-
(
baud
)
Sammler
(2)
Daß die Kollektion
wirklich ein
Spiel mit dem
Tod ist (eine
»Passion«)
und deshalb
symbolisch
mächtiger als
der Tod, wird
durch eine
amüsante Geschichte
von Tristan
Bernard
bezeugt: Ein
Mann sammelte
Kinder, legitime,
illegitime,
aus der ersten,
aus der zweiten
Ehe, Adoptiv-,
Findel- und
mißgestaltete
Kinder und
so weiter.
Eines Tages
veranstaltete
er ein Fest,
um sie alle
um sich zu
versammeln.
Bei dieser
Gelegenheit
machte ein
Freund folgende
zynische Bemerkung:
»Eine Sorte
fehlt!« Bestürzt
erkundigte
sich der Sammler.
welche das
sei. »Das postume
Kind... « Worauf
der von der
Sammlerleidenschaft
geplagte Mann
seine Frau
schwängerte
und — sich
eine Kugel
in den Kopf
jagte. -
(
baud
)
Sammler (4) Edward Brown berichtet in seiner 1673 erschienenen Monographie A Brief Account of Some Travels in Divers Parts of Europe... (den vollständigen Titel, der noch einen ganzen Abschnitt lang weitergeht, erspare ich dem Leser),wie er während seines Aufenthalts in Leipzig den dortigen Bürgermeister, einen gewissen Herrn von Adlershelme, »einen vornehmen gelehrten Herrn und großen Kunstliebhaber«, aufgesucht habe, »der gar vielerlei gesammelt und beobachtet« und in seiner »Raritätenkammer« viele Dinge zusammengetragen habe, die, wie Brown sich ausdrückt, »bedenkenswert« seien. Brown zählt anschließend auf:
Der Kopf eines Elefanten mit den Stoßzähnen darinnen. Ein Tier wie ein Armadillo, aber die Schuppen sind viel größer und der Schwanz ist breiter. Sehr große fliegende Fische. Ein Seepferd. Brot vom Berg Libanus. Ein Zypressenzweig mit der Frucht daran. Große Granatsteine, wie sie im Bergwerk wachsen. Die Hand einer Sirene. Ein Chamäleon. Ein Stück Eisen, das eine Speerspitze zu sein scheint, die in einem Elefantenzahn gefunden wurde, in den sie eingewachsen war. Die Insel Jersey, gezeichnet von unserem König Karl dem Zweiten. Ein Stück Holz mit dem Blut von König Karl dem Ersten darauf. Eine Lanze aus Grönland mit einer großen Glocke an ihrem Schaftende. Viel japanische Malerei, auf der man sehen kann, wie sie jagen und arbeiten. Ein Bildnis unseres Heilands, auf dessen Schraffierungslinien die Geschichte seiner Passion ... geschrieben ... steht. Biber, die in der Elbe gefangen wurden. Ein von Albrecht Dürer ausgeführtes Bildnis des bethlehemitischen Kindermords. Bilder von etlichem merkwürdigem Federvieh. Ein Grönlandboot. Die Felle von weißen Bären, Tigern, Wölfen und anderen wilden Tieren. Und nicht vergessen darf ich das Strumpfband einer englischen Braut nebst dazugehöriger Geschichte; daß nach englischem Brauch der Bräutigam es abnimmt und in seinem Hut trägt, was den Deutschen so merkwürdig erschien, daß ich mich verpflichtet fühlte, es ihnen zu bestätigen, indem ich ihnen versicherte, daß ich selbst solch ein Strumpfband mehrfach getragen hatte.
