der letzten Photographien von Mrs. Kempe - er hatte sie mit seiner eigenen antiquierten Kamera aufgenommen und vielleicht in eben diesem Raum entwickelt. Wahrhaftig, hier konnte man von Seele sprechen! Es war wenig andres da. Das Gesicht auf den Bildern zeigte ein sonderbares schwaches Lächeln. Die hohlen Augen waren direkt auf den Lederüberwurf der Kamera gerichtet gewesen. Und die Züge, die nun auf dem verfärbten Papier dahinschwanden, waren so verfallen, daß sie ganz gut die Wiedergabe eines Geistes sein mochten. - Walter de la Mare, Mr. Kempe. In: W. M., Aus der Tiefe. Frankfurt am Main 1984 (st 982, zuerst 1923)

Lächeln (27)

- Roland Topor

Lächeln (28)



 Leonora Carrington und Max Ernst in Saint-Martin d'Ardèche,
1939; Foto Lee Miller

- Nach  (wind)

Lächeln (29)

- Lukas Cranach d.Ä.

Lächeln (30)

Louise Bourgeois lächelnd

- Irving Penn

Lächeln (einladendes)

Lächeln (32)

Judith und Holofernes

- Jan Massys

Lächeln (33)  Der mich treibt, ist ein älterer Mensch mit grauen Bartstoppeln, er riecht nach Schnaps und Pferden. Klinkt sorgfältig hinter sich die Tür zu und schiebt, als er keinen Schlüssel im Schloß findet, den Ohrensessel gegen die Füllung. Er scheint die Beute gar nicht zu sehen. Um so erschreckender sein Stoß, der sie zum Lager treibt. Augen zu, Zähne fest zusammengebissen.

Kein Laut. Bloß als das Unterzeug krachend zerreißt, knirschen unwillkürlich die Zähne. Die letzten heilen Sachen.

Auf einmal Finger an meinem Mund, Gestank von Gaul und Tabak. Ich reiße die Augen auf. Geschickt klemmen die fremden Hände mir die Kiefer auseinander. Aug in Auge. Dann läßt der über mir aus seinem Mund bedächtig den angesammelten Speichel in meinen Mund fallen.

Erstarrung. Nicht Ekel, bloß Kälte. Das Rückgrat gefriert, eisige Schwindel kreisen um den Hinterkopf. Ich fühle mich gleiten und fallen, tief, durch die Kissen und die Dielen hindurch. In den Boden versinken - so ist das also.

Wieder Aug in Auge. Die fremden Lippen tun sich auf, gelbe Zähne, ein Vorderzahn halb abgebrochen. Die Mundwinkel heben sich, von den Augenschlitzen strahlen Fältchen aus. Der lächelt.

Er kramt, bevor er geht, etwas aus seiner Hosentasche, schmeißt es stumm auf den Nachttisch, rückt den Sessel beiseite, knallt hinter sich die Tür zu. Das Hinterlassene: eine verkrumpelte Schachtel mit etlichen Papyrossen darin.  - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin  2005 (zuerst 1954)

Lächeln (34)  Zwei Menschen begegnen sich. Ihr Lächeln wird gleichsam gegenseitig hervorgerufen und eine Zeit lang bewahrt. Dann ruht es sich aus und macht einigen ernsthafteren Sätzen Platz. Es erscheint wieder und verläßt das andere Lächeln. Sich selbst überlassen, verändert es sich und löst sich auf. Die getrennten Gesichter gehen wieder auf Null zurück.  - (pval)

Lächeln (35)

Begegnung zweier lächeln

Im reich der friseure verschwenden die glücklichen nicht all ihre zeit an den ehestand. Jenseits der koketterie auf nipptischen kappen entenfüße die spitzen schreie der weißen damen ab. Im geigenhals werdet ihr die schreie der heimchen finden, im ärmel des einarmigen den todestrank. Ihr werdet staunen, die pracht eurer spiegel in den klauen der adler wiederzufinden. Seht diese leinen heiliggesprochenen schlangen an, am abend vor ihrem ersten ball speien sie samen aus ihren brüsten. Derart hat der reichtum ihren ehrgeiz verwirrt, daß sie den vorbeigehenden händlern in antiquitäten ewige rätsei aufgeben. Hört die seufzer dieser frauen im schmetterlingshut.  - Max Ernst, Paul Eluard: Die Unglücksfälle der Unsterblichen. Spiegelschrift 7. Köln 1971 (zuerst 1922)

Lächeln (36)

- William Mortensen

Lächeln (37)

Jules Pascin, lächelnd

- Emil Orlik

Lächeln (38)

- Yvette Guilbert, nach Toulouse-Lautrec

Lächeln (39)

