lick  Mehr noch als ihre Schönheit hielt mich der Charme dieser Frau gefangen. Er vibrierte in meinem Körper. Wie eine elektrische Spannung. Das passiert manchmal auf der Straße. Man begegnet dem Blick einer Frau und dreht sich um, weil man hofft, diesen Blick noch einmal zu erhaschen. Ohne sich auch nur zu fragen, ob die Frau hübsch, wie sie gebaut, wie alt sie ist. Nur wegen der Sprache ihrer Augen in diesem Moment: Traum, Erwartung, Verlangen. Ein ganzes Leben voller Möglichkeiten. - Jean-Claude Izzo, Chourmo. Zürich 2000. (UT metro 187, zuerst 1996)

Blick (2) Kaiserpanorama. Einzige Vergnügung in Friedland. Habe keine rechte Bequemlichkeit darin, weil ich mich einer solchen schönen Einrichtung wie ich sie dort antraf nicht versehen hatte, mit schneebehängten Stiefeln eingetreten war und nun vor den Gläsern sitzend nur mit den Fußspitzen den Teppich berührte. Ich hatte die Einrichtung der Panoramas vergessen und fürchtete einen Augenblick lang von einem Sessel zum andern gehn zu müssen. Ein alter Mann bei einem beleuchteten Tischchen, der einen Band Illustrierte Welt liest, führt das ganze. Läßt nach einer Weile für mich ein Ariston spielen. Später kommen noch 2 alte Damen, setzen sich rechts von mir dann noch eine links. Brescia, Kremona, Verona. Menschen drin wie Wachspuppen an den Sohlen im Boden im Pflaster befestigt. Grabdenkmäler: eine Dame mit über eine niedrige Treppe schleifender Schleppe öffnet ein wenig eine Tür und schaut noch zurück dabei. Eine Familie, vorn liest ein Junge eine Hand an der Schläfe, ein Knabe rechts spannt einen unbesaiteten Bogen. Denkmal des Helden Tito Speri: verwahrlost und begeistert wehen ihm die Kleider um den Leib. Bluse, breiter Hut. Die Bilder lebendiger als im Kinematographen, weil sie dem Blick die Ruhe der Wirklichkeit lassen. Der Kinematograph gibt dem Angeschauten die Unruhe ihrer Bewegung, die Ruhe des Blickes scheint wichtiger. Glatter Boden der Kathedralen vor unserer Zunge. Warum gibtes keine Vereinigung von Kinema und Stereoskop in dieser Weise? Plakate mit Pilsen Wihrer aus Brescia bekannt. Die Entfernung zwischen bloßem Erzählenhören und Panorama sehn ist größer als die Entfernung zwischen Letzterem und dem Sehn der Wirklichkeit. Alteisenmarkt in Kremona. Wollte am Schluß dem alten Herrn sagen, wie gut es mirgefallen hatte, wagte es nicht. Bekam das nächste Programm. Offen von 10 Uhr bis 10 Uhr (R 15 f.) - Franz Kafka, aus: Hanns Zischler, Kafka geht ins Kino. Reinbek bei Hamburg 1996

Blick (3) Er sah in die Augen des Autolenkers, der ihn gerade um ein Haar überfahren hätte, und erkannte, daß der Blick des anderen im ünglücksfall genauso gewesen wäre wie jetzt: nicht feindselig, auch nicht gleichgültig, einfach nur bösartig-abwesend; und er, der Betroffene, nickte inseitig zu dieser Tatsache - (bleist)

Blick (3) Sitzt dir im Café jemand gegenüber, ohne dich während einer Stunde auch nur einmal anzublicken, so muß er ebenso deinen Verdacht erregen wie einer, der dich immer wieder mit unverhohlener Offenheit anlächelt. Ein Harmloser lenkt in dieser Zeit etwa sechsmal ruhig und kurz den Blick auf dich. (Auch das könnte allerdings gemacht sein; es wird aber auffallender Weise nicht gemacht.)  - (ser)