- (
wesch
)
Sammler
(5) An einem Sommernachmittag im Jahre 1911 kam Mademoiselle mit
einem Buch in der Hand in mein Zimmer, eröffnete mir, daß sie mir vorlesen wollte,
wie geistreich Rousseau die Zoologie (zugunsten der Botanik) herunterputzte,
und war in dem Gravitationsprozeß, mit dem sie ihre Masse
in den Sessel senkte, dann schon zu weit fortgeschritten, als daß mein Entsetzensschrei
sie noch hätte stoppen können: Auf jenem Platz hatte ich einen Sammelkasten
mit Glasdeckel abgestellt, der lange, wunderschöne Serien Großer Kohlweißlinge
enthielt. Ihre erste Reaktion war eine gekränkter Eitelkeit: Ihr Gewicht konnte
doch gewißlich nicht beschädigt haben, was es tatsächlich zerstört hatte; ihre
zweite bestand darin, mich zu trösten: Allons donc, ce ne sont que des papillons
de potager! - was die Sache nur noch schlimmer machte. Ein unlängst bei
Staudinger gekauftes sizilianisches Paar war zerdrückt
und gequetscht. Ein riesiges Exemplar aus Biarritz war total verstümmelt. Ebenfalls
ruiniert waren einige meiner wertvollsten lokalen Fänge. Unter diesen hätte
sich eine Aberration, die der kanarischen Rasse der Spezies ähnelte, mit ein
paar Tropfen Leim kleben lassen; doch ein kostbarer Scheinzwitter mit einer
männlichen linken und einer weiblichen rechten Seite, dessen Hinterleib sich
nicht wiederfinden ließ und dessen Flügel sich gelöst hatten, war ein für allemal
verloren: Man konnte wohl die Flügel wieder anbringen, doch war nicht zu beweisen,
daß alle vier zu dem kopflosen Thorax auf seiner krummen Nadel gehörten. Am
nächsten Morgen brach die arme Mademoiselle mit sehr heimlichtuerischer Miene
nach St. Petersburg auf und kam am Abend mit einer banalen, auf Gips montierten
Urania-Eule zurück. («Was Besseres als deine Kohlschmetterlinge.») «Wie du mich
umarmt hast, wie du vor Freude getanzt hast!» rief sie zehn Jahre später aus,
als sie dabei war, eine nagelneue Vergangenheit zu erfinden. - (
nab
)
Sammler (6) Meines Vaters Sammlung war nicht groß, dafür aber merkwürdig; und folglich ging einige Zeit darüber hin, ehe er sie zusammenbrachte. Er hatte jedoch das außerordentliche Glück bei ihrer Grundlegung, daß er Bruscambilles Prolog über lange Nasen fast geschenkt erhielt, denn der ganze Bruscambille kostete ihn nicht mehr als drei halbe Kronen, und das lag nur daran, weil der Trödler gleich merkte, daß mein Vater sich sehr für das Buch interessierte, sobald er es nur in die Hand genommen hatte. — „Man findet keine drei Bruscambilles mehr in der ganzen Christenheit", sagte der Antiquar, „abgesehen von jenen, die etwa hie und da in Liebhaberbibliotheken an Ketten liegen." — Wie der Blitz warf mein Vater das Geld hin, steckte Bruscambille in seinen Busen, eilte damit vom Piccadilly zur Coleman Street, als ob er einen Schatz heimtrüge, ohne Bruscambille den ganzen Weg über nur einmal loszulassen.
Denjenigen, welche noch nicht wissen, wes Geschlechts Bruscambille
ist — um so mehr, da ein Prolog über lange Nasen sehr leicht sowohl von dem
einen wie von dem anderen Geschlecht herrühren könnte —, wird das Gleichnis
nicht unpassend erscheinen, daß mein Vater, als er zu Hause ankam, sich mit
Bruscambille ebensosehr erlabte, wie sich — ich wette zehn gegen
eins — Euer Hochwohlgeboren mit Ihrer ersten Mätresse erlabten, das heißt vom
Morgen bis zum Abend, was zwar, nebenbei gesagt, dem Verliebten
großes Vergnügen bereiten mag, den Zuschauer
aber wenig oder gar nicht belustigt. Ich bitte zu beachten, daß ich das Gleichnis
nicht weiter treibe. Meines Vaters Augen waren hungriger als sein Magen, seine
Begierde größer als sein Vermögen; er kühlte sich ab, seine Neigungen wurden
geteilt, er erstand den Prignitz, kaufte sich den Scroderus,
Andrea Paraeus, Bouchets „Abendunterhaltungen" und vor allem den
großen und gelehrten Hafen Slawkenbergius, über den, da ich bei Gelegenheit
viel über ihn zu sagen habe, ich jetzt nichts sagen will. - (
shan
)
Sammler
(7) Fand Linné auf der
Exkursion mit seinen Studenten in der ländlichen Umgebung von Uppsala eine
neue Pflanze, wurden sie bei der Rückkehr in die Stadt von einer
Musikkapelle begleitet und die Menschen am Straßenrand jubelten ihnen zu.
