ett  Ich erwache am äußersten Rand der Dunkelheit; eine unendlich lange Nacht geht mir voraus, und von der Finsternis trennt mich ein schwächlicher Dämmerschein. Ich bin gerade geboren; theoretisch verwahre ich in mir alle Möglichkeiten, die das langsame Anwachsen der Dämmerung zur Dimension des Tages mit sich bringt; aber im Moment verlangt mein Schicksal, daß ich mich allmählich aus der Nacht herausschäle, daß ich geduldig die klebrige Abwesenheit des Lichts von mir abtrenne, aus der ich auftauche, Obwohl ich noch nichts sehe, weil meinem Körper, dieser Kurzlebigkeit aus Fleisch, die sich nie von ihrer Geburt aus der Nacht wird reinwaschen können, jegliche Feinheit fehlt, weiß ich doch, daß ich von mir wohlgesinnten, aufgeregten erwachsenen Formen umgeben bin, die ich aber noch nicht und wohl noch lange nicht von der Nacht zu unterscheiden vermag. Ich liege auf einem unermeßlich großen Bett, an dessen Grenzen ich mich nicht wage, und das vielleicht gar kerne Grenzen hat; es ist ein Bett aus Dunkelheit, aus dem fadenförmige Dunkelheiten auftauchen; mit Grauen bemerke ich, daß eine nächtliche Hand meinen Körper absucht. Ich weiß auch, daß ich in meiner äußersten Schwäche eine ebenso große wie vergebliche Kraft in mir habe, denn mein ganzer Groll gilt dem nicht durchschreitbaren, aber wegsamen Nichtkörper der Nacht.

Ich wälze mich in dem großen Bett hin und her und keuche, ich Tier, Raubtier, Modergeruch und Kralle; ich zerreiße die weißen Laken, brülle, heule, winsle, zische; ergreife mit meinen Krallen die Gestalt, die mir am nächsten ist, und zerreiße sie, ich mache mir Verzierungen aus Blut, an meinen Krallen hängen Eingeweide. Ich laufe über das Bett, eine verlassene, weithin ausgedehnte Stätte, mit Leichen übersät, die ich rasch durchsuche, deren Namen ich aber nicht weiß. Allerorten nehme ich das Rascheln der Flucht wahr, um meinen Körper werden Mauern des Grauens errichtet; ein zerbrechliches Bollwerk für meine Krallen; meine Zähne beleuchten wie Lämpchen den Raum der Nacht, den verschreckte Insekten bevölkern. Ich bin auf der Suche nach Hieroglyphen aus Blut, Satzzeichen aus Eingeweiden, bald wird die ganze Wüste, der Raum, den ich Bett genannt habe, meine Lagerstatt, nach meinem Urin riechen, allerorten wird jeder von meiner Anwesenheit wissen, und ich werde, selbst unbewegt, zum einsamen Mittelpunkt der Flucht, und das ganze Universum wird schaudernde Angst, sich entfernendes Stöhnen. -  Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997 (Wagenbach)

Bett (2) Also hier ist das Bett, wie ich sagte. Es ist ganz und gar mit einer Watteschicht bedeckt; den Zweck dessen werden Sie noch erfahren. Auf diese Watte wird der Verurteilte bäuchlings gelegt, natürlich nackt; hier sind für die Hände, hier für die Füße, hier für den Hals Riemen, um ihn festzuschnallen. Hier am Kopfende des Bettes, wo der Mann, wie ich gesagt habe, zuerst mit dem Gesicht aufliegt, ist dieser kleine Filzstumpf, der leicht so reguliert werden kann, daß er dem Mann gerade in den Mund dringt. Er hat den Zweck, am Schreien und am Zerbeißen der Zunge zu hindern. Natürlich muß der Mann den Filz aufnehmen, da ihm sonst durch den Halsriemen das Genick gebrochen wird.« »Das ist Watte?« fragte der Reisende und beugte sich vor. »Ja gewiß,« sagte der Offizier lächelnd, »befühlen Sie es selbst.« Er faßte die Hand des Reisenden und führte sie über das Bett hin. »Es ist eine besonders präparierte Watte, darum sieht sie so unkenntlich aus; ich werde auf ihren Zweck noch zu sprechen kommen.« Der Reisende war schon ein wenig für den Apparat gewonnen; die Hand zum Schutz gegen die Sonne über den Augen, sah er an dem Apparat in die Höhe. Es war ein großer Aufbau. Das Bett und der Zeichner hatten gleichen Umfang und sahen wie zwei dunkle Truhen aus. Der Zeichner war etwa zwei Meter über dem Bett angebracht; beide waren in den Ecken durch vier Messingstangen verbunden, die in der Sonne fast Strahlen warfen. Zwischen den Truhen schwebte an einem Stahlband die Egge- Franz Kafka, In der Strafkolonie. Frankfurt am Main 1973 (zuerst 1919)

