ystem  Das Pflanzenreich, so wie es sich dem Auge Okens darbot, besteht aus zwei Ländern (provinciae), nämlich den Stockern und den Blustern. Jedes dieser beiden Länder läßt sich in zwei Gaue (pagus) einteilen, das der Stocker in Marker und Stammer, das der Bluster in Blüher und Fruchter. Die weitere Gliederung nimmt sich wie folgt aus: jeder Gau umfaßt drei Classen, jede Classe zwei Stufen, jede Stufe zwei Ordnungen, jede Ordnung drei Zünfte, jede Zunft vier Sippschaften, und jede Sippschaft drei Arten. Als Ausnahmen von dieser Regel müssen gelten: der letzte Gau des Pflanzenreiches, der vier (statt drei) Classen; die letzte Ordnung einer jeden Classe, die vier (statt drei) Zünfte; und die letzte Sippschaft einer jeden Zunft, die vier (statt drei) Arten aufweist. Wir haben somit für das gesamte Pflanzenreich mit vier Gauen, dreizehn Classen, sechsundzwanzig Stufen, zweiundfünfzig Ordnungen, einhundertundneunundsechzig Zünften, sechshundertundsechsundsiebzig Sippschaften und zweitausend einhundertundsiebenundneunzig Arten zu rechnen. Für den Urheber dieses Systems erhob sich die Frage, wie diese 2197 Stocker und Bluster, für jedermann leicht unterscheidbar, zu benennen wären. Jede wissenschaftliche Klassifikation verlangt nach einer Nomenklatur, die das gewonnene System sprachlich abbildet. Die üblichen Pflanzennamen konnten für Okens Zwecke nicht in Betracht kommen: sie hätten die Klarheit des Gebäudes beeinträchtigt, das er zu erreichen gedachte. Die übermenschlich anmutende Aufgabe, Tausende von neuen Pflanzennamen zu ersinnen, hat Lorenz Oken mit Hilfe der Kombinatorik gelöst.

Dabei kamen ihm die mathematischen Eigenschaften seines Systems zugute. Okens Pflanzenreich ist nach strengen Regeln aufgebaut. Darauf beruht seine kristalline Schönheit. Der verborgene Schlüssel zu dem Gebäude ist die magische Zahl dreizehn. Aus 13 Classen ergeben sich 13 x 13 Zünfte und 13 x 13 x 13 Arten. Es leuchtet ein, daß sich diese Classen, Zünfte, Arten am einfachsten durch einen Code unterscheiden ließen, der aus dreizehn Zeichen besteht. Einen solchen Code hat Oken erdacht. Er fand nämlich dreizehn pflanzliche Organe auf, aus deren Permutation ihm die Vielfalt der Vegetation hervorzugehen schien. Aus ihren Namen bildete er die Bezeichnungen für seine dreizehn Classen. Zweigliedrige Composita aus den gleichen Namen gaben 169 Bezeichnungen für die ebensovielen Zünfte ab; und es wäre ein Leichtes gewesen, auf demselben Weg voranschreitend, dreigliedrige Namen für jede der 2197 Arten zu finden. Mit einer so simplen und schwerfälligen Lösung konnte sich ein Mann von Okens Einbildungskraft und sprachlicher Potenz nicht zufriedengeben. Wörter wie Zellendroßler oder Laubgröpser sagten ihm zu; dreigliedrige Ausdrücke wie Drosselzellengröpser oder Gröpslaubzeller hätten sein Sprachgefühl beleidigt. Mit einer denkwürdigen Anstrengung seiner Phantasie hat Oken sich aus dieser Schwierigkeit befreit. Er prägte nämlich für jede seiner 169 Zünfte einen besonderen, völlig neuen Namen, ein nomen simplex, das er dem systematisch abgeleiteten Compositum zur Seite stellte. So hießen die Ader-Ader fortan Schlinken und hatten an diesem Wort ihren eigenen und eigentümlichen Namen; die Buffe dagegen sind unter den Zellern zu suchen, als deren 8. Zunft: es handelt sich, genau gesagt, um die Zunft der Gröps-Zeller. Okens sprachschöpferischer Akt erlaubte es ihm, bei der Nomenklatur der Arten auf dreigliedrige Ausdrücke zu verzichten, und die erforderlichen 2197 neuen Wörter durch Permutation der dreizehn Classen- und der einhundertneunundsechzig Zunftnamen zu bilden; die Zunft der Gröps-Zeller beispielsweise, die nun unter dem vereinfachten Namen der Buffe erscheint, und die, wie alle Zünfte, aus dreizehn Arten besteht, gliedert sich zwanglos in die folgenden Arten: den Z. (das heißt: Zellen-) Buff, den D. (=Drossel-) Buff, den W. (=Wurzel-) Buff, den ST. (=Stengel-) Buff, den L. (=Laub-) Buff, den S. (=Samen-) Buff, den G. (=Gröps-) Buff, den Bl. (=Blumen-) Buff, den N. (=Nuß-) Buff, den P. (=Pflaumen-) Buff, den B. (=Beeren-) Buff sowie den A. (=Apfel-) Buff. (das hier angeführte Beispiel kann dem Leser zur Auflösung der Abkürzungen dienen, die in der faksimilierten Übersicht vorkommen. Die ersten Buchstaben der verkürzten Artnamen sind wie oben angegeben zu lesen, die zweiten Buchstaben stehen für den jeweiligen Zunftnamen, der sich in der gesperrt gedruckten Übersicht findet. Zu beachten ist, daß sich unser Abdruck auf das erste Land des Pflanzenreiches , das heißt, auf die Stocker beschränken muß.) - Hans Magnus Enzensberger, Lorenz Okens Kombinatorisches System der Pflanzenwelt (Kursbuch 1965)

System (2) Der Erdgeist erscheint im Menschen. Geschichte beider dieselbe. Tausendfach erscheint der Erdgeist als Mensch. Und alle diese Erscheinungen sind zusammen doch wieder nur eine von den tausendfachen eines höheren Geistes, des Sonnengeistes. — Planeten sind die Individuen des Sonnenstamms, Monden die Individuen des Planetenstamms. Sonnen sind wieder Individuen, tausendteilige Erscheinungen, — eines höhern Geistes, gleichsam die einzelnen Menschen dieser großen Erde. Solche Sonnensysteme sind dasselbige wieder für noch höhere, für Sternensysteme, und so fort, — bis zu einer gewissen Zahl. Denn alles Rückwärtsgehen hält doch wahrscheinlich bei einer gewissen Zahl, — einer heiligen, — inne. Das höchste, letzte, solche System = Weltgeist letzter Identitätspol = Vultus divinus Kepleri. — Hiermit kann die äußere Welt geschlossen sein, und diese äußere Welt ist endlich. Aber sie ist der Anfang und Grund innerer Unendlichkeit. - (rit)

System (3) Ninon de Lenclos schätzte die Annehmlichkeiten ihres Lebens als Kurtisane im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Ihre Liebhaber kamen aus den besten Adelskreisen, zahlten gut, unterhielten sie mit Witz und Intelligenz, befriedigten ihre anspruchsvollen sinnlichen Wünsche und behandelten sie nahezu als gleichrangig. Dieses Leben war einer Ehe bei weitem vorzuziehen. Doch 1643 starb Ninons Mutter plötzlich und ließ die Dreiundzwanzigjährige ohne Familie und ohne Mitgift zurück. Ninon hatte nichts mehr, auf das sie sich stützen konnte. In einer Art Panik kehrte sie ihren erlesenen Liebhabern den Rücken und trat in ein Kloster ein. Ein Jahr später verließ sie es wieder und ging nach Lyon. Als sie dann 1648 schließlich nach Paris zurückkehrte, standen die Liebhaber und Anbeter in größerer Zahl als je zuvor bei ihr Schlange, denn sie war die geistreichste und unterhaltsamste Kurtisane ihrer Zeit; man hatte sie schmerzlich vermißt.

Doch Ninons Verehrer merkten rasch, daß etwas anders geworden war — Ninon hatte ein neues Optionssystem eingeführt. Die Herzöge, Grundherren und Fürsten, die für ihre Dienste bezahlen wollten, konnten das weiterhin tun, aber sie hatten nicht mehr das Sagen — sie schlief mit ihnen, wann sie wollte, wann es ihr beliebte. Mit ihrem Geld erwarben sie nur die Möglichkeit, mehr nicht. Wenn es ihr gefiel, nur einmal im Monat mit ihnen zu schlafen, dann blieb es bei diesem einen Mal.

