ammler  Ein Pariser Bücherliebhaber, Besitzer seltener Ausgaben, erfährt eines Tages, daß ein New Yorker Antiquar ein Unikat zum Verkauf anbietet, das mit einem seiner Exemplare identisch ist. Er nimmt ein Flugzeug, erwirbt das Buch, ruft einen Gerichtsvollzieher, vor dem er das erworbene Buch verbrennen läßt und verfügt, daß über diesen Vorgang ein Protokoll aufgenommen wird. Daraufhin fügt er diese Zerstörungsurkunde in seinen wieder zum einzigen Exemplar gewordenen Band und schläft darüber befriedigt ein. - (baud)

Sammler (2) Daß die Kollektion wirklich ein Spiel mit dem Tod ist (eine »Passion«) und deshalb symbolisch mächtiger als der Tod, wird durch eine amüsante Geschichte von Tristan Bernard bezeugt: Ein Mann sammelte Kinder, legitime, illegitime, aus der ersten, aus der zweiten Ehe, Adoptiv-, Findel- und mißgestaltete Kinder und so weiter. Eines Tages veranstaltete er ein Fest, um sie alle um sich zu versammeln. Bei dieser Gelegenheit machte ein Freund folgende zynische Bemerkung: »Eine Sorte fehlt!« Bestürzt erkundigte sich der Sammler. welche das sei. »Das postume Kind... « Worauf der von der Sammlerleidenschaft geplagte Mann seine Frau schwängerte und — sich eine Kugel in den Kopf jagte. - (baud)

Sammler (4) Edward Brown berichtet in seiner 1673 erschienenen Monographie A Brief Account of Some Travels in Divers Parts of Europe... (den vollständigen Titel, der noch einen ganzen Abschnitt lang weitergeht, erspare ich dem Leser),wie er während seines Aufenthalts in Leipzig den dortigen Bürgermeister, einen gewissen Herrn von Adlershelme, »einen vornehmen gelehrten Herrn und großen Kunstliebhaber«, aufgesucht habe, »der gar vielerlei gesammelt und beobachtet« und in seiner »Raritätenkammer« viele Dinge zusammengetragen habe, die, wie Brown sich ausdrückt, »bedenkenswert« seien. Brown zählt anschließend auf:

Der Kopf eines Elefanten mit den Stoßzähnen darinnen. Ein Tier wie ein Armadillo, aber die Schuppen sind viel größer und der Schwanz ist breiter. Sehr große fliegende Fische. Ein Seepferd. Brot vom Berg Libanus. Ein Zypressenzweig mit der Frucht daran. Große Granatsteine, wie sie im Bergwerk wachsen. Die Hand einer Sirene. Ein Chamäleon. Ein Stück Eisen, das eine Speerspitze zu sein scheint, die in einem Elefantenzahn gefunden wurde, in den sie eingewachsen war. Die Insel Jersey, gezeichnet von unserem König Karl dem Zweiten. Ein Stück Holz mit dem Blut von König Karl dem Ersten darauf. Eine Lanze aus Grönland mit einer großen Glocke an ihrem Schaftende. Viel japanische Malerei, auf der man sehen kann, wie sie jagen und arbeiten. Ein Bildnis unseres Heilands, auf dessen Schraffierungslinien die Geschichte seiner Passion ... geschrieben ... steht. Biber, die in der Elbe gefangen wurden. Ein von Albrecht Dürer ausgeführtes Bildnis des bethlehemitischen Kindermords. Bilder von etlichem merkwürdigem Federvieh. Ein Grönlandboot. Die Felle von weißen Bären, Tigern, Wölfen und anderen wilden Tieren. Und nicht vergessen darf ich das Strumpfband einer englischen Braut nebst dazugehöriger Geschichte; daß nach englischem Brauch der Bräutigam es abnimmt und in seinem Hut trägt, was den Deutschen so merkwürdig erschien, daß ich mich verpflichtet fühlte, es ihnen zu bestätigen, indem ich ihnen versicherte, daß ich selbst solch ein Strumpfband mehrfach getragen hatte.

