Gott Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.

Der Mensch hat das Recht, nach seinem eigenen Gesetz zu leben - so zu leben, wie er es gewillt ist zu tun: zu arbeiten wie er will: zu spielen wie er will: zu ruhen wie er will; zu sterben wann und wie er will.

Der Mensch hat das Recht, zu essen was er will: zu trinken was er will: zu wohnen wo er will; sich auf dem Antlitz der Erde zu bewegen wie er will.

Der Mensch hat das Recht, zu denken was er will: zu sprechen was er will: zu schreiben was er will: zu zeichnen, zu malen, zu schnitzen, zu ätzen, zu gießen, zu bauen was er will: sich zu kleiden wie er will.

Der Mensch hat das Recht, zu lieben wie er will.

Der Mensch hat das Recht, jene zu töten, die ihm diese Rechte streitig machen. - The Equinox: A Journal of Scientific Illuminism, 1922 (Hg. Aleister Crowley), nach (ill)

Gott (2) Eine der denk- und merkwürdigsten Äußerungen zu diesem Stichwort findet sieh bei Fontane: »Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner« (in seinem Aufsatz: »Der Berliner Ton«, abgedruckt in »Unterwegs und wieder daheim»). Nicht einmal sicher, ob wirklich ein Fontane-Satz oder auch bei ihm ein Zitat, denn in seinem Text steht das in Anführungszeichen. Was aber bedeutet das Verdikt? Hat es zu tun mit der Banalität, vor Gott seien alle Menschen gleich? Oder mit Rankes Bestimmtheit, jede Epoche sei »unmittelbar zu Gott«? Der Gott, scheint es, vor dem alle Menschen eigentlich Berliner sind, ist der des 19. Jahrhunderts, ein etwas abgestandener, reichlich vernutzter Gott, den man sich sehr gut als ein Denkmal im Tiergarten vorstellen kann. Doch abermals: Was heißt das? Sind wir verloren, oder haben wir schon gewonnen?? Wir müssen wohl dahingestellt sein lassen, ob vor Gott nun der Berliner eine gute oder schlechte Figur macht, ob er sympathisch wirkt oder mies, kleinlaut oder großspurig: Wichtig ist, daß es offenbar keines Privilegs bedarf, um als Berliner zu gelten. Wichtig ist allein die Einsicht, daß Berliner zu sein jedem passieren kann, jederzeit und überall. Leichter als vor Gott geht es natürlich in Berlin. - Dieter Hildebrand, Berliner Enzyklopädie. München 1996 (dtv 12224, zuerst Hanser 1991)

Gott (3) Nicht einmal mehr für die Trunkenbolde gibt es einen Gott: Kersilie aus Saint-Germain, der sein Fenster für die Tür hielt, ist tot. - (fen)

Gott (4) Jch halte es  für ein Zeichen menschlicher Schwäche, das Bild und die Gestalt Gottes zu erforschen. Wer auch Gott ist, wenn es noch einen gibt und wo er sich befindet, so ist er ganz Sinn, Gesicht, Gehör, Seele, Geist und ganz er selbst.

Aber an unzählige Götter glauben und sogar nach den Tugenden und Lastern der Menschen an einen Gott der Schamhaftigkeit, Eintracht, Klugheit, Hoffnung, Ehre, Milde, Treue, oder (wie Demokrit sagt) an zwei, ein Wesen der Bestrafung und Belohnung, zeugt von einem noch größeren Unverstande. - (pli)