Jene Männer, die nicht zu den, wie Ninon es nannte, payeurs gehören wollten, konnten sich der wachsenden Schar ihrer martyrs anschließen: den Männern, die ihren Salon um ihrer Freundschaft willen besuchten, wegen ihres beißenden Witzes, ihres Lautenspiels und der Anwesenheit der anregendsten Geister der Epoche — unter anderem Molière, La Rochefoucauld und Saint-Èvremond. Doch auch den martyrs stand eine Möglichkeit offen: Aus ihren Reihen wählte sie sich regelmäßig einen favori, einen Mann, den sie ohne Bezahlung zu ihrem Liebhaber machte und dem sie sich völlig hingab, solange es ihr paßte — fiir eine Woche oder einige Monate, selten aber länger. Ein payeur konnte nicht zum favori werden, doch auch ein martyr hatte keine Garantie, daß er es je werden würde; manch einer blieb sein Leben lang unerhört. Der Dichter Charleval beispielsweise erfreute sich nie Ninons Gunst, besuchte sie aber doch regelmäßig — er wollte nicht auf ihre Gesellschaft verzichten.

Die gebildete Gesellschaft Frankreichs reagierte mit äußerster Feindseligkeit, als Ninons System bekannt wurde. Die Königinmutter und ihr Hofstaat waren schockiert über die Umkehrung der Kurtisanenrolle. Doch das schreckte Ninons Anbeter nicht ab — im Gegenteil, ihre Zahl wie ihr Begehren nahm nur noch zu. Es wurde zur Ehre, ein payeur zu sein, Ninons Unterhalt und ihren schillernden Salon zu finanzieren, sie gelegentlich ins Theater zu begleiten und mit ihr zu schlafen, wenn sie dazu bereit war. Als fast noch vornehmer galt es, zum Kreis der martyrs zu gehören, ihre Gegenwart ohne Bezahlung zu genießen und mit der wie auch immer vagen Hoffnung zu leben, eines Tages zum favori zu werden. Diese Aussicht spornte viele junge Edelleute an, zumal sich herumgesprochen hatte, daß es in der Liebeskunst keine andere Kurtisane mit Ninon aufnehmen konnte. So begaben sich Verheiratete und Ledige, Alte und Junge in ihr Netz und wählten eine der beiden Möglichkeiten, die sie ihnen anbot und die Ninon beide in hohem Maß befriedigten. - (macht)

System (4) Ein Philosophieren ohne System kann nichts Wissenschaftliches sein; außerdem, daß solches unsystematische Philosophieren für sich mehr eine subjektive Sinnesart ausdrückt, ist es seinem Inhalte nach zufällig.



Hegels System, eigenhänd. Zeichnung

Ein Inhalt hat allein als Moment des Ganzen seine Rechtfertigung, außer demselben aber ist es eine unbegründete Voraussetzung oder subjektive Gewißheit; viele philosophische Schriften beschränken sich darauf, auf solche Weise nur Gesinnungen und Meinungen auszusprechen. - G. W. F. Hegel 

System (5) Es ist also nicht genau, wenn man das System als eine Struktur beschreibt, die nach strengen Regeln rotiert; denn jeder einzelne ORT verfügt ja über zahlreiche Reisewege, und diese ändern sich je nach dem Zustand des Platzes in der Mitte, auf dem bald die FEUER bald die ESSENZEN oder die anderen Seinsweisen am Ruder sind. Die Hand beispielsweise, der ORT des Anfangs, ist anders unterwegs je nachdem, ob sie offen oder geschlossen, zur Faust geballt oder ausgestreckt ist, den einen oder den anderen Finger nach vorne streckt, und, wenn etwa die FEUER herrschen, breitet sich die Hand wie ein Segel aus, das sich der zerreißenden Wucht des Windes entgegenstellt; wenn die ESSENZEN herrschen, nimmt die Hand die betende Haltung der zurückgebliebenen eines gefalteten Paares ein; wenn die ZENTREN herrschen, steht die Hand in Gestalt einer Faust als niedergeschlagener Widerspruch da; wenn das ERBAUTIER herrscht, weist die Hand mit vorgestrecktem Zeigefinger auf die zerfleischten Innereien; wenn der THRON herrscht, spreizt sich die Hand auseinander und kippt nach vorne über, als würde sie sich verbeugen; wenn aber der THRON krank ist, klappt sie zusammen, ballt sich ein klein wenig, aber nicht zu einer Faust, sondern so als empfinde sie teils Mitleid teils Abscheu; wenn der SCHATTEN herrscht, fuchtelt die Hand herum und scheint verängstigt ein Flehen anzudeuten, das dem Gebet entgegengesetzt ist; wenn die ERINNERUNG herrscht, fuchtelt die Hand mit ratlosen Fingern herum, beinahe, als wollte sie mit zweiflerischem Staunen etwas versuchen; wenn die Prophezeiung herrscht, krümmt die Hand ihre Finger zu Krallen, beinahe, als wollte sie ein leuchtendes Profil auf seiner Flucht verfolgen, ihm heimlich nachschleichen und es einfangen; wenn das NICHTS als Mangel herrscht, scheint die Hand herumzuwühlen auf der Suche nach etwas, das auf dem Grunde zusammengekauert hockt, wenn Abschaffung oder NEIN herrscht, flieht die mißgestaltete Hand mit unflätigen Wunden in den Abgrund eines Perihels, und bisweilen erhebt sich der Daumen und brüllt. - Giorgio Manganelli, System. In: (irrt)

System (6) Wir haben gesagt: sofern die THRONE zustimmen. FEUER, ESSENZEN, THRONE wirken auf die ORTE ein und diese auf die zweiten ORTE; so daß sich alles dreht und weitereilt, sich verwirrt und zerstreut, Ideogramme zeichnet, Pfützen, Ringe, Finger und Hände nachahmt; weswegen sich unter Einwirkung der Indiskretion des FEUERS, der Rhetorik des ZENTRUMS, des Schmachtens der ESSENZEN, des Widerspruchs der ERBAUTIERE, der Vergeblichkeit der THRONE, der Unerschütterlichkeit des DONNERS, der guten Manieren des NICHTS als Mangel und des - Pardon? - Nichts als Abschaffung und zu guter Letzt der Zustimmung des NEIN das System in sich selbst verwandelt: in dem Sinn, daß von Mal zu Mal alles nur Hand oder Pfütze oder sonst etwas ist; und zum Schluß alles auf das IDEOGRAMM zustrebt und das Ideogramm zeichnet, wodurch klar wird, daß das Ideogramm sowohl als Zeichen wie als Projekt das System ist und daß schließlich das System, insgesamt zum Ideogramm geworden, seine FEUER oder was sie sonst noch sind mit Stillschweigen übergehend, das Verb abstürzen ausspricht.

In Wahrheit lassen sich von allen ORTEN nur das IDEOGRAMM und das Verb ABSTÜRZEN nicht von dem aufgeregten Getue des Platzes in der Mitte rühren; ganz im Gegenteil fürchten FEUER, ESSENZEN und ZENTREN und THRONE und NEIN insgeheim das IDEOGRAMM, da es als Beschreibung des Systems auch sie beschreibt und katalogisiert, so daß nicht nur die ORTE, sondern das gesamte System und das Programm des Systems im Ideogramm enthalten ist; und merkwürdig höflich verhalten sie sich dem Verb ABSTÜRZEN, dem Ort des ABSTURZES gegenüber, da niemand dieses Verb aussprechen kann außer dem Verb selbst; und sie fürchten, daß sie angesichts dieses Verbs eher zweiten ORTEN ähnlich sehen als sich selbst; damit erscheint es klar, daß das System zweideutig und schmerzvoll und eigensinnig ist, und daß die FEUER und andere sich wie Könige aufspielen; aber ob sie das wirklich sind, bleibt unsicher und unklar; eines jedoch muß unbedingt gesagt werden: daß bisweilen die ORTE, nach der Auffassung einiger auch ein paar zweite ORTE wie etwa ein leerer Blick, ein Stein, ein Mond, zufällig und unabsichtlich Dimension und Stil und Funktion des FEUERS oder was es sonst noch sein kann übernehmen; so daß sich das System als zugleich kompakte und unstete, fiebrige und bösartige Zeichnung des Raumes beurteilen läßt.    - Giorgio Manganelli, System. Aus (irrt)