- (wesch)

Sammler (5) An einem Sommernachmittag im Jahre 1911 kam Mademoiselle mit einem Buch in der Hand in mein Zimmer, eröffnete mir, daß sie mir vorlesen wollte, wie geistreich Rousseau die Zoologie (zugunsten der Botanik) herunterputzte, und war in dem Gravitationsprozeß, mit dem sie ihre Masse in den Sessel senkte, dann schon zu weit fortgeschritten, als daß mein Entsetzensschrei sie noch hätte stoppen können: Auf jenem Platz hatte ich einen Sammelkasten mit Glasdeckel abgestellt, der lange, wunderschöne Serien Großer Kohlweißlinge enthielt. Ihre erste Reaktion war eine gekränkter Eitelkeit: Ihr Gewicht konnte doch gewißlich nicht beschädigt haben, was es tatsächlich zerstört hatte; ihre zweite bestand darin, mich zu trösten: Allons donc, ce ne sont que des papillons de potager! - was die Sache nur noch schlimmer machte. Ein unlängst bei Staudinger gekauftes sizilianisches Paar war zerdrückt und gequetscht. Ein riesiges Exemplar aus Biarritz war total verstümmelt. Ebenfalls ruiniert waren einige meiner wertvollsten lokalen Fänge. Unter diesen hätte sich eine Aberration, die der kanarischen Rasse der Spezies ähnelte, mit ein paar Tropfen Leim kleben lassen; doch ein kostbarer Scheinzwitter mit einer männlichen linken und einer weiblichen rechten Seite, dessen Hinterleib sich nicht wiederfinden ließ und dessen Flügel sich gelöst hatten, war ein für allemal verloren: Man konnte wohl die Flügel wieder anbringen, doch war nicht zu beweisen, daß alle vier zu dem kopflosen Thorax auf seiner krummen Nadel gehörten. Am nächsten Morgen brach die arme Mademoiselle mit sehr heimlichtuerischer Miene nach St. Petersburg auf und kam am Abend mit einer banalen, auf Gips montierten Urania-Eule zurück. («Was Besseres als deine Kohlschmetterlinge.») «Wie du mich umarmt hast, wie du vor Freude getanzt hast!» rief sie zehn Jahre später aus, als sie dabei war, eine nagelneue Vergangenheit zu erfinden.  - (nab)

Sammler (6) Meines Vaters Sammlung war nicht groß, dafür aber merkwürdig; und folglich ging einige Zeit darüber hin, ehe er sie zusammenbrachte. Er hatte jedoch das außerordentliche Glück bei ihrer Grundlegung, daß er Bruscambilles Prolog über lange Nasen fast geschenkt erhielt, denn der ganze Bruscambille kostete ihn nicht mehr als drei halbe Kronen, und das lag nur daran, weil der Trödler gleich merkte, daß mein Vater sich sehr für das Buch interessierte, sobald er es nur in die Hand genommen hatte. — „Man findet keine drei Bruscambilles mehr in der ganzen Christenheit", sagte der Antiquar, „abgesehen von jenen, die etwa hie und da in Liebhaberbibliotheken an Ketten liegen." — Wie der Blitz warf mein Vater das Geld hin, steckte Bruscambille in seinen Busen, eilte damit vom Piccadilly zur Coleman Street, als ob er einen Schatz heimtrüge, ohne Bruscambille den ganzen Weg über nur einmal loszulassen.

Denjenigen, welche noch nicht wissen, wes Geschlechts Bruscambille ist — um so mehr, da ein Prolog über lange Nasen sehr leicht sowohl von dem einen wie von dem anderen Geschlecht herrühren könnte —, wird das Gleichnis nicht unpassend erscheinen, daß mein Vater, als er zu Hause ankam, sich mit Bruscambille ebensosehr erlabte, wie sich — ich wette zehn gegen eins — Euer Hochwohlgeboren mit Ihrer ersten Mätresse erlabten, das heißt vom Morgen bis zum Abend, was zwar, nebenbei gesagt, dem Verliebten großes Vergnügen bereiten mag, den Zuschauer aber wenig oder gar nicht belustigt. Ich bitte zu beachten, daß ich das Gleichnis nicht weiter treibe. Meines Vaters Augen waren hungriger als sein Magen, seine Begierde größer als sein Vermögen; er kühlte sich ab, seine Neigungen wurden geteilt, er erstand den Prignitz, kaufte sich den Scroderus, Andrea Paraeus, Bouchets „Abendunterhaltungen" und vor allem den großen und gelehrten Hafen Slawkenbergius, über den, da ich bei Gelegenheit viel über ihn zu sagen habe, ich jetzt nichts sagen will.  - (shan)

Sammler (7)  Fand Linné auf der Exkursion mit seinen Studenten in der ländlichen Umgebung von Uppsala eine neue Pflanze, wurden sie bei der Rückkehr in die Stadt von einer Musikkapelle begleitet und die Menschen am Straßenrand jubelten ihnen zu. Linné gehörte zu einem Netz von miteinander korrespondierenden Forschern, die Pflanzensamen und Specimen von Fossilien, Pflanzen und Tieren untereinander tauschten. In diesem Kreis hatte Linné keinen allzu guten Ruf: Er nimmt alles und gibt nichts, klagte man über ihn. - Wolf Lepenies, Welt Online, 22. Mai 2007

