nzyklopädie  (Philosophie) Dieses Wort bedeutet »Verknüpfung der Wissenschaften«; es setzt sich zusammen   aus der griechischen Präposition en  = »in« und den Substantiven  kyklos = »Kreis« und paideia =  »Lehre«, »Kunde«, »Kenntnis«. Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammeln, das allgemeine System dieser Kenntnisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, und es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei; damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern gleichzeitig auch tugendhafter und glücklicher werden, und damit wir nicht sterben, ohne uns um die Menschheit verdient gemacht zu haben.

Schwerlich hätte man sich eine umfangreichere Aufgabe stellen können als die, alles zu behandeln, was sich auf die Wißbegierde des Menschen, seine Pflichten, seine Bedürfnisse und seine Vergnügen bezieht.

Gewisse Leute, die gewöhnt sind, von der Möglichkeit eines Unternehmens auf den Mangel an Fähigkeiten zu schließen, den sie in sich selbst entdecken, haben denn auch öffentlich erklärt, daß, wir unser Werk nie vollenden würden. - (enz)

Enzyklopädie (2) Die großen Männer, die Theorien über die Vererbung aufstellten, von Pythagoras bis Darwin, hätten nie im Traum daran gedacht, daß die Erbanlagen in einer Reihe von einzelnen Buchstaben aufbewahrt wären - ähnlich der Bibel oder auch den Worten, in denen sie ihre Theorien niederschrieben. Und um was für einen Text es sich dabei handelt! Wie eine riesige Enzyklopädie erstreckt er sich auf 46 Bände (die von Wissenschaftlern als Chromosomen bezeichnet werden) oder genauer auf eine Doppelausgabe von 23 Bänden, wobei sich jede der beiden Ausgaben in der Schreibweise um ein bis zwei Prozent unterscheidet. Doch jede dieser Ausgaben ist viel größer als diejenigen, die wir in den Bibliotheken sehen. Unsere Erbanlagen sind nicht in Wörtern niedergeschrieben, die durch Zwischenräume getrennt sind, so daß man am besten Buchstaben zum Vergleich heranzieht. Die Encyclopedia Britannica enthält vermutlich 280 Millionen Buchstaben; jede unserer Doppelausgaben umfaßt mehr als das Zehnfache - rund 3 Milliarden Buchstaben.

Um es noch anschaulicher zu machen: Denken Sie an das größte Buch, das Sie in Ihrer Bibliothek je gesehen haben. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um das Riesenexemplar des vollständigen Wörterbuchs, das geöffnet auf einem speziellen Tisch oder Ständer steht, damit man es nicht heben muß. Das in meiner Stadtbibliothek hat über 3000 Seiten mit winzigen Druckbuchstaben. Ich schätze, daß es etwa 76 Millionen Buchstaben enthält, was dem Inhalt eines unserer kleineren Chromosomen (Bände) entsprechen würde. Das größte Chromosom hätte den vierfachen Umfang. Würde man es als Buch drucken, würde jeder Benutzer beim Versuch, es zu bewegen, einen Bruch riskieren! - Robert Shapiro, Der Bauplan des Menschen. Frankfurt am Main 1995 (zuerst 1991)

Enzyklopädie (3) Der Titel von Älians Werk Bunte Gescbichten ist namengebend für eine ganze Gattung der antiken Literatur geworden. "Buntschriftstellerei" ist keine antike Bezeichnung; es ist ein Begriff, den die moderne Literaturwissenschaft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts geprägt hat, um hierunter mehr oder weniger alle Werke zu vereinen, die sich in anderen Gattungen nicht unterbringen ließen. Hierbei handelt es sich um literarische Sammelschriften, deren Ziel es war, Wissenswertes aus allen Gebieten in bunter Form darzubieten.

Mit dem Hellenismus hatte in Griechenland die wissenschaftliche Literatur einen starken Aufschwung genommen. Doch die meisten dieser naturwissenschaftlichen, geographischen, medizinischen, militärischen, grammatisch-philologischen oder anderen Fachschriften richteten sich nicht an ein breites Publikum, sondern wiederum an den Gelehrten. Um den Wissensstoff einem breiteren Kreis nutzbar zu machen, fertigte man schließlich von diesen Schriften Auszüge und schuf Exzerptsammlungen, Handbücher und ähnliches. Doch auch die Geschichtsschreibung gab Impulse. Sie hatte durch die Alexanderzüge einen weiteren Gesichtskreis erhalten. Neben der wahrheitsgetreuen Darbietung politischer Ereignisse zeigte sie nunmehr auch stärkeres Interesse für kulturgeschichtliches und ethnographisches Material, in dem so manche Kuriositäten enthalten waren. Hieraus speiste sich die paradoxographische Literatur.

