rregung  Jede Art von Veränderung, selbst solche, die wir für lustvoll halten, ist uns im tiefsten Innersten zuwider. Jede nennenswerte »Erregung«, sexuelle eingeschlossen, ist eigentlich eine unangenehme Anspannung: Lust ist also eigentlich Unlust. Selbst wenn wir die Zunahme der Erregung als angenehm empfinden, dann nur deshalb, weil wir wissen, daß wir ihre Entladung genießen werden. Und je mehr Erregung oder »Spannung« wir entladen, desto stärker ist der Genuß. - (mac)

Erregung (2) Die wichtigsten Zellen in einem Gehirn sind die Nervenzellen, Neuronen genannt. Von ihnen gibt es etwa 10 Milliarden. (Merkwürdigerweise gibt es von den Glia-Zellen, oder Glia, zehnmal soviel. Man nimmt an, daß sie den Neuronen gegenüber eine untergeordnete Rolle spielen, und wir besprechen sie deshalb hier nicht.) Jedes Neuron besitzt eine Anzahl von Synapsen (Eingänge) und ein Axon (Ausgang). Input und Output sind elektrochemische Ströme, d. h. Ionen in Bewegung. Zwischen den Eingängen eines Neurons und seinem Output-Kanal befindet sich der eigentliche Zellkörper, in dem die „Entscheidungen" fallen. Die Entscheidung, der sich ein Neuron gegenübersieht, und das kann bis zu tausend Mal in der Sekunde geschehen, ist diese: sich erregen oder nicht, d. h. Ionen längs des Axons freizusetzen, die schließlich in die Eingänge eines oder mehrerer anderer Neuronen gelangen und sie veranlassen, eine Entscheidung der gleichen Art zu fällen. Das geschieht auf sehr einfache Art:

Wenn die Summe aller Inputs einen gewissen Schwellenwert überschreitet: ja, sonst: nein.

Gewisse Inputs können negativ sein, und die anderen positiven Inputs, die von irgendwo anders herkommen, auslöschen. Auf jeden Fall ist es einfach Addition, die das Denken auf seiner tiefsten Stufe beherrscht. Um Descartes berühmtes Wort zu variieren: „Ich denke, also sum(miere) ich." (vom lateinischen Cogito, ergo bin).

Nun sieht diese Methode, Entscheidungen zu treffen, sehr einfach aus, aber da ist ein Umstand, der das Problem kompliziert: Ein Neuron kann bis zu 200000 verschiedene Eingänge haben, und das bedeutet, daß bis zu 200000 verschiedene Summanden an der Bestimmung der nächsten Handlung des Neurons beteiligt sein können. Ist die Entscheidung getroffen, so jagt eine Schar von Ionen entlang des Axons bis zum Ende. Bevor jedoch die Ionen das Ende erreichen, ist es möglich, daß sie auf eine oder mehrere Abzweigungen stoßen. In solchen Fällen teilt sich der Output, während er sich dem Axon entlang fortbewegt, und wenn er das Ende erreicht hat, ist aus der Einzahl eine Mehrzahl geworden. Sie können ihr Ziel zu verschiedenen Zeitpunkten erreichen, da die Axonzweige, auf denen sie sich fortbewegen, von verschiedener Länge sein und verschiedene Widerstände haben können. Das Wichtige ist aber, daß das alles als ein einziger Stoß weg vom Zellkörper begonnen hat. Wenn ein Neuron sich erregt, braucht es eine kurze Zeit der Erholung, bevor es sich wieder erregen kann; üblicherweise wird das in Millisekunden gemessen, so daß sich ein Neuron bis zu tausendmal in der Sekunde erregen kann. - (hof)

Erregung (3) Am Grunde des menschlichen Tiegels, in jenem paradoxen Bereich, wo die Verschmelzung zweier Wesen, die einander wirklich erwählt haben, allen Dingen die verlorenen Farben der Zeitenfrühe unter andren Sonnen zurückerstattet, und wo dennoch auch die Einsamkeit wütet, aus einer jener Launen der Natur, die um die Krater Alaskas den Schnee unter der Asche fortdauern läßt — dort, wie ich bereits vor Jahren forderte, sollte man die neue Schönheit aufsuchen -, die »einzig um der Leidenschaft und ihrer Ziele willen« schön zu heißen verdient. Ich schäme mich durchaus nicht, hier zu gestehen, daß ich gänzlich unempfindlich bin für Naturschauspiele oder Kunstwerke, die nicht im Akt der Wahrnehmung unverzüglich eine körperliche Erregung in mir auslösen, welche sich durch ein Sprühen und Wehen an den Schläfen bemerkbar macht und bis zu einem wirklichen Frösteln gehen kann. Ich war stets außerstande, dieses Gefühl nicht mit dem der erotischen Lust in Verbindung zu bringen, und ich kann zwischen beiden nur Unterschiede des Grades entdecken. Obwohl es mir niemals gelingt, das, woraus diese Erregung besteht, in der Analyse restlos zu zergliedern - sie muß sich in der Tat meine tiefsten Verdrängungen zunutze machen -, so sagt mir doch die Erfahrung, daß allein die Sexualität hier am Werk ist. Es versteht sich, daß unter diesen Bedingungen die sehr besondere Empfindung, von der hier die Rede ist, für mich gänzlich unvorbereitet auftreten und durch einen Gegenstand oder Menschen ausgelöst werden kann, an dem mir, aufs Ganze gesehen, kaum sonderlich viel gelegen ist.

