asserleiche (Aquatinctor Ptrs.) - Familie: Pseudodelphinidae
Verbreitung: in allen zivilisierten Ländern Größe: bis etwa 60 cm Länge, Farbe: farblos

Die Wasserleiche gehört trotz ihres fischähnlichen Aussehens zu den Säugern. Leider hat sie sich bisher unter den Menschen kaum Freunde gemacht. Dabei hat auch dieses fleißige Tier Anspruch auf unser Interesse, ist erst einmal geklärt, warum der Aquatinctor seiner von der menschlichen Gesellschaft ungern gelittenen Betätigung nachgeht. Dann wird man über den Einfallsreichtum der Natur staunen und mit dem Dichter die bewundernden Worte sprechen: »Nicht alles dienet uns auf gleiche Weise!« Die Wasserleiche ist von äußerst schlanker, wenn auch ziemlich weitläufiger Gestalt und nahezu durchsichtig. Da ihr Inneres so gut wie farblos genannt werden muß, kommt es immer wieder vor, daß die Tiere nicht gesehen werden, obwohl sie zweifellos vorhanden sind. Ihr Aufenthaltsort ist, wie schon der Name sagt, das Wasser, vorzüglich aber enge Kanäle, Brunnen und Röhren. Hier fühlt sich die Wasserleiche wohl, paßt sich ihre wendige Gestalt doch vortrefflich solchen Örtlichkeiten an. So nimmt es nicht wunder, daß sich das Tier besonders gern in Abflußrohren von Waschbecken oder Badewannen ansiedelt. Hier findet es die bevorzugte Nahrung: Meine Schmutzteilchen, Textilfasern, Haare und dergleichen. Eifrig vertilgt die Wasserleiche diese vom Menschen ungern gesehenen Abfälle, aus denen sie die notwendigen Aufbaustoffe gewinnt. Freilich kommt es solcherart zu den für die Menschen unliebsamen Erscheinungen. Vergrößert die Leiche nämlich durch die andauernde Nahrungsaufnahme ihren Leibesumfang, so verstopft sie endlich den Wasserabfluß. Wie oft kommt es vor, daß nach dem sonntäglichen Bad, das die Familie in froher Laune vereinte, das Wasser nicht mehr abfließen will. Trotz sofort angewandter Saugglocke (Campanula suconis Schrimpf.) kommt aber kein stopfender Gegenstand zum Vorschein. Da ist es die für den Menschen nicht wahrnehmbare Wasserleiche, die dem Naß den Abfluß verwehrt. Mit ihren Saugnäpfchen, deren sie längs ihres Leibes zahllose besitzt, hält sie sich an den Rohrwänden fest und weiß nicht, daß sie zum Ärgernis friedlicher Menschen geworden ist. Würde aber der homo sapiens doch endlich erkennen, wie sehr ihm die Natur hier entgegenkommt! Denn ohne die emsige Nahrungsaufnahme der Wasserleiche könnten Abfälle ungehindert die Abflußrohre verstopfen. Traurig zu nennen ist endlich das Schicksal der Tiere, wenn sie zur Vermehrung schreiten. Nach mühevollem Begattungsvorgang, nach wenig beneidenswerter Trächtigkeit und schmerzlichem Gebären, das oft von leisem Wimmern der tapferen Tiere begleitet wird (wer kennt nicht die merkwürdigen Geräusche, die aus Abflußrohren dringen?), säugt das Muttertier seine meist in die Hunderte gehende Nachkommenschaft. Auch dazu dienen die bereits erwähnten Saugnäpfchen. Die kleinen Wasserleichen, die gleich nach der Geburt eine erstaunliche Aktivität entwickeln, saugen ihre Mutter buchstäblich leer. Dabei wachsen sie in unbeschreiblicher Schnelligkeit, während das alte Tier immer dünner und fadenscheiniger wird. Endlich bleibt nur mehr seine inhaltsentleerte Hülle vorhanden, die, befreit von den selbständigen Jungtieren, rasch mit dem Wasser abfließt. In Kanälen, Flüssen und Abwässern kann man die zarten Gebilde, deren ehemalige Funktion sich kaum mehr erkennen läßt, dahintreiben sehen. Gar mancher, der auf einer Brücke stehend sinnend ins ewig fließende Naß blickt, mag sich schon gefragt haben, welches düstere, niemals beschriebene Schicksal eben unter ihm vorüberzog.