System (7) Große Umwälzungen vollzogen sich auf dem Gebiet der Systematik. Seit der Mitte des Jahrhunderts war die kontinentale Lepidopterologie im großen und ganzen ein simples und stabiles Geschäft gewesen, das glatt und reibungslos von Deutschen betrieben wurde. Ihr Hohepriester, Dr. Staudinger, war gleichzeitig Chef der größten Insektenhandlung. Bis heute, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, ist es den deutschen Lepidopterologen nicht ganz gelungen, den hypnotischen Bann abzuschütteln, der von seiner Autorität ausgegangen war. Noch zu seinen Lebzeiten begann die wissenschaftliche Macht seiner Schule in der Welt an Boden zu verlieren. Während er und seine Anhänger bei den seit langem eingebürgerten Art- und Gattungsnamen blieben und sich damit begnügten, die Schmetterlinge nach Merkmalen zu klassifizieren, die mit dem bloßen Auge erkennbar waren, führten englischsprachige Autoren durch strikte Befolgung des Prioritätsgesetzes Änderungen der Nomenklatur ein, und das mikroskopische Studium der Organe brachte taxonomische Umstellungen mit sich. Die Deutschen taten, was sie konnten, um diese neuen Tendenzen zu ignorieren, und blieben auch weiterhin der philateli-stischen Seite der Entomologie treu. Ihre Sorge um den «Durchschnittssammler, den man nicht zum Sezieren anhalten sollte», ist der Art und Weise vergleichbar, in der nervöse Verleger den «Durchschnittsleser» hätscheln - der ja vor dem Nachdenken bewahrt werden muß.  - (nab)

System (8) Wir haben erkannt, daß der erste Schritt zur sinnvollen und wohldurchdachten Ausarbeitung einer Enzyklopädie darin bestehen muß, einen Stammbaum aller Wissenschaften und Künste aufzustellen, der den Ursprung jedes Zweiges unserer Kenntnisse, ihre wechselseitigen Verbindungen und ihren Zusammenhang mit dem gemeinsamen Stamm zeigen und uns dazu dienen sollte, die verschiedenen Artikel in Beziehung zu ihren Hauptgegenständen zu bringen. Dies war keine leichte Aufgabe. Es galt, auf einer Seite den Grundriß eines Werkes zu entwerfen, das nur in mehreren Folianten ausgearbeitet werden kann und das später einmal alle Kenntnisse der Menschen enthalten soll.

Dieser Baum des menschlichen Wissens konnte auf mancherlei Weise gebildet werden: entweder durch Beziehung unserer verschiedenen Kenntnisse auf die verschiedenen Fähigkeiten unserer Seele oder durch Beziehung derselben auf die Wesen, die sie zum Gegenstand haben. Die Schwierigkeit war aber um so größer, je mehr Freiheit dabei bestand. Und wie sollte sie dabei nicht bestehen? Die Natur bietet uns nur besondere Dinge, unendlich viele, ohne irgendeine feststehende und bestimmte Einteilung. Alles in ihr ergibt sich durch unmerklich feine Übergänge. Und wenn aus diesem Meer von Gegenständen, die uns umgeben, einige wie Bergspitzen hervorzuragen und die anderen zu beherrschen scheinen, so verdanken sie diesen Vorzug nur besonderen Systemen, vagen Konventionen und gewissen sonderbaren Zufälligkeiten, die der natürlichen Anordnung der Dinge und den wahren Grundlehren der Philosophie fremd sind. Wenn wir nicht hoffen konnten, wenigstens die Naturgeschichte einer allumfassenden und jedermann zusagenden Einteilung zu unterwerfen, wie es Buffon und Daubenton nicht ohne gute Gründe vorgeschlagen haben, - um wieviel mehr waren wir dann bei einem weitaus umfangreicheren Stoff dazu berechtigt, uns - wie Buffon und Daubenton - an irgendeine Methode zu halten, die befriedigend erscheint für gute Köpfe, die einsehen, was die Natur der Dinge verträgt und was sie nicht verträgt! Am Schluß dieses Entwurfs findet man den Baum des menschlichen Wissens mit der Kette der Ideen, die uns bei diesem ungeheuren Unternehmen geleitet haben. Wenn wir dabei erfolgreich abgeschnitten haben, so verdanken wir dies hauptsächlich dem Kanzler Bacon, der den Plan für ein universales Wörterbuch der Wissenschaften und Künste schon in einer Zeit entworfen hat, in der es sozusagen noch keine Wissenschaften und Künste gab. Da dieses außerordentliche Genie nicht in der Lage war, die Geschichte all dessen zu schreiben, was man wußte, schrieb er die Geschichte all dessen, was man erlernen mußte. - (enz)

System (9) Ausführliche Erklärung des Systems der menschlichen Kenntnisse

Die physischen Dinge wirken auf die Sinne. Die Eindrücke dieser Dinge rufen im Verstand die Wahrnehmung derselben hervor. Der Verstand befaßt sich mit seinen Wahrnehmungen nur auf dreierlei Weise, gemäß seinen drei Hauptfähigkeiten:

Gedächtnis, Vernunft, Einbildung. Entweder zeichnet der Verstand seine Wahrnehmungen einfach durch das Gedächtnis auf, oder er untersucht, vergleicht und verarbeitet sie durch die Vernunft, oder er ahmt sie zu seinem. Vergnügen durch die Einbildungskraft nach und entstellt sie dabei. Daraus ergibt sich eine allgemeine, anscheinend recht gut begründete Einteilung des menschlichen Wissens in Geschichte, die sich auf das Gedächtnis bezieht, in Philosophie, die von der Vernunft ausgeht, und in Poesie, die aus der Einbildung entsteht.

Gedächtnis und auf seiner Grundlage: Geschichte

Die Geschichte handelt von den Tatsachen, und die Tatsachen betreffen Gott, den Menschen oder die Natur. Die Tatsachen, die Gott betreffen, gehören zur heiligen Geschichte, die Tatsachen, die den Menschen betreffen, gehören zur bürgerlichen Geschichte, und die Tatsachen, die die Natur betreffen, beziehen sich auf die Naturgeschichte.

Geschichte

I. Heilige Geschichte - II. Bürgerliche Geschichte -III. Naturgeschichte

I. Die heilige Geschichte gliedert sich in biblische und Kirchengeschichte; die Geschichte der Prophezeiungen, in der die Erzählung dem Ereignis vorausgeht, ist ein Zweig der biblischen Geschichte.

II. Die bürgerliche Geschichte, dieser Zweig der Universalgeschichte, cuius dei exempla maiorem, vicissitudines rerum, fundamenta prudentiae civilis, hominum denique nomen et fama commissa sunt, gliedert sich - je nach den Gegenständen - in eigentliche bürgerliche Geschichte und Literaturgeschichte.

Die Wissenschaften sind das Werk der Reflexion und der natürlichen Einsicht der Menschen. Der Kanzler Bacon hat also recht, wenn er in seinem bewunderungswürdigen Werk ›De dignitate et augmentis scientiarum‹ sagt, die Weltgeschichte ohne die Geschichte der Gelehrten gleiche dem Standbild des Polyphem, dem man ein Auge ausgerissen habe.

Die eigentliche bürgerliche Geschichte läßt sich in Erinnerungen, Altertumskunde und vollständige Geschichte gliedern. Wenn die Geschichte wahrhaftig das Gemälde der vergangenen Zeiten ist, dann ist die Altertumskunde eine Sammlung von Zeichnungen, die fast immer beschädigt sind, und die vollständige Geschichte ein Bild, dessen Studien die Erinnerungen darstellen.

III. Die Gliederung der Naturgeschichte ist gegeben durch die Verschiedenheit der Tatsachen der Natur und die Verschiedenheit der Tatsachen der Natur durch die Verschiedenheit der Zustände der Natur. Entweder ist die Natur einheitlich und folgt daher einem regelmäßigen Lauf, wie man ihn allgemein an den Himmelskörpern, den Tieren, den Pflanzen usw. beobachtet, oder sie erscheint verzerrt und in ihrem normalen Lauf gestört, wie bei den Mißbildungen, oder sie ist verschiedenen Zwecken unterworfen und angepaßt, wie in den Künsten. Die Natur macht alles entweder in ihrem normalen und regelmäßigen Lauf oder in ihren Abweichungen oder in ihrer Anwendung. Einheitlichkeit der Natur - erster Teil der Naturgeschichte. Irrtümer oder Abweichungen der Natur - zweiter Teil der Naturgeschichte. Zwecke der Natur - dritter Teil der Naturgeschichte.

Über die Vorteile der Geschichte der einheitlichen Natur brauchen wir uns nicht zu verbreiten. Wenn man uns aber fragt, wozu die Geschichte der mißgestalten Natur dienen kann, so antworten wir: um von den Wundern ihrer Abweichungen zu den wunderbaren Schöpfungen der Kunst zu gelangen; um die Natur noch mehr von ihrem Wege abzubringen oder sie auf ihn zurückzuführen; und vor allem, um die Vermessenheit der allgemeinen Grundsätze zu korrigieren - ut axiomatum corrigatur iniquitas.

