Schwerlich hätte man sich eine umfangreichere Aufgabe stellen können als die, alles zu behandeln, was sich auf die Wißbegierde des Menschen, seine Pflichten, seine Bedürfnisse und seine Vergnügen bezieht.
Gewisse Leute, die gewöhnt sind, von der Möglichkeit eines
Unternehmens auf den Mangel an Fähigkeiten zu schließen, den
sie in sich selbst entdecken, haben denn auch öffentlich erklärt,
daß, wir unser Werk nie vollenden würden. - (
enz
)
Enzyklopädie (2) Die großen Männer, die Theorien über die Vererbung aufstellten, von Pythagoras bis Darwin, hätten nie im Traum daran gedacht, daß die Erbanlagen in einer Reihe von einzelnen Buchstaben aufbewahrt wären - ähnlich der Bibel oder auch den Worten, in denen sie ihre Theorien niederschrieben. Und um was für einen Text es sich dabei handelt! Wie eine riesige Enzyklopädie erstreckt er sich auf 46 Bände (die von Wissenschaftlern als Chromosomen bezeichnet werden) oder genauer auf eine Doppelausgabe von 23 Bänden, wobei sich jede der beiden Ausgaben in der Schreibweise um ein bis zwei Prozent unterscheidet. Doch jede dieser Ausgaben ist viel größer als diejenigen, die wir in den Bibliotheken sehen. Unsere Erbanlagen sind nicht in Wörtern niedergeschrieben, die durch Zwischenräume getrennt sind, so daß man am besten Buchstaben zum Vergleich heranzieht. Die Encyclopedia Britannica enthält vermutlich 280 Millionen Buchstaben; jede unserer Doppelausgaben umfaßt mehr als das Zehnfache - rund 3 Milliarden Buchstaben.
Um es noch anschaulicher zu machen: Denken Sie an das größte
Buch, das Sie in Ihrer Bibliothek je gesehen haben. Höchstwahrscheinlich
handelt es sich um das Riesenexemplar des vollständigen Wörterbuchs,
das geöffnet auf einem speziellen Tisch oder Ständer steht, damit
man es nicht heben muß. Das in meiner Stadtbibliothek hat über
3000 Seiten mit winzigen Druckbuchstaben. Ich schätze, daß es
etwa 76 Millionen Buchstaben enthält, was dem Inhalt eines unserer
kleineren Chromosomen (Bände) entsprechen würde. Das größte Chromosom
hätte den vierfachen Umfang. Würde man es als Buch drucken, würde
jeder Benutzer beim Versuch, es zu bewegen, einen Bruch riskieren!
- Robert Shapiro, Der Bauplan des Menschen. Frankfurt am
Main 1995 (zuerst 1991)
Enzyklopädie (3) Der Titel von Älians Werk Bunte Gescbichten ist namengebend für eine ganze Gattung der antiken Literatur geworden. "Buntschriftstellerei" ist keine antike Bezeichnung; es ist ein Begriff, den die moderne Literaturwissenschaft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts geprägt hat, um hierunter mehr oder weniger alle Werke zu vereinen, die sich in anderen Gattungen nicht unterbringen ließen. Hierbei handelt es sich um literarische Sammelschriften, deren Ziel es war, Wissenswertes aus allen Gebieten in bunter Form darzubieten.
Mit dem Hellenismus hatte in Griechenland die wissenschaftliche Literatur einen starken Aufschwung genommen. Doch die meisten dieser naturwissenschaftlichen, geographischen, medizinischen, militärischen, grammatisch-philologischen oder anderen Fachschriften richteten sich nicht an ein breites Publikum, sondern wiederum an den Gelehrten. Um den Wissensstoff einem breiteren Kreis nutzbar zu machen, fertigte man schließlich von diesen Schriften Auszüge und schuf Exzerptsammlungen, Handbücher und ähnliches. Doch auch die Geschichtsschreibung gab Impulse. Sie hatte durch die Alexanderzüge einen weiteren Gesichtskreis erhalten. Neben der wahrheitsgetreuen Darbietung politischer Ereignisse zeigte sie nunmehr auch stärkeres Interesse für kulturgeschichtliches und ethnographisches Material, in dem so manche Kuriositäten enthalten waren. Hieraus speiste sich die paradoxographische Literatur.
