- Epiktet, Wege zum glücklichen Handeln. Frankfurt am Main
1997 (it 2359, zuerst ca. 100)
Dinge (2) Ein stoischer Gemeinplatz besagte, daß es dreierlei Dinge gebe: Güter, Übel und Gleichgültiges (Adiaphora); als Güter und Übel galten das sittlich richtige Verhalten und dessen Gegenteil, während zum Gleichgültigen alles Äußere, wie Schönheit, Reichtum, Ehre, zählte. Epiktet reduzierte diese Dreiteilung auf eine Antithese. »Von den Dingen stehen die einen in unserer Gewalt, die anderen nicht. In unserer Gewalt stehen: unsere Meinung, unser Handeln, unser Begehren und Meiden - kurz: all unser Tun, das von uns ausgeht. Nicht in unserer Gewalt stehen: unser Leib, unser Besitz, Ansehen, äußere Stellung - mit einem Worte: alles, was nicht unser Tun ist.
Was in unserer Gewalt steht, ist von Natur frei, kann nicht gehindert
oder gehemmt werden; was aber nicht in unserer Gewalt steht, ist hinfällig,
unfrei, kann gehindert werden, steht unter dem Einfluß anderer. Sei dir
also darüber klar: wenn du das von Natur Unfreie für frei und das Fremde
für dein Eigentum hältst, dann wirst du nur Unannehmlichkeiten haben, wirst
klagen, wirst dich aufregen, wirst mit Gott und der Welt hadern; hältst
du aber nur das für dein Eigentum, was wirklich dein ist, das Fremde dagegen
für so, wie es ist, für fremd, dann kann kein Mensch einen Zwang auf dich
ausüben, niemand dir etwas in den Weg legen, du wirst niemandem Vorwürfe
machen, niemandem die Schuld geben, wirst nichts gegen deinen Willen
tun, niemand kann dir dann schaden, du wirst keinen Feind haben, denn du
wirst überhaupt keinen Schaden erleiden. - Manfred Fuhrmann,
Nachwort zu: Epiktet, Wege zum glücklichen Handeln. (Frankfurt am Main
1997, it 2359, zuerst ca. 100)
Dinge (3) Ich bewohne ein kleines, stilles Quartier. Ich weiß nicht, wer nebenan, wer über und unter mir haust. Ruhige Leute jedenfalls; denn außer der verworrenen Unruhe der Straße dringt kein Geräusch in die Wohnung, aus der die Einsamkeit nie weicht. Wie ein Tier liegt sie lauernd in der Ecke. Ich liebe die Einsamkeit, aber die Einsamkeit meines Zimmers liebe ich nicht. Weil ich ein tiefes Mißtrauen gegen die Dinge in ihm, gegen Wände, Möbel, Bilder habe und mich ihnen ausgeliefert fühle. Es sind viele gegen einen. Ich spüre, daß sie mich anstarren und ahne Zeichen der Verständigung zwischen ihnen und pfeife sorglos, um ihnen zu zeigen, daß ich mich gar nicht fürchte.
Niemals öffne ich nachts, heimkehrend, die Wohnungstür,
ohne ein wenig absichtlichen Lärm zu machen. Ich will nicht überraschen,
besser: ich will nicht überrascht werden. Wurde meine Abwesenheit vielleicht
von den Dingen benützt, um Unfug zu treiben, so sollen
sie, rechtzeitig von meiner Nähe unterrichtet, noch Zeit haben, wieder in ihre
gewohnte dreidimensionale Ordnung zurückzuschlüpfen. - Alfred Polgar,
nach: Vom Geheimnis der alltäglichen Dinge. Hg. Johannes Werner. Frankfurt am
Main 1998
Dinge (4) Sowohl das Sagen
wie das Denken ist ein Ding, das ist. - Parmenides
Dinge (5) Die Dinge laufen nicht notwendigerweise
kontinuierlich ab. Die Tatsache, dass sie irgendetwas anderes als kontinuierlich
sein werden, sollte nicht als Pause wahrgenommen werden. Es wird Dinge
geben, die die Leute sehen, es wird Dinge geben, die
die Leute nicht sehen. Und das Leben geht weiter. - Donald
Rumsfeld
Dinge (6)
Dinge (7) Die
Dinge sehen das nun schon seit Jahrhunderten an. Es ist kein Wunder,
wenn sie verdorben sind, wenn sie den Geschmack verlieren an ihrem
natürlichen, stillen Zweck und das Dasein so ausnutzen möchten, wie sie
es rings um sich ausgenutzt sehen. Sie machen Versuche, sich ihren
Anwendungen zu entziehen, sie werden unlustig und nachlässig, und die
Leute sind gar nicht erstaunt, wenn sie sie auf einer Ausschweifung
ertappen. Sie kennen das so gut von sich selbst. Sie ärgern sich, weil
sie die Stärkeren sind, weil sie mehr Recht auf Abwechslung zu haben
meinen, weil sie sich nachgeäfft fühlen; aber sie lassen die Sache
gehen, wie sie sich selber gehen lassen. Wo aber einer ist, der sich
zusammennimmt, ein Einsamer etwa, der so recht rund auf sich beruhen
wollte Tag und Nacht, da fordert er geradezu den Widerspruch, den Hohn,
den Haß der entarteten Geräte heraus, die, in ihrem argen Gewissen,
nicht mehr vertragen können, daß etwas sich zusammenhält und nach seinem
Sinne strebt. Da verbinden sie sich, um ihn zu stören, zu schrecken, zu
beirren, und wissen, daß sie es können. Da fangen sie, einander
zuzwinkernd, die Verführung an, die dann ins Unermessene weiter wächst
und alle Wesen und Gott selber hinreißt gegen den Einen, der vielleicht
übersteht: den Heiligen.
Wie begreif ich jetzt die wunderlichen Bilder,
darinnen Dinge von beschränkten und regelmäßigen Gebrauchen sich
ausspannen und sich lüstern und neugierig aneinander versuchen, zuckend in der ungefähren Unzucht der Zerstreuung. Diese Kessel,
die kochend herumgehen, diese Kolben, die auf Gedanken kommen, und die
müßigen Trichter, die sich in ein Loch drängen zu ihrem Vergnügen. Und
da sind auch schon, vom eifersüchtigen Nichts heraufgeworfen, Gliedmaßen
und Glieder unter ihnen und Gesichter, die warm in sie hineinvomieren,
und blasende Gesäße, die ihnen den Gefallen tun.
- Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen
des Malte Laurids Brigge. Fankfurt am Main 2000 (it 2691, zuerst 1910)
Dinge (8)