Linné gehörte zu einem Netz von miteinander korrespondierenden Forschern,
die Pflanzensamen und Specimen von Fossilien, Pflanzen und Tieren
untereinander tauschten. In diesem Kreis hatte Linné keinen allzu guten Ruf:
Er nimmt alles und gibt nichts, klagte man über ihn. - Wolf Lepenies,
Welt
Online, 22. Mai 2007
Sammler
(8) Ich spießte Libellen und Schmetterlinge auf, um eine Sammlung
anzulegen, wie Onkel Wolfram das mustergültig tat. Aber ich handhabte diesen
Sport mit unzureichenden Kenntnissen und Mitteln. Ich wollte Tiere konservieren,
setzte eine kleine lebende Schleie in Spiritus, Brennspiritus, der sie rasch
betäubte. Aber nachts ließ mir's keine Ruhe. Ich stand auf, entzündete ein Streichholz
und beleuchtete das Einmachglas. Wie tief erschrak ich, als die Schleie plötzlich
anfing, lebhaft mit dem Schwanz zu schlagen. -
Joachim Ringelnatz, Mein Leben bis zum Kriege. Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst
1931)
Sammler
(9) Der
Sammler — der wahre Sammler, derjenige, den ich dem kommerziellen
Sammler gegenüberstellte, der aus der modernen Kunst eine
Wallstreet-Affäre gemacht hat... dieser Sammler ist, meiner Meinung
nach, ein Künstler «im Quadrat». Er
wählt Bilder aus und hängt sie an seine Wände, mit anderen Worten:
er malt sich selbst eine Sammlung.
- Marcel Duchamp 1958, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.), Dada - eine literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964
Sammler (10) Die Gründer des Clubs, große Okkultisten, hatten ihre erste Versammlung zu Beginn der Restauration. Für den Fortbestand der Vereinigung sorgten unter der doppelten Ägide von Liebe und Freiheit deren Nachkommen. Ein gewisser Dichter hat seinerzeit bedauert, daß die Gesellschaft nicht schon in den letzten Tagen der alten Ära gegründet wurde. Man hätte so das Sperma Christi wie auch das des Judas sammeln können, und dann, im Laufe der Jahrhunderte, das des Charles Stuart von England, das von Ravaillac und die Liebestränen der Mlle de Lavallière, als diese sich in ihrer Karosse beim sinnlichen Traben der Pferde auf dem Wege nach Chaillot befand, wie auch jene der Theroigne de Méricourt auf der Terrasse der Feuillants, und auch die herrlichen Spermen, die in den roten Jahren auf den Tribünen der Revolutionäre ebenso sicher flossen wie das Blut, mit dem sie sich mischten. Ein anderer beklagte fortwährend den Verlust des göttlichen Getränks, das der Malvasier sein mußte, in dem der Herzog von Clarence ertränkt wurde.
Die Mitglieder des Clubs lieben das Meer. Der Geruch
von Phosphor, der ihm entströmt, macht sie trunken, und unter den Trümmern auf
den Stranden - Schiffswracks, Fischgräten und Überreste versunkener Städte -finden
sie die Atmosphäre der Liebe, vernehmen jenes Seufzen, das unserem Gehör das
tatsächliche Vorhandensein von etwas Eingebildetem bezeugt, lauschen dem eigentümlichen
Knistern trockenen Seegrases, atmen das herrliche Aphrodisiakum Meerambra ein
und erfreuen sich am Plätschern der weißen Wellen, die den badenden Frauen gegen
ihr Geschlecht und ihre Schenkel schlagen und, wenn sie ihnen bis zur Taille
reichen, den Badeanzug an die Haut klatschen. Wie lange trank Sanglot nun schon?
Es wurde bereits Nacht. Als der erste Stern erschien, lag zu seinen Füßen eine
beträchtliche Anzahl zerbrochener Ampullen, angefangen mit jener aus weißem
Glas des Senegalesen bis zu der gelben der Eskimos, deren Essenz kein Tageslicht
verträgt, da jene sich gewöhnlich nur während der sechs Monate polarer Finsternis
lieben. - Robert Desnos, nach: Geteilte Nächte. Erotiken des Surrealismus.
Hg. Heribert Becker. Hamburg und Zürich 1990
Sammler
(11) Was Señor Traite, den Lehrer,
angeht, so rauchte er nicht. Es hätte ihn beim Schlafen gestört.
Dafür schnupfte er aber Tabak. Bei jedem kurzen Aufwachen nahm er eine
Prise kriminell riechenden Schnupftabaks, die ihn zu lauthalsem Niesen
brachte, wobei er ein riesiges Taschentuch, das er selten wechselte, mit
ockerfarbenen Flecken bespritzte. Señor Traite hatte ein sehr schönes Gesicht
vom Tolstoi-Typ, mit etwas Leonardo-Transplantat; seine sehr hellen blauen
Augen waren bestimmt mit Träumen und ziemlich vielen Gedichten angefüllt;
er kleidete sich nachlässig, roch übel, und von Zeit zu Zeit trug er einen
Zylinder, was in dieser Gegend ganz und gar ungewöhnlich war. Aber bei
seinem eindrucksvollen Äußeren konnte er sich alles erlauben: Er lebte
in einer legendären Aura von Intelligenz, die ihn
unangreifbar machte. Gelegentlich unternahm er einen Sonntagsausflug und
kehrte mit einem Karren voller Kirchenskulptur zurück, gotischer Fenster
und anderer Bauteile, die er aus den Kirchen auf dem Land stahl oder die
er fast umsonst kaufte. Einmal hatte er ein romanisches Kapitell entdeckt,
das es ihm besonders angetan hatte und das im Glockenturm eingelassen war.
