eibung Ich entriß ihr das Heft. Im nächsten Augenblick hatte sie sich in einem gespielten Versuch, es wiederzubekommen, voll auf mich geworfen. Ich hielt sie an dem dünnen, knochigen Handgelenk fest. Die Illustrierte flatterte wie ein aufgescheuchtes Huhn zu Boden. Sie wand sich los, ringelte sich zurück und lehnte sich tief in die rechte Ecke des Sofas. Dann streckte das unverschämte Kind mit vollkommener Selbstverständlichkeit seine Beine über meinen Schoß.
Ich war mittlerweile in einem Zustand der Erregung, der an Wahnsinn grenzte; aber ich hatte auch die Schläue eines Wahnsinnigen. Auf dem Sofa sitzend, gelang es mir dank einer Reihe verstohlener Bewegungen, meine maskierte Lust mit ihren arglosen Beinen in Einklang zu bringen. Es war gar nicht leicht, die Aufmerksamkeit der kleinen Maid abzulenken, während ich die geheimen Anpassungsbewegungen vornahm, die dem Kunstgriff den Erfolg sichern sollten. Ich redete laut, blieb hinter meinem Atem zurück und holte ihn wieder ein, spiegelte plötzliche Zahnschmerzen vor, um die Pausen in meinem Geplapper zu erklären - und immerfort hielt ich dabei das innere Auge eines Besessenen auf das ferne goldene Ziel gerichtet und verstärkte vorsichtig die zauberhafte Reibung, die, wenn auch nicht tatsächlich, so doch in der Vorstellung, die physisch nicht zu entfernende, aber psychologisch sehr mürbe Textur der stofflichen Schranke (Pyjama und Morgenmantel) zwischen dem Gewicht von zwei quer über meinem Schoß liegenden sonnengebräunten Beinen und der verborgenen Geschwulst einer unsagbaren Leidenschaft verschwinden ließ. Da ich im Fluß meines Geplappers auf etwas nett Mechanisches gestoßen war, deklamierte ich mit einer leichten Abwandlung den Text eines damals beliebten, albernen Schlagers - o Carmen, o Carmen, tamtata tamta, die Nächte, die warmen, und die Bars und der Barman; immerfort wiederholte ich dieses automatische Zeugs und hielt sie in seinem speziellen Bann (speziell wegen der Verquatschungen), und die ganze Zeit war ich in tödlicher Angst, daß Gott eingreifen und mich unterbrechen könne, mir die goldene Last fortnehmen, die zu spüren all mein Sein sich konzentrierte, und diese Angst zwang mich anfangs, etwas schneller vorzugehen, als es sich mit vorsätzlich moduliertem Genuß verträgt. Funkelnde Deerne und stunkelnde Ferne und die Bars und der Barman wurden bald von ihr übernommen; ihre Stimme hielt und berichtigte die Melodie, die ich verstümmelt hatte. Sie war musikalisch und apfelsüß. Ihre Beine, wie sie so über meinem sich rührenden Schoß lagen, zuckten ein wenig; ich streichelte sie; da lag sie in die rechte Sofaecke gekuschelt, beinah hingerekelt - Lola der Bobbysoxer, der seine unvordenkliche Frucht verspeiste, durch deren Saft hindurch sang, einen Pantoffel verlor, die Ferse seines pantoffellosen Fußes mit dem schlunzigen Söckchen gegen den Stapel alter Illustrierter rieb, die links von mir auf dem Sofa lagen -, und jede ihrer Bewegungen, jedes Reiben und Wiegen half mir, das Geheimsystem der taktilen Übereinstimmung zwischen dem Unhold und der Holden zu verbergen und zu verbessern - zwischen meinem geknebelten, berstenden Unhold und der Holdheit ihres Grübchenkörpers in seinem unschuldigen Kattunkleid.
Unter meinen huschenden Fingerspitzen fühlte ich, wie der
winzige Flaum an ihrem Schienbein sich ganz leicht sträubte.
