erliebtheit  1671 verliebte Ninon de L'Enclos sich heftig in einen Jungen aus meinem Bekanntenkreis. Als sie einmal zusammen in der Kutsche fuhren, bemerkte sie, daß der junge Mann allen Frauen nachschaute, die vorbeikamen. «Heda! Ihr äugt ja ganz schön!» sagte sie und gibt ihm gleichzeitig eine kräftige Ohrfeige: sie ist nämlich nicht mehr jung und vertraut ihren Reizen nicht mehr.

Ein Abbé, der sich Abbé von Pons nennen ließ, ein großer Heuchler, der den Mann von Stand spielte und dabei nur der Sohn eines Hutmachers aus der Provinz war, diente ihr recht eifrig. Das war ein arglistiger Bursche, der sich aus dem Nichts sechs- bis siebentausend Pfund an Einkünften verschafft hatte; er ist das Vorbild für den Tartuffe, denn eines Tages eröffnete er ihr seine Leidenschaft; er hatte sich in sie verliebt. In Ausführung seines Anliegens sagte er ihr, sie müsse sich darüber nicht wundern, die größten Heiligen seien für sinnliche Leidenschaften empfänglich gewesen; der heilige Paul sei zärtlich gewesen, und der glückselige Franz von Sales habe sich davon auch nicht befreien können.

Das ruft mir die Gräfin von Suze in Erinnerung, die sich in den letzten Lebenstagen in Jesus Christus verliebte und ihn sich als einen großen jungen Mann mit braunen Haaren und sehr hübschem Gesicht vorstellte. Als Ninon ihr sagte: «Ich glaube, er ist blond.» - «Nicht doch, meine Liebe, Ihr täuscht Euch, ich weiß aus erster Hand, daß er braunhaarig ist.» - (tal)

Verliebtheit (2) Das Verliebtseyn eines Menschen liefert oft komische, mitunter auch tragische Phänomene; Beides, weil er, vom Geiste der Gattung in Besitz genommen, jetzt von diesem beherrscht wird und nicht mehr sich selber angehört: dadurch wird sein Handeln dem Individuo unangemessen. Was, bei den höhern Graden des Verliebtseyns, seinen Gedanken einen so poetischen und erhabenen Anstrich, sogar eine transscendente und hyperphysische [übernatürliche] Richtung giebt, vermöge welcher er seinen eigentlichen, sehr physischen Zweck ganz aus den Augen zu verlieren scheint, ist im Grunde Dieses, daß er jetzt vom Geiste der Gattung, dessen Angelegenheiten unendlich wichtiger, als alle, bloße Individuen betreffenden sind, beseelt ist, um, in dessen speciellem Auftrag, die ganze Existenz einer indefinit langen Nachkommenschaft, von dieser individuell und genau bestimmten Beschaffenheit, welche sie ganz allein von ihm als Vater und seiner Geliebten als Mutter erhalten kann, zu begründen, und die außerdem, als eine solche, nie zum Daseyn gelangt, während die Objektivation des Willens zum Leben dieses Daseyn ausdrücklich erfordert. Das Gefühl, in Angelegenheiten von so transscendenter Wichtigkeit zu handeln, ist es, was den Verliebten so hoch über alles Irdische, ja über sich selbst emporhebt und seinen sehr physischen Wünschen eine so hyperphysische Einkleidung giebt, daß die Liebe eine poetische Episode sogar im Leben des prosaischesten Menschen wird; in welchem letzteren Fall die Sache bisweilen einen komischen Anstrich gewinnt. - (wv)

Verliebtheit (3) Die Gruppe  setzte sich aus Männern zusammen, die mehr in den Mann verliebt waren als irgendein Weib; es waren das »putos« im Zustand des Siedens, die keinen Augenblick des Ausruhens kannten, in ständiger Jagd, »von Burschen zerrissen wie von Hunden«. Ich pflegte mein Abendbrot in dem Restaurant zu essen, wo sie ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, und jeden Abend tauchte ich in die trüben Strudel ihres Wahns, ihrer Gottesdienste, ihrer liebesbegeisterten und -geplagten Verschwörung, ihrer schwarzen Magie.   - (gom)