Bett (3)

Es wird wahrhaftig berichtet und von so vielen bezeugt,
daß nun auch unter den Gelehrten und Weisen
kein Zweifel mehr besteht, die Schlangen haben Augen
von solch magnetischer Kraft, daß,
wer unter ihren Einfluß gerät, vorwärts gezogen wird
gegen seinen eigenen Willen und elend sterben muß
am Biß dieser Kreatur

Bekleidet mit Hausrock und Pantoffeln, bequem auf dem Sofa ausgestreckt, lächelte Harker Brayton, als er obigen Satz in den ›Wundern der Wissenschaft‹ des alten Morryster las. ›Das einzige Wunder an der ganzen Sache ist‹, sagte er zu sich selbst, ›daß die Weisen und Gelehrten zur Zeit Morrysters solchen Unsinn wirklich geglaubt haben sollen, wo das in unseren Tagen doch selbst von den meisten der Ungebildeten abgelehnt wird.‹

Eine ganze Reihe von Überlegungen schlossen sich daran an, denn Brayton war jemand, der viel nachdachte; unterdessen ließ er unbewußt sein Buch sinken, ohne dabei seine Blickrichtung zu ändern. Sobald ihm das Buch die Sicht freigab, fesselte irgend etwas in einer dunklen Ecke des Zimmers seine Aufmerksamkeit an den Raum. Was er im Schatten unter dem Bett gewahr wurde, waren zwei kleine, glänzende Punkte, offenbar zwei Zentimeter auseinander. Es konnte gut sein, daß sich dort die Gasbeleuchtung über ihm auf den Köpfen metallener Nägel spiegelte; er dachte nicht weiter darüber nach und widmete sich wieder seiner Lektüre. Einen Augenblick später zwang ihn etwas - ein Impuls, den er sich nicht erklären konnte - erneut, sein Buch sinken zu lassen und abermals dort hinzusehen, wo er eben schon hingesehen hatte. Immer noch waren die glänzenden Punkte da. Sie schienen stärker als vorher zu leuchten, und zwar in einem grünlichen Glanz, der ihm zuvor nicht aufgefallen war. Er glaubte auch, sie hätten sich ein wenig bewegt und wären ein kleines Stück näher gekommen. Wie dem auch sei, sie befanden sich immer noch zu weit im Schatten, als daß sie einem etwas gleichgültigen Beobachter Aufschluß über ihre Beschaffenheit und Herkunft hätten geben können, und so begann er wieder zu lesen. Plötzlich kam ihm beim Lesen ein Gedanke, der ihn sich aufrichten und das Buch zum drittenmal auf das Sofa beiseite legen ließ, von wo es, während es seiner Hand entglitt, aufblätternd zu Boden fiel und mit dem Rücken nach oben liegenblieb. Halb aufgerichtet, starrte Brayton aufmerksam in die Dunkelheit unter seinem Bett, aus der die glänzenden Punkte, wie ihm schien, mit noch stärkerer Glut hervorleuchteten. Er beobachtete nun mit angespannter Aufmerksamkeit, sein Blick war scharf und durchdringend. Fast genau unter dem Fußende des Bettes entdeckte er die Windungen einer großen Schlange - die glänzenden Punkte waren ihre Augen! Ihr gräßlicher Kopf, der sich von der innersten Windung vorstreckte und auf der äußersten Windung ruhte, war auf ihn gerichtet, der Umriß des breiten, brutalen Kiefers und die idiotenähnliche Stirn ließen die Richtung des bösartigen Blickes erkennen. Nun allerdings waren die Augen nicht länger nur leuchtende Punkte; sie blickten ihn bedeutungsvoll, mit boshaftem Ausdruck an. - Ambrose Bierce, Der Mann und die Schlange. In: A. B., Die Spottdrossel. Zürich 1963 (zuerst ca. 1890)

