eiterkeit
Es ist schwer, den ganzen Tag liebenswürdig zu sein. Aber war man lange mit
sich allein, so bringt man viel Heiterkeit in die Welt. Die nicht einsam
sein können, sind immer gelangweilt und folglich langweilig.
- (
lig
)
Heiterkeit (2) Unvergleichlich ist diese
Lebenswelt und durchsetzt von einer unendlichen Heiterkeit, einer leidenschaftlichen,
kindlichen, unauslöschlichen Heiterkeit, die alles durcheinanderschlingt, alles
zueinanderbringt, den Kalifen zum armen Fischer, den Dämon zum Hökerweib, die
Schönste der Schönen zum buckligen Bettler, Leib zu Leib und Seele zu Seele.
Wo hatten wir unsere Augen, da wir dies Buch ein Labyrinth und voll Unheimlichkeit
fanden! Es ist unsäglich fröhlich. Noch das böse Tun, das böse Geschehen umgaukelt
es mit unendlicher Heiterkeit. Der Liebende will seine Geliebte befreien; er
ist um Mitternacht unter den Fenstern;
sie, im Dunkeln, harrt seines Zeichens, da überfällt ihn ein bleierner Schlaf.
Ein riesenhafter Kurde, der grausamste, schändlichste Räuber von vierzig, gerät
in die Straße, sieht den Schlafenden, erlauscht die Harrende; er klatscht aufs
Geratewohl in die Hände, die schöne Zumurrud läßt sich aufseine Schultern hinab,
und er galoppiert dahin, die schöne leichte Last tragend, als wäre es nichts.
Sie wundert sich seiner Kraft. Ist dies 'Ali Schâr? fragt sie sich. »Die Alte
sagte mir doch, du seiest schwach von Krankheit um meinetwillen; aber sieh da,
jetzt bist du stärker als ein Roß.' Und er galoppiert dahin, und sie wird ängstlicher;
imd da er ihr nicht antwortet, fährt sie ihm mit der Hand ins Gesicht: »und
sie fühlte seinen Bart, dem Palmbesen gleich, den man im Badhaus benutzt; als
wäre er ein Schwein, das Federn verschluckt hat, deren
Enden ihm wieder zum Halse herausgekommen sind.' Es ist frevelhaft, das einzelne
so herauszureißen - aber diese Situation, diese Erwägung, dies Nachdenken der
Schönen, während sie durch die Nacht hinsaust auf den Schultern des wüsten Räubers,
dieser Augenblick der Entdeckung und dies unglaubliche Gleichnis, das uns mit
eins in den hellen Tag, ins Gehöfte hinausweist und das man nicht vergißt -
ich weiß nicht, wo Ähnliches zu finden wäre, außer dann und wann an den heitersten,
naivsten, frechsten Stellen der Komödien des bezaubernden Lope de Vega. Wo hatten
wir unsere Sinne, als wir dies Buch unheimlich fanden! Es ist ein Irrgarten,
aber ein Irrgarten der Lust. Es ist ein Buch, das ein
Gefängnis zum kurzweiligen Aufenthalt machen könnte. Es ist, was Stendhal
davon sagte: Es ist das Buch, das man immer wieder völlig sollte vergessen können,
um es mit erneuter Lust immer wieder zu lesen. - Hugo von Hofmannsthal,
Vorwort zu (
1001
)
Heiterkeit (3) »Will man die Heiterkeit der Seele bewahren, so darf man sich nicht mit vielen Arbeiten für sich oder die Allgemeinheit plagen.» Wer diesen Satz aufgestellt hat, setzt den Preis für die Heiterkeit der Seele gar hoch an, wenn sie nur um eine völlige Untätigkeit feil ist. Als wenn alle krank wären, ruft er jedem zu:
Bleib ruhig nur in deinem Bett, du Unglücklicher!
Ein solcher Verzicht auf Arbeit wäre allerdings ein schlechtes Heilmittel, um dem Körper Empfindungslosigkeit zu schaffen; aber um nichts besser wäre der Arzt der Seele, der sie von Unruhe und Trübsinn heilen wollte durch Leichtsinn, Weichlichkeit und ehrlose Vernachlässigung der Freunde, Verwandten und des Vaterlandes. Außerdem trifft das Wort von der inneren Heiterkeit der Menschen, die sich nicht mit vielen Mühen plagen, gar nicht zu. Dann müßten ja die Frauen, die ein stilles, eingezogenes Leben führen, heiterer sein als die Männer. Gewiß hat Hesiod recht, wenn er vom Nordwind sagt:
Niemals durchbläst er die Haut der blühenden Jungfrau.
