ombinatorik
Bonhoeffer, der langjährige Berliner Psychiater, hat einmal
gemeint, daß es auch in der wissenschaftlichen Kärrnerarbeit sogenannte
Gelehrte gäbe, deren Produkte keineswegs den
Stempel der Genialität an der Stirn trügen. In
diesem Zusammenhang sagte er, daß eine der unerträglichsten Kombinationen
seelischer Eigenschaften beim Menschen diejenige von Dummheit
und Fleiß sei. Schon Talleyrand soll das wie folgt formuliert haben:
klug und fleißig — gibt's
nicht;
klug und faul — bin ich selbst;
dumm
und faul — für Repräsentationszwecke noch ganz gut
zu gebrauchen;
dumm und fleißig — davor behüte uns der Himmel!
- Horst Geyer, Prof. Dr. med. habil., Über die Dummheit
(zitiert nach der 11. unveränderten Auflage Wiesbaden 1984, zuerst 1954)
Kombinatorik (2) Die Gesamtheit der Bräuche eines
Volks ist stets durch einen Stil gekennzeichnet; sie bilden Systeme.
Ich bin davon überzeugt, daß die Anzahl dieser Systeme begrenzt ist und
daß die menschlichen Gesellschaften genau wie die Individuen - in ihren
Spielen, ihren Träumen,
ihrem Wahn - niemals absolut Neues schaffen, sondern
sich darauf beschränken, bestimmte Kombinationen aus einem idealen Repertoire
auszuwählen, das sich rekonstruieren ließe. Würde man das Inventar aller
Bräuche, die je beobachtet, in Mythen ersonnen, in den Spielen von Gesunden
und Kranken sowie in den Verhaltensweisen von Psychopathen beschworen wurden,
dann erhielte man schließlich eine Art periodischer Tafel ähnlich
derjenigen der chemischen Elemente, in der sich alle realen oder auch nur
möglichen Bräuche zu Familien gruppieren würden,
so daß man nur noch herauszufinden brauchte, welche von ihnen die einzelnen
Gesellschaften tatsächlich angenommen haben. - (
str2
)
Kombinatorik (3) Das Ur-Buch MALLARMÉs sollte also in seinen verschiedenen Teilen mit einem Buchstaben, einem Wort, einem Satz beginnen. Daraus werden dann Systeme von Beziehungen abgeleitet, eben mit jener kombinatorischen Methode von RAYMUNDUS LULLUS, dessen ‹Kombinationstafel› (aus symbolischen Buchstaben) ein theologisch-ontologisches Weltsystem ergibt. Diese kombinatorische Methode des LULLUS galt schon im 16. Jahrhundert als von Adam erfundene (hebräische Kunst›. Sie wurde auch als ‹alchimistische Kunst› bezeichnet. In Schriften über LULLUS nannte man seine Kombinationstafeln auch ‹Ars clavigera›, ‹Liber secreti secretorum›, ‹Alphabetum divinum› und ‹Geheimtestament der Engel›. LULLUS wurde schon in der Renaissance-Zeit als ein Meister der ‹alquimia de la palabra› bezeichnet.
MALLARMÉ bekannte in einem Brief: ‹Hier liegt das ganze Geheimnis: verborgene Beziehungen herstellen› ...durch sprachlogische Permutationen. Allerdings, dies sei jetzt nur angedeutet, und hier liegt, wie wir sehen werden, das tiefere Geheimnis der ‹Ingenieur›-Lyrik, sollten derart hergestellte Beziehungen nicht gegenständlich benannt, sondern ‹suggeriert› werden. Doch bleiben wir zunächst bei der traditionellen Methode.
Der ‹Ingenieur› oder ‹Operateur› — als solcher empfand sich MALLARMÉ — verfügt jetzt über einen Mechanismus. Durch Ableitungsverfahren ergeben sich Gruppen von Wortfolgen. Eine Wortgruppe kann in vielfacher Weise interpretiert bzw. permutiert werden. Für jeden Vers ergeben sich somit viele sprachliche Neben- und Randfelder und entsprechend viele Bedeutungen. So entstehen lauter einzelne Kombinationsstücke. Sie werden zu Faszikeln vereint. Die Sprache kombiniert — mit Hilfe des Operateurs — geradezu selbsttätig weiter. Auch Sätze können auf vielfache Weise permutiert werden, z. B. durch Inversion. MALLARMÉ wollte dann aussieben, aber das Ur-Buch hätte auch dann noch mindestens zwanzig dicke Bände mit 480000 Teilen umfaßt. MALLARMÉ hatte sich bereits die Kosten einer staatlichen Subvention ausgerechnet. Die ‹Aufführungen› sollten fünf Jahre dauern.