Jungleiche (weibl.)
3 Mon. alt

Wasserleiche nach Schmögner
Wasserleiche in einem Wasserklosett

Tote Wasserleiche nach Schmögner
Tote Wasserleiche

- (kv)

Wasserleiche (2) Haben Sie schon einmal eine Wasserleiche gesehen? Noch nicht? Dann hüten Sie sich, schüchtern zu sein. Ihr Vis-à-Wüterich, der sich bekanntlich ebenfalls nicht auskennt, hielte sich augenblicks für durchaus maßgebend, . . . wenn Sie noch keine Wasserleiche gesehen haben. Tja, Schüchternheit ist (wie jeder aufrichtige Zustand) leider unschulterbar, unverkeschbar. Der Kerl, der sich bei ihrem fortgesetzten Anblick schließlich bereits so heftig mit seinen Fingernägeln beschäftigt, daß man ihm die Maniküre ernstlich nicht mehr zu glauben beginnt, hält diesen Gipfel von (och!) ? Selbstgenuß nicht mehr aus und bekommt plötzlich einen Anfall: . . . aus der friedlichsten Kaffeehaus- oder Stubenaura faxt eine aberwitzige Frechheit, eine dolle Geste, ein fescher Tonfall. Wenn nun Sie nicht mit einem ähnlich gearbeiteten Anfall nachzufaxen den Schnellblick aufbrachten, dreht sich die ganze Chose: nun halten SIE sich für durchaus maßgebend, WEIL Sie noch keine Wasserleiche gesehen haben . . . Bei einiger Gestuftheit der beiden Hirnparteien ist ein langes, sehr kotziges Jeuchen zu prognostizieren . . . Je nun: lernen Sie das hohe Idiom beherrschen! . . . - (ser)

Wasserleiche (3) Wann ein Mensch im Wasser ertrunken ist und vor tot gehalten wird, denselben wieder zurechte zu bringen. So an einem fürnehmen Herrn, der lang unterm Wasser gewesen, glücklich praktizieret worden:

Alsobald der Mensch aus dem Wasser gezogen wird, dessen Kopf, als Mund und Nase fürnehmlich, auf der Stell augenblicklich mit warmen Leinewat-Tüchern umhüllet, um den schleunigen Beitritt der freien Luft einigermaßen abzuhalten, jedoch bemeldte Tücher nicht straff angezogen, sondern nur sänftiglich gleichsam umhergeleget. Sodann die obere Rinde oder Kruste von Roggenbrot auf einem Rost wohl geröstet, warmes Aquam Vitae oder starken Branntenwein darauf gegossen und also warm auf das Herz geleget, auch solches zum öftern wiederholet. Inzwischen aber zu gleicher Zeit auch die übrigen Teile und Glieder des Leibes in einem warmen Bette mit warmen Tüchern ohnaufhörlich fort wohl gerieben, bis sie rot zu werden beginnen.

Man beliebe hiermit zu konferieren und in Überlegung zu ziehen nachfolgende Exempel, Begebenheiten und Observationes, auch sodann selbsten den Schluß daraus zu machen:

1. Ob ertrunkene oder auch erstickte Menschen (wenn änderst sonsten keine tödliche Verletzung darzu gekommen oder in specie die Ertrunkenen aus dem Wasser nicht plötzlich der freien Luft exponieret, noch sowohlen hierdurch als durch Unterlassung der eilfertigen Hülfsmittel, allererst wahrhaftig dem Tode überliefert worden) mit sattsamer Räson deswegen vor würklich tot zu halten, weilen bei ihnen die äußerliche Kennzeichen des Lebens zessieren; 2. Ob nicht das Momentum zu ihrer Wiederbelebung hauptsächlich darinnen zu suchen, daß, vermittelst der Erwärmung und unaufhörlichen Frottierens, das Herz wiederum in eine lebhafte Bewegung gesetzt und das re vera noch nicht gänzlich stillestehende Geblüt in eine frische Zirkulation gebracht werde; da inzwischen die Lunge, indeme Mund und Nase in die warme Leinewat-Tücher eingeschlagen, nur nach und nach stärkerer Respiration und freierer Luft wiederum gewohnet wird.