Nichtsdestoweniger handelt es sich um diese spezifische Empfindung, und um keine andere; ich bestehe darauf, daß eine Täuschung hier ausgeschlossen ist: es ist wahrhaftig, als hätte ich mich verloren, und plötzlich käme einer, und brächte mir Nachricht von mir. Ich erinnere mich, daß Paul Valéry während des ersten Besuches, den ich ihm mit siebzehn Jahren abstattete, vor allem wissen wollte, was mich veranlaßte, mich der Dichtung zu widmen, und daß meine Antwort damals schon ausschließlich in diese Richtung ging: ich sei, sagte ich, nur darauf bedacht, solche Zustände zu schaffen (mir zu verschaffen?), die denen gleichkämen, welche gewisse poetische Sätze und Bilder an entlegenen Stellen in mir hervorgerufen hätten. Auffällig und bewundernswert ist es, daß solche Zustände vollkommener Empfänglichkeit im Laufe der Zeit keine Abschwächung erleiden, denn unter den Beispielen, die ich heute für diese kurzen Formeln wählen würde, welche eine magische Wirkung auf mich ausüben, kehren mehrere wieder, die ich Valéry bereits vor zwanzig Jahren nannte. Das waren, unzweifelhaft, »Mais que salubre est le vent!« aus ›La Riviere de Cassis‹ von Rimbaud, ein »Alors, comme la nuit vieillissait« von Mallarmé nach Poe, allen voraus vielleicht das Ende dieser Ermahnung einer Mutter an ihre Tochter in einer Erzählung von Pierre Louys: daß sie sich, glaube ich, vor den jungen Burschen hüten sollte, die auf den Landstraßen daherkommen »avec le vent du soir et les poussières ailées«.

Ich brauche hier nicht näher auszuführen, wie dieser spärliche Vorrat für mich kurze Zeit darauf durch die Entdeckung der ›Chants de Maldoror‹ und der ›Poèmes‹ von Isidore Ducasse einer ungeahnten Fülle Platz gemacht hat. Die Definitionen Lautréamonts, die mit »schön wie« beginnen, sind geradezu das Manifest der konvulsivischen Schönheit. Die großen hellen Augen, Frühlicht oder Weißholz, eingerollte Farne, Rum oder Herbstzeitlose, die schönsten Augen der Museen oder des Lebens öffnen sich, wie Blumen sich öffnen, bei diesen Vergleichen, um nichts mehr zu sehen, auf allen Zweigen der Luft. Diese Augen, die nichts mehr ausdrücken als unterschiedslos Verzückung, Raserei und Grauen, sind die Augen von Nervals Isis (»Et l'ardeur d'autrefois brilla dans ses yeux verts...«), die Augen der Frauen, die man den Löwen vorwarf, die Augen der Justine und Juliette bei de Sade, die der Matilda von Lewis, die mehrerer Gesichter von Gustave Moreau, gewisser sehr moderner Wachsköpfe. - André Breton, L'Amour fou. Frankfurt am Main 1985 (BS 435, zuerst 1937)

Erregung (4)  An Gefühlen und Begierden, an Ehrgeiz und Erfüllung habe ich in der Tat nur wenig kennengelernt, was reicher und stärker gewesen wäre als die Erregung entomologischer Erkundungszüge. Von Anfang an hatte sie eine große Zahl durcheinanderfunkelnder Facetten. Eine davon war das akute Verlangen, allein zu sein, da jeder Begleiter, wie still er sich auch verhielt, dem konzentrierten Genuß meiner Manie im Wege stand. Ihre Befriedigung duldete keinen Kompromiß und keine Ausnahme. Schon in meinem zehnten Lebensjahr wußten die Hauslehrer und Gouvernanten, daß der Morgen mir gehörte, und kamen mir dann vorsichtigerweise nicht zu nahe.  - (nab)

