räsenz
Virilio gibt eine ausgezeichnete Definition
der fleet in being und ihrer historischen Konsequenzen: "Die
fleet in being ist (...) die permanente Präsenz einer unsichtbaren Flotte
auf dem Meer, die den Gegner egal wo und wann überraschen kann (...). Es
gibt hier also eine völlig neue Idee von Gewalt, welche nicht mehr durch
direkten Zusammenstoß und das Blutvergiessen entsteht, sondern durch den
ungleichen Besitz von Armee-Körpern und durch die Bewertung der Quantität
von Bewegungen, die ihnen in einem bestimmten Element möglich sind, und
somit durch die permanente Verifikation ihrer dynamischen Wirksamkeit.
(...) Es handelt sich hier nicht mehr um die Überquerung eines Kontinentes
oder eines Ozeans, es geht nicht mehr um die Verbindung von einer Stadt
zu anderen, von einem Ufer zum anderen, die fleet in being erfindet einen
Begriff von Ortsveränderung, der in Zeit und Raum
keinerlei Ziel mehr hat (...); das strategische
Unterseeboot braucht sich überhaupt nicht zu zeigen, es bescheidet sich
damit, unsichtbar zu bleiben und das Meer zu halten (...), das heißt absolut
zirkuläre, ununterbrochene Reisen zu realisieren,
da sie weder einen Ausgangspunkt noch einen Ankunftsort hätten. (...) Wenn,
wie Lenin dachte, die Strategie eine Auswahl von Punkten zur
Anwendung von Kräften ist, so sind wir gezwungen anzuerkennen, daß
diese Punkte heute keine geostrategischen Stützpunkte mehr sind, da man
ausgehend von einem beliebigen Punkt jeden anderen, wo immer er sei, in
Rekordzeit und mit einer Genauigkeit von wenigen Metern erreichen kann.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die geographische Lokalisierung endgültig
ihren strategischen Wert verloren zu haben scheint und daß umgekehrt eben
dieser Wert der Nicht-Lokalisierbarbeit des Vektors zukommt, eines Vektors,
der permanent in Bewegung ist." (Geschwindigkeit
und Politik, a.a.O., S. 52-56, 178-179) -
Deleuze
/ Guattari, Tausend Plateaus. Berlin 1992 (zuerst 1980)
Präsenz
(2) Einmal suchte ich eine Patientin in der nahen Vorstadt
auf. Als sich die Tür auf mein Klingeln öffnete, stand eine prächtige bronzene
Gestalt vor mir. Sie sagte kein Wort, sondern stand da, bis ich ihr gesagt hatte,
wer ich war, dann ließ sie mich ein, drehte sich um und ging in die Küche. Aber
ihre Anziehungskraft - irgend etwas, ihre geistige Wachheit, verbunden mit dem
geraden Wuchs, ihrem festen Körper, ihrer Jugend, Ernsthaftigkeit - ihre Gegenwärtigkeit
- weckten in mir das Verlangen, auf der Stelle eine neue Rasse zu zeugen. Ich
hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen. Einige Zeit später fragte ich die Dame
des Hauses, was aus dem Mädchen geworden wäre. Oh, sagte sie, das war eine verheiratete
Frau. Ihr Mann war ein mit allen Wassern gewaschener Lieferant. Sie kamen irgendwie
mit dem Gesetz in Konflikt. Alkoholschmuggel, glaube ich, und er mußte verduften.
Ich habe sie einmal erwischt, wie sie ihre Finger in meinem Portemonnaie hatte.
Als ich sie zur Rede stellte, machte sie nur das Portemonnaie zu und gab es
mir, als wäre nichts passiert. Dann haben wir kein Wort mehr darüber verloren.