Conferenda:

1. Die durch den Druck allbereits publique gemachte Kunst, ertrunkene Menschen wieder zu erwecken. 4to 1742.

2. Erzählet D.Joel Langelottus 3 merkwürdige Exempel: 1) Daß ein Gärtner in Schweden 16 Stunden unter eiskaltem Wasser geblieben, 2) daß ein Weib drei ganzer Tage unterm Wasser gewesen und 3) ein Jüngling allererst in der siebenden Woche im Wasser gefunden, alle 3 Personen aber, nachdeme sie herausgezogen, mit Tüchern umhüllet und an gelindem Feuer erwärmet, also wieder zum Leben seien gebracht worden.

3. Schreibet M. G. Chr. Ludwig in einer Schrift, Rothenackers Traur-Tag betitult: Nachdeme man die A. 1709 in der Donau verunglückte Körper allgemach zusammengesucht, in eine warme Stube gebracht und mit warmem Wein gewaschen habe, seie geschehen, daß bei einigen, die 4, 5, 6 bis 8 Wochen unter dem Wasser gelegen waren, das helle klare Blut stark aus der Nasen herfürgeflossen etc.

4. Beliebe man in Erwägung zu ziehen, was Freiherr von Wolffen, Tomo 3. Phys. experiment. p. m. 476. seqq. von erdrosselten und wieder zum Leben gebrachten Tiergen anführet, so auf die von neuem exzitierte Bewegung des Herzens und Geblüts sich gründet.

5. Das Exempel ertränkter und wiederbelebter Fliegen, immaßen diese, obgleich ganz geringe und verächtliche Animalcula oder Insecta, ebensowohl die zur Erhaltung des Lebens benötigte Organa haben.

6. Das Exempel derer den Winter über im Wasser sich enthaltenden Schwalben.

7. Derer Animalium amphibiorum, oder derjenigen Tiere, die sowohlen in dem Wasser, als auf der Erde und an der freien Luft zu leben pflegen.

8. Des Sizilianers Pesce Cola, welcher, als ein Amphibium, geraume Zeit hat können unterm Wasser persistieren.

9. Derer Fische und aller Wassertiere, welche gleichwohlen nicht ohne alle Luft können leben.

10. Daß kein Wasser ohne Luft ist, wie man durch die Antliam pneumaticam schon längstens belehret worden.

11. Verdienet auch, nicht vergessen zu werden die in dem Leibe der Mutter fest verschlossene und dennoch lebende Frucht.

Endlich ist die Frage: ob obenbeschriebenes procedere in gewisser Maße nicht gleichergestalten auch auf erfrorne Personen sich möchte extendieren lassen?  - (zauber)

Wasserleiche (4) »Ist er tot?«

Es war, als hätte der Ertrunkene nur darauf gewartet, um die Augen aufzuschlagen und zugleich unter Stöhnen Wasser auszuspeien. Er sah alles verkehrt, denn er lag auf dem Boden, und sein Horizont war der mit Sternen besäte Himmel. Er sah die Menschen wie Giganten, die in die Unendlichkeit hineinragten, und ihre Beine waren wie gewaltige Säulen. Er sagte nichts. Er blickte teilnahmslos ins Leere, und erst allmählich verloren seine Augen ihre Starrheit.

Man schien sein Stöhnen gehört zu haben, denn alle kamen zugleich angelaufen, und die Polizisten gaben plötzlich der Szene einen offiziellen Charakter: sie bildeten Spalier, drängten die Menge zurück und ließen nur die in ihren Kreis, deren Anwesenheit notwendig war.

Ducrau sah, wie der Raum um ihn herum sich leerte und Uniformen, Käppis und Silberlitzen vor ihm auftauchten. Er spie weiter graues Wasser aus, das ihm vom Kinn auf die Brust floß, während man unaufhörlich seine Arme bewegte. Auch die Bewegungen seiner Arme verfolgte er interessiert, und er runzelte die Brauen, als jemand in der letzten Reihe flüsterte: »lst er tot?«

Der alte Gassin erhob sich, ohne seine Flasche loszulassen; er machte drei unsichere Schritte und stellte sich zwischen die Beine des anderen, den er mit einer so lallenden Stimme ansprach, daß man nicht eine Silbe verstand.

Aber Ducrau sah ihn. Er ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Er dachte nach, er kramte bestimmt in seinem Gedächtnis.

»Gehen Sie weiter!« fuhr der Arzt Gassin an und schob ihn so heftig weg, daß der Betrunkene hinfiel. Seine Flasche zerbrach, und er blieb stöhnend und fluchend liegen und bemühte sich. seine Tochter, die sich über ihn beugte, wegzuscheuchen.

Wieder hielt ein Auto auf dem Quai, und eine neue Gruppe versammelte sich um den Polizeikommissar.