Blick (4) Ein Wissenschaftler in des Wortes gewöhnlicher Bedeutung bin ich nicht; das Gegenteil davon sogar, ich habe Herrschaft erlangt über verborgene und ungenützte Kräfte durch eingehende Beschäftigung mit Gebieten, die der Wissenschaft verächtlich sind, und so vollbringe ich anscheinendwunderbares, das ganz naturgemäß ist. Durch fleißiges Belauern der Seele ist es mir gelungen, sie hin und wieder zu überlisten — sie hat mir Geständnisse abgelegt, die ich ausgenutzt habe, und Leitwerte verraten, die nicht vergessen sind. Der Geist ist alles, die Materie ist Täuschung; das Weltall ist vielleicht nur Gottes Traum oder des Logos Ausstrahlung in die Unendlichkeit. Der Körper muß sich nach meinem Willen richten, ich fördere oder hemme das Leben, ich stelle die Sinne um, zertrümmere die Gesetze der Schwerkraft, ich vernichte den Schmerz, ohne Chloroform, Äther oder anderer schmerzstillender Mittel zu bedürfen. Mit der Waffe der Willenskraft, jener Geisteselektrizität belebe ich oder zerschmettere. Nichts mehr ist undurchdringlich für mein Auge, mein Blick durchdringt alles; ich sehe die Gedankenstrahlen deutlich, und wie man Farbgebilde auf weiße Wand projizieren kann, so kann ich die Gedankenstrahlen durch mein unsichtbares Prisma leiten und zwingen, sichtbar zu werden an weißer Wandung meines Hirns. Doch alles dies ist nichts, mit Wundern verglichen, die manche indische Yoghis auf höchster Stufe aszetischer Erleuchtung verrichten. Wir Europäer sind zu leichtsinnig, zerstreut, unwesentlich und zu verliebt in unser irden-tönern Kleid, um weit die Fenster aufreißen zu wollen, die in die Ewigkeit und in Unendlichkeit sehen.  - Théophile Gautier, Avatar. Frankfurt am Main 1985 (st 1161, zuerst 1856)

Blick (5)  Die Zofen hatten die Nachttoilette der Gräfin beendet und zogen sich zurück; Octave-Labinski stand noch immer und verschlang Praskovia mit glühenden Blicken. Die Gräfin fühlte diesen Blick wie heiße Berührung und hüllte sich scheu in die Falten ihres Burnus. Nur ihr Kopf sah noch hervor in reizvoller Unruhe aus blauweißem Stoffgeriesel.

War es auch unmöglich für menschlichen Scharfsinn, die geheimnisvolle Seelenverwechslung zu entdecken, die Doktor Balthasar Cherbonneau mit Hilfe der Formel aus Sannyasi Brahma Logum bewirkt hatte, so fand Praskovia doch nicht in den Augen Octave-Labinskis den ihr bekannten Ausdruck Olafs, den Blick einer ruhig reinen, unwandelbaren Liebe, die ewig ist gleich der Liebe der Engel; — irdische Leidenschaft durchflammte diesen Blick, die sie beunruhigte und ihr das Blut in die Wangen trieb. — Was geschehen war, konnte sie nicht erahnen, doch daß sich etwas ereignet hatte, schien ihr zweifellos. Unzählige seltsame Vermutungen schössen ihr durch den Kopf: war sie für Olaf nichts anderes mehr als irgendeine Frau, die man um ihrer Schönheit willen begehrt wie eine Kurtisane? War der hochgemute Einklang ihrer Seelen durch einen Mißton gestört, der ihr entgangen war? Liebte Olaf eine andere Frau? Hatte Pariser Sittenverderbnis dies reine Herz befleckt? Diese Fragen stiegen in fliegender Eile auf aus ihrem Innern, ohne daß ihnen befriedigende Antwort geworden wäre; sie hätte gern an ihre eigene Unvernunft geglaubt, doch im Innersten war sie von der Richtigkeit ihres Gefühls überzeugt. Geheime Angst bedrängt sie, als sei sie gefährdet von Unbekanntem, das seelische Hellsicht doch erfaßte, jene warnende Stimme, deren Rat man immer erhören sollte.

Sie erhob sich erregt und unruhig und ging auf die Türe ihres Schlafzimmers zu. Der falsche Graf geleitete sie, er schlang den Arm um ihre Hüfte; doch als sie an der Schwelle stand, wandte sie sich um, blieb einen kurzen Augenblick unbeweglich, blaß und kalt wie eine Steinfigur, streifte den jungen Mann mit erschrecktem Blick, betrat das Zimmer, schloß die Türe eilends und schob den Riegel vor.