Ich verlor mich in der stechenden und doch gesunden Glut, die
wie Sommerglast um die kleine Haze hing. Ach, wenn sie doch so
bliebe, auf ewig so bliebe... Als sie sich reckte, um das Kerngehäuse
ihres abgenagten Apfels an das Kamingitter zu schleudern, veränderten
ihr junges Gewicht, ihre schamlos unschuldigen Schenkel und ihr
rundes Hinterteil in meinem gespannten,
gequälten, heimlich arbeitenden Schoß ihre Lage; und plötzlich
überkam meine Sinne eine geheimnisvolle Verwandlung. Ich gelangte
auf eine Seinsebene, wo nichts galt außer dem Lustextrakt, der
in meinem Körper gärte. Was als genußreiche Dehnung meiner innersten
Wurzeln begonnen hatte, wurde zum glühenden Prickeln, das jetzt
einen Zustand absoluter Sicherheit, Zuversicht, Zuverlässigkeit
erreichte, wie er im bewußten Leben nirgends sonst zu finden
ist. Nun, da die tiefe, heiße Süße gesichert und auf gutem Wege
zur äußersten Konvulsion war, wußte ich, daß ich langsamer machen
durfte, um die Glut zu verlängern. Lolita war ganz in sich selber
verstrickt. Die vorgestellte Sonne pulste in den bereitgestellten
Pappeln; wir waren wunderbar und wie nach himmlischem Plan allein;
ich beobachtete sie - rosig, golden bestäubt - hinter dem Schleier
meiner beherrschten Lust, die sie nicht wahrnahm, die ihr fremd
war, und die Sonne lag auf ihren Lippen, und ihre Lippen formten
anscheinend noch immer die Worte des Carmen-Barman-Singsangs,
welcher mein Bewußtsein nicht mehr erreichte. Alles war jetzt
bereit. Die Nerven der Lust waren bloßgelegt. Die Krauseschen
Endkolben gerieten in die Phase der Raserei. Der geringste Druck
würde genügen, das ganze Paradies zu entfesseln. Ich hatte aufgehört,
Humbert der Windhund zu sein, die traurig dreinschauende degenerierte
Dogge, die den Stiefel umklammert, welcher ihm gleich einen Tritt
geben wird. Ich war über die Drangsal der Lächerlichkeit erhoben,
den Vergeltungsmöglichkeiten entrückt. In meinem selbstgeschaffenen
Serail war ich ein strahlender, kraftstrotzender Türke, der,
seiner Verfügungsfreiheit voll bewußt, absichtsvoll den Augenblick
hinausschiebt, in dem er die jüngste und zarteste seiner Sklavinnen
genießen wird. Am Rande des Wollustabgrundes schwebend (eine
Feinheit des physiologischen Gleichgewichts,
die gewissen Techniken in Literatur und Musik vergleichbar ist),
echote ich fortwährend irgendwelche Worte - Barman, Erbarmen,
meine Carmen, Amen, Ahahamen -, wie jemand, der im Schlaf spricht
und lacht, und dabei glitt meine glückliche Hand, so hoch wie
der letzte Schatten von Anstand es nur irgend zuließ, ihr sonniges
Bein hinauf. Am Tage vorher hatte sie sich in der Diele an der
schweren Truhe gestoßen, und «sieh doch nur!» - keuchte ich -
«sieh nur, was du gemacht hast, was du dir da getan hast, ach,
sieh doch nur»; denn da war, ich schwör's, wirklich eine gelblichviolette
Stelle auf ihrem holden Nymphchenschenkel,
den meine mächtige, behaarte Hand massierte
und langsam umfaßte - und da sie nur sehr spärliche Unterkleidung
trug, schien nichts meinen muskulösen Daumen daran zu hindern,
die heiße Mulde ihrer Leiste zu erreichen - so wie man vielleicht
ein kicherndes Kind kitzelt und streichelt - nur so - und: «Ach,
das macht doch nichts», rief sie mit plötzlich schriller Stimme,
wand sich und drehte sich und warf den Kopf zurück, und sie biß
sich in ihre glitzernde Unterlippe, als sie sich halb von mir
wegwandte, und mein stöhnender Mund -
meine Herren Geschworene - erreichte fast ihren bloßen Nacken,
während ich die letzte Zuckung der längsten
Ekstase, die Mensch
oder Monster je zuteil wurde, an ihrer
linken Gesäßhälfte verebben ließ. - Vladimir Nabokov, Lolita.
Reinbek bei Hamburg 2003 (zuerst 1955)
Reibung (2) Es suchte mich eine Vision
heim, die meinem faszinierten Blick die Fußbodendielen aufdrängte,
auf denen tausend Kratzer ihre Spuren eingegraben hatten. Um
meine meditativen und halluzinativen Fähigkeiten zu unterstützen,
machte ich von den Dielen eine Serie Zeichnungen, indem ich auf
sie ganz zufällig Papierblätter legte und diese mit einem schwarzen
Blei rieb. Als ich intensiv auf die so gewonnenen Zeichnungen
starrte, da war ich überrascht von der plötzlichen Verstärkung
einer halluzinatorischen Folge von gegensätzlichen und übereinander
geschichteten Bildern. Meine Neugierde
erwachte, und staunend begann ich unbekümmert und voll Erwartung
zu experimentieren. Ich benutzte dazu alle Arten von Materialien,
die in mein Blickfeld kamen... Da taten sich vor meinen Augen
auf: menschliche Köpfe, Tiere, eine Schlacht, die mit einem Kuß
endet, Felsen, das Meer und der Regen,
Erdbeben, die Sphinx in ihrem Stall,
Pampas, Peitschenhiebe und Lavafäden,
Felder der Ehre, Überschwemmungen und seismische Pflanzen,...
der Schmaus des Todes, das Rad des Lichtes... Unter dem Namen
Naturgeschichte habe ich die ersten Resultate, die ich durch
die Prozedur der Frottage (Durchreibung) gewann, zusammengetragen.