Bett (4) Das Gestell des Betts war aus Vipernhorn gernacht. Damit er Ruhe habe vor dem Gift, hatte man viel fein gemahlenes Gewürz über die Polster gestreut. Durchgesteppt, nicht bloß genäht war da, wo er lehnte, der Seidenbrokat aus Nouriente, und aus Palmât war seine Matratze. Noch mehr Herrlichkeit verliehen diesem Spannbett all die edlen Steine — andere als edle fand man daran nicht. Bespannt war das Bett mit Gurten aus Salamander, aus diesem Material waren die Bänder unter seinem Polster. Sehr wenig Freude wurde ihm beschert — prächtig war sein Bett, wohin man schaute. Niemand soll da widersprechen und sagen, er habe irgendwo ein besseres gesehen. Es war auserlesen und kostbar, das machten die besonderen Kräfte, die edlen Steinen eigen sind. Hört zu, wenn ich euch nun genau alle ihre Namen sage: Karfunkel und Silenîtes, Balax und Gagâtromes, Onyx und Chalzedon, Coralîs und Bestîôn, Unjô und Optallîes, Cerâuns und Epistitês, Jerachites und Eljotrôpiâ, Panthers und Antrodrâgmâ, Prasem und Saddâ, Emathîtes und Djonisiâ, Achat und Celidôn, Sardonîs und Calcofôn, Karneol und Jaspis, Echites und Irîs, Gagâtes und Ligurius, Abestô und Cegôlitus, Galactidâ und Jacinctus, Orîtes und Enîdrus, Absist und Alabandâ, Crisolecter und Hiennîâ, Smaragd und Magnet, Saphir und Pirrîtes. Hier oder dort standen auch Türkise und Lipparêâ, Chrysolithe, Rubine, Paleise und Sardîne, Adamas und Crissoprassîs, Melochîes und Dîadochîs, Peanîtes und Medusablongata, Beryll und Topas. Die alle konnten einem Herzen Lebenskraft und edlen Mut einflößen. Zum Glücklichmachen und als Arznei taugten alle die Steine, jeder nach seiner Eigenart. Große Kräfte konnte einer von ihnen gewinnen, wenn er es richtig anfing und sich auf die Kunst verstand. Damit mußten sie Anfortas durchbringen, in dem das Herz all dieser Leute schlug.    - Wolfram von Eschenbach, Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere Bibliothek 100)

Bett (5) Gibt es wohl einen Schauplatz, welcher der Einbildungskraft mehr Stoff bietet, welcher zärtlichere Vorstellungen wachruft als das Möbelstück, in dem ich mich zuweilen selber vergesse? - Erschrick nicht, sittsamer Leser! Aber könnte ich nicht an das Glück eines Liebenden denken, der zum erstenmal eine tugendsame Gattin in seine Arme schließt, ein unaussprechliches Glück, das mein böses Geschick mich verdammt niemals zu genießen? Vergißt nicht im Bett eine Mutter, freudetrunken über die Geburt eines Sohnes, ihre Schmerzen? In ihm ergötzen uns die phantasievollen Vergnügungen, welche die Früchte der Einbildungskraft und der Hoffnung sind. Und endlich vergessen wir in diesem köstlichen Möbelstück während der einen Hälfte des Lebens den Kummer der andern. Doch welche Fülle angenehmer und trüber Gedanken drängt sich mit einemmal in meinem Hirn! Wunderbare Verbindungen schrecklicher und entzückender Erlebnisse!