»Kann man ihn vernehmen?«

»Sie riskieren nichts, wenn Sie es probieren.«

»Glauben Sie, daß er mit dem Leben davonkommen wird?«

Es war der Mann selber, Emil Ducrau. der mit einem Lächeln antwortete. Es war ein seltsames, noch vages Lächeln, fast wie eine Grimasse, aber man spürte genau. daß es sich auf die Frage bezog.

Der Kommissar, der ein wenig verwirrt war, grüßte, indem er seinen Hut zog.

»Ich sehe mit Freuden, daß es Ihnen wieder bessergeht.«

Es war peinlich, von oben nach unten mit einem Mann zu sprechen, dessen Gesicht dem Himmel zugekehrt war und an dem sich die Retter unablässig zu schaffen machten.

»Sind Sie überfallen worden? Waren Sie weit von hier? Wissen Sie, an welcher Stelle man Sie geschlagen und dann ins Wasser geworfen hat?«

Der Mund spie immer noch ruckweise Wasser aus. Emil Ducrau beeilte sich nidit mit der Antwort, er versuchte nicht einmal zu sprechen. Er wandte den Kopf ein wenig, weil das junge Mädchen im weißen Nachthemd in sein Blickfeld kam, und er folgte ihr mit den Augen bis zum Steg.

Sie wollte mit einer Nachbarin Kaffee für ihren Vater kochen, der sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte, sich ins Bett bringen zu lassen.

»Erinnern Sie sich an das, was geschehen ist?«

Und da er nicht antwortete, nahm der Kommissar den Arzt beiseite: »Glauben Sie, daß er mich versteht?«

»Man sollte es meinen.«

Dennoch...

Sie wandten Ducrau den Rücken und hörten plötzlich zu ihrer Verblüffung seine Stimme.

»Ihr tut mir weh.«

Alle sahen zu ihm hin. Es wurde ihm schwer, zu sprechen. Mühsam einen Arm bewegend, stammelte er:

»Will nach Hause ...«

Was die Hand zu zeigen versuchte, war das sechsstöckige Haus genau hinter ihm. Der Kommissar, der ärgerlich war, zögerte.

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie weiter belästige. Haben Sie Ihre Angreifer gesehen? Haben Sie sie erkannt? Vielleicht sind sie nicht weit von hier ...«

Ihre Blicke begegneten sich. Emil zuckte nicht mit der Wimper, und dennoch antwortete er nicht.

»Es wird eine Untersuchung geben, und die Staatsanwaltschaft wird mich bestimmt fragen, ob ...«

Ganz überraschend kam in den schlaffen Körper, der dort auf dem hellen Pflaster des Entladequais lag, Leben, und der Mann stieß alles weg, was ihn störte. »Nach Hause!« sagte er noch einmal wütend.

Und man spürte, daß er zu toben beginnen und vielleicht wieder so viel Kraft haben würde, um aufzustehen und sich auf die Menge zu stürzen, wenn man sich seinem Wunsch weiter widersetzte.

»Vorsicht«, rief der Arzt, »Ihre Wunde kann wieder zu bluten anfangen.«

Aber den Mann mit dem Stiernacken scherte das wenig. Er hatte es plötzlich satt, inmitten der Neugierigen auf dem Boden zu liegen.

»Man soll ihn nach Hause bringen«, seufzte der Kommissar ergeben.

Man hatte die Bahre von der Schleuse Nr. 1 gebracht. Aber Ducrau wollte von einer Bahre nichts wissen. Er versuchte sich zu wehren, man mußte ihn an den Armen, an den Beinen, an den Schultern festhalten. Als man ihn davontrug, blickte er die Leute zornig an, und sie traten zur Seite, denn sie hatten Angst vor ihm. - Georges Simenon, Maigret in Nöten. München 1974 (Heyne Simenon-Kriminalromane 45, zuerst 1933)

Wasserleiche (5)  O'Neill stieß einen Schrei aus, als der Detektiv die leblose durchnäßte Gestalt der Toten herauf auf die Landungsbrücke zog.

Das volle, rotblonde Haar hatte sich im Wasser gelöst und schlang sich um den Oberkörper der Entseelten wie ein feuchter, schwerer Mantel. Das schneeweiße Antlitz zeigte noch im Tode die wundersame Schönheit, die ihm im Leben zu eigen gewesen war; nur war jetzt den feinen Zügen ein starrer, schrecklicher Zug des Entsetzens aufgeprägt, und die weitgeöffneten, glanzlosen, blauen Augen schienen in der letzten Sekunde noch etwas Furchtbares gesehen zu haben.

