- Franz
Kafka
,
Forschungen eines
Hund
es, nach
(
kaf
)
Wissenschaft (2) "Mir scheint, Euer Gnaden haben die hohen Schulen besucht: Welche Wissenschaften haben Euer Gnaden gehört?"
"Die Wissenschaft der fahrenden Ritterschaft", antwortete Don Quijote, "die ebenso gut ist wie die der Poesie, und noch zwei Fingerbreit mehr."
"Ich weiß nicht, was das für eine Wissenschaft ist", antwortete Don Lorenzo, "und bis heute ist sie mir nicht zu Ohren gekommen."
"Es ist eine Wissenschaft", antwortete Don Quijote, "die alle oder die meisten Wissenschaften der Welt in sich begreift.
Denn wer sie betreibt, muß ein Rechtskundiger
sein und die Gesetze der austeilenden, das Eigentum
schützenden Gerechtigkeit kennen, um einem jeden
zu geben, was ihm gehört und was ihm gebührt; er muß ein Gottesgelahrter
sein, um von dem christlichen Glauben, zu dem er sich bekennt, klar und
deutlich Rechenschaft geben zu können, wo immer es von ihm verlangt wird;
er muß ein Arzt, vorzugsweise aber ein Kräuterkenner
sein, um inmitten der Einöden und Wüsteneien die Kräuter zu erkennen, die
wundenheilende Kraft besitzen; denn der fahrende Ritter soll nicht bei
jedem Anlaß umhersuchen, wer sie ihm heilen kann; er muß ein Sternkundiger
sein, um aus den Sternen zu erkennen, wieviel Stunden der Nacht
schon verflossen sind und in welcher Gegend und unter welchem Himmelsstrich
er sich befindet; er muß Mathematik verstehen,
denn bei jedem Schritt wird sich ihm die Notwendigkeit dieser Wissenschaft
zeigen. Und indem ich beiseite lasse, daß er mit allen drei theologalen
Tugenden und allen vier Kardinaltugenden geziert sein muß, steige ich zu
geringfügigeren Dingen herab und sage: er muß schwimmen können, wie man
sagt, daß Cola oder Nicolao Pesce es konnte; er
muß ein Pferd beschlagen, Sattel und Zaum in Ordnung bringen können; und
indem ich jetzt wieder auf das vorige zurückkomme: er muß Gott und seiner
Dame die Treue zu wahren wissen; er muß keusch sein
in seinen Gedanken, sittsam in seinen Worten, stets hilfsbereit in seinen
Werken, mannhaft in Seinen Taten, geduldig in
Drangsalen, barmherzig gegen Notbedrängte und endlich ein Vorkämpfer für
die Wahrheit, wenn auch ihre Verteidigung ihn
das Leben kosten sollte. Alle diese größeren und geringeren Eigenschaften
zusammengenommen bilden den echten, rechten fahrenden Ritter." -
(
don
)
Wissenschaft (3) Wer nicht die Fähigkeit besitzt, sich einmal sozusagen
Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung,
dass das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade
diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der
bleibe der Wissenschaft nur ja fern. Niemals wird er in sich das
durchmachen, was man das »Erlebnis« der Wissenschaft nennen kann. Ohne
diesen seltsamen, von jedem Draußenstehenden belächelten Rausch, diese
Leidenschaft, dieses: »Jahrtausende mussten vergehen, ehe du ins Leben
tratest, und andere Jahrtausende warten schweigend«: – darauf, ob dir
diese Konjektur gelingt, hat einer den Beruf zur Wissenschaft nicht und tue etwas anderes. Denn nichts ist für den Menschen als Menschen etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft tun kann.
- Max Weber,
Wissenschaft
als Beruf
(1922)
Wissenschaft (4) Und hier das labarum, die Kreuzfahne der Schwachköpfe. Die Wissenschaft! Vor dem 20. Jahrhundert hatte die Medizin, um nur von diesem Bettclweib zu reden, keinerlei Bedarf an Wissenschaft und wagte kaum, sich darauf zu berufen. Seit unvordenklichen Zeiten stocherte sie in den Ausscheidungen ihrer Kranken herum. Heute kramt sie in ihrem eigenen Unrat.
Die Verwesung beklagte sich, keinen eigenen Propheten
zu haben. Also kam Pasteur, Pasteur mit dem sanften und melibeischen
Namen, und endlich ist die Mikrobe, mit einer Verspätung von sechstausend Jahren
auf ihre Erschaffung, aus dem Nichts hervorgetreten. Was für eine Revolution!
Mit ihr ändert sich alles. Die Suche nach diesem kleinen Untier
tritt an die Stelle des alten Geistes der Kreuzzüge.