Was die Geschichte der verschiedenen Zwecken angepaßten Natur betrifft, so könnte man aus ihr einen Zweig der bürgerlichen Geschichte machen; denn im allgemeinen ist die Kunst eine durch die Bedürfnisse oder den Luxus des Menschen bedingte Anwendung der menschlichen Arbeit (industrie) auf die Erzeugnisse der Natur. Wie dem auch sei, diese Anwendung erfolgt nur auf zweierlei Weise: entweder dadurch, daß man die natürlichen Körper einander nähert, oder dadurch, daß man sie voneinander entfernt. Der Mensch vermag alles oder nichts, je nachdem, ob es möglich ist, die natürlichen Körper einander zu nähern oder sie voneinander zu entfernen.

Die Geschichte der einheitlichen Natur gliedert sich - ihren Hauptgegenständen entsprechend - in Himmelskunde oder Kunde von den Gestirnen, ihren Bewegungen, ihren sichtbaren Erscheinungen usw. - ohne Erklärung ihrer Ursachen durch Systeme, Hypothesen usw.; es handelt sich dabei nur um bloße Phänomene. Ferner in Kunde von den Lufterscheinungen, wie Wind, Regen, Unwetter, Donner, Nordlicht usw.; in Erd- und Meereskunde oder Kunde von den Gebirgen, Strömen, Flüssen, Strömungen, Gefeiten, Wüsten, Wäldern, Inseln, Formen der Kontinente, usw.; in Mineralkunde, Pflanzenkunde und Tierkunde. Daraus ergibt sich eine Geschichte der Elemente, der sichtbaren Natur, der wahrnehmbaren Wirkungen, der Bewegungen des Feuers, der Luft, der Erde und des Wassers.

Die Geschichte der mißgestalten Natur muß dieselbe Einteilung befolgen. In den Himmelsräumen, in den Luftregionen, auf der Oberfläche der Erde, in ihrem Inneren, auf dem Meeresgrund usw. - stets und überall kann die Natur Wunder vollbringen.

Die Geschichte der angewandten Natur ist so ausgedehnt wie die verschiedenen Zwecke, denen die Menschen die Erzeugnisse der Natur in den Künsten, den Handwerken und den Manufakturen unterwerfen. Es gibt keine Wirkung der menschlichen Arbeit (industrie), die man nicht auf irgendein Naturerzeugnis zurückführen kann. Auf die Bearbeitung und Verwendung von Gold und Silber sind die Künste des Münzenmachers, des Goldschlägers, des Geldgebers, des Polierers usw. zurückzuführen; auf die Bearbeitung und Verwendung der Edelsteine die Künste des Steinschneiders, des Diamantenschleifers, des Juweliers, des Ziselierers usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung des Eisens die Künste des Grobschmieds, des Schlossers, des Kiemschmieds, des Waffenschmieds, des Büchsenmachers, des Messerschmieds usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung des Glases die Künste des Glasbläsers, des Glasschleifers, des Spiegelglasmachers, des Fensterglasmachers usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung der Tierhäute die Künste des Sämischgerbers, des Lohgerbers, des Sattlers usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung von Wolle und Seide, das Haspeln und Zwirnen die Künste der Tuchmacher, der Bandmacher, der Bortenmacher, der Knopfmacher, der Zubereiter von Sammet, Satin, Damast, Brokat, Glanzseide usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung der Erden die Künste des Töpfers, des Steingutmachers, des Porzellanmachers usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung der Steine die Künste des Baumeisters, des Bildbauers, des Steinmetzen usw.; auf die Bearbeitung und Verwendung des Holzes die Künste des Tischlers, des Zimmermanns, des Schreiners, des Drechslers usw., und ebenso bei allen anderen Stoffen und allen anderen Künsten, deren Zahl mehr als zweihundertfünfzig beträgt. In der Einleitung hat man gesehen, wie wir jede einzelne behandeln wollen.

Das ist der ganze geschichtliche Teil des menschlichen Wissens - das, was auf das Gedächtnis bezogen werden muß, und das, was den Grundstoff für den Philosophen bilden soll.

Vernunft und auf ihrer Grundlage: Philosophie

Die Philosophie oder der Teil des menschlichen Wissens, der auf die Vernunft bezogen werden muß, ist sehr umfangreich. Es gibt kaum einen durch die Sinne wahrgenommenen Gegenstand, aus dem das Nachdenken keine Wissenschaft gemacht hat. Aber in der Vielzahl dieser Gegenstände gibt es einige, die durch ihre Bedeutung auffallen (quibus abscinditur infinitum) und auf die man alle Wissenschaften beziehen kann. Diese Hauptgegenstände sind Gott, zu dessen Erkenntnis der Mensch durch Nachdenken über die Naturgeschichte und die biblische Geschichte gelangt ist; der Mensch, der seines Daseins durch das Bewußtsein oder den inneren Sinn gewiß ist, und die Natur, deren Geschichte der Mensch durch den Gebrauch seiner äußeren Sinne kennengelernt hat. Gott, Mensch und Natur werden uns also eine allgemeine Einteilung der Philosophie oder Weisheit liefern (denn diese zwei Wörter sind gleichbedeutend); und die Philosophie oder Weisheit ist dann Gotteskunde, Menschenkunde und Naturkunde.

Philosophie oder Weisheit

I. Gotteskunde - II. Menschenkunde - III. Naturkunde

I. Gotteskunde: Der natürliche Fortschritt des menschlichen Geistes besteht darin, daß er von den Individuen zu den Arten, von den Arten zu den Gattungen, von den nahen Gattungen zu den fernen Gattungen aufsteigt und bei jedem Schritt eine Wissenschaft bildet oder irgendeine schon gebildete Wissenschaft wenigstens durch einen neuen Zweig bereichert. Der Begriff einer nicht geschaffenen, unendlichen usw. Intelligenz, die wir in der Natur finden und die uns die biblische Geschichte verkündet, und der Begriff einer geschaffenen, endlichen, an einen Körper gebundenen Intelligenz, die wir beim Menschen wahrnehmen und beim wilden Tier vermuten, haben uns also zum Begriff einer geschaffenen, endlichen, körperlosen Intelligenz und zum allgemeinen Begriff des Geistes geführt. Hinzu kommen die allgemeinen Eigenschaften des Seins, sowohl des geistigen als des körperlichen Seins: Existenz, Möglichkeit, Dauer, Substanz, Attribut usw. Man untersuchte diese Eigenschaften und begründete die Ontologie oder die Lehre vom Sein überhaupt. Wir haben also - in umgekehrter Ordnung - gefunden: zuerst die Ontologie und dann die Lehre vom Geist, die Pneumatologie oder das, was man gewöhnlich besondere Metaphysik nennt. Diese Wissenschaft gliedert sich in Gotteskunde oder natürliche Theologie, die Gott durch die Offenbarung zu berichtigen und zu heiligen geruht, aus der also Religion und eigentliche Theologie oder — durch Mißbrauch -Aberglauben hervorgehen; in Lehre von den guten und bösen Geistern oder von den Engeln und Teufeln, woraus die Weissagung und die Schimäre der schwarten Magie entstehen; und in Seelenkunde, die man wieder geteilt hat, nämlich in die Lehre von der vernünftigen Seele, die begreift, und die Lehre von der empfindsamen Seele, die sich auf Empfindungen beschränkt.

II. Menschenkunde: Die Gliederung der Menschenkunde ist uns durch die Einteilung der menschlichen Fähigkeiten gegeben. Die Hauptfähigkeiten des Menschen sind Verstand und Wille: der Verstand, der zur Wahrheit gelenkt werden muß, und der Wille, der sich der Tugend beugen muß. Das eine ist das Ziel der Logik, das andere das Ziel der Moral.

Die Logik läßt sich einteilen in Kunst des Denkens, Kunst des Behaltens der Gedanken und Kunst des Mitteilens der Gedanken.

Die Kunst des Denkens hat so viele Zweige, wie der Verstand Haupttätigkeiten hat. Beim Verstand unterscheidet man aber vier Haupttätigkeiten: Begriffsbildung, Urteil, Vernunftschluß und Methode. Auf die Begriffsbildung kann man die Lehre von den Ideen oder Wahrnehmungen beziehen; auf das Urteil die Lehre von den Grundsätzen; auf den Vernunftschluß und die Methode die Lehre von der Induktion und der Beweisführung. Doch bei der Beweisführung geht man entweder von der zu beweisenden Sache auf die Grundprinzipien zurück oder kommt von den Grundprinzipien zu der zu beweisenden Sache. Daher kommen Analyse und Synthese.

Die Kunst des Behaltens hat zwei Zweige: die Kunde vom Gedächtnis und die Kunde von den Hilfsmitteln des Gedächtnisses. Das Gedächtnis, das wir zuerst als eine rein passive Fähigkeit betrachtet haben und jetzt als ein aktives Vermögen betrachten, welches die Vernunft vervollkommnen kann, ist entweder natürlich oder künstlich. Das natürliche Gedächtnis kommt von einer Affizierung der Organe; das künstliche besteht in der Vorkenntnis und dem Sinnbild: der Vorkenntnis, ohne die dem Geist nichts Besonderes gegenwärtig ist, und dem Sinnbild, durch das die Einbildungskraft zur Unterstützung des Gedächtnisses aufgefordert wird.