»Das war der Blick Octaves!« rief sie und sank, ihrer Sinne kaum mächtig, in einen Sessel. Als sie die Fassung wiedererlangt hatte, sagte sie sich: »Wie kann es sein, daß dieser Blick, den ich nie vergessen konnte, mir heute abend auftaucht in den Augen Olafs? Wie kommt es, daß ich seine düster-verzweifelte Glut zwischen den Lidern meines Gatten glimmen sehe? Ist Octave tot? Hat seine Seele vielleicht aufleuchtend von mir Abschied nehmen wollen,bevor sie diese Erde auf immer verließ? Olaf, Olaf, wenn ich mich täuschte, mich törichte Ängste verwirrten, so wirst du mir verzeihen; doch wenn ich heute abend mich dir gegeben hätte, ich wäre im Glauben gewesen, einem Fremden anzugehören.«

Die Gräfin versicherte sich, daß der Riegel auch wirklich vorgeschoben sei, entzündete die von der Decke niederhängende Ampel und vergrub sich in den Kissen ihres Bettes, von unbestimmter Furcht gepeinigt wie ein schreckhaftes Kind; sie konnte erst gegen Morgen Schlaf finden; unzusammenhängende und seltsame Träume peinigten sie im Schlaf. Brennende Augen — die Augen Octaves — starrten sie aus Nebeltiefen an und sprühten Funken nach ihr, am Fußende ihres Bettes kauerte eine dunkle Gestalt mit runzeldurchfurchtem Antlitz, die Wortsilben fremder unbekannter Sprache murmelte; auch Graf Olaf erschien ihr in diesem törichten Traumdunkel, doch nicht in seiner gewöhnlichen Gestalt.  - Théophile Gautier, Avatar. Frankfurt am Main 1985 (st 1161, zuerst 1856)

Blick (6)  Jetzt gehörte er den Priestern; die Sklaven drängten die Menge zurück; es gab mehr Raum. Mâtho blickte um sich, und seine Augen trafen Salammbô.

Mit dem ersten Schritt, den er getan hatte, war sie aufgestanden; dann war sie unwillkürlich, je näher er kam, nach und nach bis zum Rand der Terrasse vorgetreten; und bald waren für sie alle äußeren Dinge verschwunden, sie hatte nur noch Mâtho gesehen. Stille entstand in ihrer Seele - einer jener Abgründe, wo unter der Gewalt eines einzigen Gedankens, einer Erinnerung, eines Blickes die ganze Welt versinkt. Dieser Mann, der auf sie zukam, zog sie an.

Abgesehen von den Augen glich er nicht mehr einem menschlichen Wesen; es war eine große rote Masse; seine zerrissenen Fesseln hingen an den Schenkeln herab; aber man unterschied sie nicht von den Sehnen der entfleischten Fäuste; sein Mund stand weit offen, aus seinen Augenhöhlen sprühten zwei Flammen, die bis zu seinen Haaren emporzuflackern schienen - und der Unglückliche ging noch immer!

Er kam gerade bis an den Fuß der Terrasse. Salammbô stand über das Geländer gebeugt; diese schrecklichen Augen betrachteten sie, und das Gewissen ließ alles vor ihr auftauchen, was er ihrethalben gelitten hatte. Obgleich er mit dem Tode rang, sah sie ihn wieder in seinem Zelt, auf den Knien vor ihr liegend, ihren Leib mit seinen Armen umfassend und süße Worte stammelnd; sie dürstete danach, diese Arme wieder zu fühlen, diese Worte wieder zu hören; sie wollte nicht, daß er stürbe! In diesem Augenblick erfaßte Mätho ein heftiges Zittern; sie wollte schreien. Da stürzte er hintenüber und rührte sich nicht mehr.

Salammbô wurde fast ohnmächtig von den Priestern, die sich um sie bemühten, auf den Thron zurückgetragen. Sie wünschten ihr Glück, dieser Tod war ihr Werk.

Alle klatschten in die Hände und trampelten, wobei sie ihren Namen brüllten.

Ein Mann stürztte sich auf den Leichnam. Obgleich er bartlos war, trug er den Mantel des Moloch über der Schulter und am Gürtel ein Messer, wie es zur Zerteilung des heiligen Fleisches diente. Mit einem einzigen Schnitte öffnete er Mâthos Brust, riß ihm das Herz heraus, legte es auf den goldenen Löffel, in den der Stiel des Messers auslief, und Schahabarim erhob den Arm und brachte es der Sonne dar.  - Gustave Flaubert, Salammbô. Köln 2000 (zuerst 1862)

Blick (7) Wir durchquerten Gruppen von blaßrosa Rhododendronbüschen, und als wir gemächlich weitergingen, fragte ich Sangye Dorje, ob er an den Yeti glaube.