- Toyen

Lächeln (40)  Während des Krieges war das Bedürfnis, die tägliche Wirklichkeit zu ignorieren, auch in neutralen Ländern sehr stark. Da ich Alkohol in grossen Quantitäten vertrage, ohne berauscht zu werden, suchte ich nach einem andern Mittel und begann mit Äther. Aber dieses Gift ist unangenehm. Sein Geruch ist schwer zu vertreiben und bleibt als penetranter Geschmack tagelang im Munde zurück. Auch greift der Äther die Lunge an. Während einer Erkältung bekam ich mitten in der Nacht eine starke Lungenblutung, musste um Mitternacht einen Arzt aufsuchen; dieser machte mir eine Morphiumeinspritzung und liess mich konzentriertes Salzwasser trinken. Ich erinnere mich noch genau an die Wirkung dieser Einspritzung. Plötzlich wurde ich ganz wach. Ein sonderbares, schwer zu beschreibendes Glücksgefühl «nahm von mir Besitz» (man kann es kaum anders ausdrücken). Trotzdem es mir damals materiell sehr schlecht ging, war alles plötzlich verändert, die Not hatte ihre Wichtigkeit verloren, sie war nicht mehr vorhanden, ich hielt das Glück in den Händen; es war, um einen schlechten Vergleich zu gebrauchen, so, als ob mein ganzer Körper ein einziges Lächeln wäre. Und dann lag ich wach, bis zum Morgen.  - Friedrich Glauser, Morphium und autobiographische Texte. Zürich 1980

Lächeln (41)   Er lächelte mich hilflos und erbarmungswürdig an. Mann, dieses Lächeln war schrecklich anzuschauen. Es war - ich weiß nicht, wie ich sagen soll; haben Sie jemals gesehen, wie so ein stummes Geschöpf mitten auf der Straße überfahren und zermalmt wird, daß seine Hinterbeine gelähmt sind? Es fühlt keinen Schmerz mehr, aber es schleppt sich auf den Gehsteig, um zu verenden, und bleckt die Zahne in einer krampfhaft grinsenden Grimasse, kurz bevor es soweit ist. - Cornell Woolrich, Der schwarze Engel. Zürich 1988

Lächeln (42)

Lächeln (43)

Jacques Offenbach

- Félix Nadar

Lächeln (44)

Conradt Veidt

- N.N.

 Lächeln (45)

- A. Paul Weber

Lächeln (46)

Lächeln (47)

Das Lächeln des Verbrechers

Es ist das Lächeln des Banditen oder Spitzbuben, der einen guten Fang gemacht hat. Das linke Auge ist zugekniffen, die Stirn hier herabgezogen, das ist die Verheimlichung. Rechts geht der Zug der Braue von der Nasenwurzel scharf nach oben, um seitlich über dem Auge ebenfalls scharf nach unten abzubiegen. Das ist der Zug des Mephistos, der Böses sinnt und im Schilde führt. wovon sein Opfer nichts weiß und womit es überrascht wird, auch geistig.

Der Mund ist festgespannt nach oben gezogen, spricht böse Schadenfreude, schmutzige Gesinnung und Gedanken und erregt Abscheu. Die häßlich verzogene und verhärtete Nase zeigt deutlich, daß man dem sich dahinter verbergenden Charakter nicht trauen darf, sondern Falschheit und Härte gewärtigen muß.

- Physiognomik und Mimik. Analytische Geichtsausdruckstudien von und nach Carl Huter. Bearb. und Hg. Siegfried Kupfer. Schwaig bei Nürnberg 1964

Lächeln (48) Zuverlässig verdankt Mancher das Glück seines Lebens bloß dem Umstände, daß er ein angenehmes Lächeln besitzt, womit er die Herzen gewinnt. - Jedoch thäten die Herzen besser, sich in Acht zu nehmen und aus Hamlet's Gedächtnißtafel zu wissen, that one may smile, and smile, and be a vllain (daß Einer lächeln und lächeln kann, und ein Schurke seyn). - (schop)

Lächeln (49)

- N.N.