Die künstlichen Darstellungen sind Hilfsmittel des Gedächtnisses. Die Schrift ist eine dieser Darstellungen; doch beim Schreiben benutzt man entweder gebräuchliche Buchstaben oder besondere Schriftlichen. Man nennt die Sammlung der ersteren Alphabet; die anderen heißen Chiffren. Daher kommen die Künste des Lesens, des Schreibens, des Entzifferns und die Lehre von der Rechtschreibung.

Die Kunst des Mitteilens gliedert sich in Lehre von den Hilfsmitteln der Rede und in Lehre von den Qualitäten der Rede. Die erstere heißt Grammatik, die letztere Rhetorik.

Die Grammatik gliedert sich in Lehre von den Zeichen, von der Aussprache, von dem Satzbau und der Satzfügung. Die Zeichen bedeuten die artikulierten Laute; die Aussprache oder Prosodie bedeutet die Kunst des Artikulierens der Laute, die Saf^fügung die Kunst, sie den verschiedenen Absichten des Geistes anzupassen, und der Satzbau die Kenntnis der Ordnung, die sie in der Rede auf Grund des Gebrauches und der Überlegung haben sollen. Aber es gibt auch andere Zeichen des Denkens als die artikulierten Laute, nämlich die Gebärde und die Sinnreichen. Die Sinnreichen sind entweder ideell oder hieroglyphisch, oder heraldisch. Ideell sind zum Beispiel die Sinnzeichen der Inder, die je eine Idee ausdrücken und deshalb so vielfältig sein müssen, wie die Dinge in der Wirklichkeit sind. Hieroglyphisch sind diejenigen, die in der Kindheit der Welt die Schrift bilden, und heraldisch diejenigen, die das bilden, was wir Wappenkunde nennen.

Auf die Kunst des Mitteilens muß man auch die Kritik, die Pädagogik und die Philologie beziehen: die Kritik, weil sie in den Werken der Schriftsteller die verfälschten Stellen berichtigt, Ausgaben besorgt usw.; die Pädagogik, weil sie von der Wahl der Unterrichtsfächer und von der Lehrmethode handelt; die Philologie, weil sie sich mit der allgemeinen Literaturkunde befaßt.

Auf die Kunst des Verzierens der Rede muß man die Verslehre oder Mechanik der Poesie beziehen. Wir lassen die Gliederung der Rhetorik in ihre verschiedenen Teile weg, weil aus ihr keine Wissenschaft oder Kunst hervorgeht, es sei denn aus der Gebärde vielleicht die Pantomime und aus der Gebärde und Stimme vielleicht die Deklamation.

Die Moral, die wir zum zweiten Teil der Menschenkunde gemacht haben, bezieht sich entweder auf das Allgemeine oder auf das Besondere. Sie gliedert sich in Naturrech fslehre. Wirfschaftslehre und Staatslehre. Die Naturrechfslehre ist die Kunde von den Pflichten des einzelnen Menschen, die Wirfschaffslehre die Kunde von den Pflichten des Menschen in der Familie, die Staatslehre die Kunde von den Pflichten des Menschen in der Gesellschaft. Aber die Moral wäre unvollständig, wenn diesen Abhandlungen nicht andere vorangingen: die über die Realität des sittlich Guten und des sittlich Schlechten, die über die Notwendigkeif, seine Pflichten zu erfüllen und gut, gerecht, tugendhaft zu sein u. a. Das ist der Gegenstand der allgemeinen Moral.

Wenn man in Betracht zieht, daß die Gesellschaften nicht weniger als die einzelnen dazu verpflichtet sind, tugendhaft zu sein, sieht man die gesellschaftlichen Pflichten entstehen, die man nennen könnte: Naturrechtslehre einer Gesellschaft, Wirtschaftslehre einer Gesellschaff, Innen- undAußenhandel, zu Wasser und zu Lande, und Staatslehre einer Gesellschaft.

III. Naturkunde: Wir gliedern die Naturkunde in Physik und Mathematik. Auch diese Gliederung verdanken wir der Überlegung und unserer Neigung zum Verallgemeinern. Wir haben durch die Sinne Kenntnis von den realen Einzeldingen gewonnen: Sonne, Mond, Sirius usw. - Gestirne; Luft, Feuer, Erde, Wasser usw. - Elemente; Regen, Schnee, Hagel, Donner usw. - Lufterscheinungen; und so fort bis zum Ende der Naturkunde. Gleichzeitig haben wir Kenntnis von den abstrakten Eigenschaften genommen: Farbe, Laut, Geschmack, Geruch, Dichte, Dünne, Wärme, Kälte, Weichheit, Härte, Flüssigkeif, Festigkeit, Starrheit, Dehnbarkeif, Schwere, Leichtigkeit usw.; Gestalt, Abstand, Bewegung, Ruhe, Dauer, Ausdehnung, Quantität, Undurchdringlichkeit.

Wir haben durch Nachdenken festgestellt, daß unter diesen abstrakten Eigenschaften die letzteren, nämlich Ausdehnung, Bewegung, Undurchdringlichkeit usw., allen körperlichen Einzeldingen zukamen. Wir haben sie zum Gegenstand der allgemeinen Physik oder Metaphysik der Körper gemacht. Werden dieselben Eigenschaften an jedem Einzelding im besonderen betrachtet, und zwar zusammen mit den mannigfachen Unterschieden, die es auszeichnen, nämlich Härte, Spannkraft, Flüssigkeit usw., so bilden sie den Gegenstand der besonderen Physik.

Eine andere, allgemeinere Eigenschaft der Körper, welche die Voraussetzung aller anderen Eigenschaften ist, nämlich die Quantität, hat den Gegenstand der Mathematik gebildet. Quantität oder Größe nennt man alles, was vermehrt oder vermindert werden kann.

Die Quantität als Gegenstand der Mathematik konnte entweder allein betrachtet werden, also unabhängig von den realen und abstrakten Einzeldingen, von denen man Kenntnis hatte, oder an diesen realen und abstrakten Einzeldingen, oder in ihren Wirkungen, die auf Grund der wirklichen oder mutmaßlichen Ursachen erforscht wurden. Die zweite Anschauungsweise führte zur Einteilung der Mathematik in reine Mathematik, gemischte Mathematik und physikalische Mathematik.

Die abstrakte Quantität als Gegenstand der reinen Mathematik ist entweder zählbar oder ausgedehnt. Die syhibare abstrakte Quantität wurde zum Gegenstand der Arithmetik und die ausgedehnte abstrakte Quantität zum Gegenstand der Geometrie.

Die Arithmetik gliedert sich in numerische Arithmetik oder Zahlenrechnung und Algebra oder allgemeine Buchstabenrechnung, die nichts anderes ist als die Berechnung der Größen überhaupt und deren Operationen eigentlich nur arithmetische Operationen in verkürzter Form sind; denn genaugenommen gibt es nur Zahlenrechnung.

Die Algebra ist elementar oder infinitesimal, je nach der Natur der Quantitäten, auf die man sie anwendet. Die infinitesimale Algebra ist entweder differential oder integral: differential, wenn es darauf ankommt, von dem Ausdruck einer endlichen oder für sich betrachteten Quantität zu dem Ausdruck ihrer momentanen Zunahme oder Abnahme zu gelangen, und integral, wenn es darauf ankommt, von diesem Ausdruck auf die endliche Quantität selbst zurückzugehen.

Die Geometrie hat entweder die Eigenschaften des Kreises und der Geraden zum ursprünglichen Gegenstand oder erfaßt bei ihren Spekulationen alle möglichen Kurven. Dadurch gliedert sie sich in elementare Geometrie und transzendente Geometrie. ,

Die gemischte Mathematik hat so viele Abteilungen und Unterabteilungen, wie es reale Dinge gibt, an denen die Quantität betrachtet werden kann. Die Betrachtung von Quantitäten, Körpern, die beweglich sind oder zur Bewegung tendieren, ist der Gegenstand der Mechanik. Die Mechanik hat zwei Zweige:

Statik und Dynamik. Die Statik hat als Gegenstand die Betrachtung der Quantität bei den Körpern, die sich im Gleichgewicht befinden und nur zur Bewegung tendieren. Die Dynamik hat als Gegenstand die Betrachtung der Quantität bei den tatsächlich in Bewegung befindlichen Körpern. Die Statik und die Dynamik haben je zwei Abteilungen. Die Statik teilt sich in eigentliche Statik, die als Gegenstand die Betrachtung der Quantität bei den im Gleichgewicht befindlichen und nur zur Bewegung tendierenden festen Körpern hat, und Hydrostatik, die als Gegenstand die Betrachtung der Quantität bei den im Gleichgewicht befindlichen und nur zur Bewegung tendierenden flüssigen Körpern hat. Die Dynamik teilt sieh in eigentliche Dynamik, die als Gegenstand die Betrachtung der Quantität bei den tatsächlich in Bewegung befindlichen festen Körpern hat, und Hydrodynamik, die als Gegenstand die Betrachtung der tatsächlich in Bewegung befindlichen flüssigen Körper hat. Betrachtet man die Quantität jedoch bei dem tatsächlich in Bewegung befindlichen Wasser, dann nimmt die Hydrodynamik den Namen Hydraulik an. Man könnte die Navigation auf die Hydrodynamik und die Ballistik oder den Bombenwurf auf die Mechanik zurückführen.

