unger Gott
und die Wahrheit ruf ich zum Zeugen an, daß ich in Moskau mit eigenen Augen
Menschen gesehen habe, welche, auf der Straße liegend, wie das Vieh Gras
ausrauften und sich damit nährten. Bei den Toten fand man Heu im Munde.
Pferdefleisch war ein Leckerbissen; man aß Hunde,
Katzen, Luder und alle Arten von Unreinigkeiten;
Menschen wurden ärger als wilde Tiere, sie verließen Kinder und Weiber,
um den letzten Bissen nicht mit ihnen zu teilen. Sie raubten und mordeten
nicht nur für einen Bissen Brot, sondern es fraß
auch einer den anderen auf. Reisende fürchteten die Wirte, und die Wirtshäuser
wurden zu Mörderhöhlen; man erdrosselte, man erschlug die Schlafenden zu
gräßlicher Speise! Menschenfleisch ward in Pasteten auf dem Markt verkauft!
Mütter verschlangen die Leichname ihrer
Säuglinge! Die Verbrecher wurden hingerichtet, verbrannt, ins Wasser geworfen,
aber die Verbrechen verminderten sich nicht. Und zu derselben Zeit häuften
Bösewichte Getreide auf, in der Hoffnung, es noch teurer zu verkaufen.
- Karamsin, nach: Karl Corino (Hg.): Gefälscht! Betrug in Literatur,
Kunst, Musik, Wissenschaft und Politik. Frankfurt am Main 1990
Hunger (2) So weit ich in meinen Erinnerungen
zurückgehe, ich finde dort einen nie gestillten Hunger danach, alles kennenzulernen,
was lebt und was nicht lebt - aber lebt nicht alles,
wie ich versucht wäre zu glauben? Ich wäre gerne nicht nur ich selbst gewesen,
so jung und unbedeutend, sondern auch alle Menschen, die der Erde und die
des Meeres, der Schmied, der Gärtner, der Maurer
und die, die sich an die Sprossen der sozialen Leiter, von der so oft die
Rede ist, klammern, vom kleinen Lehrling, der ich für meinen Marquis war,
angefangen, vom höchsten und vom niedrigsten, bis hin zu der Prostituierten
der heißen Viertel, die ich mit Widerwillen so nenne, da ich die abfälligen
Bezeichnungen verabscheue, und bis hin zum Clochard an den Quais der Seine
oder in den Seehäfen. - Georges Simenon, Intime Memoiren. Zürich
1984, zuerst 1981
Hunger (3) Diner bei Charles Edmond
mit Herzen. . . . Herzen erzählt von Bakunin,
von den elf Monaten, die er, an eine Mauer angekettet, im Kerker verbracht
hatte, von seiner Flucht in Sibirien über den Amur, von seiner Rückkehr
über Kalifornien und seiner Ankunft in London, wo er Herzen schweißtriefend
einen feuchten Kuß gegeben habe. Seine ersten Worte seien gewesen: »Gibt
es hier Austern?« - EDMOND UND JULES DE GONCOURT, in: Unterhaltungen
mit Bakunin. Hg. Arthur Lehning. Nördlingen 1987
Hunger (4)
„Fern an den eisigen Küsten von Scythien liegt eine
Stelle, Gab sie der Nymphe, und die, durch
die Lüfte geführt auf der Göttin Was ihm Ceres befohlen, vollführte der Hunger, obgleich
er Friedlicher Schlummer umfächelt bisher Erysichthon mit sanftem
Hungernd hatte er schon in Bauches
Abgrund des Vaters „Du entreiß mich dem Herrn, der du einst meines Jungfrauentumes Da erkannte sie wohl, daß die Gabe des Gottes ihr fromme; Glauben schenkt ihr der Herr, kehrt um und stapfte betrogen
Doch als der Vater erkannt, daß der Leib seiner Tochter
verwandlungs- |
- (
ov
)
Hunger (5) Der Kommissar bemerkte eine höchst merkwürdige Eigenschaft des traurigen Detektivs: Dexter, der so mager war, daß ihm die Sachen um die Glieder schlotterten, hatte einen Magen von einem geradezu märchenhaften Aufnahmevermögen.