Erneut werden wir auf spezifische ‹Gesetze› des europäischen Manierismus hingelenkt, d. h. auf formale Automatismen der manieristischen Tradition. Doch müssen wir zwei entscheidende Feststellungen machen: MALLARMÉ hat diesen ‹Lullismus› in der magisch, ‹alchimistisch› veränderten Form übernommen, die ihm in der literarischen Glanzzeit des europäischen Manierismus aus älteren kabbalistischen Traditionen gegeben worden ist. Er übernimmt ihn in der Form der oben schon erwähnten ‹Ars Magna› des Jesuiten ATHANASIUS KIRCHER, den wir in der Kunstgeschichte des Manierismus bereits kennengelernt haben. Dieser kabbalistische Lullismus KIRCHERS ist den strengen Lullisten mit Recht ein Ärgernis, seiner ‹magischen› Elemente wegen. Für uns ist diese historische Filiation aber aus vielen Gründen wichtig. Die Grundzahl der symbolischen Ableitungsbuchstaben bei LULLUS ist, wenigstens ab 1290, ‹Neun›, bei KIRCHER ist sie ebenfalls ‹Neun›, in anderer Folge aber auch ‹Zehn›. Daher findet man bei ihm die Permutationsreihe aus Zehn mit der Zahl 3 628 800 beim Buchstaben K, bei ihm wie bei MALLARMÉ. KIRCHER will in seiner ‹Ars Magna Sciendi sive Combinatoria› eine eigene sprachliche und vor allem ontologische Kombinatorik geben, eine Methode zur erweiterten Erfassung des göttlichen Welturgrunds durch Wort- und Zahlenkombinationen. Das geht von einem ‹Alphabetum Artis› bis zu einer entsprechenden rhetorischen Kombinationskunst. KIRCHER bietet uns seinen ‹Weltschlüssel›.
Die Kombination der gesamten Buchstaben des Alphabets mit Zahlenpermutationen ergibt andere Möglichkeiten als die nur neun symbolischen Buchstaben des LULLUS: B, C, D, E, F, G, H, I, K = Bonitas, Magnitudo, Duratio, Potentia, Cognitio, Voluntas, Virtus, Veritas, Gloria. Bei LULLUS sind dies die ‹principia absoluta›. Dazu kommen die ‹principia relativa›: ‹Differentia, Concordantia, Contrarietas, Principium, Medium, Finis, Majoritas, Aequalitas, Minoritas.› Auf die Kombinatorik dieser Grundelemente (principia primitiva) können alle Formen des Seienden zurückgeführt werden. Sie heißen deswegen ‹Absoluta›. Das wird ergänzt durch die Grund-‹Regeln› einer uralten stilistischen Kompositionslehre: An, Quid, Cur, Quantum, Qui, Quale, Ubi, Quando, Quibuscum, bekannt aus dem Sekunda-Unterricht. Für die Kunst gibt es entsprechend — in KIRCHERS kombinatorischem Weltsystem — ‹Symbole›: Deus, Angelus, Coelum, Elementa, Homo, Animalia, Plantae, Mineralia, Materialia. Das Prinzip lautet: Nichts gibt es im Sein, was nicht auf ein anderes zurückgeführt werden kann. Eine einzige Tafel, eine ‹Tabula Alphabetorum Artis nostrae›, wie KIRCHER seine Aufstellung nennt, kann also eine alphabetische Ur-Ontologie enthalten, sozusagen die ontologische Struktur eines Ur- und Über-Buches. Aus dieser kann ‹alles Mögliche› durch einfaches ‹commutare›, durch einfache Austauschung (Reversibilität!) abgeleitet werden. Die noetische Weltmaschine ist perfekt. Das Entscheidende ist: mit einer derartigen Kombinatorik kann auch alles abgeleitet werden. Das ist ein Problem KIRCHERS. Es ist ein Grundproblem des literarischen Manierismus.
