- Alexander von Humboldt,
Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie.
Frankfurt am Main 1993 (it 1540)
Geräusch (2) Wir sinken lautlos. Still
steht, wie in der Badewanne,
das Wasser in den strahlend erleuchteten
Palmensälen,
Tennishallen, Foyers, und spiegelt sich in den
Spiegeln.
Tintenschwarze Minuten,
erstarrt wie in Gelatine.
Kein Streit, kein Wortwechsel. Halblaute
Dialoge.
Bitte nach Ihnen. Grüß die
Kinder. Erkälte dich nicht.
In den Booten kann man sogar das
Knirschen der Taue hören,
und phosphoreszierende Tropfen sieht
man vom Ruderblatt,
das in Zeitlupe aus dem Meer taucht, ins
Meer zurückspringen.
Erst ganz am Ende - der dunkle Bug hat
sich lotrecht empor
aus dem Bodenlosen
gehoben wie ein absurder Turm,
die Lichter im Rumpf sind erloschen,
niemand sieht auf die Uhr -
zertrümmert
ein unerhörtes Geräusch die glasige Ruhe:
»Ein Ächzen war
es, nein, ein Rasseln, ein Dröhnen,
eine rollende Folge von
Schlägen, als würden in einem Gewölbe
Gegenstände, tonnenschwer,
in die Tiefe geworfen,
und diese undenkbar schweren Dinge
zerschmetterten fallend
alles. Es
war ein Geräusch, wie es nie zuvor ein Mensch
vernommen hat,
und wie es keiner von uns, solange er lebt,
je wieder zu hören
hofft.« Von diesem Augenblick an
war
kein Schiff mehr vorhanden. Was dann
kam, waren die Schreie.
- Hans Magnus Enzensberger, Der Untergang
der Titanic. Eine Komödie. Frankfurt am Main 1978
Geräusch (3) Basini lächelte. Lieblich, süßlich. Starr festgehalten, wie das Lächeln eines Bildes, hob es sich aus dem Rahmen des Lichtes heraus.
Törleß saß an seinen Balken gepreßt und fühlte das Zittert seiner Augenmuskeln.
Nun zählte Beineberg die Schandtaten Basinis auf; gleichmäßig, mit heiseren Worten.
Dann die Frage: «Du schämst dich also gar nidit?» Dann ein Blick Basinis auf Reiting, der zu sagen schien: «Nun ist es wohl schon an der Zeit, daß du mir hilfst.» Und in dem Augenblicke gab ihm Reiting einen Faustschlag ins Gesicht, so daß er rückwärts taumelte, über einen Balken stolperte, stürzte. Beineberg und Beiting sprangen ihm nach.
Die Laterne war umgekippt, und ihr Licht floß verständnislos und träge zu Törleß' Füßen über den Boden hin...
Törleß unterschied aus den Geräuschen, daß sie Basini die Kleider vom Leibe zogen und ihn mit etwas Dünnem, Geschmeidigem peitschten. Sie hatten dies alles offenbar schon vorbereitet gehabt. Er hörte das Wimmern und die halblauten Klagerufe Basinis, der unausgesetzt um Schonung flehte; schließlich vernahm er nur noch ein Stöhnen, wie ein unterdrücktes Geheul, und dazwischen halblaute Schimnpfworte und die heißen leidenschaftlichen Atemstöße Beinebergs.
Er hatte sich nicht vom Platze gerührt. Gleich anfangs hatte ihn wohl eine viehische Lust mit hinzuspringen und zuzuschlagen gepackt, aber das Gefühl, daß er zu spät kommen und überflüssig sein würde, hielt ihn zurück. Über seinen Gliedern lag mit schwerer Hand eine Lähmung.
Scheinbar gleichgültig sah er vor sich hin zu Boden. Er spannte sein Gehör nicht an, um den Geräuschen zu folgen, und er fühlte sein Herz nicht rascher schlagen als sonst. Mit den Augen folgte er dem Lichte, das sich zu seinen Füßen in einer Lache ergoß. Staubflocken leuchteten auf und ein kleines häßliches Spinnengewebe. Weiterhin sickerte der Schein in die Fugen zwischen den Balken und erstickte in einem staubigen, schmutzigen Dämmern.
Törleß wäre auch eine Stunde lang so sitzen geblieben, ohne fies zu fühlen.
Er dachte an nichts und war doch innerlich vollauf beschäftigt. - Robert Musil,
Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Reinbek bei Hamburg 1965 (zuerst 1906)
Geräusch (4) Man wagte nicht, Luft zu holen, um es nicht
einzuatmen. Es war das Geräusch von achtzehnhundert Flugzeugen, die in unvorstellbaren
Höhen von Süden her Hamburg anflogen. Wir hatten schon zweihundert oder auch
mehr Angriffe erlebt, darunter sehr schwere, aber dies war etwas völlig Neues.