Ein Bett sieht uns geboren werden und sieht uns sterben; es ist die wechselvolle Schaubühne, auf der das Menschengeschlecht bald anziehende Schauspiele, bald lächerliche Possen, bald erschütternde Trauerspiele aufführt. Es ist eine blumenumkränzte Wiege - es ist der Thron der Liebe; es ist ein Grab. - Xavier de Maistre, Reise um mein Zimmer. In: Ders.,  Zwei Reisen um mein Zimmer. München 1968 (Winkler, Die Fundgrube 39, zuerst 1795)

Bett (6)    Das Kopfkissen lag vis-à-vis der Tür, 3 Fuss von der Mauer entfernt. Das Bette selbst war auf einer Estrade angebracht, die sich 6 Zoll über den Fliesen des Bodens erhob. Alles Holzvverk daran war mit Matratzen tapeziert, namentlich die 3 Fuss hohe Kopflehne, welche zu seiner Bequemlichkeit mittels einer gekerbten Eisenstange derart eingerichtet war, dass er den Kopf höher oder niedriger legen konnte.

In diesem Bette lag nun Damiens befestigt in einem netzförmigen Geschlinge von starken Riemen aus ungarischem Leder, deren jeder 2 1/2  Zoll breit war. Zwei dieser Riemen, mit eisernen Ringen an dem Boden befestigt, hielten die Schultern fest, zwei andere die Arme, korrespondierend mit einem, der seinen' Bauch umschlang, und auslaufend in zwei Handschlingen, dergestalt ihm freie Bewegung lassend, dass er mit der Hand den Mund erreichen konnte. Auch diese mit Eisenringen am Boden befestigt. Desgleichen schnallten ihm zwei solche Riemen die Schenkel fest, dergestalt, dass von jeder Seite des Bettes drei Riemen den Körper an den Fussboden ketteten. Vom Gurt, der seinen Leib umschloss, ging aber noch ein perpendikulärer zu seinen Füssen herab und war hier wieder durch einen Eisenring am Boden befestigt. Gleichermaassen ging von den Riemen, die seine Schultern fesselten, ein Gurt über die Kopflehna und war draussen an dem Boden mit einem Ringe befestigt. Sorgsamerweise hatte man aber alle diese Ringe und Riemen, wo an Armen und Händen eine Reibung und damit Entzündung hätte entstehen können, mit Rehleder ausgestopft, damit das Opfer kühl und gesund für die Qualen aufbewahrt werde, die man ihm im gesetzlichen Wege und mit aller Kunst präparierte.  - (hel)

Bett (7)  Zufällig kamen wir heute in die kleine Wohnung von Scholl. Wir stoßen eine Tür auf und stehen direkt am Fußende eines Bettes, in dem eine Frau liegt; die Achselstücke des offnen Hemdes schlottern ihr auf den Schultern. »Sind Sie krank?« — »Nein, es ist so kalt . . . Ich bleibe manchmal drei Tage im Bett . . . Einmal sind wir, mein Geliebter und ich, acht Tage lang im Bett geblieben . . . Wir hatten das Bett in die Mitte des Zimmers geschoben, und wir aßen auch im Bett.«

Und sie rutscht hin und her, plustert sich auf mit Gepipse, mit leisen tierischen Lauten, streckt ihren Hintern in die Luft und schiebt ihre Brust in dem Körbchen des Hemdes vor, die Haare der Achselhöhle entblößt, denn die Brotkrümel von ihrem Frühstück kitzeln sie, und sie hüpft wie ein Insekt. Von Zeit zu Zeit bricht sie völlig grundlos in Lachen aus und tätschelt sich die Arschbacken. - (gon)

Bett (7)  Damiens' Kerker war rund und hatte nicht mehr als zwölf Fuß im Durchmesser.

Die Luft zirkulierte so schwer in dieser schrecklichen Höhle, daß man auf den Rat der Ärzte die Lichte, die man hier Tag und Nacht brannte und deren Dampf die Gesundheit des Gefangenen zu gefährden drohte, durch Wachskerzen ersetzen mußte.

Damiens war in eine Art von Zwangsjacke geschlossen, die ihm keine einzige freie Bewegung ließ.