- William Carlos Williams, Die
farbigen Mädchen von Passenack - die alten und die neuen, nach (
messer
)
Präsenz
(3) Das Haus in Burzaco und das Zimmer in der Rue du Sommerard
waren der Ort, und im Traum mußte man den ruhigsten
Teil des Ortes wählen, nur dies schien der Beweggrund des Traums zu sein, einen
ruhigen Teil zu wählen. Am Ort gab es noch eine zweite Person, seine Schwester,
die ihm wortlos dabei half, den ruhigen Teil zu finden, so wie in manchen Träumen
jemand eingreift, ohne überhaupt da zu sein, es steht einfach fest, daß die
Person oder die Sache da sind und eingreifen; eine Macht ohne sichtbare Lebensäußerungen,
etwas, das ist oder wirkt dank einer Gegenwärtigkeit, die darauf verzichten
kann, in Erscheinung zu treten. - (
ray
)
Präsenz (4) In ihren Liegestühlen ausgestreckt, aus denen sie sich bis zur Ankunft in Manaos nicht mehr rühren, sehen die Touristen die geheimnisvollen Ufer des Flusses vorüberziehen. Sie können die Augen nicht abwenden. Sie sagen kein Wort. Man könnte denken, die Hitze bedränge sie, doch es ist — sie wissen nicht, was — Bewunderung, ein Staunen, das ihnen den Atem nimmt, und noch etwas Tieferes, Dunkleres, das sich ihrer bemächtigt hat und sie beunruhigt, seit das Schiff in den Wald eingedrungen ist.
Es ist ein unerträgliches Warten auf etwas, das bevorsteht, das unausweichlich im nächsten Augenblick geschehen wird, dessen Sinn trotz aller geheimnisvollen Vorankündigungen verborgen bleibt, obwohl alle es spüren.
Am rechten wie am linken Ufer breitet sich der alte, der junge, der ewige Urwald vor ihnen aus wit ein großes geöffnetes Buch voller Mnemographien, Ideogramme, lebendiger Hieroglyphen, die sie nicht zu entziffern vermögen, deren Bedeutung aber jeder ahnt.
Die Erscheinung eines Wesens ~- die keiner
von ihnen sich bis zu diesem Tag gewünscht hat, die aber alle erleichtern
würde, wenn sie zu dieser Stunde geschähe —, sagen wir eines lachenden
Pan, eines Urwaldgottes, der die Zweige oder das
hohe Gras am Ufer zerteilte oder mitten aus dem Fluß emporstiege, um sie
anzurufen und sie zu sich zu befehlen, könnte sie nicht überraschen, so
deutlich spüren sie überall, auf dem Wasser, in der Luft, im Laubwerk des
Urwaldes eine Präsenz, die auf ihre geheimsten Gedanken antwortet und der
zu gehorchen sie bereit sind. - Blaise Cendrars, Wahre Geschichten. Zürich 1979
Präsenz
(5) Wenn ich in dem Glauben, mit diesem Wort den ichlüssel
zu dem Problem zu besitzen, bei einem Kunstwerk von »Präsenz« spreche, habe
ich dann wenn schon nicht die Erklärung, so doch das richtige Kriterium? Oder
ist dies nicht ganz einfach dann der Fall, wenn ich feststelle, daß dieser Gegenstand
als Frucht einer Einbildungskraft, die mit Stoffen arbeitet, die ursprünglich
schon in der gewöhnlichen Erfahrung angelegt sind (Formen, Farben, Körper in
der Bildenden Kunst, Töne und Rhythmen in der Musik, Sprache in der Literatur),
daß dieses Werk, das auf jeder Ebene mit menschlichen Mitteln geschaffen worden
ist und dessen Wirken dennoch ein Geheimnis bleibt, eine Realität gewinnt, die
für mich nicht nur diejenige der in ihm verarbeiteten Stoffe übersteigt, sondern
mir auch intensiver vorkommt als die der meisten Alltags Wirklichkeiten. Es
entweicht dem Ghetto des Imaginären und gibt dann mit Nachdruck zu spüren, daß
es existiert, und in seiner Ganzheit greift es im Leben Raum, anstatt nur auf
ein Spiel hinauszulaufen, das bei aller Bravour in sich geschlossen bleibt.
- (
leiris2
)
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