»Ja«, sagte er und erklärte mir dann, daß es zwei Arten von Yetis gebe: den mih-teh, der Menschen töte, und den dzu-teh, der nur Tiere töte.

»Aber der Yeti«, fügte er düster hinzu, »ist auch eine Art Gott.«

Er versprach, wenn wir in sein Dorf Khumjung kämen, werde er mich mit einer Frau bekannt machen, die tatsächlich von dem Tier angegriffen worden sei. Gewöhnlich, sagte er, sei ein Mensch, der in die Augen des Yetis geblickt habe, zum Sterben verurteilt: sie aber sei die Ausnahme gewesen. - Bruce Chatwin, Was mache ich hier. Frankfurt am Main 1993 (Fischer - Tb. 10362, zuerst 1989)

Blick (8) Die Prinzessin von Elbeuf ist sehr liebenswürdig, Fräulein von Thianges sehr schön und sehr bestrebt, bei Hof zu gefallen. Frau von Montespan war letzthin ganz mit Diamanten bedeckt, man konnte den Glanz einer so strahlenden Göttin kaum ertragen. Die Bindung scheint stärker denn je. Sie werfen sich Blicke zu. Nie hat man eine Liebe erneut so aufflammen sehen wie diese.  - (sev)

Blick (9) Cher Maitre, Dank für Gruss zwischen Weihnachten u Neujahr u. Lebenszeichen aus Hahnenklee! Als ich letzteres las, dachte ich, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, statt vor sich zu fliehen, ist es manchmal besser, auf sich zuzugehn, der Blick in das eigene Sphinxauge tut manchmal Wunder. Stattdessen blicken Sie sicher wieder in die Lichter eines Reh's u legen die Hand um den Hals einer Lachtaube u. verlieren sich in den germanischen Lieblingsaufenthalt: die Wälder.  - Gottfried Benn an F.W. Oelze, 5.1. 1937

Blick (10) Als ich, beim anmutigsten Wetter, einen Sommer an der Meeresküste verbrachte, wurde ich vom Zufall mit einem der anziehendsten Geschöpfe zusammengeführt: einer wahren Göttin in meinen Augen, solange sie mich unbeachtet liess. Ich «gestand ihr meine Liebe nie» in Worten; doch wenn Blicke beredt sind, dann müsste auch der Einfältigste bemerkt haben, dass ich bis über die Ohren verliebt war. Sie begriff das endlich und schenkte mir ihrerseits einen Blick - den zärtlichsten aller vorstellbaren Blicke. Und was tat ich da? Ich muss es zu meiner Schande bekennen: wie eine Schnecke zog ich mich eiskalt in mich selber zurück; nach jedem weitern Blick verkroch ich mich noch etwas kühler und tiefer in mein Haus, derart, dass die arme Unschuldige ihren eigenen Sinnen nicht mehr traute und, bei dem Gedanken an ihren Fehlschluss auf das äusserste verwirrt, ihre Mutter zur Abreise überredete. - Emily Brontë, Sturmhöhe. Zürich 1973 (zuerst 1847)

Blick (11) Die Dame schluchzte oft. Durch die Tränen ließ sie immer wieder verschämt neugierige Blicke blitzen auf Gahmuret. Da meldeten ihre Augen dem Herzen: er sei ein schöner Mann. Sie verstand sich drauf, auch helle Haut recht anzuschauen, denn sie hatte auch früher schon hellhäutige Heiden gesehen.

Es entstand dort zwischen den beiden ein Einverständnis und Begehren; sie sah hin, und er sah her. - Wolfram von Eschenbach, Parzival. Frankfurt am Main 1993 (zuerst ca. 1200, Übs. Peter Knecht. Die Andere Bibliothek 100)

Blick (12) Nun war die Reizbarkeit meiner Nerven so stark, daß die ganze Haut meines Körpers jeden Sinneseindruck mitempfand. Jeder Blick eines Vorübergehenden begann mich mit dem leisen Kitzel zu quälen, der durch den Brennpunkt einer Sammellinse auf der Haut hervorgerufen wird. Die Geräusche der Stadt, das Rollen der Wagen, das Trappen der Pferde, das Knattern der Automobile, das Scharren der Kontaktspulen der Trambahn an den Drähten, die Laute der Menschen, dröhnten in meinen Ohren wie ein gewaltiges Orchester der Hölle. Alles spürte ich zehntausendmal verstärkt, wie der Tritt der Fliege auf der Membrane des Mikrophons dem Trampeln des Elefanten gleicht.