Er lag auf einem mit einer Matratze belegten Gestelle; das Kopfende war gegen die Tür gewandt und das Kopfbrett hob und senkte sich mittels einer eisernen Kurbel, wenn der Unglückliche, ganz gebrochen durch diese schreckliche Tortur, die siebenundfünfzig Tage dauerte, seine Wächter bat, ihm eine andere Lage zu geben.

Die Zurüstung, die ihn auf seinem Lager festhielt, lohnt wohl der Mühe, daß man sie beschreibe. Sie bestand in einer Art Netz von starken Riemen aus ungarischem Leder, die durch in den Planken befestigte Ringe liefen; auf jeder Seite des Bettes befanden sich fünf dieser Ringe und einer zu Füßen des Gefangenen. Die Riemen, die durch die Ringe zur Seite des Kopfes liefen, hielten die Schultern, die zweiten fesselten die Hände wie Handschellen und erlaubten dem Gefangenen nur, die Hand zum Munde zu führen; Schenkel und Beine waren auf dieselbe Weise befestigt, und endlich verband ein Riemen, der von dem Ringe am Fußende des Bettes auslief, alle übrigen miteinander, lötete sie gewissermaßen zusammen. - Henry Sanson, Tagebücher der Henker von Paris. 1685 - 1847

Bett (8)  Obgleich Grauen und Übelkeit in mir aufstiegen und ein Geruch von Moder mir den Atem benahm, blieb ich vollkommen ruhig. Ich war dazu ausersehen oder dazu verdammt - ich wage es nicht zu entscheiden - anzusehen, was dort, schwarz wie Tinte und sich vor meinen Augen ständig verwandelnd, auf dem Bette lag. Die Haut, das Fleisch, die Muskeln und Knochen, die feste Struktur des menschlichen Körpers, die ich für unwandelbar gehalten hatte, für beständig wie einen Diamanten, begann sich zu zersetzen und aufzulösen. Ich wußte, daß der menschliche Körper durch äußere Eingriffe in seine Bestandteile zerlegt werden kann, doch ich hätte mich geweigert, zu glauben, was ich dort vor mir sah. Hier war eine höllische Kraft am Werke, eine Kraft, die ich nicht kannte und die die Auflösung und Verwandlung bewirkte. Das Werk, durch das der Mensch geschaffen wurde, lief hier vor meinen Augen noch einmal ab. Ich sah, wie diese Gestalt verschiedene Geschlechter annahm, wie sie sich spaltete und wieder vereinigte. Ich sah, wie der Körper sich in die tierischen Formen zurückentwickelte, aus denen er einst aufgestiegen war, sah wie das Hohe zum Niederen hinabstieg, ja bis zu den Anfängen allen Lebens. Das Prinzip des organischen Lebens blieb erhalten, aber die äußeren Formen verwandelten sich ständig.   - Arthur Machen, Der große Gott Pan, in: A.M., Die leuchtende Pyramide. Frankfurt am Main 1982

Bett (9)  Seit der Abreise seiner Frau war die Wohnung nicht aufgeräumt, das Bett nicht gemacht worden. Herr Karol kam immer erst spätnachts in die Wohnung, verlottert und verwüstet von den nächtlichen Ausschweifungen, durch die ihn die heißen und öden Tage getrieben hatten. Das zerdrückte, kühle, wilde Durcheinander des Bettzeugs war für ihn dann wohlige Zuflucht, eine Rettungsinsel, auf die er sich mit dem letzten Rest seiner Kräfte fallen ließ, wie ein Schiffbrüchiger, der viele Tage und Nächte von einem aufgewühlten Meer gebeutelt wurde.

Im Dunklen tastend versank er irgendwo zwischen den weißlichen Bergen, zwischen den Wülsten und Haufen des kühlen Federbetts, und schlief so irgendwie, verkehrt herum, mit dem Kopf am Fußende, den Scheitel in die weiche Bettsubstanz gerammt, als wolle er im Schlaf die nachts anwachsenden, gewaltigen Federmassive durchbohren und quer durchwandern. Wie ein Schwimmer mit dem Wasser kämpfte er im Schlaf mit den Federbetten, er drückte und knetete sie mit dem Körper wie Teig in einem riesigen Backtrog, in den er hineingefallen war, erwachte dann im Morgengrauen, keuchend, schweißüberströmt, ans Ufer des Deckenhaufens geworfen, den er in heftigen nächtlichen Ringkämpfen nicht hatte bezwingen können. So hing er, halb aus den Tiefen des Schlafes geschleudert, noch einen Augenblick benommen und mit nach Luft ringendem Brustkorb über der Kante der Nacht, und das Bettzeug um ihn stieg an, quoll auf, gärte - und überwuchs ihn aufs neue mit einem Wulst aus schwerem, weißlichem Teig. - (bs2)

