Landzunge   Die Frösche waren verstummt, die Luft war stickig wie heute nacht oder wie hier fast immer, und es war wie ein Zwang, weiterzugehen, die Mole hinter sich zu lassen, der großen Krümmung dieser Küste zu folgen, die Orangenhaine zu durchqueren, den Mond immer im Gesicht. Ich erfinde nichts hinzu, Mauricio, das Gedächtnis weiß, was es vollständig aufbewahren muß. Ich erzähle dir dasselbe, was ich Lucio damals erzählte, ich komme an die Stelle, wo die Binsen nach und nach lichter wurden und eine Landzunge sich in den Fluß vorschob, gefährlich wegen des Schlammes und der Nähe des Kanals, denn im Traum wußte ich, daß dies ein tiefer Kanal war, voller Strudel, und ich näherte mich, immer wieder in dem gelben und vom Mond warmen Schlamm einsinkend, Schritt für Schritt der Spitze. Und so stand ich am Rande, sah auf der anderen Seite die schwarzen Zuckerrohrpflanzungen, wo sich das Wasser heimlich verlor, während hier, ganz nahe, der Fluß verschlagen gestikulierte, als suche er, wo er sich anklammern könnte, aber- und abermals abgleitend und von neuem darauf aus. Der ganze Kanal war Mond, ein unendliches wirres Fließband von Messern, die mir in die Augen schnitten, und darüber ein Himmel, der auf den Nacken und die Schultern drückte und mich zwang, unablässig auf das Wasser zu blicken. Und als ich flußaufwärts den Körper des Ertrunkenen sah, ganz langsam schaukelnd, wie um sich von den Binsen am anderen Ufer zu befreien, erhielten diese Nacht und meine Gegenwart darin erst ihren Sinn in jenem schwarzen Fleck, der abtrieb und sich, durch einen Fußknöchel, eine Hand zurückgehalten, kaum drehte, sondern sanft schwankte, den Binsen zu entkommen, bis er in die Strömung des Kanals gelangte und sich wie im Takt dem nackten Ufer näherte, wo der Mond ihm voll ins Gesicht scheinen würde. Du bist blaß, Mauricio. Nehmen wir noch einen Kognak, wenn du magst. Auch Lucio war ein wenig blaß, als ich ihm den Traum erzählte. Er sagte lediglich: »Wie du dich an die Details erinnerst.« Und im Unterschied zu dir, der höflich wie immer ist, schien er dem, was ich ihm erzählen wollte, vorauszueilen, als ob er fürchtete, daß ich den Rest des Traumes plötzlich vergessen hätte. Aber noch fehlte etwas, ich hatte dir gesagt, daß die Strömung des Kanals den Körper kreisen ließ, mit ihm spielte, ehe er ihn auf meine Seite herübertrug, und ich wartete am Rande der Landzunge auf den Augenblick, in dem er fast zu meinen Füßen vorüberschwimmen würde und ich in sein Gesicht sehen konnte. Neue Drehung, ein Arm, so sanft gestreckt, als ob er noch schwimme, der Mond, der sich, auf seiner Brust kniend, in seinen Bauch verbiß, in die bleichen Beine, abermals den auf dem Rük-ken schwimmenden Ertrunkenen entblößend. Mir so nah, daß ich mich nur hätte niederkauern müssen, um ihn am Haar zu packen, so nahe, daß ich ihn erkannte, Mauricio, in sein Gesicht sah und schrie, glaube ich, etwas wie einen Schrei, der aus mir hervorbrach und mich in das Erwachen stürzte, in den Krug Wasser, den ich hechelnd trank, in das erschrockene und verwirrte Bewußtsein, daß ich mich nicht mehr an dieses Gesicht erinnerte, das ich soeben erkannt hatte. Und das bereits flußabwärts schwamm, so daß es gar nichts nützen würde, die Augen zu schließen und an den Rand des Wassers zurückkehren zu wollen, an den Rand des Traumes, darum ringend, mich zu erinnern, genau das wollend, was etwas in mir nicht wollte.  - Julio Cortázar, Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen Bd. 1. Frankfurt am Main 1998
 
 

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