Señor Traite gelang es, sich nachts Eingang zu verschaffen und es aus der
Wand zu brechen. Er grub und grub so fleißig, daß ein Teil des Turmes einstürzte,
und mit einem Getöse, das man sich leicht vorstellen kann, fielen zwei
große Glocken durch das Dach eines Nachbarhauses und hinterließen ein klaffendes
Loch. -
(dali)
Sammler (12) Die Ilanos waren die gefürchtetsten Kopfjäger zur See. Sie sammelten Köpfe, es war ihr Sport, ihre Mode, wie anderswo das Sammeln von böhmischen Gläsern oder Schmetterlingen. Sie hatten sich vom Reisbau auf die See gegeben, weil ihrer allzu oft von den Feldern durch europäische, zumeist spanische „Arbeitsvermittler" weggefangen und in heimatferne Plantagen und „Kulturaufgaben" verschleppt worden waren. Als Muslim hatten sie sowieso kaum einen Vorwand nötig, um den Christenhunden so viel wie möglich zu schaden. Sie griffen europäische Schiffe mit schauriger Kühnheit an, ohne Pardon zu verlangen oder zu gewähren. Ihre mondsichelförmigen Praus waren schnelle, wendige, seetüchtige Boote mit Auslegern, sehr schmal und mit großem Rutensegel aus Bast. Sie hüpften, sie schwebten über die Wogen, sie sahen so winzig aus, so in die Weite verloren, aber plötzlich waren sie längsseits, und was wie Maukis flink die Bordwand an blitzschnell die Reling fassenden Knebelstricken emporklomm, kam mit Speer und Kris und Schwert und hauste wie am Jüngsten Tag. Natürlich hatten sie auch Feuerwaffen. Der weiße Handel hatte sie darin keineswegs vergessen, und sei es über chinesische Zwischenträger.
Betreffs der Beute aber dachten sie anders als andersfarbige Kollegen
und Kolleginnen. Sie waren nicht auf Gold und Silber aus. Sie sammelten
Männerköpfe, ohne wie der Vatikan, das Pantheon oder die Walhalla Wert
auf deren Berühmtheit zu legen. Und als Halsschmuck bevorzugten ihre zierlichen
Bräute und Gattinnen keine Perlen noch Diamanten, sondern — wie zu Abessinien
— die abgeschnittenen Gemächte der Erschlagenen.
- (bord)
Sammler (13)
Sammler
(14) Mein Reisegefährte packte seinen Gesprächspartner am Kragen
und schüttelte ihn kräftig, während der andere rief: »Polizei! Polizei!« Ein
Polizist kam gelaufen, packte den wild gewordenen Reisenden am Arm und zerrte
ihn energisch weg, wodurch der Bahnhofsvorstand seine Bewegungsfreiheit wiederbekam,
die er unverzüglich dazu nützte, dem Zug das Abfahrtssignal zu geben. Mein Reisegefährte
folgte nun schon resigniert dem Polizeibeamten. Ein untröstliches Lächeln lag
auf seinem keineswegs unsympathischen Gesicht. . »Ihre Koffer«, rief ich, aus
dem Abteilfenster gelehnt, als wir uns nahe waren. »Ach ja, vielen Dank. Geben
Sie her.« »Aber was ist Ihnen denn passiert?« »Nichts Schlimmes, nur ein kleiner
Arbeitsunfall. Die Sache wird gewiß ohne Schaden ausgehen, und vielleicht werde
ich sogar, was am meisten zählt, den Gegenstand meiner Wünsche bekommen.« »Ich
verstehe zwar nichts, aber ich wünsche Ihnen trotzdem alles Gute.« »Sie verstehen
nichts? Aber das ist doch ganz einfach. Ich sammle Bahnhofsvorstandspfeifchen.
Ich habe mir vorgenommen, von jedem Bahnhof, an dem mein seliger Großvater
gewesen ist, das Pfeifchen mitzunehmen. Es fehlte mir das Pfeifchen von Tradate.
Aber ich bekomme es schon noch, keine Angst. Und wenn Sie nach Ascoli Piceno
kommen sollten, fragen Sie nach mir, Dr....« - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin
1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)
Sammler (15)
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