Ich selbst erschien mir wesenlos, dünn, einem Schatten gleich, ich begann mich meiner zu schämen und wußte nicht warum. Geduckt schlich ich mich dicht an den Häusern dahin und benutzte jeden Schatten, jeden Winkel, um mich zu verbergen. Mir war, als wandelte ich durch diese große, wimmelnde Stadt nackt, nackt bis auf die Haut, nackt bis auf die Knochen, nackt bis auf die Seele. Die Menschenflut drängte mich an ein großes Warenhaus; da rettete ich mich in den Schatten eines Pfeilers, der mich gegen die Straße hin deckte.

Ich atmete auf wie ein Taucher, der zu lange unter Wasser geblieben ist, weil er sich mit dem Fuße in das Bodengestrüpp des Sees verwickelt hat.

Plötzlich fühlte ich wieder zwischen den Schultern jenes brennende Gefühl, das mir die Blicke der Menschen verursachte. Ich wandte mich um. Da sah ich schief hinter mir in einem Gange des Warenhauses eine Dame stehen, deren durchdringender, starrer Blick sich in mich einfraß.

Ich bezwang meine Erregung, nahm Haltung an und betrachtete die Zudringliche von der Seite. Sie war ein schönes, schlankes Mädchen, das in einen leuchtenden, gelbseidenen Mantel gekleidet war. Ihr Gesicht war umrahmt von einem schwarzen Hut, auf dem eine verwegene weiße Reiherfeder triumphierend zitterte. Sie rührte sich nicht, sie betrachtete mich mit der gleichbleibenden kalten Frechheit, wie sie nur Geschöpfe eines bestimmten Gewerbes aufbringen.

Diese Unverschämtheit verdroß mich. Ich trat aus meiner Nische heraus und ging auf die Dame zu. Meine Blicke tauchten in die ihren. Da versank ich in goldgrüne Augen, von einer Farbe, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Diese Augen bezwangen mich. Ohne meine Füße zu fühlen, wie im Traume, ging ich auf sie zu, bis ich plötzlich zurückschrak, denn aus dem Boden wuchs eine gläserne Wand zwischen mich und das schöne Geschöpf. Lachen Sie! Es war eine Wachspuppe für Reklame, die meine Nerven erregt hatte. - Friedrich Freksa, Berliner Reiseerlebnis. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1919)

Blick (13) Sie schön zu nennen, hätte bedeutet, ihr Äußeres aus grundsätzlich falschem Blickwinkel zu erfassen. Sie war eher satanisch verlockend. Die unregelmäßigen Züge, die fleischigen, breiten Lippen und die stark entwickelte Nase machten nicht den Eindruck von Schönheit - und doch fesselte dieses Gesicht mit der blendend weißen, matten Hautfarbe, die um so stärker mit dem flammenden Blick der schwarzen Augen kontrastierte, auf unbeschreibliche Weise. Sie hatte etwas an sich von der Schlichtheit des Elementaren, das in der Gewißheit seiner Macht die Zutaten verachtet.

Über der klaren Stirn öffnete sich in sanften Wellen metallisch glänzendes, rabenschwarzes Haar, das oben auf dem Kopf mit einem silbernen Stirnband zusammengehalten wurde. Das dunkelgrüne, leicht ausgeschnittene Kleid floß glatt an der schlanken Gestalt herab und hob die prachtvolle Linie des Körpers und der biegsamen Hüften hervor.