Gott (5) Als er um sich sah nach einer Planke, die ihn nicht oben [...], sondern er wollte nur etwas haben, das er mit hinabnehmen konnte, verfiel er auf die Ideen, die sich mit Gott beschäftigten. Gott, das war das hohe C der Romantik. Der Abendhimmel über dem Schlachtfeld, die Gemeinsamkeit der Leichen, ferne Militärmärsche, der Alkohol der Geschichte, das war die Romantik der Schlachtfelder, die Zuflucht der Sterbenden und der Mörder. Der Mann, der am Krebs verendete, suchte mit allen Mitteln die Poesie dieses peinlichen Geschehnisses auf die Zunge zu kriegen, er malte sich Bilder vom Leid der Erde, die ihn ausspie, vom Schmerz der Hinterbleibenden oder der grandiosen und ihn ergreifenden Ironie ihrer Gleichgültigkeit, und vom Dunkel, das ihn aufnahm. Er hüllte sich ein in Mitleid und Bewunderung und täuschte sich. Alle Menschen, in jeder Lage, unter allen Himmeln und mit allen Philosophien, bemühten sich zäh und dringend, sich selbst zu täuschen. Je nach ihrer Intelligenz waren ihre Versuche geschickter oder täppischer, etlichen gelang es bei sich selbst nicht, aber bei andern, etlichen ging es umgekehrt. Immer aber schienen die Triebe zu schwach, um ohne Heiligung zu triumphieren. Als die wimmelnde Masse der Wesen auf dem fliegenden Stern sich kennengelernt und ihre unbegreifliche Verlassenheit empfunden hatte, hatte sie schwitzend Gott erfunden, den niemand sah, also daß keiner sagen konnte, es gäbe ihn nicht, er habe ihn nicht gesehen. - Bertolt Brecht, Notizen 1919

Gott (6) Humor und Lachen sind die größte Erkenntnis, eine triste Begebenheit verwandelt sich in ein groteskes Ereignis, die Übertexte und Untertexte von Anekdoten. Alles, wovor ich mich fürchte, verwandelt sich unter dem Blickwinkel der Groteske in Humor. Sub specie aeternitatis ist alles Scherz und Spaß. Jedes Ereignis, das aus den Angeln gehoben wird, ist des Lachens der Götter würdig. Gott sei‘s geklagt, die antiken Götter sind von dannen gegangen, zurückgeblieben ist nur der Mensch. Gottseidank. - (hra2)

Gott (7) Ein Verzeichnis aller menschgewordenen Götter im chinesischen Reiche wird in dem Li fan yü an oder Kolonialbüro zu Peking aufbewahrt. Die Zahl der Götter, die sich auf diese Weise eine Konzession verschafft haben, beträgt einhundertundsechzig. Tibet ist mit ihrer dreißig gesegnet, die Nordmongolei erfreut sich der Zahl neunzehn, und Südmongolien sonnt sich in den Strahlen von nicht weniger als siebenundfünfzig. Die chinesische Regierung verbietet in väterlicher Sorge um das Wohlergehen ihrer Untertanen den registrierten Göttern, irgendwo anders geboren zu werden als in Tibet. Sie fürchtet, die Geburt eines Gottes in Mongolien könnte ernstliche, politische Folgen haben, indem sie den schlummernden Patriotismus und kriegerischen Geist der Mongolen anstachele, die sich um eine ehrgeizige, einheimische Gottheit von königlichem Geblüt scharen und ihm auf kriegerischem Wege ein weltliches und zugleich geistliches Königreich zu erobern suchen könnten.

Neben diesen öffentlichen oder anerkannten Göttern gibt es jedoch eine ganze Menge kleiner Privatgötter oder unprivilegierter Praktiker der göttlichen Funktionen, welche Wunder wirken und ihr Volk in den Ecken und Winkeln segnen. In den letzten Jahren liebäugelt die chinesische Regierung mit der Wiedergeburt dieser Winkelgottheiten außerhalb Tibets. Wenn sie jedoch erst geboren sind, behält die Regierung sowohl sie als auch die regelrechten Praktiker im Auge, und wenn einer von ihnen sich nicht richtig benimmt, wird er sofort degradiert, nach einem entfernt gelegenen Kloster verbannt, und es wird ihm streng verboten, jemals im Fleische wiedergeboren zu werden. - (fraz)

Gott (8) Ich habe übrigens wirklich in meiner Kindheit einmal geträumt, den lieben Gott zu sehen; es war ein schwankes Seil hoch am Himmel aufgeknüpft, auf das setzte er mich und schaukelte mich. Ich hatte große Angst, wenn ich so in die Wolken hinaufflog, und wollte mich immer, wenn das Seil wieder die Erde berührte, herausstürzen, aber ich hatte den Mut nicht. Ich erinnere mich aller dieser Empfindungen noch aufs deutlichste; ich meine die roten Steinchen, die ich an der Erde bemerkte, wenn mein Blick sie streifte, noch zu sehen.  - Friedrich Hebbel, nach (je)

Gott (9)   1. Leben wird von den Wesen ausgesagt, sofern sich diese selbst bewegen. Bewegt werden aber kommt Gott nicht zu. Also auch nicht Leben.