Die andere Reihe, die Zehnerreihe, bei KIRCHER hat pythagoreisch-neuplatonische
Merkmale. Sie weist, wie überhaupt sein ganzes Werk, mehr auf FICINO,
auf Geheimkulte in Alexandrien und auf die kabbalistische Wort-Alchymie
denn auf LULLUS. Die kombinatorische Kryptographie KIRCHERS
ist ‹asianisch›, nidit ‹attizistisch›. Man weiß, daß KIRCHER sich
jahrelang mit semitischer Sprachkunde und mit Hieroglyphik beschäftigt
hat, wie schon MARSILIO FICINO und PICO DELLA MIRANDOLA.
Sein seltsamer Neu-Lullismus enthält sicherlich noch grundlegende plato-aristotelische
Elemente. Aber diese werden — eine manieristische Denkform — synkretistisch
ergänzt, aus salomonischer Weisheit, Talmudwissen, Kabbala und Neuplatonismus.
Diesen Neo-Lullismus hat MALLARMÉ, wie wir aus der Zahl 3 628 800
wissen, als methodische Basis für sein entsprechendes lyrisch-chiffriertes
Weltsystem einer All-Kombinatorik genommen. Aus späteren Verarbeitungen
solcher Stoffe im Frankreich der III. Republik, wo ‹Magie› besonders beliebt
war, mag MALLARMÉ, der solche Lektüre
schätzte, diese kombinatorischen Verfahren in ihrer ‹magischen› Anwendung
kennengelernt haben, denn nichts beweist, daß er das allerdings oft popularisierte
Werk des ‹Grand Jésuite Allemand›, KIRCHER, selbst gekannt
hat. Kombinationstafeln dieser Art findet man allerdings im Werke des mit
ihm befreundeten Erzmagiers PAPUS. Doch brauchen wir uns nicht in
derartige Gefilde zu begeben, wenn wir für unsere Leser einen Ariadne-Faden
bis zur Gegenwart geben wollen, denn nichts wäre falscher, als anzunehmen,
wir bewegten uns in Abgründen längst vergessener Geschichte. Wieder ist
es NOVALIS, der diesen Ariadne-Faden bis zu uns hinüberreißt. Seine
‹Fragmente› zur Kombinationskunst sind mehr als Stichworte. Es sind Zeichen,
die uns dazu verhelfen, Epochen zu überbrücken. Hier einige seiner zeitumspannenden
Durchblicke: ‹Die Analyse ist die Divinations- oder die Erfindungs-Kunst
auf Regeln gebracht.› ‹Alle Ideen sind verwandt. Das Air de Famille
nennt man Analogien, Sippschaften von Gedanken.›
‹Mein Buch soll eine szientistische Bibel werden, ein reales und ideales
Muster und Keim aller Bücher.› ‹Es lassen sich
auch eine Perspektiv und mannigfache tabellarische Projektion der Ideen
denken, die ungeheuren Gewinn versprechen›. ‹Eine sichtbare Architektonik
und Experimentalphysik des Geistes, eine Erfindungskunst der wichtigsten
Wort- und Zeicheninstrumente läßt sich hier vermuten.› - Gustav René
Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst.
Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)
Kombinatorik (4) Die Möglichkeiten der Kunst
des Kombinierens sind nicht unendlich, aber sie pflegen entsetzlich zu
sein. Die Griechen schufen die Chimäre, ein
Ungeheuer mit Löwenkopf, Drachenkopf und Ziegenkopf; die Theologen des
2. Jahrhunderts die Dreifaltigkeit, in der sich
auf unentwirrbare Weise der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ausdrücken;
die chinesischen Zoologen das ti-yang, einen übernatürlichen blutroten
Vogel, mit sechs Klauen und vier Flügeln ausgestattet, doch ohne Gesicht
und Augen; die Geometer des 19. Jahrhunderts den Hyperkubus, eine vierdimensionale
Figur, die eine unendliche Anzahl von Kuben enthält und durch acht Kuben
und vierundzwanzig Quadrate begrenzt ist. Hollywood
ist es gelungen, dieses unsinnige teratologische Museum zu bereichern.
Mit Hilfe eines üblen Kunstgriffs, der Synchronisation heißt, bringt es
Monstren hervor, die die illustren Gesichtszüge Greta Garbos mit der Stimme
von Aldonza Lorenzo in Verbindung bringen. - Jorge Luis
Borges, Kabbala und Tango. Essays. Frankfurt am Main (Fischer-Tb., zuerst
1931)
Kombinatorik (5)
Kombinatorik (6) Er hat mich richtiggehend zusammengesetzt
aus den anderen Frauen, sagte sie, und einmal, ja, da hat er mirs verraten.