Aber Eifersucht, Aberglauben,
Ehrgeiz und leere Hirngespinste bringen überreichlich
Kummer, Unruhe und üble Laune in die Frauengemächer.
- (
plu
)
Heiterkeit (4) Wenn die Houyhnhnms zufälligen
Unglücksfällen entgehen, so sterben sie nur im höchsten Alter und werden alsdann
an den dunkelsten Orten, die man finden kann, begraben, wobei Freunde und Verwandte
weder Kummer noch Freude zeigen. Auch offenbart der Sterbende nicht den geringsten
Schmerz, daß er die Welt verlassen muß, sondern äußert dieselbe Stimmung, als
kehre er von einem Besuche bei Nachbarn nach Hause zurück. Ich erinnere mich,
einst hatte mein Herr mit einem Freunde und dessen Familie die Verabredung getroffen,
in seinem Hause eine wichtige Angelegenheit zu besprechen. An dem festgesetzten
Tage kam die Gemahlin desselben mit ihren zwei Kindern, jedoch sehr spät. Sie
brachte zwei Entschuldigungen vor. Die erste betraf ihren Mann, der, wie sie
sagte, den Morgen gerade Ihnuvnh wäre; dies Wort ist sehr ausdrucksvoll in der
Sprache und läßt sich nicht leicht ins Englische übersetzen. Es bedeutet: sich
zu seiner ersten Mutter zurückziehen. Die zweite Entschuldigung, daß sie nicht
früher kam, betraf sie selbst. Als ihr Mann spät am Morgen gestorben sei, habe
sie sich mit ihren Bedienten beraten, an welchen passenden Platz der Leichnam
wohl hingelegt werden könne. Ich bemerkte, sie benahm sich in unserem Hause
so heiter wie die übrigen; sie starb ungefähr drei Monate nachher. -
(
gul
)
Heiterkeit (5) Die Besten, wenn du
es dir genau überlegst, sind immer heiter. Es ist viel besser, heiter zu sein,
und hat auch seine Bedeutung, so als ob man noch bei Lebzeiten unsterblich
wäre. Eine komplizierte Sache. Aber es sind nicht mehr viele von ihnen übrig.
Nein, es sind nicht mehr viele von den Heiteren übrig. Verdammt wenige sind
übriggeblieben. Und wenn du so weitergrübelst, mein Junge, wirst auch du nicht
übrigbleiben. - Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Frankfurt
am Main 1978 (zuerst 1940)
Heiterkeit (6) Ich kann nicht sterben,
ohne mich, zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit
auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt
zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten
enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir getan, ich
sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern
in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir
auf Erden nicht zu helfen war. - Heinrich an Ulrike von Kleist,
21. November 1811
Heiterkeit (7) Ich war körperlich vollkommen gesund, und meine Seele genoß der größten Heiterkeit. Ich härmte mich nicht über die Verräterei oder Unbeständigkeit eines Freundes, noch über die Beleidigungen eines offenen oder geheimen Feindes. Ich hatte keine Gelegenheit zum Bestechen, Heucheln oder Kuppeln, um mir die Gunst eines mächtigen Mannes oder seines Lieblings zu verschaffen. Ich brauchte keinen Schutz gegen Betrug oder Unterdrückung. Es gab dort weder Ärzte, meinen Leib, noch Juristen, mein Vermögen zu ruinieren; keine Spione, meine Worte und Handlungen zu belauschen oder für Geld Anklagen gegen mich zu schmieden;
hier gab es keine Spötter, Klatscher,
Verleumder, Taschendiebe, Räuber, Advokaten,
Kuppler, Narren, Spieler, Politiker, Witzlinge, launenhafte Menschen, langweilige
Schwätzer, Zänker, Notzüchter, Mörder und Kunstvirtuosen; keine Parteihäupter
und Parteigänger; kein Anreiz zum Laster durch Verführung
oder Beispiel; keine Gefängnisse, Beile, Galgen, Prügelpfosten oder Schandpfähle;
keine betrügerischen Wirte oder Handwerker; keinen Stolz, keine Eitelkeit oder
Affektation; keine Stutzer, Raufbolde, Trunkenbolde und streunenden Huren und
Lustseuchen; keine zänkischen, ungetreuen oder kostspieligen Frauen; keine dummen
und stolzen Pedanten; keine zudringlichen, herrschsüchtigen,
zänkischen, unruhigen, schreienden, dummen, launenhaften, fluchenden Gesellschafter;
keine Schufte, die sich durch das Verdienst des Lasters aus dem Staube erheben;
keinen Adel, der infolge seiner Tugend heruntergezogen wird; keine Lords, Fiedler,
Richter und Tanzmeister.