»Ich kenne sie!« rief O'Neill tief erschüttert aus. »Das ist Dolly Dorlon vom Metropoltheater in Albany, eine der beliebtesten und begabtesten Schauspielerinnen, die ich je gesehen!«

»Dolly Dorlon - ja, so sagte sie!« meinte Peter Marle. »Sie fragte mich, ob ein Herr sich nach ihr erkundigt hätte, und nannte dabei ihren Namen!«

Pinkerton sagte zunächst nichts. Er war niedergekniet und untersuchte die Tote. Er studierte genau ihre Gesichtszüge, dann streifte er das wasserschwere Haar von ihrer Stirn zurück und legte einen dunklen Fleck bloß, der sich ganz oben an der Stirn zeigte. Dann erfaßte er die Hände der Toten und unterzog sie einer genauen Prüfung, und als er sich schließlich erhob, lag ein finsterer Ausdruck auf seinem Gesicht.

»Peter Marle, Sie sagten, die junge Dame hätte von einem Herrn gesprochen, der sich nach ihr erkundigt haben sollte?«

»Gewiß! Es war ihre erste Frage!«

»Ein solcher ist aber nicht dagewesen?«

»Nein, bis jetzt noch nicht!«

»Können Sie mir genau die Einzelheiten des Gespräches angeben, welches Sie mit Miß Dorlon führten?«

Peter Marle erzählte, was er wußte.

Pinkerton hörte aufmerksam zu und wiederholte sich dann, was er erfahren hatte:

»Also sie sagte, er würde sicherlich noch kommen und wüßte Bescheid! Er würde ihr in einem anderen Boote folgen! Dann ist sie allein fortgerudert! - Die Ärmste! - Sie ahnte nicht, daß sie ihrem sicheren Tode entgegenruderte!«

O'Neill fuhr erschrocken zusammen.

»Herrgott, Mister Pinkerton! Wie soll ich mir Ihre Worte deuten?!

Wollen Sie damit vielleicht sagen, daß Miß Dolly Dorlon keinen Selbstmord verübt hat?!«

Der große Detektiv trat auf den Farmbesitzer zu und legte ihm langsam die Hand auf die Schulter. Dann sprach er ernst und schwer: »Mister O'Neill, es ist ein Glück, daß wir hierhergekommen sind, denn sonst würde die Unglückliche zu unseren Füßen wahrscheinlich als Selbstmörderin bestattet worden sein. Meine Ahnung, daß irgendein wichtiger Fall kommen würde, hat mich nicht getäuscht, denn noch im letzten Moment, da ich schon das Boot zur Abfahrt besteigen will, komme ich einem sensationellen Verbrechen auf die Spur! - Die Schauspielerin Dolly Dorlon ist nicht freiwillig aus dem Leben geschieden - sie ist ermordet worden!« - Nat Pinkerton: Vom Lebemann zum Verbrecher. In: Die großen Detektive, Bd. 2. Hg. Werner Berthel, Frankfurt am Main 1980, it 368)

Wasserleiche (6)  Er war davongestürzt wie im Wahnsinn, weil er gelesen hatte, daß die Leiche einer unbekannten Frau aus der Rhone gezogen worden war. Die Frau konnte ungefähr an jenem unheilvollen 4. Mai verunglückt sein. Er entfernte sich unter einem Vorwand, niemand wußte, wohin, und kehrte am Abend um Bergeslast erleichtert wieder heim. Die Frau in der Leichenkammer war braun, reifen Alters und von orientalischem Typus. Sie war nackt in einen Sack genäht von der Baggermaschine aus dem Schlamm gehoben worden. - Maurice Renard, Die blaue Gefahr. Frankfurt am Main 1989 (st 1596, Phantastische Bibliothek 225, zuerst 1911)

Wasserleiche (7)  

Die Masten ragen an dem grauen Wall
Wie ein verbrannter Wald ins frühe Rot,
So schwarz wie Schlacke. Wo das Wasser tot
Zu Speichern stiert, die morsch und im Verfall.

Dumpf tönt der Schall, da wiederkehrt die Flut,
Den Kai entlang. Der Stadtnacht Spülicht treibt
Wie eine weiße Haut im Strom und reibt
Sich an dem Dampfer, der im Docke ruht.