Aber ich fand es nicht so schlimm, ich hab mir das meiste schon gedacht. Du
müßtest den Körper haben von der und der Frau, und deinen Kopf drauf, und dann
wieder umgedreht, hat er mal gesagt, und da hab ich ihm ein paar gelangt. Aber
dann habe ich mir gedacht, machen kannst du sowieso nichts ... und dann sollte
ich wieder eine andere Brust haben, eine kleinere, und dann sollte ich wieder
eine andere Taille haben, die Brust von der und die Taille von der, das hätte
ihm gefallen. Nur dein Hintern, hat er gesagt, der
ist immer richtig ...
-
(ich)
Kombinatorik (7) Wenn der Löwe
einen Pardal deckt, nennt man die Jungen Leopard oder Libbard; wenn jedoch ein
Pardal eine Löwin deckt, heissen die Nachkommen Panther. Der Pardal ist ein
wildes, grausames Tier mit dem Körper und der Art eines räuberischen Vogels.
Viele sagen, sie entstünden ab und zu aus Paarungen
zwischen Hunden und Panthern oder zwischen Leoparden und Hunden, so wie die
Lycopanther Bastarde zwischen Wölfen und Panthern
sind. -
Edward Topsell, nach: Colin Clair, Unnatürliche Geschichten. Ein Bestiarium, Zürich 1969 (zuerst 1967)
Kombinatorik (8) Das Erdferkel (Orycteropus afer)
ist die einzige lebende Art der Säugetierordnung der Röhrenzähner (Tubulidentata).
Die systematische Stellung des Erdferkels ist bis heute
umstritten. Mit hasenartigen Ohren, einem schweineartigen
Rüssel und einem Rattenschwanz
gleicht es keinem anderen heute lebenden Säugetier. Übereinstimmungen mit den
Ameisenbären beruhen auf konvergenter Evolution,
nicht auf Verwandtschaft. -
Wikipedia
Kombinatorik (9)
Kombinatorik (10)
Kombinatorik (11)
Kombinatorik (12) Melanie trug auch weiterhin
auf der Straße Jungenanzüge. Unter den Tänzern rätselte man, ob hier eine ganz
eigenartige Inversion zu beobachten sei: bei Liaisons dieser Art gibt es gewöhnlich
einen Partner, der die dominierende Rolle spielt, und da es offensichtlich war,
wem sie hier zufiel, hätte doch eigentlich die Frau in der Kleidung des aggressiven
männlichen Geschlechts auftreten müssen. Porcépic entwickelte eines Abends im
»L'Ouganda« zum Vergnügen aller eine Tabelle der möglichen
Kombinationen, deren sich die beiden Freundinnen bedienen konnten. Es waren
vierundsechzig Rollenkombinationen, aufgeschlüsselt nach »gekleidet als«, »gesellschaftliche
Funktion« und »sexuelle Funktion«. So konnten sie zum Beispiel beide Männerkleidung
tragen, beide eine gehobene gesellschaftliche Funktion einnehmen und auf sexuellem
Gebiet beide die führende Rolle anstreben. Oder es war denkbar, daß sie verschiedengeschlechtliche
Kleidung trugen, beide vollkommen passiv waren und jeweils den anderen zur Aggressivität
zu bringen suchten. Und zweiundsechzlg weitere Möglichkeiten. Vielleicht, warf
Satin ein, verfügten sie auch über unbeseelte, mechanische Hilfsmittel. Man
war sich einig, daß dies das entworfene Bild verwirren müßte. Irgendwann gab
jemand auch noch zu bedenken, die Frau könnte ein Transvestit
sein, was die Sache noch lustiger sein ließ. -
(v)
Kombinatorik (13) Don Newton hatte die ständige Gewohnheit, Ideen zu kombinieren, und in der Fülle der Ideen, die er gesammelt hat, befand sich die Kombination des fallenden Apfels mit dem an seine Bahn gefesselten Mond,
Daraus schließe ich: der Unterschied der Geister liegt begründet in der Quantität
dec Bilder und im Grad der Fähigkeit, sie zu kombinieren. Oder, wenn ich mich
so ausdrücken darf: er steht im direkten Verhältnis zu den Produkten aus der
Zahl der Bilder und dem Grad der Kombinationsfähigkeit. -
(sar)
Kombinatorik (14)
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