Erregung (5)  Wir sind, um noch tiefer in dieses Elend und diese Trübsal hinabzutauchen, in den Saal der Erregbaren gegangen; dort sind sie alle mit Schusterarbeiten beschäftigt. Hier mischt das Alter sich mit dem Übrigen, und die Kindheit mit dem Alter. Es gibt einen Halb-Wahnsinn, der sich zu all ihrer Erniedrigung gesellt. Ihr Verbrechen flackert in ihrem Kopf. Ihr Bewußtsein sinkt. Da gibt es Sybillen, Megären; fast gelähmte Finger, langsames Denken, kindliche Schrecken; Seelen, die sich instinktiv regen wie Leiber unter einem Alptraum; Umgetriebenheiten einer fixen Idee. Als wir vorbeikamen, stand eine auf und gab einer Gefährtin, die sie zurückhalten wollte, einen Faustschlag auf den Arm, und sie begann eine Audienz zu erbitten, in flehendem Tonfall, aufgewühlt und mit leidvoller Resignation Reklamationen vorzubringen; Auftritt, würdig einer großartigen Schauspielerin. Sie war eine arme alte Hebamme, die wegen Abtreibung verurteilt war und die immer wieder mit der Beredtsamkeit einer Monomanin wiederholt hat, sie sei für eine andere verurteilt worden. Endlich schwieg sie, ihre herzzerreißende Stimme verstummte. Das Wogen, das durch den Saal gegangen war, und die Erregung, die alle diese wankenden Geister ergriffen hatte, waren zu Ende. - (gon)

Erregung (6)  Ich geriet beim Gedanken an sie so in Erregung, daß ich mich an meine Frau heranzumachen versuchte. Aber dieses arme Luder mit ihrem puritanischen Komplex gab vor, entsetzt zu sein. Sie mochte Luke gerne. Nein, sie ging nicht so weit, zu sagen, er sei ein feiner Kerl gewesen, denn das paßte nicht zu ihr, aber sie versicherte, daß er ein wirklicher Freund, aufrichtig, treu und so weiter gewesen sei. Ich hatte so viele treue, echte, wahre Freunde, daß all das der reine Bockmist für mich war. Schließlich gerieten wir in einen solchen Streit über Luke, daß sie einen hysterischen Anfall bekam und - wohlgemerkt: im Bett — zu weinen und zu schluchzen anfing. Das machte mich hungrig.  - (wendek)

Erregung (7)

Puter können sich schrecklich erregen. Dann wird der Nasenzapfen lang wie ein Rüssel, und die Halsfalten quellen feuerrot über den Federkragen.  - Aus Geo 1 / 1999

Erregung (8) Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben, so behutsam, daß ich es nicht sogleich bemerkte. Er schlich leise wie eine Katze über den Teppich, schritt mir im Rücken vorüber, so daß mich der Duft, der ihm anhaftet, streifte. Irgendein sonderbarer Ruch von Vanille und Urwaldhölzern; vielleicht nur eine Verdünnung von Bergamotteöl, unscharf, doch nicht süßlich. Dies und sein Verhalten erregte mich, so daß ich mehr verschwommen als klar empfand. Bereitwillig vergaß ich, daß wir uns fremd sind. Ich hätte in jenem Augenblick geleugnet, daß sich sumpfige Bezirke des Unvermutbaren vor mir ausdehnen könnten. - (jah)

Erregung (9) Der große Augenblick war gekommen. Die Feuerwalze rollte auf die ersten Gräben zu. Wir traten an.

Der Zorn zog nun wie ein Gewitter auf. Tausende mußten schon gefallen sein. Das war zu spüren; obwohl das Feuer fortfuhr, schien es still zu werden, als verlöre es seine gebietende Kraft.

Das Niemandsland war dicht von Angreifern erfüllt, die einzeln, in Trüppchen oder in hellen Haufen auf den feurigen Vorhang zuschritten. Sie liefen nicht, sie nahmen auch nicht Deckung, wenn zwischen ihnen die turmhohen Fahnen aufstiegen. Schwerfällig, doch unaufhaltsam gingen sie auf die feindliche Linie zu. Es schien, daß die Verwundbarkeit nun aufgehoben war.

Inmitten der Massen, die sich erhoben hatten, war es zugleich einsam; die Verbände waren nun vermischt. Ich hatte die Meinen aus dem Blick verloren; sie hatten sich wie eine Welle in der Brandung aufgelöst. Nur Vinke und ein Einjähriger namens Haake waren neben mir. Die rechte Hand hielt den Pistolenschaft umklammert, die linke einen Reitstock aus Bambusrohr. Noch trug ich, obwohl mir sehr heiß war, den langen Mantel und, der Vorschrift entsprechend, Handschuhe. Im Vorgehen erfaßte uns ein berserkerhafter Grimm. Der übermächtige Wunsch zu töten beflügelte meine Schritte. Die Wut entpreßte mir bittere Tränen.

Der ungeheure Vernichtungswille, der über der Walstatt lastete, verdichtete sich in den Gehirnen und tauchte sie in rote Nebel ein. Wir riefen uns schluchzend und stammelnd abgerissene Sätze zu, und ein unbeteiligter Zuschauer hätte vielleicht glauben können, daß wir von einem Übermaß an Glück ergriffen seien. - Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Stuttgart 1985 (zuerst 1920)

Reiz Gemütsleben

 

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