— Ich bestehe darauf, daß die so gewonnenen Zeichnungen nach
und nach den Charakter des befragten Materials (z. B. des Holzes)
verloren haben, und zwar durch eine Serie von Suggestionen und
Transmutationen, die sich spontan aufdrängten, so wie es hypnagogischen
Visionen eigen ist. Und so nahmen diese Zeichnungen den
Aspekt von Bildern einer unerhofften Präzision an; wahrscheinlich
haben sie die erste Ursache der visionären Heimsuchung offenbart,
d.h. die Bilder, die ans Licht wollten, haben den Maler das Mittel
der Frottage finden lassen. - Max Ernst, nach: Walter Hess
(Hg.), dokumente zum verständnis der modernen malerei. Reinbek
bei Hamburg 1964 (rde 19)
Reibung (3) Da Diogenes häufig öffentlich
onanierte, sagte er: »Könnte man doch durch Reiben
des Bauches auch dem Hunger
ein Ende setzen.« - (
diog
)
Reibung (4) Ein Filmkritiker, Jean Douchet, hat etwas sehr Amüsantes gesagt: »In der ersten Szene von Psycho hat John Gavin einen nackten Oberkörper, Janet Leigh trägt einen BH, diese Szene befriedigt nur einen Teil des Publikums.
Das stimmt, Janet Leigh hätte den BH nicht tragen dürfen. Ich empfinde diese
Szene nicht als besonders unmoralisch, sie verschafft mir keine besonderen Emotionen.
Sie wissen ja, ich bin wie ein Junggeselle, das heißt ein Abstinenzler, aber
zweifellos wäre diese Szene interessanter gewesen, wenn die Brust
der Frau sich an der des Mannes gerieben hätte. - François Truffaut,
Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? München 1973 (zuerst 1966)
Reibung (5) Weißt du, sagte er, bevor ich schieße, brauche ich den Blitz, wie die antiken Feuerwaffen die Zündschnur und die modernen die Perkussion. Oder die Reibung, die Wärme entstehen läßt, und das wäre eigentlich der natürlichste Weg zwischen einem Mann und einer Frau, die spielen wollen.
Die Reibung, sagte Elisabella, du brauchst in meinem Haus nur etwas hin- und herzufegen. Solange du aber draußen bleibst und nur von der Reibung redest, passiert nichts.
Ich kann noch ein paar Seiten weit warten, sagte Elisabella, wir wollen aber die Sache nicht übertreiben, sonst wird es mir langweilig. Und er sagte, zuerst muß man die Wärme erzeugen, dann kommt die Explosion und der Schuß. Das hast du mir schon einmal gesagt, sagte sie, das habe ich längst begriffen.
Der Schuß auf der einen Seite, sagte der Boß, und auf der anderen der Rückstoß entsprechend der Antriebskraft, wie bei Pistole, Gewehr oder Kanone entsprechend der Ladung, die explodiert. Es ist überflüssig, sagte Elisabella, daß du mir alle diese Erklärungen über die Feuerwaffen, Pistolen, Gewehre oder Kanonen gibst, die amerikanischen Bazookas inbegriffen, ich warte nur darauf, daß du endlich kommst.
Elisabella begann zu seufzen, wart nur, jetzt will ich dich liebkosen, ich
legte mich vors Tor wie einer, der nicht wagt einzutreten aus Angst, daß man
ihn verprügeln wird. Ich will dich nicht verprügeln, sagte Elisabella, komme
herein, und du wirst sehen, wieviele frische duftende Blumen ich in meinem Garten
habe. - (
prot
)
Reibung (6)
Reibung (7)
If I were tickled by If I were tickled by the rub of love, Shall it be male or female? say the cells, Shall it be male or female? say the fingers If I were tickled by the lovers' rub This world is half the devil's and my own, And that's the rub, the only rub that tickles. And what's the rub? Death's feather on the nerve? |
Wenn mich der Liebe Wenn mich der Liebe Reibung kitzelte, Soll's Männchen oder Weibchen sein? fragen die Zellen Soll's Männchen oder Weibchen sein? fragen die Finger, Wenn mich die Liebesreibung kitzelte, Die Welt ist halb des Teufels, halber mein, Und daran hängt's, am einzigen Reiben, das kitzelt. Und woran hängt's? Am Nerv die Todesfeder? |
Reibung (8)
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