Ich fraß mich tief in ihre Augen ein und konzentrierte in meinem Blick alle Kraft des Willens. Sie parierte den Angriff. So rangen wir eine Zeitlang, da bemerkte ich in ihrem Gesicht etwas wie Schwanken, Unsicherheit, Furcht; es zuckte unruhig.   - Stefan Grabinski, Das Abstellgleis. Frankfurt am Main 1971 (Insel, Bibliothek des Hauses Usher, zuerst 1953)

Blick (14) Der Blick des Geschlagenen - den ich dabei nicht einmal recht getroffen hatte - sagt mir über all die Jahrzehnte: Dich kenne ich jetzt - ich weiß jetzt, was für einer du bist - dich werde ich mir merken. Es ist nicht der Blick eines Kindes; auch nicht der eines einzelnen; und kommt auch von keinem Augenpaar, sondern steht in einem Ein-Auge, welches durch die Jahre, wenn auch die meiste Zeit übersehen, noch nie geblinzelt hat.   - Peter Handke, Der Chinese des Schmerzes. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1983)

Blick (15)  Die Alten glaubten von gewissen Frauen in Skythien, daß sie, wenn sie gegen jemand erregt und wutentbrannt waren, ihn mit ihrem bloßen Blick töteten. Die Schildkröten und Straußen brüten ihre Eier durch bloßes Anschauen aus, ein Zeichen, daß sie eine ausstrahlende Kraft darin haben. Und von den Hexen sagt man, daß sie einen schadenstiftenden bösen Blick haben.

Nescio quis teneros oculus mihi fascinat agnos.

Für mich sind die Magier schlechte Gewährsleute. Immerhin wissen wir aus Erfahrung, daß die Frauen den Kindern, die sie im Leibe tragen, zuweilen die Merkmale ihrer Schwärmereien einprägen, wie jene bezeugt, die einen Mohren gebar. Dem Kaiser Karl, König von Böhmen, wurde ein Mädchen aus der Gegend von Pisa gezeigt, das ganz behaart und struppig war und das seine Mutter wegen eines Bildes des heiligen Johannis des Täufers, das über ihrem Bette hing, so empfangen zu haben versicherte. Mit den Tieren geht es ebenso, wie die Schafe Jakobs und die Feldhühner und Hasen zeigen, die der Schnee im Gebirge weiß bleicht. Bei mir war letzthin eine Katze zu sehen, die einen Vogel auf einem Baume belauerte, und da sich beide eine Zeitlang starr ins Auge gefaßt hatten, ließ sich der Vogel wie tot in die Krallen der Katze fallen, von seiner eigenen Einbildung betäubt oder von einer magnetischen Kraft der Katze angezogen.  - (mon)

Blick (16)  Kaum hatte ich den Vorhang bewegt, da sah ich, wie die »Fledermaus« hinter ihrem Fenster auf der Lauer lag.

Sie konnte mich nicht sehen. Leise stieß ich das Fenster ein wenig auf; auch das gegenüberliegende Fenster wurde aufgestoßen! Die Puppe schien sich langsam zu erheben und auf mich zuzukommen. Auch ich ging jetzt nach vorne, und während ich mit einer Hand die Kerze ergriff, öffnete ich mit der anderen plötzlich das Fenster ganz. Die Alte und ich standen einander jetzt gegenüber, denn sie hatte, vor Schreck gelähmt, ihre Puppe fallen lassen.

Unsere Blicke kreuzten sich mit dem gleichen Entsetzen.

Sie streckte einen Finger aus, ich streckte einen Finger aus. Ihre Lippen bewegten sich, ich bewegte die meinen. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte sich hinaus - ich lehnte mich hinaus. Das Schreckliche dieser Szene kann ich nicht beschreiben. Das war wie ein Fieberwahn, wie Geistesverwirrung, wie Wahnsinn! Da kämpften zwei Willen, zwei Intellekte, zwei Seelen gegeneinander, die sich gegenseitig vernichten wollten, und in diesem Kampf war der Vorteil auf meiner Seite.  - Erckmann-Chatrian, Das unsichtbare Auge oder Die Herberge der Gehenkten. Frankfurt am Main 1979. In: Das unsichtbare Auge. Eine Sammlung von Phantomen und anderen unheimlichen Erscheinungen.  (st 477, zuerst 1862)

Blick (17)  Das Bier wurde von einem jungen Mädchen ausgeschenkt, das Frieda hieß. Ein unscheinbares, kleines, blondes Mädchen mit braunen Augen und mageren Wangen, das aber durch ihren Blick überraschte, einen Blick von besonderer Überlegenheit. Als dieser Blick auf K. fiel, schien es ihm, daß dieser Blick schon K. betreffende Dinge erledigt hatte, von deren Vorhandensein er selbst noch gar nicht wußte, von deren Vorhandensein aber der Blick ihn überzeugte. - Franz Kafka, Das Schloß. Frankfurt am Main 1965 (zuerst ca. 1925)

Blick (18)  Der  Mann mochte etwa sechzig Jahre alt sein. Das dichte, schlecht geschnittene Haar war weiß. Ein Vollbart von drei bis vier Zentimeter Länge bedeckte das Kinn und zog sich an seinen Wangen hinauf. Da auch seine Augenbrauen sehr dicht waren, erweckte er den Eindruck, bewachsen wie ein Tier zu sein.