Staub, Obst, Papier, in einer dicken Schicht,
So treibt der Kot aus seinen Röhren ganz.
Ein weißes Tanzkleid kommt, in fettem Glanz
Ein nackter Hals und bleiweiß ein Gesicht.

Die Leiche wälzt sich ganz heraus. Es bläht
Das Kleid sich wie ein weißes Schiff im Wind.
Die toten Augen starren groß und blind
Zum Himmel, der voll rosa Wolken steht.

Das lila Wasser bebt von kleiner Welle.
- Der Wasserratten Fährte, die bemannen
Das weiße Schiff. Nun treibt es stolz von dannen,
Voll grauer Köpfe und voll schwarzer Felle.

Die Tote segelt froh hinaus, gerissen
Von Wind und Flut. Ihr dicker Bauch entragt
Dem Wasser groß, zerhöhlt und fast zernagt
Wie eine Grotte dröhnt er von den Bissen.

Sie treibt ins Meer. Ihr salutiert Neptun
Von einem Wrack, da sie das Meer verschlingt,
Darinnen sie zur grünen Tiefe sinkt,
Im Arm der feisten Kraken auszuruhn.

- Georg Heym

 Wasserleiche (8) Die irischen Fischer der Gegend machten in den Tagen nach der Katastrophe ein gutes, wenn auch makabres Geschäft. Die »Cunard Line« und amerikanische Privatpersonen hatten für die Bergung der Lusitania-Leichen eine Prämie von einem Pfund Sterling pro Kopf ausgelobt. Für amerikanische Leichen gab es jeweils zwei Pfund, und der Finder der sterblichen Überreste des reichsten Mannes an Bord, des US-Multimillionärs Alfred Vanderbilt, sollte sogar 1000 Pfund bekommen. Vanderbilt wurde aber nie gefunden. Dagegen konnte der Schmierer Frank Tower lebend geborgen werden. Tower, genannt »Lucky Tower«, schien bereits eine gewisse Routine im Überleben von spektakulären Schiffskatastrophen gehabt zu haben. Angeblich hatte er schon 1912 den Untergang der Titanic und zwei Jahre später den der Empress of Ireland überstanden.   - Thies Völker, Lexikon berühmter Schiffe. München 2007

Wasserleiche (9)  Das Bettlaken bedeckt dich halb, meine Finger beginnen an der glatten Zeichnung deiner Kehle herabzusteigen, mich niederbeugend atme ich deinen Atem ein, der nach Nacht und nach Sirup riecht, ich weiß nicht, wie es kam, daß meine Arme dich umschlungen halten, ich höre einen Klagelaut, während du die Lenden, dich verweigernd, aufbäumst, aber wir kennen dieses Spiel zu gut, um daran zu glauben, du mußt mir deinen Mund überlassen, der unzusammenhängende Wörter keucht, dein Körper, schlaftrunken und überwunden, kämpft ganz vergeblich, um zu entkommen, wir sind dermaßen eins in diesem verwickelten Knäuel, in dem die weiße Wolle und die schwarze Wolle wie Spinnen in einem enghalsigen Gefäß kämpfen. An dem Laken, das dich kaum bedeckte, kann ich den jähen Windstoß ablesen, der durch die Luft schneidet, um sich im Schatten zu verlieren, und jetzt sind wir nackt, das Morgengrauen hüllt uns ein und versöhnt uns zu einer einzigen zitternden Materie, aber du versteifst dich darauf zu kämpfen, ziehst dich zusammen und schlingst die Arme um meinen Kopf, öffnest wie in einem Blitz die Schenkel, um ihre monströsen Scheren gleich wieder zu schließen, die mich von mir selbst abtrennen möchten. Ich muß dich langsam übermannen (und dies, das weißt du, habe ich immer mit einer zeremoniellen Anmut getan), ohne dir weh zu tun, biege ich das Schilf deiner Arme auseinander, widme ich mich ausschließlich deiner Lust mit gespreizten Händen, mit weit geöffneten Augen, jetzt sinkt dein Rhythmus in langsamen Bewegungen von schwerer Seide, von tiefen Blasen auf den Grund, Blasen, die bis zu meinem Gesicht aufsteigen, vage liebkose ich dein Haar, das sich über das Kissen ergießt, in dem grünen Halbschatten erblicke ich verwundert meine Hand, die trieft, und bevor ich noch an deine Seite gleite, weiß ich, daß man dich soeben aus dem Wasser gezogen hat, viel zu spät, natürlich, und daß du auf den Steinen des Kais liegst, umgeben von Stiefeln und Stimmen, auf dem Rücken liegend, nackt, mit durchtränkten! Haar und die Augen weit offen.  - Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