Sammler (8)  Ich spießte Libellen und Schmetterlinge auf, um eine Sammlung anzulegen, wie Onkel Wolfram das mustergültig tat. Aber ich handhabte diesen Sport mit unzureichenden Kenntnissen und Mitteln. Ich wollte Tiere konservieren, setzte eine kleine lebende Schleie in Spiritus, Brennspiritus, der sie rasch betäubte. Aber nachts ließ mir's keine Ruhe. Ich stand auf, entzündete ein Streichholz und beleuchtete das Einmachglas. Wie tief erschrak ich, als die Schleie plötzlich anfing, lebhaft mit dem Schwanz zu schlagen. - Joachim Ringelnatz, Mein Leben bis zum Kriege. Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst 1931)

Sammler (9)  Der Sammler — der wahre Sammler, derjenige, den ich dem kommerziellen Sammler gegenüberstellte, der aus der modernen Kunst eine Wallstreet-Affäre gemacht hat... dieser Sammler ist, meiner Meinung nach, ein Künstler «im Quadrat». Er wählt Bilder aus und hängt sie an seine Wände, mit anderen Worten: er malt sich selbst eine Sammlung. - Marcel Duchamp 1958, nach: Richard Huelsenbeck (Hg.), Dada - eine literarische Dokumentation. Reinbek bei Hamburg 1964

Sammler (10)  Die Gründer des Clubs, große Okkultisten, hatten ihre erste Versammlung zu Beginn der Restauration. Für den Fortbestand der Vereinigung sorgten unter der doppelten Ägide von Liebe und Freiheit deren Nachkommen. Ein gewisser Dichter hat seinerzeit bedauert, daß die Gesellschaft nicht schon in den letzten Tagen der alten Ära gegründet wurde. Man hätte so das Sperma Christi wie auch das des Judas sammeln können, und dann, im Laufe der Jahrhunderte, das des Charles Stuart von England, das von Ravaillac und die Liebestränen der Mlle de Lavallière, als diese sich in ihrer Karosse beim sinnlichen Traben der Pferde auf dem Wege nach Chaillot befand, wie auch jene der Theroigne de Méricourt auf der Terrasse der Feuillants, und auch die herrlichen Spermen, die in den roten Jahren auf den Tribünen der Revolutionäre ebenso sicher flossen wie das Blut, mit dem sie sich mischten. Ein anderer beklagte fortwährend den Verlust des göttlichen Getränks, das der Malvasier sein mußte, in dem der Herzog von Clarence ertränkt wurde.

Die Mitglieder des Clubs lieben das Meer. Der Geruch von Phosphor, der ihm entströmt, macht sie trunken, und unter den Trümmern auf den Stranden - Schiffswracks, Fischgräten und Überreste versunkener Städte -finden sie die Atmosphäre der Liebe, vernehmen jenes Seufzen, das unserem Gehör das tatsächliche Vorhandensein von etwas Eingebildetem bezeugt, lauschen dem eigentümlichen Knistern trockenen Seegrases, atmen das herrliche Aphrodisiakum Meerambra ein und erfreuen sich am Plätschern der weißen Wellen, die den badenden Frauen gegen ihr Geschlecht und ihre Schenkel schlagen und, wenn sie ihnen bis zur Taille reichen, den Badeanzug an die Haut klatschen. Wie lange trank Sanglot nun schon? Es wurde bereits Nacht. Als der erste Stern erschien, lag zu seinen Füßen eine beträchtliche Anzahl zerbrochener Ampullen, angefangen mit jener aus weißem Glas des Senegalesen bis zu der gelben der Eskimos, deren Essenz kein Tageslicht verträgt, da jene sich gewöhnlich nur während der sechs Monate polarer Finsternis lieben.  - Robert Desnos, nach: Geteilte Nächte. Erotiken des Surrealismus. Hg. Heribert Becker. Hamburg und Zürich 1990