Mit der Erweiterung ihrer Herrschaft kamen die Römer in direkten
Kontakt mit der hellenistischen Welt und übernahmen griechische
Bildung und Kultur, wobei sie diese ihren praktischen Bedürfnissen
anpaßten. Aus diesem Bestreben entstand die typisch römische
Gattung der "Enzyklopädien". In der Kaiserzeit schließlich
hatte man dem angesammelten Wissen im Grunde nichts Neues mehr
hinzuzufügen. Dagegen war man mit dem erneuten Aufblühen der
Rhetorik in der "Zweiten Sophistik" nun bestrebt, dem
Stoff auch eine ansprechende Formung zu geben und ihn zu popularisieren.
Hieraus entstand die im engeren Sinne erst in der römischen Kaiserzeit
voll ausgeprägte "Buntschriftstellerei". - Hadwig
Helms, in: (
ael
)
Enzyklopädie (4) Grosses vollständiges Universal-Lexicon
Aller Wissenschafften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand
und Witz erfunden und verbessert worden : Darinnen so wohl die Geographisch-Politische
Beschreibung des Erd-Creyses nach allen Monarchien, Kaeyserthuemern, Königreichen,
Fürstenthümern, Republiquen, freyen Herrschafften, Laendern, Staedten, See-Haefen,
Vestungen, Schlössern, Flecken, Aemtern, Kloestern, Gebuergen, Paessen, Waeldern,
Meeren, Seen ... Als auch eine ausführliche Historisch-Genealogische Nachricht
von den Durchlauchten und berühmtesten Geschlechtern in der Welt, Dem Leben
und Thaten der Kaeyser, Koenige, Churfuersten und Fuersten, grosser Helden,
Staats-Minister, Kriegs-Obersten ... ; Ingleichen von allen Staats-, Kriegs-,
Rechts-Policey und Haußhaltungs-Geschaefften des Adelichen und buergerlichen
Standes, der Kauffmannschafft, Handthierungen, Künste ... Nebst einer Vorrede
von der Einrichtung dieses mühsamen und grossen Wercks Joh. Pet. von Ludewig,
JCti, Königl. Preußischen geheimden und Magdeburg. Regierungs- und Consistorial-Raths
.... Bd. 1 - 64 + 4 Supplementbände, Halle [u.a.] : 1732-1754 -
Johann Heinrich
Zedler
Enzyklopädie (5)
Beim Erwerb einer Enzyklopädie Hier ist die weitläufige Enzyklopädie von Brockhaus, |
- Jorge Luis Borges, nach: Ränder der Enzyklopädie. Hg. Christine Blättler,
Erik Porath. Berlin 2012
Enzyklopädie (6) Nehmen wir an, ein allwissendes Wesen sei in der Lage, ein allumfassendes Werk zu schreiben oder zu lesen, das sämtliche wahren Aussagen über die reale Welt und über alle nur möglichen Welten enthält. Da man natürlich in verschiedenen Sprachen über das Universum reden kann und jede Sprache es anders definiert, gibt es eine umfassende Sammlung von umfassenden Werken. Nehmen wir nun an, Gott beauftragte einige Engel, für jeden Menschen ein Tagebuch zu schreiben, in dem sie all jene Sätze (mit Bezug auf die mögliche Welt seiner Wünsche oder Hoffnungen und auf die reale Welt seiner Handlungen) verzeichnen, die einem wahren Satz in einem der Bücher der umfassenden Sammlung der umfassenden Werke entspricht. Die Sammlung der Tagebücher eines bestimmten Individuums soll am Tag des Jüngsten Gerichts vorgelegt werden, zusammen mit jenen Büchern,die das Leben der Familien, der Stämme und der Nationen bewerten. Aber der Engel, der ein Tagebuch schreibt, reiht nicht nur wahre Sätze aneinander: Er verknüpft und bewertet die Sätze und fügt sie zu einem System zusammen. Und da am Tag des Jüngsten Gerichts Individuen und Gruppen je einen Engel zum Fürsprecher haben werden, werden die Fürsprecher für jeden eine weitere, astronomisch hohe Zahl von Tagebüchern schreiben, wo dieselben Sätze in anderer Weise miteinander verknüpft sind und auf andere Weise mit den Sätzen in einem der umfassenden Werke in Verbindung gebracht werden.