Mit der Erweiterung ihrer Herrschaft kamen die Römer in direkten Kontakt mit der hellenistischen Welt und übernahmen griechische Bildung und Kultur, wobei sie diese ihren praktischen Bedürfnissen anpaßten. Aus diesem Bestreben entstand die typisch römische Gattung der "Enzyklopädien". In der Kaiserzeit schließlich hatte man dem angesammelten Wissen im Grunde nichts Neues mehr hinzuzufügen. Dagegen war man mit dem erneuten Aufblühen der Rhetorik in der "Zweiten Sophistik" nun bestrebt, dem Stoff auch eine ansprechende Formung zu geben und ihn zu popularisieren. Hieraus entstand die im engeren Sinne erst in der römischen Kaiserzeit voll ausgeprägte "Buntschriftstellerei". - Hadwig Helms,  in: (ael)

Enzyklopädie (4)  Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden : Darinnen so wohl die Geographisch-Politische Beschreibung des Erd-Creyses nach allen Monarchien, Kaeyserthuemern, Königreichen, Fürstenthümern, Republiquen, freyen Herrschafften, Laendern, Staedten, See-Haefen, Vestungen, Schlössern, Flecken, Aemtern, Kloestern, Gebuergen, Paessen, Waeldern, Meeren, Seen ... Als auch eine ausführliche Historisch-Genealogische Nachricht von den Durchlauchten und berühmtesten Geschlechtern in der Welt, Dem Leben und Thaten der Kaeyser, Koenige, Churfuersten und Fuersten, grosser Helden, Staats-Minister, Kriegs-Obersten ... ; Ingleichen von allen Staats-, Kriegs-, Rechts-Policey und Haußhaltungs-Geschaefften des Adelichen und buergerlichen Standes, der Kauffmannschafft, Handthierungen, Künste ... Nebst einer Vorrede von der Einrichtung dieses mühsamen und grossen Wercks Joh. Pet. von Ludewig, JCti, Königl. Preußischen geheimden und Magdeburg. Regierungs- und Consistorial-Raths .... Bd. 1 - 64 + 4 Supplementbände, Halle [u.a.] : 1732-1754  - Johann Heinrich Zedler

Enzyklopädie (5)  

Beim Erwerb einer Enzyklopädie

Hier ist die weitläufige Enzyklopädie von Brockhaus,
hier die vielen übervollen Bände und der Atlas,
hier Deutschlands Beflissenheit,
hier die Neuplatoniker und die Gnostiker,
hier der erste Adam und Adam von Bremen,
hier der Tiger und der Tartar,
hier die skrupelhafte Typographie und das Blau der Meere,
hier das Gedächtnis der Zeit und die Labyrinthe der Zeit,
hier Irrtum und Wahrheit,
hier die ausufernde Miszelle, die mehr weiß als jeder Mensch,
hier die Summe des langen Wachens.
Hier auch die Augen die nichts nützen, die Hände die nicht fassen, die unlesbaren Seiten,
das zweifelhafte Zwielicht der Blindheit, die Wände die sich entfernen.
Hier aber auch eine neue Gepflogenheit
dieser alten Gepflogenheit, des Hauses,
eine Schwerkraft und eine Präsenz,
die mysteriöse Liebe der Dinge,
die von uns und von sich nichts wissen.

- Jorge Luis Borges, nach: Ränder der Enzyklopädie. Hg. Christine Blättler, Erik Porath. Berlin 2012

Enzyklopädie (6)  Nehmen wir an, ein allwissendes Wesen sei in der Lage, ein allumfassendes Werk zu schreiben oder zu lesen, das sämtliche wahren Aussagen über die reale Welt und über alle nur möglichen Welten enthält. Da man natürlich in verschiedenen Sprachen über das Universum reden kann und jede Sprache es anders definiert, gibt es eine umfassende Sammlung von umfassenden Werken. Nehmen wir nun an, Gott beauftragte einige Engel, für jeden Menschen ein Tagebuch zu schreiben, in dem sie all jene Sätze (mit Bezug auf die mögliche Welt seiner Wünsche oder Hoffnungen und auf die reale Welt seiner Handlungen) verzeichnen, die einem wahren Satz in einem der Bücher der umfassenden Sammlung der umfassenden Werke entspricht. Die Sammlung der Tagebücher eines bestimmten Individuums soll am Tag des Jüngsten Gerichts vorgelegt werden, zusammen mit jenen Büchern,die das Leben der Familien, der Stämme und der Nationen bewerten. Aber der Engel, der ein Tagebuch schreibt, reiht nicht nur wahre Sätze aneinander: Er verknüpft und bewertet die Sätze und fügt sie zu einem System zusammen. Und da am Tag des Jüngsten Gerichts Individuen und Gruppen je einen Engel zum Fürsprecher haben werden, werden die Fürsprecher für jeden eine weitere, astronomisch hohe Zahl von Tagebüchern schreiben, wo dieselben Sätze in anderer Weise miteinander verknüpft sind und auf andere Weise mit den Sätzen in einem der umfassenden Werke in Verbindung gebracht werden.