Bett (10)  Gérard Leverrier war Verwaltungsdirektor in der Nationalversammlung, in der gleichen Abteilung wie Veronique (die dort als Sekretärin arbeitete). Gérard Leverrier war sechsundzwanzig Jahre alt und verdiente dreißigtausend Francs im Monat. Dennoch war Gérard Leverrier schüchtern und depressiv. An einem Freitagabend im Dezember ging Gerard Leverrier nach Hause (er musste am Montag nicht zurück sein; er hatte, was nicht unbedingt seinem Wunsch entsprach, zwei Wochen Urlaub (wegen der Feiertage) und schoss sich eine Kugel in den Kopf.

Die Nachricht von seinem Tod kam für niemanden in der Nationalversammlung wirklich überraschend. Er war dort vor allem wegen der Schwierigkeiten bekannt, die er hatte, sich ein Bett zu kaufen. Schon vor Monaten hatte er den Kauf beschlossen; doch die Verwirklichung dieser Absieht erwies sich als unmöglich. Die Anekdote wurde gewöhnlich mit einem leisen ironischen Lächeln erzählt. Obwohl es da nichts zu lachen gibt; der Kauf eines Betts stellt einen heutzutage tatsächlich vor große Schwierigkeiten, die in manchen Fällen bis zum Selbstmord führen können. Zunächst muss man sich um die Auslieferung kümmern, das heißt in der Regel, einen halben Tag Urlaub nehmen, mit all den Problemen, die das mit sich bringt. Manchmal kommen die Auslieferer nicht, oder es gelingt ihnen nicht, das Bett durch das Treppenhaus zu befördern, und man kann noch einmal um einen halben Tag Urlaub bitten. Diese Schwierigkeiten wiederholen sich bei sämtlichen Möbelstücken und Haushaltsgeräten und die Anhäufung von Ärger, die dadurch entsteht, kann bereits genügen, um ein sensibles Wesen ernsthaft zu erschüttern. Aber im Vergleich zu anderen Möbelstücken wirft das Bett ein spezielles, besonders schmerzhaftes Problem auf. Will man sich die Achtung des Verkäufers bewahren, ist man gezwungen, ein Doppelbett zu kaufen, ganz gleich, ob man dafür Verwendung hat oder nicht, ob man dafür Platz hat oder nicht. Ein Einzelbett kaufen heißt Öffentlich zugeben, dass man kein Sexualleben hat und dass man weder in naher noch in ferner Zukunft die Absicht hat, ein solches zu erlangen (denn Betten haben heutzutage eine Lebensdauer, die die Zeit der Garantie bei weitem überschreitet; sie beträgt fünf oder zehn, wenn nicht gar zwanzig Jahre; es handelt sich also um eine ernsthafte Investition, deren Folgen man während der verbleibenden Lebenszeit zu spüren bekommt; ein Bett hält im Durchschnitt wesentlich länger als eine Ehe, das ist bekannt). Sogar der Kauf eines Betts von 140 Zentimetern Breite lässt einen als knauseriger Kleinbürger erscheinen; in den Augen der Verkäufer ist das 160-Zentimeter-Bett das einzige, das wirklich gekauft zu werden verdient; da hat man einen Anspruch auf ihre Wertschätzung, auf ihre Achtung, vielleicht sogar auf ein kleines Kompiizenlächeln; jedoch, wie gesagt, nur beim Kauf eines 160-Zentimeter-Betts.  - Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone (1999, zuerst 1994)

Bett (11)  Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten. - Immanuel Kant
 
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Unterbegriffe
Bettregel  Bettwanze
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Synonyme