Wabakken (Spiegel 7 / 2001)
Wolf (2) Umslopogaas nahm das Fell der grauen Wölfin und befestigte es mit Lederschnüren an seinem Körper, und die Zähne der Wölfin waren auf seinem Kopf, und er nahm den Speer in die Hand. Galazi band sich nun auch das Fell des Königs der Wölfe um, und sie traten aus der Höhle auf die Plattform, die vor ihrem Eingang lag. Galazi blieb dort eine Weile stehen, und das Mondlicht fiel auf ihn, und Umslopogaas sah, daß sein Gesicht einen wilden und tierischen Ausdruck bekam, und seine Augen funkelten, und seine Zähne grinsten hinter grausam gekräuselten Lippen. Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein lautes Heulen aus; dreimal legte er den Kopf so zurück und heulte in die Nacht hinaus, und jedesmal lauter als zuvor. Und bevor die Echos seiner Schreie verklungen waren, ertönte aus allen Richtungen die Antwort; es heulte von den Felsen über ihnen, und aus der Tiefe des Waldes unter ihnen, aus Norden und Osten und Süden und Westen kam das Heulen der Antwort. Und es klang näher und immer näher; jetzt hörte man auch schon das Geräusch von Pfoten, und ein Wolf, riesig und grau, kam auf sie zugestürzt, und hinter ihm viele andere. Sie liefen auf Galazi zu, sie sprangen an ihm empor, sie leckten mit ihren roten Zungen über seinen Körper, doch er vertrieb sie mit dem Wächter.
Plötzlich entdeckten die Wölfe Umslopogaas und stürzten sich mit gebleckten Zähnen auf ihn.
»Bleib stehen und rühre dich nicht!« rief Galazi. »Du darfst keine Angst haben!«
»Ich habe immer Hunde gestreichelt«, antwortete Umslopogaas, »warum sollte ich sie jetzt fürchten?«
Aber wenn seine Worte auch mutig klangen, in seinem Herzen
saß die Furcht, denn dies war ein schrecklicher Anblick. Die
Wölfe stürzten mit gefletschten Zähnen auf ihn zu, von vorn und
von hinten, von links und von rechts, und einen Atemzug später
war er von allen Seiten umringt. Doch kern Zahn bohrte sich in
sein Fleisch, denn als sie auf ihn zusprangen, nahmen sie den
Geruch des Felles wahr, mit dem er sich eingehüllt hatte, und
sie fielen ihm zu Füßen und beleckten auch ihn. Dann sah Umslopogaas,
daß die Wolfsrüden ihn nicht mehr beachteten, doch die Wölfinnen
sammelten sich um ihn, der das Fell einer Wölfin trug. Sie waren
groß und mager und hungrig und alles voll ausgewachsene Tiere;
es war nicht ein Junges unter ihnen, und es waren so viele, daß
er sie im Mondlicht nicht zählen konnte. Umslopogaas blickte
in ihre rotglühenden Augen, und sein Herz wurde zum Herzen eines
Wolfes, und auch er legte den Kopf in den Nacken und heulte,
und die Wölfinnen heulten zur Antwort. - Henry Rider Haggard,
Nada die Lilie. München 1980 (zuerst 1892)
Wolf (3) Die Wölfe müssen von ihrer Mannigfaltigkeit
gereinigt werden. Die Operation geschieht durch die Assoziation des Traumes
mit der Geschichte Vom Wolf und den sieben Geißlein (von denen nur sechs
gefressen wurden). Man kann Freuds Jubel
über diese Reduktion miterleben, man sieht buchstäblich, wie die Mannigfaltigkeit
der Wölfe verschwindet, um auf die Geißlein überzugehen, die überhaupt nichts
mit der Geschichte zu tun haben. Sieben Wölfe, die nur Geißlein sind, sechs
Wölfe, denn das siebte Geißlein (der Wolfsmann selber)
versteckt sich in der Uhr, fünf Wölfe, denn es war vielleicht fünf Uhr, als
er seine Eltern beim Koitus beobachtete, und außerdem wird die römische Zahl
V mit dem Spreizen der weiblichen Schenkel assoziiert, drei Wölfe, denn die
Eltern vögelten vielleicht dreimal, zwei Wölfe, denn die beiden trieben es gerade
more ferarum, oder vielleicht hatte das Kind auch zuvor zwei Hunde bei
der Begattung gesehen, dann ein Wolf, nämlich der Vater, was man schon von Anfang
an wußte, und schließlich kein Wolf, denn er hat seinen Schwanz
verloren, ist nicht weniger kastriert als der Kastrator. Wen will Freud an der
Nase herumführen? Die Wölfe hatten nie eine Chance
davonzukommen und ihr Rudel zu retten: es war von Anfang an klar, daß die Tiere
nur dazu da waren, den Koitus der Eltern darzustellen, oder umgekehrt, um durch
einen solchen Koitus dargestellt zu werden. Freud weiß offensichtlich nichts
von der Faszination, die von Wölfen ausgeht, von dem, was der stumme Ruf der
Wölfe bedeutet, von der Aufforderung, Wolf zu werden.
Wölfe schauen das träumende Kind sehr aufmerksam an; es ist ja viel beruhigender,
sich zu sagen, daß der Traum zur Homosexualität führt und daß das Kind Hunde
oder Eltern beim Geschlechtsverkehr beobachtet hat. Freud kennt nur den ödipalisierten
Wolf oder Hund, den kastriert-kastrierenden Papa-Wolf, den Hund in der Hundehütte,
das Wau-Wau des Psychoanalytikers. - Deleuze, Guattari:
1000 Plateaus. Berlin 1992 (zuerst 1980)
Wolf (4) DER WOLF. Er gehört nicht eigentlich in die
religiösen Vorstellungen. Sein russischer Name Wolk ist die richtige
Form, aus der man erkennt, wie die Rudel von Wölfen über unendliche Schneeflächen
hinübergejagt sind und Lebendiges angefallen und vernichtet haben, wie die Herden
der Wolken die Sonne verschlingen. Gleichzeitig aber hat man wiederum die Wolken
des Himmels und das Volk, das heißt die Vielheit der Menschen auf der Erde,
die sich um die Könige oder die Sonne scharen, einander gleichgesetzt. Der Wolf
ist deshalb das Symbol vieler Städte geworden. - Ernst Fuhrmann,
Das Tier in der Religion. München 1922
Wolf (5) (Canis lupus) hundeartiges Raubtier,
gehört zum Haarraubwild und zur hohen Jagd. Die Ohren des Wolfes heißen Lauscher,
die Augen Lichter, das Maul bezeichnet man als Fang, die Eckzähne als Fänge
oder Fangzähne, die Zehen als Klauen, die Haut als Decke, den Schwanz als Rute,
auch Standarte. Die Wölfe ranzen, die Wölfin wölft oder bringt Junge zur Welt.
Die Jungen heißen Wurf, auch Geheck, Solange die Jungen im Lager bleiben, nennt
man sie Nestwölfe. Der Wolf hat ein Lager. Er reißt, raubt und frißt den Raub.
Der Wolf schnürt, trabt und ist flüchtig. Er hinterläßt eine Fährte. Eine Anzahl
von Wölfen heißt Rudel, auch Rotte. Der erlegte Wolf wird aus der Decke geschlagen.
Er hat Fett. - (waid)
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