Da in jedem der unendlich vielen umfassenden Werke unendlich viele alternative Welten enthalten sind, werden die Engel unendlich viele Tagebücher schreiben, die Sätze vermischen, die in der einen Welt wahr und in der anderen falsch sind. Bedenken wir außerdem, daß einige Engel ungeschickt sind und daß sie Sätze zusammenbringen, die ein einziges umfassendes Werk als einander ausschließend verzeichnet, haben wir zum Schluß eine Reihe von Kompendien, Miszellen und Bruchstücken von Miszellen,die Passagen von Büchern unterschiedlichen Ursprungs miteinander verknüpfen. Und an diesem Punkt wird es sehr schwer zu sagen, welche Bücher in bezug auf welches ursprüngliche Buch wahr und welche falsch sind. Wir werden eine astronomisch hohe Zahl von Büchern haben, von denen jedes einzelne am Übergang verschiedener Welten angesiedelt ist, und es wird passieren,daß man Geschichten für falsch hält, die andere für wahr gehalten haben.  - Thomas Pavel: Fictional Worlds, nacherzählt von (eco)

Enzyklopädie (7)  Er verstand sein großes Werk jetzt nicht mehr als eine Reihe von Notizen, die in alphabetisch-chaotischer Unordnung vorgestellt wurden, sondern als ein geordnetes Werk, dessen Titel er sogar wußte. Er würde eine ENZYKLOPÄDIE DER UNEXAKTEN WISSENSCHAFTEN schreiben. Der Untertitel würde lauten: An den Grenzen der Finsternis.

Erster Teil: Der Kreis. Hier würde er die Quadratore abhandeln.

Zweiter Teil: Die Welt. Hier würde er die verschiedenen Kosmologien, Kosmographien und abweichenden Physiken abhandeln.

Dritter Teil: Das Wort. Hier würde er Linguistik und Grammatik abhandeln.

Vierter Teil: Die Zeit. Hier würde er die Geschichte Frankreichs im 19. Jahrhundert nachzeichnen.

Er wußte, welches Motto er diesem vierten Teil geben würde:

»Ich könnte die Geschichte unseres Landes von 1789 bis zu unseren Tagen durch die Beobachtung einiger Geistesgestörter wiedergeben, deren Irrsinn irgendein bemerkenswertes politisches Ereignis in dieser langen Periode unserer Geschichte als Ursache oder als Merkmal erkannte.« (Esquirol, Über die Geisteskrankheiten, Paris, 1838, Bd. II, S. 686.)

Er hatte diese Stelle am Tag zuvor gelesen und jetzt, als er nachdachte, begriff er, daß von da seine Inspiration kam. Er dachte daran, die schnarchende Agathe aufzuwecken, um ihr seinen neuen, und glänzenden, Plan mitzuteilen, aber er beschloß, das nicht zu tun, seinem Ruhm und seiner Erregung in der Einsamkeit zu frönen.   - (lim)

Enzyklopädie (8)

Enzyklopädie (9) Der Codex Seraphinianus ist das hochgradig idiosynkratische magnum opus  Luigi Serafinis, eines italienischen Architekten, der seinem Sinn für schrullige Phantasien vollkommen freien Lauf ließ. Es besteht aus zwei Bänden, die der Autor in einer komplett frei erfundenen Sprache (dazu gehört auch ein ziemlich esoterisches Zahlensystem) von vorne bis hinten sage und schreibe mit der Feder verfaßt hat, zusätzlich zu Tausenden wunderschön gezeichneter Farbillustrationen von den phantastischsten Szenen, Maschinen, Lebewesen, Festlichkeiten usw. Es erweckt den Eindruck einer riesiggroßen Enzyklopädie eines hypothetischen Landes, in dem das Leben in gewisser Weise wie auf der Erde abzulaufen scheint, und in dem es viele Geschöpfe gibt, die den Menschen verschie-dengradig ähneln, aber auch viele andere Kreaturen von unerhörter Bizarrerie in der Landschaft herumlaufen. Serafini bringt Abschnitte über Physik, Chemie, Mineralogie (mit vielen Zeichnungen ausgefallener Edelsteine), Geographie, Botanik, Zoologie, Soziologie, Linguistik, Technologie, Architektur, Sport (Wintersport Sommersport Herbstsport), Mode usw. Die Illustrationen haben ihre eigene innere Logik, doch für unsere Augen sind sie voller extremer Unzusammenhänge.