- (
gul
)
Heiterkeit (8) Die innere Heiterkeit
des Menschen, die wahre Heiterkeit - die etwas ganz anderes ist als die Lustigkeit
- entsteht nur, wenn der Mensch sich für die Gegenwart und Zukunft in Ruhe und
Sicherheit weiß. - (
gal
)
Heiterkeit (9)
Und dann kommt der heitere Teil vom Sterben. Versöhnt |
-
Durs
Grünbein
, aus dem Zyklus: Asche zum Frühstück
Heiterkeit (10) Die Désinvolture
als die unwiderstehliche Anmut
der Macht ist eine besondere Forrn der Heiterheit. Freilich
bedarf auch dieses Wort, wie so viele unserer Sprache, der Wiederherstellung.
Die Heiterkeit gehört zu den gewaltigen Waffen, über
die der Mensch verfügt — er trägt sie als eine göttliche Rüstung, in der er
selbst die Schrecken der Vernichtung zu bestehen vermag. -
(ej2)
Heiterkeit (11) Ich sagte, der Schmerz über einen Verlust wie den des Vaters sei unerträglich. Wenn ich Kinder hätte, würde ich sie weniger zur Elternliebe erziehen, um ihnen später, nach meinem Tod, allzu großes Leid zu ersparen. Als sie mich fragten, wie ich es anfangen wolle, diesen Zweck zu erreichen, ob ich meine Kinder vielleicht mißhandeln und schlagen würde - da wurde ich verlegen. Alberta meinte lachend: «Das einfachste wäre, sie umzubringen.»
Ich sah, daß Ada wünschte, mir nicht zu mißfallen. Daher schwieg sie. Mehr vermochte sie nicht für mich zu tun, so sehr sie sich auch bemühte. Endlich sagte sie, sie sehe wohl ein, daß ich nur aus Güte die Erziehung meiner Kinder derart einrichten wolle; aber sie finde es überhaupt falsch zu leben, indem man sich auf den Tod vorbereitet. Ich widersprach und versicherte, daß der Tod erst der richtige Gestalter des Lebens sei. Ich dächte immer an den Tod und hätte daher nur einen Schmerz: die Gewißheit, sterben zu müssen. Alles andere würde auf diese Weise so unbedeutend, daß ich dafür nur ein heiteres Lächeln oder gar ein Lachen übrig hätte. So ließ ich mich hinreißen, Dinge zu sagen, die nicht sehr aufrichtig waren, besonders in dieser Gesellschaft, die für mein ganzes Leben so wichtig bleiben sollte. Wahrscheinlich habe ich nur deshalb so gesprochen, um mich als heiteren Menschen zu zeigen. Meine Heiterkeit hat mir bei Frauen schon viel geholfen.
Zaghaft gestand sie mir, daß sie eine derartige Seelenverfassung nicht liebe. Wenn man den Wert des Lebens herabmindert, zerstört man es mehr, als die Natur es will. Eigentlich sagte sie mir damit, daß ich für sie nicht taugte. Aber es war mir geglückt, sie vorsichtig und nachdenklich zu stimmen, was ich für einen Erfolg hielt.
Alberta zitierte irgendeinen antiken Philosophen, dessen Lebensanschauung
der meinen ähnlich sein mußte. Augusta meinte, das Lachen
sei wohl eine schöne Fähigkeit, die auch ihr Vater in besonderem Maße besäße.
- (cos)
Heiterkeit (11) ›Die wahre Heiterkeit,
Adalberto, die glühende reine Heikeit, die wir nur ahnen können, ist für den
Menschen unmöglich, ebenso wie Frieden und Glückseligkeit schnöde Ideale der
Feiglinge und der Oberflächlichen sind. Das gilt auf der individuellen Ebene.