Da in jedem der unendlich vielen umfassenden Werke unendlich viele alternative
Welten enthalten sind, werden die Engel unendlich viele Tagebücher schreiben,
die Sätze vermischen, die in der einen Welt wahr und in der anderen falsch sind.
Bedenken wir außerdem, daß einige Engel ungeschickt sind und daß sie Sätze zusammenbringen,
die ein einziges umfassendes Werk als einander ausschließend verzeichnet, haben
wir zum Schluß eine Reihe von Kompendien, Miszellen und Bruchstücken von Miszellen,die
Passagen von Büchern unterschiedlichen Ursprungs miteinander verknüpfen. Und
an diesem Punkt wird es sehr schwer zu sagen, welche Bücher in bezug auf welches
ursprüngliche Buch wahr und welche falsch sind. Wir werden eine astronomisch
hohe Zahl von Büchern haben, von denen jedes einzelne am Übergang verschiedener
Welten angesiedelt ist, und es wird passieren,daß man Geschichten für falsch
hält, die andere für wahr gehalten haben. - Thomas Pavel: Fictional
Worlds, nacherzählt von
(eco)
Enzyklopädie (7) Er verstand sein großes Werk jetzt nicht mehr als eine Reihe von Notizen, die in alphabetisch-chaotischer Unordnung vorgestellt wurden, sondern als ein geordnetes Werk, dessen Titel er sogar wußte. Er würde eine ENZYKLOPÄDIE DER UNEXAKTEN WISSENSCHAFTEN schreiben. Der Untertitel würde lauten: An den Grenzen der Finsternis.
Erster Teil: Der Kreis. Hier würde er die Quadratore abhandeln.
Zweiter Teil: Die Welt. Hier würde er die verschiedenen Kosmologien, Kosmographien und abweichenden Physiken abhandeln.
Dritter Teil: Das Wort. Hier würde er Linguistik und Grammatik abhandeln.
Vierter Teil: Die Zeit. Hier würde er die Geschichte Frankreichs im 19. Jahrhundert nachzeichnen.
Er wußte, welches Motto er diesem vierten Teil geben würde:
»Ich könnte die Geschichte unseres Landes von 1789 bis zu unseren Tagen durch die Beobachtung einiger Geistesgestörter wiedergeben, deren Irrsinn irgendein bemerkenswertes politisches Ereignis in dieser langen Periode unserer Geschichte als Ursache oder als Merkmal erkannte.« (Esquirol, Über die Geisteskrankheiten, Paris, 1838, Bd. II, S. 686.)
Er hatte diese Stelle am Tag zuvor gelesen und jetzt, als er nachdachte,
begriff er, daß von da seine Inspiration kam.
Er dachte daran, die schnarchende Agathe aufzuwecken,
um ihr seinen neuen, und glänzenden, Plan mitzuteilen, aber er beschloß, das
nicht zu tun, seinem Ruhm und seiner Erregung
in der Einsamkeit zu frönen. - (
lim
)
Enzyklopädie (8)
Enzyklopädie (9) Der Codex Seraphinianus ist das hochgradig idiosynkratische magnum opus Luigi Serafinis, eines italienischen Architekten, der seinem Sinn für schrullige Phantasien vollkommen freien Lauf ließ. Es besteht aus zwei Bänden, die der Autor in einer komplett frei erfundenen Sprache (dazu gehört auch ein ziemlich esoterisches Zahlensystem) von vorne bis hinten sage und schreibe mit der Feder verfaßt hat, zusätzlich zu Tausenden wunderschön gezeichneter Farbillustrationen von den phantastischsten Szenen, Maschinen, Lebewesen, Festlichkeiten usw. Es erweckt den Eindruck einer riesiggroßen Enzyklopädie eines hypothetischen Landes, in dem das Leben in gewisser Weise wie auf der Erde abzulaufen scheint, und in dem es viele Geschöpfe gibt, die den Menschen verschie-dengradig ähneln, aber auch viele andere Kreaturen von unerhörter Bizarrerie in der Landschaft herumlaufen. Serafini bringt Abschnitte über Physik, Chemie, Mineralogie (mit vielen Zeichnungen ausgefallener Edelsteine), Geographie, Botanik, Zoologie, Soziologie, Linguistik, Technologie, Architektur, Sport (Wintersport Sommersport Herbstsport), Mode usw. Die Illustrationen haben ihre eigene innere Logik, doch für unsere Augen sind sie voller extremer Unzusammenhänge.