Ein typisches Beispiel ist das Bild eines Fahrgestells eines Automobils, das in einer riesigen Masse steckt, die sich der Form nach wie ein Gebirge auftürmt, aber aus schmelzendem Gummi zu sein scheint. Auf der Gummimasse krabbeln überall kleine Insekten, und die Räder des "Autos" scheinen ebenfalls geschmolzen zu sein. Warum das so ist, kann jeder lesen, wenn er nur der serafinischen Sprache mächtig ist. Aber leider kennt keiner diese Sprache. Zum Glück ist auf einer anderen Seite ein Gelehrter abgebildet, der offensichtlich neben einer Art "Stein von Rosette" steht. Doch leider besteht die einzige Sprache darauf, abgesehen von der serafinischen selbst, aus einer unbekannten Art von Hieroglyphen, Der Stein hilft also auch nicht weiter, wenn man nicht bereits Serafinisch kann. Oh je... Viele Illustrationen sind grotesk und verwirrend, andere dagegen von extremer Schönheit und visionärer Kraft. Die Erfindungsgabe, die nötig war, um all diese Ideen und Vorstellungen eines hypothetischen Landes hervorzubringen, ist nachgerade verblüffend.

Manche Leute, die mit mir dieses Buch angesehen haben, finden es in mancher Hinsicht erschreckend und beunruhigend. In ihren Augen scheinen darin Entropie, Chaos und überhaupt alles Unbegreifbare verherrlicht zu werden.  - Douglas R. Hofstadter, Metamagicum. Stuttgart 1991

Enzyklopädie (10)   Im September 1937 (wir waren damals nicht im Landhaus) starb Herbert Ashe an einer aufbrechenden Pulsadergeschwulst. Ein paar Tage vorher hatte er aus Brasilien ein versiegeltes Wertpaket zugeschickt bekommen. Es war ein Buch in Großoktav. Ashe ließ es in der Bar liegen, wo ich es - Monate später - fand. Ich begann darin zu blättern und verspürte einen leichten Schwindel der Bestürzung, den ich nicht schildern werde, weil dies hier nicht die Geschichte meiner Empfindungen ist, sondern die von Uqbar und Tlön und Orbis Tertius. In einer Nacht des Islam, der Nacht der Nächte, tun sich die geheimen Türen des Himmels weit auf, und süßer ist das Wasser in den Krügen; wenn diese Türen aufgingen, so würde ich nicht fühlen, was ich an diesem Abend empfand. Das Buch war auf englisch verfaßt und bestand aus 1001 Seiten. Auf dem gelben Lederrücken las ich diese seltsamen Worte, die sich auf dem Vorsatzblatt wiederfanden: A First Encyclopaedia of Tlön, Vol. XI, Hlaer to Jangr. Erscheinungsort und -jahr waren nirgends angegeben. Auf der ersten Seite und auf einem Blatt aus Seidenpapier, das eine der Farbtafeln bedeckte, war ein blaues Oval eingedruckt mit der Inschrift: Orbis Tertius. Vor zwei Jahren hatte ich in einem Band einer gewissen Raubdruck-Enzyklopädie die zusammenfassende Beschreibung eines falschen Landes eindeckt; jetzt bescherte mir der Zufall etwas weit Kostbareres und Schwierigeres. Jetzt hielt ich ein umfangreiches methodisches Fragment der Gesamtgeschicbie eines unbekannten Planeten in Händen, mit seinen Bauwerken und seinen Spielkarten, dem Schrecken seiner Mythologien und dem Gemurmel seiner Sprachen, mit seinen Kaisern und Meeren, mit seinen Mineralien und seinen Vögeln und seinen Fischen, mit seiner Algebra und seinem Feuer, mit seiner theologischen und metaphysischen Polemik. Dies alles gegliedert, zusammenhängend, ohne ersichtliche Lehrabsicht oder parodistische Färbung.   - Jorge Luis Borges: Tlön, Uqubar, Orbis Tertius.  Nach bo3

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