Die Betrachtung der Quantität bei den Bewegungen der Himmelskörper führt zur geometrischen Astronomie, ferner zur Kosmographie oder Beschreibung des Weltalls, die sich in Uranographie oder Beschreibung des Himmels, Hydrographie oder Beschreibung der Gewässer und Geographie gliedert, und schließlich zur Chronologie und zur Gnomonik oder Kunst des Konstruierens von Sonnenuhren.

Die Betrachtung der Quantität beim Licht führt zur Optik und die Betrachtung der Quantität bei der Bewegung des Lichts zu den verschiedenen Zweigen der Optik. Geradlinige Lichtbewegung : eigentliche Optik; Beugung des Lichts in einem und demselben Medium: Katoptrik; Brechung des Lichts beim Übergang von einem Medium in ein anderes: Dioptrik. Auf die Optik muß man die Perspektive beziehen.

Die Betrachtung der Quantität in bezug auf den Schall, seine Stärke, seine Bewegung, seine Abstufung, seine Zurückwerfung, seine Geschwindigkeit usw. führt zur Akustik.

Die Betrachtung der Quantität in bezug auf die Luft, ihre Schwere, ihre Bewegung, ihre Verdichtung, ihre Verdünnung usw. führt zur Pneumatik.

Die Betrachtung der Quantität bei möglichen Ereignissen führt zur Kunst des Mutmaßens, aus der die Analyse der Glücksspiele sich ergibt.

Da der Gegenstand der mathematischen Wissenschaften rein intellektuell ist, braucht man sich nicht über die Genauigkeit seiner Teilungen zu wundern.

Die besondere Physik muß die gleiche Einteilung befolgen wie die Naturgeschichte. Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde von den Gestirnen, ihren Bewegungen, wahrnehmbaren Erscheinungen usw. ist die Reflexion zur Erforschung ihres Ursprungs, der Ursachen ihrer Erscheinungen usw. übergegangen und hat die Wissenschaft hervorgebracht, die naturliche Astronomie genannt wird. Auf diese muß man die Lehre von ihren Einflüssen zurückführen, die Astrologie heißt, und daher kommt die natürliche Astrologie und die Schimäre der Sterndeutung. Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde von Wind, Regen, Hagel, Donner usw. ist die Reflexion zur Erforschung ihres Ursprungs, ihrer Ursachen, Wirkungen usw. übergegangen und hat die Wissenschaft hervorgebracht, die man Meteorologie nennt.

Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde vom Meer, von der Erde, den Strömen, den Flüssen, den Gebirgen, den Gefeiten ist die Reflexion zur Erforschung ihrer Ursachen, ihres Ursprungs usw. übergegangen und hat die Kosmologie oder Kunde vom Weltall hervorgebracht. Diese gliedert sich in Uranologie oder Himmelskunde, Aerologie oder Luffkunde, Geologie oder Erdkunde und Hydrologie oder Gewässerkunde. Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde von den Bergwerken ist die Reflexion zur Erforschung ihrer Entstehung, Ausbeutung usw. übergegangen und hat die Wissenschaft hervorgebracht, die Mineralogie genannt wird. Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde von den Pflanzen ist die Reflexion zur Erforschung ihrer Struktur, ihrer Fortpflanzung, ihres Anbaus, ihres Wachstums usw. übergegangen und hat die Botanik geschaffen, zu deren Zweigen Ackerbau und Gartenbau gehören.

Von der durch die Sinne gewonnenen Kunde von den Tieren ist die Reflexion zur Erforschung ihrer Erhaltung, ihrer Fortpflanzung, ihrer Nutzung, ihres Baus usw. übergegangen und hat die Wissenschaft hervorgebracht, die man Zoologie nennt. Von ihr gehen aus: Medizin, Veterinärmedizin und Reitkunst, Jagd, Fischfang und Falknerei, einfache Anatomie und vergleichende Anatomie. Die Medizin beschäftigt sich (nach Boerhaaves Einteilung) entweder mit dem Haushalt des menschlichen Körpers und erklärt vernunftmäßig seine Anatomie, wobei die Physiologie entsteht, oder mit dem Verfahren, ihn vor Krankheiten zu schützen, mit der sogenannten Hygiene; oder sie betrachtet den kranken Körper, handelt von den Ursachen, den Unterschieden und den Symptomen der Krankheiten und heißt dann Pathologie; oder sie hat als Gegenstand die Merkmale des Lebens, der Gesundheit und der Krankheit, ihre Diagnose und Prognose, und nimmt dann den Namen Semiofik an; oder sie lehrt die Heilkunst und unterteilt sich in Diätetik, Pharmazie und Chirurgie, die drei Zweige der Therapeutik.

Die Hygiene kann in bezug auf die Gesundheit des Körpers, seine Schönheit und seine Kräfte betrachtet und in eigentliche Hygiene, Kosmetik und Athletik eingeteilt werden. Die Kosmetik führt zur Orthopädie oder Kunst, den Gliedern eine schöne Gestalt Zugeben, und die Athletik zur Gymnastik oder zur Kunst, sie zu üben.

Von der experimentellen Kenntnis oder der durch die Sinne gewonnenen Kunde von den äußeren, wahrnehmbaren, augenscheinlichen usw. Eigenschaften der natürlichen Korper hat uns die Reflexion zur künstlichen Erforschung ihrer inneren, verborgenen Eigentümlichkeiten geführt, und diese Kunst heißt Chemie. Die Chemie ist Nachahmerin und Nebenbuhlerin der Natur; ihr Gegenstand ist beinahe so ausgedehnt wie der Gegenstand der Natur selbst. Sie zerlegt die Dinge, baut sie auf

oder wandelt sie um usw. Die Chemie hat die Alchimie und die natürliche Zauberei hervorgebracht. Die Metallurgie oder Kunst des Verarbeitens der Metalle im großen ist ein wichtiger Zweig der Chemie. Auf diese Kunst kann man auch die Färberei zurückführen.

Die Natur hat ihre Abweichungen und die Vernunft ihre Mißbräuche. Auf die Abweichungen der Natur haben wir die Mißbildungen bezogen; auf den Mißbrauch der Vernunft müssen wir alle Wissenschaften und Künste beziehen, die nur von Habgier, Bosheit und Aberglauben zeugen und den Menschen entehren.

Das ist der ganze philosophische Teil des menschlichen Wissens, also das, was man auf die Vernunft beziehen muß.

Einbildungskraft und auf ihrer Grundlage: Poesie

Die Geschichte hat die Individuen, die wirklich existiert haben oder existieren, und die Poesie die unter Nachahmung der geschichtlichen Wesen erdichteten Individuen zum Gegenstand. Es wäre also nicht erstaunlich, wenn die Poesie eine der Einteilungen der Geschichte befolgte. Doch die verschiedenen Gattungen der Poesie und die Verschiedenheit ihrer Sujets bieten uns zwei ganz natürliche Einteilungen. Das Sujet einer Dichtung ist entweder religiös oder profan. Entweder erzählt der Dichter von dem Vergangenen, oder er vergegenwärtigt es, indem er es in die Handlung umsetzt, oder er verkörpert Abstraktes und Geistiges. Die erste dieser Dichtungsarten ist die erzählende Dichtung, die zweite die dramatische, die dritte die parabolische. Das epische Gedicht, das Madrigal, das Epigramm usw. gehören gewöhnlich zur erzählenden Dichtung; die Tragödie, die Komödie, die Oper, die Ekloge usw. zur dramatischen Dichtung und die Allegorien usw. zur parabolischen Dichtung.