Wasserleiche (10)  In irgendeinem Augenblick muß ich den Pfad zwischen den Orangenbäumen wiedererkannt haben; vielleicht war es mehr dort hinüber, bei den letzten Hütten und den Binsendickichten. In diesem Augenblick, das weiß ich, wurde Lucios Silhouette zum einzig Störenden in dieser Begegnung, die Meter um Meter, Nacht für Nacht dermaßen übereinstimmte, daß es mich nicht überraschte, als sich die Binsen öffneten, um die im vollen Monde liegende Landzunge zu zeigen, die in den Kanal eindrang, während die Hände des Flusses über den gelben Schlamm glitschten. Irgendwo in unserem Rücken fiel Irgendwo in unserem Rücken fiel ein fauler Pfirsich mit einem Laut, der etwas von einer Ohrfeige, von unsäglicher Plumpheit hatte.

Am Rande des Wassers drehte sich Lucio um und sah mich einen Augenblick an. Er sagte: »Dies ist die Stelle, nicht wahr?« Wir hatten nie mehr von dem Traum gesprochen, aber ich erwiderte ihm: »Ja, das ist die Stelle.« Es verging einige Zeit, ehe er sagte: »Sogar den hast du mir gestohlen, sogar meinen geheimsten Wunsch; denn ich habe mir einen solchen Platz gewünscht, ich habe einen solchen Platz gebraucht. Du hast einen fremden Traum geträumt.« Und als er diese Worte sagte, Mauricio, es mit einer monotonen Stimme sagte, wobei er einen Schritt auf mich zutrat, muß in meinem Vergessen etwas explodiert sein, ich schloß die Augen und wußte, ich würde mich erinnern, ohne nach dem Fluß zu schauen, wußte ich, daß ich das Ende des Traumes sehen würde, und ich sah es, Mauricio, sah den Ertrunkenen und den Mond, der auf seiner Brust kniete, und das Gesicht des Ertrunkenen war das meine, Mauricio, das Gesicht des Ertrunkenen war mein Gesicht.

Warum gehst du? Wenn du einen brauchst, es ist ein Revolver in der Schreibtischschublade, wenn du willst, kannst du die Leute von der anderen Ranch alarmieren. Aber bleib, Mauricio, bleib doch noch ein bißchen und höre dem Plätschern des Flusses zu, vielleicht wirst du endlich spüren, daß es zwischen allen diesen Händen von Wasser und Binsen, die in dem Schlamm glitschen und sich in Wirbel auflösen, einige Hände gibt, die sich zu dieser Stunde an die Wurzeln klammern und nicht locker lassen, etwas klettert die Mole hoch und richtet sich, bedeckt von Unrat und von Fischbissen, auf, kommt hierhier, um mich zu suchen. Noch halte ich das Rad in Bewegung, noch kann ich es abermals abwenden, aber es ist hartnäckig und kehrt wieder, und in irgendeiner Nacht wird es mich mit sich davontragen. Wird mich davontragen, sage ich dir, und der Traum wird sein wahres Bild enthüllen. Ich werde gehen müssen, die Landzunge und die Zuckerrohrpflanzungen werden mich auf dem Rücken vorbeitreiben sehen, prachtvoll im Mond, und der Traum wird endlich vollständig sein, Mauricio, dann ist der Traum endlich vollkommen.  - Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998

Wasserleiche (11)

Wasserleiche (12)  Nur wenige Menschen waren unterwegs, doch zwei, drei hatten sich auf der Brücke versammelt, um zuzusehen, wie die Froschmänner mit Seil und Haken hinabtauchten. Zuerst kam ein mächtiger Schlammwirbel an die Wasseroberfläche, dann die beiden Taucher und dann eine schlaffe, schlammbedeckte Gestalt, die mehr nach einem dickhäutigen Tier als nach einem menschlichen Körper aussah. Doch als sie zum Ufer geschafft und auf den Schotterweg gehievt wurde, rollte sie zur Seite, und ein dünner weißer Arm kam zum Vorschein.