Und doch wußte man gleich: es war das, worauf jeder gewartet
hatte, das wie ein Schatten seit Monaten über all unserm Tun lag und uns müde
machte, es war das Ende. Dies Geräusch sollte anderthalb
Stunden anhalten, und dann in drei Nächten der kommenden Woche noch einmal.
Gleichmäßig hielt es sich in der Luft. Gleichmäßig hörte man es auch dann, wenn
sich das viel lautere Getöse der Abwehr zum Trommelfeuer steigerte. Nur manchmal,
wenn einzelne Staffeln zum Tiefangriff ansetzten, schwoll es an und streifte
mit seinen Flügeln den Boden. Und doch war dies furchtbare Geräusch wieder so
durchlässig, daß auch jeder andere Laut zu hören war: nicht nur die Abschüsse
der Flak, das Krepieren der Granaten, das heulende Rauschen der abgeworfenen
Bomben, das Singen der Flaksplitter, nein, sogar ein ganz leises Rascheln, nicht
lauter als ein dürres Blatt, das von Ast zu Ast fällt, und wofür es im Dunkeln
keine Erklärung gab. - Hans Erich Nossack, Der Untergang. Frankfurt am
Main 1987 (zuerst 1948)
Geräusch (5) Manchmal wird der Klang euch
eindeutig als Geräusch erscheinen, und ihr werdet anfangen nachzuforschen, welches
Gerät, welche Höllenmaschine, welches Knarren von
Balken oder Rieseln von Kies dieses Geräusch erzeugen könnte, das euch zugleich
eindeutig und faszinierend erscheint: denn in jener verlassenen nächtlichen
Flußstadt suggeriert euch dieses Geräusch die Existenz von Dingen, die nicht
nur nicht unwiederbringlich fern sind, sondern auch mit einer auf irgendeine
Weise lebendigen Anmut ausgezeichnet, denn ganz sicher bewegen sie sich, oder
sie altern oder sind unbeständig oder werden von etwas bewegt, ja vielleicht
sogar, wenn das nicht aberwitzig erscheint, von jemandem - kurzum, auch das
zweideutige Abrutschen von ein wenig Erde wird euch rasende Bilder suggerieren,
ungestüm wie euer aufgescheuchtes Herz: ein Haus hat angefangen abzubröckeln
oder setzt sein langsames Zerfallen fort, plant womöglich einen ruinösen Einsturz;
oder eine Schicht ausgemergelten Bodens sinkt ab und bekennt, ein ehrwürdiges
Straßenpflaster, ein Stadtviertel, ja die ganze Stadt nicht mehr tragen zu können
- vor allem ihre schweren und robusten Brücken; und
wenn es, was wahrscheinlich ist, in jener Ortschaft oder Stadt oder Siedlung
etwas gibt, das eine Burg zu nennen nicht unmöglich ist, dann wird das Absinken
der Schichten beweisen, wie untragbar die Last jener alten Mauern und ihrer
Verbrechen für einen Boden ist, der die Süße einer paradiesischen Erinnerung
bewahrt. Doch die Burg selbst, mit ihrer nicht mehr jungen und wahrscheinlich
von der eigenen Verruchtheit zerfressenen Masse - denn es versteht sich von
selbst, daß Burgen an einer abgefeimten Ruchlosigkeit teilhaben - die Burg also
wird durch ihr eigenes nicht geehrtes Alter brüchig und baufällig sein, von
gefährlicher Baufälligkeit, so daß ein wenig Wind oder ein Regenschauer genügt,
um einen Stein ins Rollen zu bringen, einen lockeren Sims zu lösen oder zwei
verbundene Ziegelreihen zu trennen, während der Druck von etwas Efeu einen großen
Turm zu Fall bringen kann. - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen.
Berlin 1989 (zuerst 1987)
Geräusch (6) Im Westen der Präfektur K'i, siebzig Li von der Unterpräfektur Long entfernt, gibt es eine Grotte, die Höhle der Drachen und Fische genannt wird. Dort findet sich ein Stein, der bald groß, bald klein ist. Zerbricht man ihn und forscht sein Inneres aus, so gewahrt man Figuren von Drachen und Fischen.