Man kennt nur noch die Wissenschaft. Man will nichts mehr wissen, es sei denn
die Wissenschaft, und jede Hanswursterei fordert ihr eigenes Tierchen. Alle
Seren, alle jauchigen Pestausscheidungen, alle Ausflüsse
der Toten, alles, was sich früher auf dem Grund der Grabstätten
sammelte, wird heute wieder ans Licht gezerrt, empfohlen, mobilisiert, injiziert,
verschlungen. Tollwut, Tuberkulose und Cholera sind Aperitive oder Verdauungsschnäpse
geworden . - (
bloy)
Wissenschaft (5) Wer mit Belesenheit einen Haufen
von Eseleien der menschlichen Weisheit zusammentrüge, der könnte Wunder erzählen.
Ich sammle ihrer gern, wie merkwürdige Schaustücke, die in mancher Hinsicht
nicht weniger lehrreich zu betrachten sind als die gesunden und maßvollen Meinungen.
Entnehmen wir daraus, was wir vom Menschen, von seinem Verstand und von seiner
Vernunft zu halten haben, da sich bei diesen großen Männern,
in denen die menschliche Einsicht zu solchen Höhen emporstieg, derart augenscheinliche
und grobe Fehlurteile finden. Ich ziehe es vor, zu glauben, daß sie mit der
Wissenschaft aufs Geratewohl wie mit einem Allerweltsspielzeug
hantierten, daß sie mit der Vernunft wie mit einem
eitlen und nichtigen Geräte Kurzweil trieben und alle Arten von bald ernsthafteren,
bald losen Einfällen und Erfindungen vorbrachten.
- (
mon
)
Wissenschaft (6) Die Wissenschaft (disciplina)
hat ihren Namen vom Lernen (discere) erhalten, weshalb
sie auch Wissen (scientia) genannt werden kann. Denn das Wissen
(scire) ist nach dem Lernen benannt, weil niemand von uns etwas weiß, außer
wenn er lernt. Anders gesagt, das Wissen heißt so, weil es ganz und gar gelernt
wird. Kenntnis (ars) aber wird genannt, was in den Vorschriften und den
Regeln einer Kunst besteht. Andere sagen, diese Bezeichnung
sei von den Griechen, von *arete* bezogen, das heißt von der Tüchtigkeit (virtus),
welche jene Wissen nennen. Zwischen der Kenntnis und der Wissenschaft,
so haben Plato und Aristoteles
definiert, bestehe folgender Unterschied: Die Kenntnis bestehe in dem, was man
auch auf andere Weise als durch Lernen haben könne, die Wissenschaft aber befasse
sich mit dem, was nicht anders als durch Lernen entstehen könne. Denn wenn etwas
in vernünftiger Erörterung auseinandergesetzt wird, so wird man darunter Wissenschaft
verstehen. Wenn etwas glaubhaft und plausibel abgehandelt wird, wird es als
Kenntnis bezeichnet werden. -
Isidor
von Sevilla, Etymologiae
Wissenschaft (7)
Wissenschaft (8) Du wählst das eine oder andere Thema,
das deine Phantasie beschäftigt, kaufst ein Notizbuch, etikettierst und beschriftest
es mit dem Titel deines Themas und läßt nicht nach, alles, was irgend dein Thema
betrifft, darin zu notieren, wie es dir gerade über den Weg läuft, bei allen
Überlegungen, allem Gelesenen, allem Beobachteten. Ich hatte viele solcher Notizbücher,
und bald wurde ich manche leid, aber andere währten lange und leisteten mir
gute Dienste ... Mit der Zeit breitet sich dein Thema wundervoll aus, es lockt
dich in Nebenstraßen, es trägt dich in die Ferne; wenn du das Spiel richtig
spielst, geht es nie zu Ende. Es gewinnt beständig an Interesse, denn Dinge
sind nur insofern interessant, als sie sich mit anderen Dingen verbinden; nur
dann kannst du zwei und zwei zusammenstellen und sehen, wie sie vier ergeben
oder sogar fünf, und hören, was für Geschichten sie voneinander erzählen. Solcherart
ist die Wissenschaft selbst, und so ist alle Kenntnis, die die Menschen interessiert.
- Nach:
Anita Albus, Nachwort zu: D'Arcy Wentworth Thompson, Über Wachstum und Form.
Frankfurt am Main 2006 (Die Andere Bibliothek 255, zuerst 1917/1942)
Wissenschaft (9)
Wissenschaft (10) »Zum Staunen«,
schrieb Wittgenstein, »muß der Mensch aufwachen.
Die Wissenschaft ist ein Mittel, um ihn wieder einzuschläfern.« Daß die Wissenschaft
das Opium der Intellektuellen war, ist Wittgenstein zeitlebens klar gewesen.
- Hans Peter Duerr, Sedna oder Die Liebe zum Leben. Frankfurt am Main
1984
Wissenschaft (11)
Wissenschaft (12) Wissenschaft ist Spektralanalyse;
Kunst ist Photosynrhese - Karl Kraus,
nach: Colin Dexter, Finstere Gründe. Reinbek bei Hamburg 1996