Sammler (11)  Was Señor Traite, den Lehrer,  angeht, so rauchte er nicht. Es hätte ihn beim Schlafen gestört. Dafür schnupfte er aber Tabak. Bei jedem kurzen Aufwachen nahm er eine Prise kriminell riechenden Schnupftabaks, die ihn zu lauthalsem Niesen brachte, wobei er ein riesiges Taschentuch, das er selten wechselte, mit ockerfarbenen Flecken bespritzte. Señor Traite hatte ein sehr schönes Gesicht vom Tolstoi-Typ, mit etwas Leonardo-Transplantat; seine sehr hellen blauen Augen waren bestimmt mit Träumen und ziemlich vielen Gedichten angefüllt; er kleidete sich nachlässig, roch übel, und von Zeit zu Zeit trug er einen Zylinder, was in dieser Gegend ganz und gar ungewöhnlich war. Aber bei seinem eindrucksvollen Äußeren konnte er sich alles erlauben: Er lebte in einer legendären Aura von Intelligenz, die ihn unangreifbar machte. Gelegentlich unternahm er einen Sonntagsausflug und kehrte mit einem Karren voller Kirchenskulptur zurück, gotischer Fenster und anderer Bauteile, die er aus den Kirchen auf dem Land stahl oder die er fast umsonst kaufte. Einmal hatte er ein romanisches Kapitell entdeckt, das es ihm besonders angetan hatte und das im Glockenturm eingelassen war. Señor Traite gelang es, sich nachts Eingang zu verschaffen und es aus der Wand zu brechen. Er grub und grub so fleißig, daß ein Teil des Turmes einstürzte, und mit einem Getöse, das man sich leicht vorstellen kann, fielen zwei große Glocken durch das Dach eines Nachbarhauses und hinterließen ein klaffendes Loch.  - (dali)

Sammler (12)  Die Ilanos waren die gefürchtetsten Kopfjäger zur See. Sie sammelten Köpfe, es war ihr Sport, ihre Mode, wie anderswo das Sammeln von böhmischen Gläsern oder Schmetterlingen. Sie hatten sich vom Reisbau auf die See gegeben, weil ihrer allzu oft von den Feldern durch europäische, zumeist spanische „Arbeitsvermittler" weggefangen und in heimatferne Plantagen und „Kulturaufgaben" verschleppt worden waren. Als Muslim hatten sie sowieso kaum einen Vorwand nötig, um den Christenhunden so viel wie möglich zu schaden. Sie griffen europäische Schiffe mit schauriger Kühnheit an, ohne Pardon zu verlangen oder zu gewähren. Ihre mondsichelförmigen Praus waren schnelle, wendige, seetüchtige Boote mit Auslegern, sehr schmal und mit großem Rutensegel aus Bast. Sie hüpften, sie schwebten über die Wogen, sie sahen so winzig aus, so in die Weite verloren, aber plötzlich waren sie längsseits, und was wie Maukis flink die Bordwand an blitzschnell die Reling fassenden Knebelstricken emporklomm, kam mit Speer und Kris und Schwert und hauste wie am Jüngsten Tag. Natürlich hatten sie auch Feuerwaffen. Der weiße Handel hatte sie darin keineswegs vergessen, und sei es über chinesische Zwischenträger.

Betreffs der Beute aber dachten sie anders als andersfarbige Kollegen und Kolleginnen. Sie waren nicht auf Gold und Silber aus. Sie sammelten Männerköpfe, ohne wie der Vatikan, das Pantheon oder die Walhalla Wert auf deren Berühmtheit zu legen. Und als Halsschmuck bevorzugten ihre zierlichen Bräute und Gattinnen keine Perlen noch Diamanten, sondern — wie zu Abessinien — die abgeschnittenen Gemächte der Erschlagenen.  - (bord)

Sammler (13)  

Sammler (14)  Mein Reisegefährte packte seinen Gesprächspartner am Kragen und schüttelte ihn kräftig, während der andere rief: »Polizei! Polizei!« Ein Polizist kam gelaufen, packte den wild gewordenen Reisenden am Arm und zerrte ihn energisch weg, wodurch der Bahnhofsvorstand seine Bewegungsfreiheit wiederbekam, die er unverzüglich dazu nützte, dem Zug das Abfahrtssignal zu geben. Mein Reisegefährte folgte nun schon resigniert dem Polizeibeamten. Ein untröstliches Lächeln lag auf seinem keineswegs unsympathischen Gesicht. . »Ihre Koffer«, rief ich, aus dem Abteilfenster gelehnt, als wir uns nahe waren. »Ach ja, vielen Dank. Geben Sie her.« »Aber was ist Ihnen denn passiert?« »Nichts Schlimmes, nur ein kleiner Arbeitsunfall. Die Sache wird gewiß ohne Schaden ausgehen, und vielleicht werde ich sogar, was am meisten zählt, den Gegenstand meiner Wünsche bekommen.« »Ich verstehe zwar nichts, aber ich wünsche Ihnen trotzdem alles Gute.« »Sie verstehen nichts? Aber das ist doch ganz einfach. Ich sammle Bahnhofsvorstandspfeifchen. Ich habe mir vorgenommen, von jedem Bahnhof, an dem mein seliger Großvater gewesen ist, das Pfeifchen mitzunehmen. Es fehlte mir das Pfeifchen von Tradate. Aber ich bekomme es schon noch, keine Angst. Und wenn Sie nach Ascoli Piceno kommen sollten, fragen Sie nach mir, Dr....«   - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin 1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)

Sammler (15)  
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