Verliebtheit (4)   Im Lande der Thespier ist der sogenannte Donakon; daselbst befindet sich die Quelle des Narkissos, und Narkissos soll sich in diesem Wasser beschaut haben; da er aber nicht gemerkt, daß er seinen eigenen Schatten sehe, habe er sich unversehens in sich selbst verliebt, und vor Liebe sei er an dieser Quelle gestorben. Das ist aber doch ganz und gar einfältig, daß jemand, der alt genug war, um sich zu verlieben, nicht hätte unterscheiden können, was ein Mensch und was der Schatten eines Menschen sei.  - Pausanias, nach: Mythos Narziß. Texte von Ovid bis Jacques Lacan. Hg. Almut-Barbara Renger. Leipzig 2005

Verliebtheit (5)  »Du bist der Süßeste, Liebste, Netteste, Hübscheste...«

»Jedenfalls habe ich so viele Jahre gelebt, und ich glaube, ich habe nie gewußt, daß es sowas gibt. Sowas wie Liebe, wollte ich sagen. Ich glaube...«

Ich merkte, daß ich lächelte. Ich wischte mir das Lächeln mit der Faust vom Gesicht ab, rieb mir die Augen mit der Faust. Aber das Lächeln kam immer wieder zurück. Das Wort, das eine Wort, das er gesagt hatte, das ich immer vermieden habe - ich hörte es immer wieder. Und dann wurde mir klar, daß es kein anderes Wort dafür gab als dieses.

Er wollte sie nicht einfach rumkriegen. Sie wollte nicht an sein Geld kommen. Sie waren verliebt - ach je, einfach, ganz einfach verliebt! Nur - nur! - verliebt. Und, ach je, wie süß es war, wie unerträglich diese Schönheit, dieses Wunder war.

So geliebt zu werden! Nein, noch wichtiger, so zu lieben!

Ich lächelte über sie, lächelte sie an. Lächelte wie ein liebender Gott, war glücklich über ihr Glück. Vielleicht, dachte ich mir, sollte ich sie jetzt umbringen. Es wäre so ein schöner Tod - genau der richtige Zeitpunkt, um zu sterben.

Ich schaute mich abwesend um. Ich suchte mit einer Hand unter den Büschen, suchte nach einem brauchbaren Ast oder Felsbrocken. Ich konnte nichts finden - nichts, womit ich die Aufgabe mit der notwendigen Unmittelbarkeit erledigen könnte, nichts, was kräftig oder schwer genug war.

Ich fand einen spitzen, dolchähnlichen Stock, und für einen Moment erwog ich ihn als Waffe. Aber nachdem ich ein bißchen nachgedacht hatte, wurde mir klar, daß es unmöglich war. Er war nicht lang genug. Er würde niemals durch Ralphs tonnenförmigen Brustkorb und ihren Busen gehen. Und wenn ich sie nicht zusammen erwischen konnte, wenn ich einen allein weiterleben ließ...

Ich weinte fast bei diesem Gedanken. - (thom)

Verliebtheit (6)  Was ich mache, ist nichts Besonderes. Ich verstehe nicht, daß nicht viel mehr Menschen so etwas machen. Die Menschen sollten sich nicht in meine Bilder vergaffen; laßt sie selbst etwas machen; das scheint mir amüsanter für sie zu sein. Während ich mit etwas beschäftigt bin, denke ich, daß ich die schönste Sache der Welt mache. Wenn etwas gelingt, dann sitze ich am Abend verliebt davor. Und diese Verliebtheit ist weit größer als irgendeine Verliebtheit in einen Menschen. Am nächsten Tag öffnen sich einem die Augen schon wieder. - M. C. Escher, nach Bruno Ernst, Der Zauberspiegel des M. C. Escher. München 1985 (dtv 2879, zuerst 1978)

Verliebtheit (7)