Lächeln (50)  Er, Troya, ist ein Mann um die Fünfzig, sieht aber jünger aus. Das erste, was an ihm auffällt, ist sein Lächeln. Es fällt in erster Linie deshalb auf, weil man sofort spürt, daß es ein [eingefahrenes] Lächeln ist. Er ist ein Mann der Öffentlichkeit, ist also gezwungen zu lächeln, wie es scheint: doch statt etwas Versicherndes, Glänzendes, mehr noch, Strahlendes zu haben, wie das Lächeln eines 'Durchschnittsmenschen', der sich nichts vorzuwerfen hat, weil er ein guter Familienvater, ein sympathischer Arbeiter, ein guter Katholik ist: und natürlich ist es auch dieses Lächeln, mit bleckenden Zähnen, mit dem er eigentlich zu verstehen gibt, daß er das Leben nicht ganz so ernst nimmt, weil das Leben schon an sich schön ist und wert, gelebt zu werden, und zwar auf diese Weise. Nein. So war das Lächeln nicht, das unter Männern, die in der Öffentlichkeit stehen, so häufig verbreitet ist. Troyas Lächeln ist vielmehr komplizenhaft, fast schon augenzwinkernd: ganz fraglos ein schuldbewußtes Lächeln. Troya scheint damit demjenigen, der ihn ansieht, sagen zu wollen, daß ihm durchaus bewußt ist, von diesem für einen miesen, ehrgeizigen Menschen gehalten zu werden, fähig zu allem, ohne den kleinsten Schwachpunkt, wenn er auch aussieht wie ein ehemals armer Klosterzögling und Speichellecker im Dienste Gottes; und es will dem, der ihn dafür hält, gleichzeitig sagen, daß er das ruhig tun kann und daß, falls in dieser Hinsicht offene Rechnungen zu begleichen sind, die Sache objektiv sine die vertagt war (das heißt bis zu dem Tag, an dem Troya nicht mehr zu den Mächtigen gehören würde). Nicht nur das, sondern jede Begleichung offener Rechnungen mit dem ohnmächtigen idealistisch 'einfachen Bürger', der ein Urteil über ihn und die widerliche, von ihm selbst eingeräumte Wahrheit formulierte, wurde ständig in irgendeiner Weise durch etwas Dringlicheres, etwas öffentlich Dringlicheres verhindert. Und dieses 'Geheimnis des Dringlicheren' war es, das sich in erster Linie hinter Troyas Lächeln verbarg. Und dann drückte dieses Lächeln noch eine andere Botschaft aus, eine grundlegende, unabdingbare und, wie ich meine, in Italien geradezu heilige Botschaft: Troya wollte mit seinem schlauen Lächeln pausenlos und ununterbrochen jeden einzelnen wissen lassen, daß er verschlagen war. Daß man ihn also um Gottes willen in Ruhe lassen sollte; daß er 'da von ein paar Dingen Kenntnis habe'; daß er 'gewisse dringende Geschäfte von nationaler Wichtigkeit' habe (von denen man eines schönen Tags erfahren werde), daß er 'gewandt und sagen wir ruhig auch kriecherisch' genug war, um sich immer wieder auf die bestmögliche Weise und im Interesse aller herauswinden zu können. Aber gerade weil es ein komplizcnhaftes Lächeln war, war es auch flehend: das heißt, es erflehte Mitleid mit seiner offen zutage liegenden Schadhaftigkeit. Gewissermaßen zur Bestätigung all dessen, was das Lächeln auszudrücken beabsichtigte — nicht ohne eine bestimmte Liebenswürdigkeit von Intellektuellem zu Intellektuellem, wenn nicht gar von Staatsbürger zu Staatsbürger —, war sein Kopf ständig zwischen die Schultern eingezogen, so daß man von Troya den Eindruck hatte, er sei leicht bucklig. Und in der Tat erinnerte der Kopf, wenn wir so wollen, ein bißchen an den Kopf eines Buckligen: rundlich, mit vorspringender Stirn, glattem Haar, kleinem schwachem Kinn. Was die Augen hinter den Brillengläsern angeht, so waren sie rund und bekamen durch das unaufhörlich zwinkernde Lächeln des Schuldbewußtseins ihre Ausdruckskraft. Sie hefteten sich voller Ungestüm auf den, der ihn ansah, flohen dann aber auf der Stelle.  - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994

Lächeln (51)  

- Loic Dubigeon

Lächeln (52)  

Lächeln (53) Als der Hypnotisierte diese letztern Worte mit schwacher Stimme vorbrachte, gewahrte ich auf seinen Zügen, einen eigenartigen Ausdruck, welcher mich einigermaßen beunruhigte und mir Anlaß gab, ihn alsbald aufzuwecken. Doch kaum hatte ich dies getan, da sank er mit einem hell-heitern Lächeln, welches sein ganzes Antlitz überstrahlte, in die Kissen zurück und verschied. Ich bemerkte, daß in weniger denn einer Minute hernach sein Leichnam starr wie Stein geworden war. Seine Stirn hatte die Kälte des Eises. So hätte sie sich normalerweise erst anfühlen dürfen, nachdem bereits längere Zeit Asraels drückende Hand darauf gelegen. Sollte ich's glauben, daß des Mesmerisierten Stimme während des ganzen letztern Teiles seines Vertrags schon aus dem Reich der Schatten zu mir hergedrungen sei? Wer will das sagen...  - Edgar Allan Poe, Mesmerische Offenbarung. Nach (poe)

Lächeln (54, gegenseitiges)

- Wenceslas Hollar, nach Leonardo da Vinci

 Lächeln (55) Joyce schreibt eine Doktorarbeit über Hermaphroditismus m Mythos und Literatur. Joyce, ein schöner Totenkopf mit gelber Brille und flachsblonden Zöpfen, lächelte Halms mühelos an. Halm schaute unwillkürlich zu dem vom Tarantelleib gekrönten Totenkopf mit Zähnen auf dem Kanunsims. Ja, Joyce lächelte genauso rechteckig. - Martin Walser, Brandung. Frankfurt am Main 1987   


Lachen

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