Dichtung

I. Erzählende - II. Dramatische - III. Parabolische

Unter Dichtung verstehen wir dabei nur das, was Fiktion ist. Da es Metrik ohne Poesie und Poesie ohne Metrik geben kann, haben wir angenommen, daß wir die Metrik als eine Qualität des Stils betrachten und sie in die Redekunst verweisen müssen. Dagegen werden wir Architektur, Malerei, Skulptur, Gravierkunst usw. auf die Poesie zurückführen: denn man kann mit demselben Recht vom Maler sagen, er sei ein Dichter, wie vom Dichter, er sei ein Maler, und vom Bildhauer oder Kupferstecher, er sei ein Reliefmaler oder Basreliefmaler, wie vom Musiker, er sei ein Lautmaler. Der Dichter, der Musiker, der Maler, der Bildhauer, der Kupferstecher usw. ahmen die Natur nach; aber der eine gebraucht dabei Wörter, der andere Farben, der dritte Marmor, Erz usw. und der letzte das Instrument oder die Stimme. Die Musik ist theoretisch oder praktisch: Instrumental- oder Vokalmusik. Was den Architekten betrifft, so ahmt er die Natur nur unvollkommen durch die Symmetrie seiner Werke nach.

Die Poesie hat ihre Mißbildungen wie die Natur. Dazu muß man alle Produkte der ausschweifenden Phantasie zählen, und es kann solche Produkte in allen Gattungen geben.

Das ist der ganze poetische Teil des menschlichen Wissens, also das, was man auf die Einbildungskraft beziehen kann, und das Ende unserer genealogischen Einteilung (oder, wenn man will, Weltkarte) der Wissenschaften und Künste. Vielleicht müßten wir befürchten, daß wir sie zu ausführlich beschrieben haben, wenn es nicht äußerst wichtig wäre, den Gegenstand einer Enzyklopädie genau zu kennen und ihn den anderen deutlich auseinanderzusetzen.

Aber eine Überlegung, auf die wir nicht oft genug aufmerksam machen können, sagt uns, daß die Zahl der möglichen Systeme des menschlichen Wissens ebenso groß ist wie die Zahl der Köpfe und daß gewiß nur in dem System, das im göttlichen Verstand besteht, die Willkür ausgeschlossen ist. Wir haben die Künste des Städtebaus, des Schiffsbaus und der Kriegsbauten auf ihren Ursprung bezogen; doch könnte man sie ebensogut auf den Teil der Mathematik beziehen, der von ihren Prinzipien handelt, vielleicht sogar auf den Zweig der Naturkunde, der alle Verwendungsmöglichkeiten der Naturerzeugnisse umfaßt; oder man könnte die Pyrotechnik in die Chemie verweisen, oder die Architektur mit der Malerei und Skulptur verbinden usw. Diese Einteilung wäre gebräuchlicher gewesen, aber der Kanzler Bacon meinte, dies wäre kein Grund, sie zu befolgen, und wir ahmten ihn in diesem Fall und vielen anderen Fällen immer nach, wenn die Geschichte uns keine Auskunft über die Entstehung einer Wissenschaft oder Kunst gab und uns die Freiheit ließ, uns auf philosophische Mutmaßungen zu stützen. Zweifellos gibt es ein System des menschlichen Wissens, welches das klarste, das geschlossenste und das methodischste ist. Haben wir es gefunden? Wir sind nicht so anmaßend, dies zu glauben. Deshalb bitten wir nur darum, daß man sich vor irgendeiner Entscheidung über das System, das wir vorgezogen haben, die Mühe mache, es zu prüfen und zu verstehen. Der Gegenstand, ist dabei so umfangreich, daß wir wohl berechtigt wären, als Beurteiler diejenigen abzulehnen, die glauben, sie seien nach einem flüchtigen Blick auf die Gestalt unseres Systems oder auf die Darstellung, die wir soeben von ihm gegeben haben, schon über alles unterrichtet. Übrigens hielten wir es für besser, unseren Plan durch diese zwei Stücke zu ergänzen, weil sie ein Gesamtbild geben, aus dem der Leser die Anordnung des ganzen Werkes wohl zu erkennen vermag, und ihm nicht nur einige Aufsätze zu vermitteln, die ihm bloß eine sehr unvollständige Idee über einige Teile dieses Werkes gegeben hätten. Wenn man uns entgegenhält, daß die alphabetische Ordnung den Zusammenhang unseres Systems des menschlichen Wissens zerstöre, so antworten wir, daß dieser Zusammenhang weniger in der Anordnung der Stoffe besteht als in ihren wechselseitigen Beziehungen, daß also nichts ihn zunichte machen kann und daß wir dafür sorgen werden, ihn durch die Gliederung der Stoffe in jedem Artikel und durch die Genauigkeit und Häufigkeit der Hinweise wahrnehmbar zu machen. - (enz)

System, balzacsches Alles irdische Sein ist das Produkt einer «ätherischen Substanz», die wir wechselnd bezeichnen als Elektrizität, Wärme, Licht, galvanisches oder magnetisches Fluidum. Diese Substanz ist unendlich verwandlungsfähig, und die Materie ist nichts weiter als die Gesamtheit ihrer Verwandlungen.

Die Aufgabe der Erkenntnis muß demnach darin bestehen, die Differenzierung der einen Ursubstanz begreiflich zu machen und andrerseits die substanzielle Identität der verschiedenen Lebenserscheinungen festzuhalten. Im tierischen Gehirn - das selbst als Retorte füngiert - verwandelt sich die Substanz in psychische Energie, oder, wie Balzac sagt, in Willen. Die verschiedenen Gattungen von Lebewesen entsprechen verschieden dosierten Kombinationen von Wille und Substanz. Innerhalb der Gattungen differenzieren sich die Arten je nach dem Milieu.

Die höchste Intensität erreicht der Wille im Menschen. Das spezifische Produkt des menschlichen Willens ist der Gedanke. Organe des menschlichen Willens sind die sogenannten fünf Sinne — in Wahrheit nur Differenzierungen eines Grundsinnes, des Gesichts. Das letzte, «unanalysierbare», Urphänomen der Menschennatur ist das Wort.

Durch das ganze Menschenwesen geht der Dualismus von innen und außen, Geist (Wille und Gedanke) und Sinnlichkeit, Aktion und Reaktion. Homo duplex. Das Leben ist der Antagonismus von Aktion und Reaktion.

Der Mensch kann in diesem Antagonismus den sittlichen Ausschlag geben. Wenn er dem inneren Menschen den Vorrang über den äußeren sichert, kann er sich zum Engel entwickeln. Er muß zu diesem Behuf das geistige Leben pflegen und das körperliche unterbinden. Andernfalls werden seine Kräfte von dem Spiel der äußeren Sinne (denen die geistigen, «latenten» Sinne entsprechen) absorbiert, und die in ihn eingesenkte Engelnatur geht infolge dieses Materialisierungsprozesses zugrunde. Bei richtiger Pflege dagegen wächst die Seele auf Kosten der Materie und sucht sich von ihr zu trennen. Zeitweilige Trennung der Seele vom Körper ist bei Lebzeiten möglich, die endgültige Trennung vollzieht sich im Tode. Dann beginnt für den Engel das wahre Leben.

Alles Seiende ist hierarchisch geordnet. Über den drei Naturreichen erhebt sich als viertes Reich die menschliche Ideenwelt. Die Ideen sind Lebewesen von blumenartiger Beschaffenheit. Innerhalb der Ideenwelt sind wieder drei Sphären zu scheiden: Instinkt, Abstraktion und - wie Balzac mit einem ungeschickten Ausdruck sagt - «Spezialität». Die Mehrzahl der Menschen bleibt im Instinkt (Triebhaftigkeit) stecken. Eine Minderheit erreicht die Stufe der Abstraktion (bewußtes Denken). Mit der Abstraktion beginnt die Gesellschaft. Sie erzeugt die Gesetze, die Künste, die sozialen Schöpfungen. «Sie ist der Ruhm und die Geißel der Welt: der Ruhm, denn sie hat die Gesellschaften geschaffen; die Geißel, denn sie enthebt den Menschen davon, in die Spezialität' einzudringen, welche einer der Wege zum Unendlichen ist.»

Die Spezialität (abgeleitet von species, speculum, speculari) besteht darin, «die Dinge der materiellen wie der geistigen Welt in ihren ursprünglichen Verzweigungen» zu erblicken, eine geistige Gesamtanschauung der Wirklichkeit zu haben. Sie ist eine unmittelbare intellektuale Anschauung. «Die Intuition ist eine der Fähigkeiten des inneren Menschen, dessen Attribut der Spezialismus ist.» Der Genius stellt einen Übergangstypus, eine Zwischenstufe zwischen Abstraktion und Intuition dar.

Die Intuition ist also die adäquateste Form und die höchste Stufe der Erkenntnis. Wissen ist Schauen. Es gibt im Grunde nur ein Wissen. Alle unvollkommenen Formen der Erkenntnis sind nichts weiter als getrübte und vermittelte Weisen der Schau.  - Ernst Robert Curtius, Balzac. Bern 1951

System (10)

Praedicabilia a priori
[Vor der Erfahrung gültige Verstandesbegriffe]

der Zeit

des Raumes

der Materie

1) Es giebt nur eine Zeit, und alle verschiedenen Zeiten sind Theile derselben.