Ein typisches Beispiel ist das Bild eines Fahrgestells eines Automobils, das in einer riesigen Masse steckt, die sich der Form nach wie ein Gebirge auftürmt, aber aus schmelzendem Gummi zu sein scheint. Auf der Gummimasse krabbeln überall kleine Insekten, und die Räder des "Autos" scheinen ebenfalls geschmolzen zu sein. Warum das so ist, kann jeder lesen, wenn er nur der serafinischen Sprache mächtig ist. Aber leider kennt keiner diese Sprache. Zum Glück ist auf einer anderen Seite ein Gelehrter abgebildet, der offensichtlich neben einer Art "Stein von Rosette" steht. Doch leider besteht die einzige Sprache darauf, abgesehen von der serafinischen selbst, aus einer unbekannten Art von Hieroglyphen, Der Stein hilft also auch nicht weiter, wenn man nicht bereits Serafinisch kann. Oh je... Viele Illustrationen sind grotesk und verwirrend, andere dagegen von extremer Schönheit und visionärer Kraft. Die Erfindungsgabe, die nötig war, um all diese Ideen und Vorstellungen eines hypothetischen Landes hervorzubringen, ist nachgerade verblüffend.
Manche Leute, die mit mir dieses Buch angesehen haben, finden es in mancher
Hinsicht erschreckend und beunruhigend. In ihren Augen scheinen darin Entropie,
Chaos und überhaupt alles Unbegreifbare verherrlicht zu werden. -
Douglas R. Hofstadter, Metamagicum. Stuttgart
1991
Enzyklopädie (10) Im September 1937
(wir waren damals nicht im Landhaus) starb Herbert Ashe an einer aufbrechenden
Pulsadergeschwulst. Ein paar Tage vorher hatte er aus Brasilien ein versiegeltes
Wertpaket zugeschickt bekommen. Es war ein Buch in Großoktav. Ashe ließ
es in der Bar liegen, wo ich es - Monate später - fand. Ich begann darin
zu blättern und verspürte einen leichten Schwindel der Bestürzung,
den ich nicht schildern werde, weil dies hier nicht die Geschichte meiner Empfindungen
ist, sondern die von Uqbar und Tlön und Orbis Tertius. In einer Nacht des
Islam, der Nacht der Nächte, tun sich die geheimen Türen des Himmels
weit auf, und süßer ist das Wasser in den Krügen; wenn diese
Türen aufgingen, so würde ich nicht fühlen, was ich an diesem
Abend empfand. Das Buch war auf englisch verfaßt und bestand aus 1001
Seiten. Auf dem gelben Lederrücken las ich diese seltsamen Worte, die sich
auf dem Vorsatzblatt wiederfanden: A First Encyclopaedia of Tlön, Vol.
XI, Hlaer to Jangr. Erscheinungsort und -jahr waren nirgends angegeben.
Auf der ersten Seite und auf einem Blatt aus Seidenpapier, das eine der Farbtafeln
bedeckte, war ein blaues Oval eingedruckt mit der Inschrift: Orbis Tertius.
Vor zwei Jahren hatte ich in einem Band einer gewissen Raubdruck-Enzyklopädie
die zusammenfassende Beschreibung eines falschen Landes eindeckt; jetzt bescherte
mir der Zufall etwas weit Kostbareres und Schwierigeres. Jetzt hielt ich ein
umfangreiches methodisches Fragment der Gesamtgeschicbie eines unbekannten Planeten
in Händen, mit seinen Bauwerken und seinen Spielkarten, dem Schrecken seiner
Mythologien und dem Gemurmel seiner Sprachen, mit seinen Kaisern und Meeren,
mit seinen Mineralien und seinen Vögeln und seinen Fischen, mit seiner
Algebra und seinem Feuer, mit seiner theologischen und metaphysischen Polemik.
Dies alles gegliedert, zusammenhängend, ohne ersichtliche Lehrabsicht oder
parodistische Färbung. - Jorge Luis Borges: Tlön, Uqubar, Orbis
Tertius. Nach
bo3
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