Die vor dieser Höhle vorbeigehen, hören auf zu sprechen. Sie vernehmen ferne
Geräusche von Donner und Sturm. Vor Schrecken bleiben sie stehen. Kein Mensch
versteht diese Geräusche. - Nach (
cail
)
Geräusch (7) Dieser Klang wird in jedem Fall verschieden
sein; manchmal wird er euch eindeutig als Geräusch erscheinen, und ihr werdet
anfangen nachzuforschen, welches Gerät, welche Höllenmaschine, welches Knarren
von Balken oder Rieseln von Kies dieses Geräusch erzeugen könnte, das euch zugleich
eindeutig und faszinierend erscheint: denn in jener verlassenen nächtlichen
Flußstadt suggeriert euch dieses Geräusch die Existenz von Dingen, die nicht
nur nicht unwiederbringlich fern sind, sondern auch mit einer auf irgendeine
Weise lebendigen Anmut ausgezeichnet, denn ganz sicher bewegen sie sich, oder
sie altern oder sind unbeständig oder werden von etwas bewegt, ja vielleicht
sogar, wenn das nicht aberwitzig erscheint, von jemandem - kurzum, auch das
zweideutige Abrutschen von ein wenig Erde wird euch rasende Bilder suggerieren,
ungestüm wie euer aufgescheuchtes Herz: ein Haus hat angefangen abzubröckeln
oder setzt sein langsames Zerfallen fort, plant womöglich einen ruinösen Einsturz;
oder eine Schicht ausgemergelten Bodens sinkt ab und bekennt, ein ehrwürdiges
Straßenpflaster, ein Stadtviertel, ja die ganze Stadt nicht mehr tragen zu können
- vor allem ihre schweren und robusten Brücken; und wenn es, was wahrscheinlich
ist, in jener Ortschaft oder Stadt oder Siedlung etwas gibt, das eine Burg
zu nennen nicht unmöglich ist, dann wird das Absinken der Schichten beweisen,
wie untragbar die Last jener alten Mauern und ihrer Verbrechen für einen Boden
ist, der die Süße einer paradiesischen Erinnerung bewahrt. Doch die Burg selbst,
mit ihrer nicht mehr jungen und wahrscheinlich von der eigenen Verruchtheit
zerfressenen Masse - denn es versteht sich von selbst, daß Burgen an einer abgefeimten
Ruchlosigkeit teilhaben - die Burg also wird durch ihr eigenes nicht geehrtes
Alter brüchig und baufällig sein, von gefährlicher Baufälligkeit, so daß ein
wenig Wind oder ein Regenschauer genügt, um einen Stein ins Rollen zu bringen,
einen lockeren Sims zu lösen oder zwei verbundene Ziegelreihen zu trennen, während
der Druck von etwas Efeu einen großen Turm zu Fall
bringen kann. - Giorgio Manganelli, Geräusche
oder Stimmen. Berlin 1989
Geräusch (8) Beinah jeder kennt den Lärm, den irgendein blechernes, rundes Ding, nehmen wir an, der Deckel
einer Blechbüchse, verursacht, wenn er einem entglitten ist. Gewöhnlich
kommt er gar nicht einmal sehr laut unten an, er fällt kurz auf, rollt
auf dem Rande weiter und wird eigentlich erst unangenehm, wenn der
Schwung zu Ende geht und er nach allen Seiten taumelnd aufschlägt, eh er
ins Liegen kommt. Nun also: das ist das Ganze; so ein blecherner
Gegenstand fiel nebenan, rollte, blieb liegen, und dazwischen, in
gewissen Abständen, stampfte es. Wie alle Geräusche, die sich wiederholt
durchsetzen, hatte auch dieses sich innerlich organisiert; es wandelte
sich ab, es war niemals genau dasselbe. Aber gerade das sprach für seine
Gesetzmäßigkeit. Es konnte heftig sein oder milde oder melancholisch;
es konnte gleichsam überstürzt vorübergehen oder unendlich lange
hingleiten, eh es zu Ruhe kam. Und das letzte Schwanken war immer
überraschend. Dagegen hatte das Aufstampfen, das hinzukam, etwas fast
Mechanisches. Aber es teilte den Lärm immer anders ab, das schien seine
Aufgabe zu sein. Ich kann diese Einzelheiten jetzt viel besser
übersehen; das Zimmer neben mir ist leer. Er ist nach Hause gereist, in
die Provinz. Er sollte sich erholen. Ich wohne im obersten Stockwerk.
Rechts ist ein anderes Haus, unter mir ist noch niemand eingezogen: ich
bin ohne Nachbar. In dieser Verfassung wundert es mich beinah, daß ich
die Sache nicht leichter nahm. Obwohl ich doch jedesmal im voraus
gewarnt war durch mein Gefühl. Das wäre auszunutzen gewesen. Erschrick
nicht, hätte ich mir sagen müssen, jetzt kommt es; ich wußte ja, daß ich
mich niemals täuschte. - Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids
Brigge. Fankfurt am Main 2000 (it 2691, zuerst 1910)
|
|