Verliebtheit (8)  PROBSTEIN  Ich erinnre mich, da ich verliebt war, daß ich meinen Degen an einem Stein zerstieß und hieß ihn das dafür hinnehmen, daß er sich unterstände, nachts zu Hännchen Freundlich zu kommen; und ich erinnre mich, wie ich ihr Waschholz küßte und die Euter der Kuh, die ihre artigen Patschhändchen gemolken hatten. Ich erinnre mich, wie ich mit einer Erbsenschote schöntat, als wenn sie es wäre, und ich nahm zwei Erbsen, gab sie ihr wieder und sagte mit weinenden Tränen: „Trage sie um meinetwillen." Wir treuen Liebenden kommen oft auf seltsame Sprünge; wie alles von Natur sterblich ist, so sind alle sterblich Verliebten von Natur Narren.
ROSALINDE Du sprichst klüger, als du selber gewahr wirst.
PROBSTEIN Nein, ich werde meinen eignen Witz nicht eher gewahr werden, als bis ich mir die Schienbeine daran zerstoße.  - Shakespeare, Wie es euch gefällt

Verliebtheit (9) »Looooooooooooo! Loooooooooooooo!«

»Luuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!«

»Looooooooooooooooooooooooooooo!«

In dieser Sprache unterhielten sie sich mehrere Minuten oder Jahre lang ungefähr oder genau, und es gab nie ein Missverständnis oder eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen.

Benjamin Lee ßaumgartner aber war noch nicht reif für das Paradies und zerstörte es, indem er sagte: »Wenn man uns zuhört, könnte man glauben, die Gehirnkrankheit ist schon voll ausgebrochen.«

»Du fuhlst es schon?«

»Ich glaube, es ist sehr ähnlich. Vielleicht kann man es gar nicht unterscheiden, ob man verliebt oder Opfer der schwammförmigen Gehirnerweichung ist.«

»Nein, das ist ganz verschieden. Dass man verliebt ist, merkt man daran, dass die Sinne schärfer sind. Die Geruche sind intensiver. Man hat eine dunnere Haut. Man fühlt alles besser, die Farben sind schöner, alles bekommt eine größere Intensität, man geht nicht nur zwei Minuten über eine Brucke, für die Verliebten ist jeder Schritt wie zwei Minuten, man geht ewig über eine Brucke«, sagte sie, während sie schon verdächtig lange über die sehr kurze Brücke gingen.

»Und so fühlst du dich jetzt?«

»Nein, ich bin nicht verliebt. Du bist so albern wie Kinderlulu.«

»Kinderlulu ist nicht albern. Kinderlulu ist eine ernste Angelegenheit.«

»Aber du bist albern!«

»Und wie fühlt es sich an, wenn man die Gehirnerweichung hat?«

»Gehirnerweichung fuhlt gar nicht an! Man wird nur verruckt. Man weiß nicht, wie es anfuhlt. Gehirnerweichung kann man nür von außen betrachten, der Erweichte kann nicht mehr berichten.«

»Ich glaube, du hast falsch beschrieben, wie man erkennt, dass man verliebt ist. Intensivere Gefühle. Das ist Kinderlulu. Würzigere Gerüche, buntere Farben, alles Kinderlulu! Das Bemerkenswerte ist hingegen, dass einen das Rundherum überhaupt nicht interessiert. Man wird blind und taub für alles rundherum. Und der Verliebte kann erst recht nicht berichten! Eher kann noch die gehirnerweichte Kuh berichten. Es ist für Verliebte ganz egal, worüber man redet. Man kann über alles reden, denn das Reden ist nur, weil noch kein Bett da ist. Es ist scheißegal, worüber man redet, alles ist gleich interessant, und darum kann man über alles reden, über das Langweiligste, sogar über eine Rinderkrankheit.«

»Du findest es also uninteressant, was ich spreche? Dass die Menschheit ausgerottet wird durch schwammformige Gehirnerweichung, ist dir egal? Dass man tote Schäfe zu Futter für Kuhe zerreibt, obwohl die Kuhe vegetarisch sind, ist dir egal? Dass die Krankheit von den Schäfen zu den Kuhen geht, obwohl es eine Gattungsgrenze gibt, und somit auch zu den Menschen gehen kann, ist dir egal?«