Wenn Sie an alle Menschen denken, so erweitert sich dieses schnöde Ideal von
Glück und Frieden in Ausmaß und Torheit zum Ideal der Gerechtigkeit. In seinem
Kampf mit der Welt kann der Mensch äußerstenfalls versuchen, eine gebrechliche
Ordnung in sein Leben zu bringen und einen gewissen Stil in seine Melancholie,
denn von Natur aus ist sein Schicksal fragmentarisch, rätselhaft und tragisch.
Dabei besitzt der Mensch zwei Verteidigungsmöglichkeiten - das Weinen
und das Lachen. Wahres Weinen und wahres Lachen, die
in der Tiefe gründen, deren Rhythmus mit Blut und Untergründigem gespeist wird.
Dinis Quaderna ist nicht heiter, Adalberto. Wer das erlebt hat, was er erlebt
hat, wer gesehen hat, was er sah, kann nicht heiter sein. Die Untergründe seines
Blutes sind wie die meinigen von blutigen Toten bevölkert, die im Strom der
Unordnung treiben. Nur, während ich meine Konflikte durch Weinen und durch Gewalttätigkeit
löse, löst er die seinigen durch Gelächter: aber
ich weiß nicht, was gebrochener ist, meine Gewalttätigkeit oder sein Gelächter.‹
-
(stein)
Heiterkeit (12) Mein Großvater
nahm in jenen glücklichen Zeiten die Religion von der heitern Seite, und die
Herren Geistlichen waren gleicher Ansicht. Er wurde erst nach dem Tode meiner
Mutter (im Jahre 1790) trübsinnig und frömmelte ein bißchen, und zudem, glaube
ich, m der schwachen Hoffnung, sie im Jenseits wiederzusehen, wie Herr de Broglie,
der von seiner liebenswerten Tochter, die mit dreizehn Jahren gestorben war,
zu sagen pflegte: »Mir ist, meine Tochter sei in Amerika.« - (brul)
Heiterkeit (13) Es gibt ein Mißverständnis
der Heiterkeit, welches nicht zu heben ist: aber wer es teilt, darf zuletzt
gerade damit zufrieden sein. — Wir, die wir zum Glücke flüchten —: wir,
die wir jede Art Süden und unbändige Sonnenfülle brauchen und uns dorthin an
die Straße setzen, wo das Leben sich wie ein trunkener Fratzenfestzug — als
etwas, das von Sinnen bringt — vorüberwälzt; wir, die wir gerade das vom Glücke
verlangen, daß es „von Sinnen" bringt: scheint es nicht, daß wir
ein Wissen haben, welches wir fürchten? Es ist etwas an uns, das leicht
zerbricht: wir fürchten die zerbrechenden kindischen Hände? wir gehen dem Zufall
aus dem Wege und retten uns ins Leben? in seinen Schein, in seine Falschheit,
seine Oberfläche und bunte Betrügerei; es scheint wir sind heiter, weil wir
ungeheuer traurig sind? Wir sind ernst, wir kennen den Abgrund — und deshalb
wehren wir uns gegen alles Ernste? Wir lächeln bei uns über die Melancholiker
des Geschmacks, bei denen wir auf Mangel an Tiefe raten; — ach, wir beneiden
sie noch, indem wir sie verspotten, — denn wir sind nicht glücklich genug, um
uns ihre zarte Traurigkeit gestatten zu können. Wir müssen noch den Schatten
der Traurigkeit fliehen: unsere Hölle und Finsternis ist uns immer zu nahe.
Wir haben ein Wissen, welches wir fürchten, mit dem wir nicht allein sein wollen;
wir haben einen Glauben, vor dessen Druck wir zittern, bei dessen Flüstern wir
bleich werden, — die Ungläubigen scheinen uns selig. Wir kehren uns ab von den
traurigen Schauspielen, wir verstopfen das Ohr gegen das Leidende; das Mitleid
würde uns sofort zerbrechen, wenn wir nicht uns zu verhärten wüßten. Bleib'
uns tapfer zur Seite, spöttischer Leichtsinn! kühle uns, Wind, der über Gletscher
gelaufen ist! Wir wollen nichts mehr ans Herz nehmen, wir wollen zur Maske
beten, als unserer letzten Gottheit und Erlöserin. - Friedrich Nietzsche,
"Die Unschuld des Werdens", nach: Pitigrilli, Ein Mensch jagt nach
Liebe. Reinbek bei Hamburg 1987
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