Er hatte sehr helle, merkwürdig ausdruckslose Augen.

»Ich wollte Ihrem Fuhrmann ein paar Fragen stellen«, sagte Maigret.

Die blonde Frau lachte.

»Sie meinen Jean? Das kann ich Ihnen gleich sagen, der macht fast nie den Mund auf. Der ist wie ein Bär. Sehen Sie doch nur, wie er futtert. Dafür tut er aber seine Arbeit besser als sonst einer weit und breit.«

Der Alte hatte zu essen aufgehört. Er sah Maigret aus leeren Augen unverwandt an.

Viele Dorftrottel haben einen solchen Blick - oder auch Tiere, die an gute Behandlung gewöhnt sind und plötzlich gepeinigt werden.

Stumpfsinn lag darin, aber auch noch etwas anderes, Undefinierbares - ein Ausdruck, der an ein Sich-Zurückziehen, an eine Flucht in sich selbst gemahnte. - Georges Simenon, Maigret tappt im dunkeln. München 1973 (Heyne Simenon-Kriminalromane 93, zuerst 1931)

Blick (19)   Unser Geschäft bringt es mit sich, daß ich bei den Klippen oft auf den Grund hinabspähe. Dabei ist die Optik merkwürdig. Zunächst tastet der Blick völlig im Leeren, bis er plötzlich eine Einzelheit gleich dem Zipfel eines Gewandes ergreift. Im Augenblick, in dem es ihm diese scharf zu erfassen gelingt, schließt dann das Bild des ganzen Grundes daran an; es steht wie mit einem Zauberschlage da. Der Vorgang vereinfacht sich, wenn man einen hellen Gegenstand ins Wasser wirft und mit den Augen verfolgt. Die sizilianischen Fischer verwenden dazu die lanterna, einen weißen Thunfischknochen, den sie an einem Faden in die Tiefe hinabsenken. Diese Art zu sehen ähnelt der geistigen Schau, sowohl was den jähen Niederschlag des Bildes in seinen feinsten Zügen als auch was die Mitwirkung eines fremden Körpers dabei betrifft.  - Ernst Jünger, Myrdun. Briefe aus Norwegen (29. Juli 1935). München 1980 (dtv bibliothek kubin, zuerst 1943)

Blick (20) Die Minuten zogen sich in die Länge, und während der ganzen Zeit mußte Maigret zu seinem eigenen Erstaunen an Little John denken. Er hatte ihn nur flüchtig gesehen. Ihre Unterhaltung war im Grunde nichtssagend gewesen. Und doch mußte sich der Kommissar gestehen, daß der Mann einen gewissen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er sah ihn vor sich: klein, mager, übertrieben korrekt gekleidet. Sein Gesicht hatte nichts Bemerkenswertes. Was also hatte seine Aufmerksamkeit geweckt? Das beunruhigte ihn. Er zwang sein Gedächtnis, sich an jede Geste des nervösen kleinen Mannes zu erinnern ... und da, plötzlich hatte er es! Es war sein Blick, vor allem sein erster Blick zwischen Tür und Angel, als er sich noch nicht beobachtet glaubte. Little John hatte eiskalte Augen.

Vielleicht hätte es Maigret Mühe gemacht, diesen Begriff einem anderen zu erklären, aber ihm selbst war er klar, völlig klar. Vier-, fünfmal in seinem Leben war er Menschen mit solchen Augen begegnet, Augen, die einen betrachten können, ohne daß der geringste Kontakt entsteht, ohne daß man den Wunsch verspürt, den jeder Mensch hat, mit dem anderen in Beziehung zu treten.