»Im Moment ist mir das scheißegal. Da ich verliebt bin, ruhe ich vollkommen im Augenblick und könnte ewig auf dieser Brücke neben dir hergehen, denn ich finde alles interessant, was du sagst.«

»Du lugst wie gedrückt, ohne rot zu werden.«

»Nein, es ist viel komplizierter. Auch das Uninteressante, das du sagst, finde ich interessant.«

»Das ist eine Beleidigung.«

»Ich weiß«, lachte er. - Wolf Haas, Verteidigung der Missionarsstellung. Hamburg 2012

Verliebtheit (10) Seit seinem zwölften Lebensjahr war Pierrot etwa hundertmal verliebt gewesen, ziemlich oft mit Erfolg. Aber Yvonne fand er völlig anders und seine ganz neue Liebe auch, mit einem noch nicht dagewesenen Gefühl und originellen Perspektiven. Obgleich er eine ziemlich reiche Erfahrung hatte, die von der großherzigen Prostituierten bis zur geschickten Geschäftsfrau und zum kleinen, gar nicht scheuen Mädi reichte - eine Erfahrung, die dem Bürgersteig stets eng benachbart war -, dachte er bei sich, daß er noch nie einer begegnet sei, die mit ihr verglichen werden konnte - höchstens vielleicht - vielleicht - einige kinematographische Erscheinungen. Übrigens hatte sie etwas davon an sich: das Blond der Haare, das Eingefallene der Wangen, die Form der Hüften. Das wäre ein Kompliment, das er ihr bei Gelegenheit machen könnte. Pierrot schloß die Augen, beschwor das Tohuwabohu der Scooterbahn, den Ärodynamismus des kleinen Fahrzeugs, in dem er sich an sie gepreßt hatte; darauf roch er wieder die verwirrenden Parfüms, mit denen sie sich eingerieben hatte, sein Herz kenterte von neuem bei der mnemonischen Olfaktion dieses Sexualreizes, und eine ganze Weile verlor er sich in der Wiederbelebung von Düften, die den weiblichen Schweiß so anziehend und verführerisch machen. Er glaubte ohnmächtig zu werden.

Er öffnete wieder die Augen. Die Seine floß noch genauso schön, genauso schmierig dahin. Die reglosen Strohhüte wachten über ihren sterilen Angeln. Ein Hund, ein richtiger Straßenköter, wälzte sich fröhlich im Kot.   - Raymond Queneau, Mein Freund Pierrot. Frankfurt am Main 1964 (zuerst 1942)

Verliebtheit (11) 

Klage der verliebten Eidechse

Pflück nicht die Sonnenblumenkerne,
Ach, Distelfink, flieg fort ein Stück,
Deine Zypressen sehn's nicht gerne,
Kehr in dein wolliges Nest zurück.

Feldvogel bist du und kein Stein
Vom Himmel, daß der Wind dich schnitte;
Der Regenbogen macht sich klein,
Vermählt sich mit der Margerite.

Der Mensch erschießt, verstecke dich;
Sein Helfer ist die Sonnenblume,
Und nur die Gräser schützen dich,
Die Gräser auf der Ackerkrume.

Die rasche Schlange kennt dich nicht,
Den Heuschreck sollst du zirpen lassen;
Der alte Maulwurf sieht hier nicht,
Der Schmetterling kann keinen hassen.

Nun ist es Mittag, Distelfink,
Das Kreuzkraut blüht, du siehst den Schimmer.
Hier droht dir nichts, drum bleib und spring:
Jetzt sitzt der Mensch in seinem Zimmer!

Bei uns darfst du dem Echo trauen.
Ich späh und wittere genug;
Mein Feldstein läßt mich alles schauen,
Sogar der Eule Taumelflug.

Der Erde Rätsel kennt ein wenig
Der Eidechs in der Liebespein.
O leichter, lieber Himmelskönig,
Bau doch dein Nest in meinem Stein!

       

- René Char, nach (arc)


Liebe

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