 

1) Es giebt nur einen Raum, und alle verschiedenen Räume sind Theile desselben.

1) Es giebt nur eine Materie, und alle verschiedenen Stoffe sind verschiedene Zustände derselben; als solche heißt sie Substanz.

2) Verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander.

2) Verschiedene Räume sind nicht nach einander, sondern zugleich.

2) Verschiedenartige Materien (Stoffe) sind es nicht durch die Substanz, sondern durch die Accidenzien.

3) Die Zeit läßt sich nicht wegdenken, jedoch Alles aus ihr.

3) Der Raum läßt sich nicht wegdenken, jedoch Alles aus ihm.

3) Vernichtung der Materie läßt sich nicht denken, jedoch die aller ihrer Formen und Qualitäten.

4) Die Zeit hat drei Abschnitte: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, welche zwei Richtungen mit einem Indifferenzpunkt bilden.

4) Der Raum hat drei Dimensionen: Höhe, Breite und Länge.

4) Die Materie existirt; d. i. wirkt, nach allen Dimensionen des Raumes und durch die ganze Länge der Zeit, wodurch sie Beide vereinigt und dadurch erfüllt: hierin besteht ihr Wesen: sie ist also durch und durch Kausalität.

5) Die Zeit ist ins Unendliche theilbar.

5) Der Raum ist ins Unendliche theilbar.

5) Die Materie ist ins Unendliche theilbar.

6) Die Zeit ist homogen und ein Continuum: d. h. kein Theil derselben ist vom andern verschieden, noch durch etwas, das nicht Zeit wäre, getrennt.

6) Der Raum ist homogen und ein Continuum: d. h. kein Theil desselben ist vom andern verschieden, noch durch etwas, das nicht Raum wäre, getrennt.

6) Die Materie ist homogen und ein Continuum: d. h. sie besteht nicht aus ursprünglich verschiedenartigen (Homoiomerien), noch ursprünglich getrennten Theilen (Atome); ist also nicht zusammengesetzt aus Theilen, die wesentlich durch etwas, das nicht Materie wäre, getrennt wären.

7) Die Zeit hat keinen Anfang noch Ende, sondern aller Anfang und Ende ist in ihr.

7) Der Raum hat keine Gränzen, sondern alle Gränzen sind in ihm.

7) Die Materie hat keinen Ursprung noch Untergang, sondern alles Entstehn und Vergehn ist an ihr.

8) Vermöge der Zeit zählen wir.

8) Vermöge des Raumes messen wir.

8) Vermöge der Materie wägen wir.

9) Der Rhythmus ist allein in der Zeit.

9) Die Symmetrie ist allein im Raume.

9) Das Aequilibrium ist allein in der Materie.

10) Wir erkennen die Gesetze der Zeit a priori.

10) Wir erkennen die Gesetze des Raumes a priori.

10) Wir erkennen die Gesetze der Substanz aller Accidenzien a priori.

11) Die Zeit ist a priori, wiewohl nur unter dem Bilde einer Linie, anschaubar.

11) Der Raum ist a priori unmittelbar anschaubar.

11) Die Materie wird a priori bloß gedacht.

12) Die Zeit hat keinen Bestand, sondern vergeht sobald sie daist.

12) Der Raum kann nie vergehn, sondern besteht allezeit.

12) Die Accidenzien wechseln, die Substanz beharrt.

13) Die Zeit ist rastlos.

13) Der Raum ist unbeweglich.

13) Die Materie ist gleichgültig gegen Ruhe und Bewegung, d. h. zu keinem von Beiden ursprünglich geneigt.

14) Alles was in der Zeit ist hat eine Dauer.

14) Alles was im Raum ist hat einen Ort.

14) Alles Materielle hat eine Wirksamkeit.

15) Die Zeit hat keine Dauer, sondern alle Dauer ist in ihr, und ist das Beharren des Bleibenden, im Gegensatz ihres rastlosen Laufes.

15) Der Raum hat keine Bewegung, sondern alle Bewegung ist in ihm, und ist der Ortwechsel des Beweglichen, im Gegensatz seiner unerschütterlichen Ruhe.

15) Die Materie ist das Beharrende in der Zeit und das Bewegliche im Raum: durch den Vergleich des Ruhenden mit dem Bewegten messen wir die Dauer.

16) Alle Bewegung ist nur in der Zeit möglich.

16) Alle Bewegung ist nur im Raum möglich.

16) Alle Bewegung ist nur der Materie möglich.

17) Die Geschwindigkeit ist, bei gleichem Raum, im umgekehrten Verhältniß der Zeit.

17) Die Geschwindigkeit ist, bei gleicher Zeit, in geradem Verhältniß des Raumes.

17) Die Größe der Bewegung ist, bei gleicher Geschwindigkeit, im geraden geometrischen Verhältniß der Materie (Masse).

18) Meßbar ist die Zeit nicht direkte, durch sich selbst, sondern nur indirekte, durch die Bewegung, als welche in Raum und Zeit zugleich ist: so mißt die Bewegung der Sonne und der Uhr die Zeit.

18) Meßbar ist der Raum direkte durch sich selbst, und indirekte durch die Bewegung, als welche in Zeit und Raum zugleich ist: daher z. B. eine Stunde Weges, und die Entfernung der Fixsterne ausgedrückt durch so viel Jahre Lauf des Lichts.

18) Meßbar, d.h. ihrer Quantität nach bestimmbar, ist die Materie als solche (die Masse) nur indirekt, nämlich allein durch die Größe der Bewegung, welche sie empfängt und giebt, indem sie fortgestoßen, oder angezogen wird.

19) Die Zeit ist allgegenwärtig:

Jedes Zeittheil ist überall, d. h. im ganzen Raum, zugleich.

19) Der Raum ist ewig: jeder Theil desselben ist allezeit.

19) Die Materie ist absolut: d. h. sie kann nicht entstehn noch vergehn, ihr Quantum also weder vermehrt noch vermindert werden.

20) In der Zeit für sich allein wäre Alles nach einander.

20) Im Raum für sich allein wäre Alles zugleich.

20), 21) Die Materie vereint die bestandlose Flucht der Zeit mit der starren Unbeweglichkeit des Raumes: daher ist sie die beharrende Substanz der wechselnden Accidenzien. Diesen Wechsel bestimmt, für jeden Ort zu jeder Zeit, die Kausalität, welche eben dadurch Zeit und Raum verbindet und das ganze Wesen der Materie ausmacht.

 

21) Die Zeit macht den Wechsel der Accidenzien möglich.

21) Der Raum macht das Beharren der Substanz möglich.

22) Jeder Theil der Zeit enthält alle Theile der Materie.

22) Kein Theil des Raumes enthält mit dem andern die selbe Materie.

22) Denn die Materie ist sowohl beharrend, als undurchdringlich.

23) Die Zeit ist das Principium individuationis.

23) Der Raum ist das Principium individuationis.

23) Die Individuen sind materiell.

24) Das Jetzt ist ohne Dauer.

24) Der Punkt ist ohne Ausdehnung.

24) Das Atom ist ohne Realität.

25) Die Zeit an sich ist leer und bestimmungslos.

25) Der Raum an sich ist leer und bestimmungslos.

25) Die Materie an sich ist ohne Form und Qualität, desgleichen träge, d. h. gegen Ruhe oder Bewegung gleichgültig, also bestimmungslos.

26) Jeder Augenblick ist bedingt durch den vorhergegangenen, und ist nur sofern dieser aufgehört hat zu seyn. (Satz vom Grunde des Seyns in der Zeit. — Siehe meine Abhandlung über den Satz vom Grunde.)

26) Durch die Lage jeder Gränze im Raum gegen irgend eine andere ist auch ihre Lage gegen jede mögliche durchaus streng bestimmt. - (Satz vom Grunde des Seyns im Raum.)

26) Jede Veränderung an der Materie kann nur eintreten vermöge einer andern, ihr vorhergegangenen: daher ist eine erste Veränderung und also auch ein erster Zustand der Materie so undenkbar, wie ein Anfang der Zeit oder eine Gränze des Raums. - (Satz vom Grund des Werdens.)

27) Die Zeit macht die Arithmetik möglich.

27) Der Raum macht die Geometrie möglich.

27) Die Materie, als das Bewegliche im Raum, macht die Phoronomie möglich.´

28) Das Einfache der Arithmetik ist die Einheit.

28) Das Einfache der Geometrie ist der Punkt.

28) Das Einfache der Phoronomie ist das Atom.

- (wv)

System (11)

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