»O Gott...« murmelte einer der Taucher und riß sich die Maske vom Kopf. »Sieht nach Selbstmord aus, aber sie war bestimmt nicht ganz richtig im Kopf.«

Die Tote war vielleicht fünfzig Jahre alt. Sie trug viele Ringe, ein großes Armband und schwere Ohrringe, alles dick mit Schlamm bedeckt. Aber unter dem triefend nassen Pelzmantel war sie völlig nackt.  - Magdalen Nabb, Tod im Herbst. Zürich 1990

Wasserleiche (13) 

Wasserleiche (14)  Pierre eilte dem Mann zu Hilfe, mit vereinten Kräften konnten sie den leblosen Körper bergen. Der Mann sagte zu Pierre: »Bleiben Sie hier. Ich hole inzwischen die Polizei.« Dann rannte er davon. Die Sonne ging gerade auf und übergoß den Leichnam mit einem rosigen Schimmer. Es war eine Frau, eine besonders schöne. Ihr lange's Haar fiel über die Schultern und die üppigen Brüste. Ihre glatte, goldene Haut glänzte. Noch nie hatte Pierre einen schöneren Körper gesehen. Das Wasser hatte ihn reingewaschen und die bezaubernden, sanften Konturen entblößt.

Fasziniert starrte er auf sie. Die Sonne trocknete sie. Er faßte sie an: Sie war immer noch warm, sie konnte erst vor kurzem ertrunken sein. Er legte das Ohr auf ihre Brust, aber ihr Herz schlug nicht mehr. Ihre Brust schien wie für seine Hand geschaffen.

Er schauderte, beugte sich hinunter und küßte die Brust. Sie war elastisch und weich unter seinen Lippen, wie die Brust einer lebendigen Frau. Auf einmal verspürte er ein mächtiges Verlangen. Er fuhr fort, die Frau zu küssen, er zwang ihre Lippen auseinander. Ein wenig Wasser trat heraus, ihm kam es vor, als wäre es ihr Speichel. Der Gedanke kam ihm, daß er sie durch seine Küsse wieder zum Leben erwecken könnte, er müßte nur weitermachen. Die Wärme seiner Lippen ging auf ihren Mund über. Er küßte ihn, küßte ihre Brustwarzen, ihren Hals, ihren Bauch. Dann wanderten seine Lippen abwärts und küßten das nasse Schamhaar. Es war, als liebkoste er sie unter Wasser. Sie lag ausgestreckt da, mit leicht geöffneten Beinen und am Körper anliegenden Armen. Jetzt vergoldete die Sonne ihre Haut; ihr nasses Haar war wie Seetang.

Ihn entzückte der preisgegebene, wehrlose Körper, die geschlossenen Augen, der kaum geöffnete Mund. Ihr Körper schmeckte nach Tau, nach nassen Blumen, nach feuchten Blättern, nach einer Wiese im Morgenlicht, Die Haut war wie Seide unter seinen Fingern. Er liebte ihre völlige Passivität, ihr Schweigen.

Er spürte, wie er brannte, wie es sich in ihm staute. Er fiel über sie, und als er in sie eindrang, floß Wasser ihre Beine entlang wie bei einer Flußnymphe. Unter seinen Bewegungen schlängelte sich ihr Körper. Er drang tiefer in sie ein, er dachte, sie würde ihm nun antworten, aber ihr lebloser Körper bewegte sich nur im gleichen Rhythmus wie der seine.

Er bekam Angst, daß der Mann und die Polizei ihn so finden könnten. Deshalb beeilte er sich, er wollte kommen, aber es gelang ihm nicht. Noch nie zuvor hatte er so lange gebraucht. Ihr kühler, feuchter Schoß, ihre Passivität reizten ihn und verlängerten die Spannung - aber er konnte nicht kommen.

Er bewegte sich verzweifelt, er mußte Befriedigung haben, mußte seinen warmen Strahl in ihren kalten Körper spritzen. Ja, ja, er wollte kommen! Verzweifelt küßte er ihre Brüste und stieß immer wieder in sie. Aber die Erlösung blieb ihm versagt. Der Schiffer und die Polizei mußten jeden Augenblick da sein und ihn über ihr finden, über dem Körper einer toten Frau! Schließlich hob er sie halbwegs hoch und drückte sie mit aller Macht gegen seinen Schwanz. Dann stieß er ein letztesmal wie ein Wahnsinniger in sie. Stimmen kamen näher; im gleichen Augenblick explodierte er in ihr. Er zog zurück, ließ den Körper fallen und rannte davon.  - Anaĭs Nín, Das Delta der Venus. München u. Zürich o. J. (zuerst 1977)


Sauger Tierarten Leiche

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