Der Kommissar hatte von seinem Sohn gesprochen, dem er die zärtlichsten Liebesbriefe schrieb, und Little John hatte ihn angestarrt ohne jedes Gefühl, so, wie man einen Stuhl oder einen Fleck auf der Tapete betrachten mag.  - Georges Simenon, Maigret in New York. München 1974 (Heyne Simenon-Kriminalromane 12, zuerst 1946)

Blick (21)

Blick, kosmischer

- Paul Scheerbart, Jenseitsgalerie. In: Die große Revolution. Ein Mondroman und: Jenseitsgalerie. Frankfurt am Main 1985 (st 1182, zuerst 1902, 1907)

Blick (22)

Blick, tödlicher

- August Macke, Schütze (1901). Nach: Kristallisationen, Splitterungen. Bruno Tauts Glashaus. Hg. Angelika Thiekötter u.a. Basel 1993

Blick (23)

Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

- Rainer Maria Rilke

Blick (24)  Leo versteht, die Elektrizität im Menschen zu dirigieren. An den Ausstrahlungen seines eigenen Körpers zündete er seine Zigarette an. Einer schon abgeschossenen Revolverkugel kann er eine andere Richtung geben.

Papus empfahl Leo an eine rumänische Aristokratenfamilie, aber er mußte von dort wegen sexuellen Raffinements fliehen. Er hat die kuriose Idee, daß man durch Blutschande eine große Rasse schaffen könne. Der Krieg hat ihn zu einem gewöhnlichen Gaukler gemacht. Er nannte sich Baschala, fraß lebendige Frösche, konnte sich ganz dünn machen und manchmal, wenn ihn der mystische Rappel packte, konnte er den Lauf des Wassers verändern. Er sagte mir, daß er dieses Spiel nur durch die Macht seines Blickes mache. - (szi)

Blick (25)  Er hatte eine eigentümliche Art, Maigret anzusehen, und man merkte, daß die übrigen für ihn gar nicht existierten. Es war tatsächlich eine Sache, die zwischen zwei Männern ausgetragen wurde. Die Inspektoren waren nur Statisten. Selbst die Kriminalpolizei existierte nicht. Es war ein viel persönlicherer Kampf. Und aus dem Blick des Zahnarztes konnte man ein schwer in Worte zu fassendes Gefühl herauslesen, gleichsam einen Vorwurf oder Verachtung.

Jedenfalls aber ließ er sich durch diese Operation großen Stils nicht beeindrucken. Er protestierte nicht mehr, er unterwarf sich dieser Invasion in sein häusliches Bereich und sein Privatleben mit hochmütiger Resignation, ohne daß man ihm auch nur die mindeste Angst hätte anmerken können.

War er ein erschlaffter Weichling? Ein Hartgesottener? Beide Hypothesen waren in gleicher Weise einleuchtend. Seine äußere Erscheinung war die eines Preisboxers, seine Haltung die eines Mannes, der seiner sicher ist, und dennoch schien Marias Satz, er mute an wie ein großes Kind, keineswegs danebenzutreffen. Seine Haut war bläßlich, ungesund. - Georges Simenon, Maigret und die Bohnenstange. München 1975 (Heyne Simenon-Kriminalromane 15, zuerst 1951)

Blick (26)   Merline, groß, knochig, stark, ein wenig plump, doch lebhaft in der Diskussion oder vielmehr im Monolog. Er spricht mit dem in sich gekehrten Blick der Manischen, der wie aus Höhlen hervorleuchtet. Er sieht nicht mehr nach rechts und links; man hat den Eindruck, daß er auf ein unbekanntes Ziel zuschreitet. »Ich habe den Tod stets neben mir« - dabei deutet er neben seinen Sessel wie auf ein Hündchen, das dort liegt.

Er sprach sein Befremden, sein Erstaunen darüber aus, daß wir Soldaten die Juden nicht erschießen, aufhängen, ausrotten - sein Erstaunen darüber, daß jemand, dem die Bajonette zur Verfügung stehn, nicht unbeschränkten Gebrauch von ihnen macht. »Wenn die Bolschewiken in Paris wären, sie würden Ihnen das vormachen, Ihnen zeigen, wie man Quartier für Quartier und Haus für Haus die Einwohnerschaft durchkämmt. Wenn ich die Bajonette hätte, ich würde wissen, was ich zu tun hätte.«

Es war mir lehrreich, ihn derart zwei Stunden wüten zu hören, weil die ungeheure Stärke des Nihilismus durchleuchtete. Solche Menschen hören nur eine Melodie, doch diese ungemein eindringlich. Sie gleichen eisernen Maschinen, die ihren Weg verfolgen, bis man sie zerbricht. - Ernst Jünger, Strahlungen (7. Dezember 1941)

Weitere Blicke

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