2. In allem, was lebt, muß man einen Ausgangsgrund des Lebens annehmen. Daher heißt es bei Aristoteles: "Die Seele ist Ursache und Ausgangspunkt eines lebenden Körpers." Gott aber hat keinen Ausgangsgrund. Also kommt Ihm nicht zu, Leben zu haben.

3. Der Ausgangsgrund des Lebens in den lebendigen Dingen, die es bei uns gibt, ist die pflanzliche Seele, die nur in körperlichen Dingen west. Also kommt unkörperlichen Dingen kein Leben zu. - Thomas von Aquin, nach (lte)

Gott (10) 

Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis,
dass weiß in ihm wirre Spannung schmölze.
Schon richtet dein unwissendes Geheiß
die Säule auf in meinem Schamgehölze.

Von dir gestiftet steht des Gottes Bild
am leisen Kreuzweg unter meinem Kleide;
mein ganzer Körper heißt nach ihm. Wir beide
sind wie ein Gau darin sein Zauber gilt.

Doch Hain zu sein und Himmel um die Herme
das ist an dir. Gieb nach. Damit
der freie Gott inmitten seiner Schwärme
aus der entzückt zerstörten Säule tritt.

- Rainer Maria Rilke

Gott (11)  Ich sage immer: es gibt keinen wie Gott.  Eine argentinische Dame  - nach: Adolfo Bioy Casares, Die fremde Dienerin. Frankfurt am Main 1983

Gott (12)  Wir wissen nicht, was Gott ist. Gott selbst weiß nicht, was Er ist, denn Er ist nicht Etwas. Gott ist im Grunde nicht, denn Er ist größer als das Sein.  - Johann Scotus Erigena, nach: Philip K. Dick, Der Fall Rautavaara. Zürich 2000

Gott (13)  Der Pantheismus hat einen Typus von Sätzen in Umlauf gebracht, in denen erklärt wird, daß Gott viele einander widersprechende oder (besser noch) vermischte Dinge zugleich ist. Seine Urform lautet: »Ich bin der Ritus, ich bin das Opfer, ich bin die Buttergabe, ich bin das Feuer« (Bhagavadgita, IX, 16). Zeitlich früher, aber doppeldeutig, ist das Fragment 67 von Heraklit: »Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer, Krieg und Frieden, Sättigung und Hunger.« Plotin schildert seinen Schülern einen unfaßbaren Himmel, in dem »alles allenthalben ist, jedes Ding alle Dinge ist, die Sonne alle Sterne ist, und jeder Stern alle Sterne und die Sonne ist« (Enneaden, V. 8, 4). Attar, ein Perser des 12. Jahrhunderts, besingt den mühsamen Wanderzug der Vögel auf der Suche nach ihrem König, dem Simurg; viele gehen in den Meeren zugrunde, die Überlebenden aber entdecken, daß sie der Simurg sind, und daß der Simurg jeder von ihnen und sie alle sind. Rhetorisch läßt sich das Identitätsprinzip anscheinend endlos erweitern. Emerson, ein Leser der Hindus und Attars, hinterläßt das Gedicht Brahma; von den sechzehn Versen, aus denen es besteht, ist folgender wohl der bedeutendste: »When me they fiy, l am the wings« (Wenn sie mich fliehen, bin ich die Flügel). - Jorge Luis Borges, Bemerkungen über Walt Whitman. In: J.L.B., Kabbala und Tango. Essays. Frankfurt am Main 1991
 

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