Er hatte sich kaum an den Tisch gesetzt, als er mit den vor Gier fiebernden Augen eines Hungernden auf die verschiedenen Platten stierte und kaum hörbar stammelte:
»Gestatten Sie?«
Diese Frage galt nicht etwa einem belegten Brot. Sie galt der ganzen Schüssel. Und während er ihren Inhalt hinunterschlang, blickte er ängstlich um sich, als fürchte er, beim Essen gestört zu werden.
Er aß, ohne zu trinken. Ein Riesenbissen nach dem anderen verschwand in seinem enorm dehnbaren Mund, mit einer Geschwindigkeit, daß man jeden Augenblick einen Erstickungsanfall befürchten mußte.
»Ich habe etwas gefunden«, stieß er mit vollem Munde hervor.
Und mit der einen Hand, die er nicht zum Essen brauchte, kramte er in seiner Manteltasche. Dann legte er ein zusammengefaltetes Blatt Papier auf den Tisch. Während der Kommissar es in die Hand nahm, fragte der Detektiv:
»Darf ich mir etwas Warmes bestellen? Es ist hier nicht teuer.«
Das Papier war ein Prospekt, wie ihn die Artisten früher in der Pause verkauften. Kein Bild auf Glanzkarton, wie die größeren Nummern es zu Reklamezwecken anboten, sondern ein stärkeres Blatt, etwas verblaßt. Die Worte darauf lauteten:
»J & J, die berühmten Musikhumoristen, die die Ehre hatten, vor allen Souveränen Europas und vor dem Schah von Persien aufzutreten.«
»Bitte seien Sie vorsichtig damit«, sagte der Clown, während er begann, Spiegeleier mit Speck zu essen. »Man hat es mir nicht geschenkt, nur geliehen.«
Die Idee, solch ein Stück Papier zu leihen, das jeder weggeworfen hätte, war allein schon komisch.
»Es gehört einem Freund von mir, der früher im Zirkus den komischen August machte. Das ist übrigens viel schwieriger, als man glaubt. Er hat es vierzig Jahre lang getan, und jetzt ist er an seinen Stuhl gefesselt. Er ist sehr alt. Ich habe ihn gestern abend besucht. Er schläft fast nie.«
Er sprach noch immer mit vollem Mund und schielte nach den Würstchen,
die einem Herrn am Nebentisch serviert wurden. Sie reizten anscheinend
seinen noch immer regen Appetit ebenso wie riesige Stücke einer glasierten
Cremetorte, bei deren Anblick Maigret übel wurde. - Georges
Simenon, Maigret in New York. München 1974 (Heyne Simenon-Kriminalromane
12, zuerst 1946)
Hunger (6) Ein normales Wesen ißt,
ruht sich dann eine gewisse Zeit aus, ißt dann wieder, ruht sich dann wieder
aus, ißt dann wieder, ruht sich dann wieder aus, ißt dann wieder, ruht sich
dann wieder aus, ißt dann wieder, ruht sich dann wieder aus, ißt dann wieder,
ruht sich dann wieder aus, und auf diese Weise löst es, bald essend, bald ruhend,
das schwierige Problem des Hungers und, ich glaube hinzufügen zu dürfen, des
Durstes, auf die beste Weise, die seine Fähigkeiten
und sein Vermögen ihm erlauben. Möge er ein schlechter Esser, ein mäßiger Esser,
ein großer Esser, ein Vegetarier, Naturmensch, Kannibale
oder Koprophile sein, möge er sich auf die Mahlzeit freuen oder sie nachher
bereuen oder beides, möge er gut ausscheiden oder schlecht ausscheiden, möge
er rülpsen, kotzen, furzen
oder sich infolge einer schlecht zugemessenen Diät,
eines angeborenen Leidens oder einer Verwöhnung im frühesten Kindesalter auf
andere Weisen nicht zusammenreißen können oder wollen, möge er, Jane, sagte
ich, einer oder mehrere oder alle oder mehr als alle von ihnen, oder aber möge
er andererseits keiner von ihnen sein, sondern etwas ganz anderes, wie es der
Fall wäre, wenn er beispielsweise sich auf einen Hungerstreik einließe oder
sich in einem katatonischen Stupor befände oder aus gewesen, seinen ärztlichen
Beratern wohlbekannten Gründen genötigt wäre, sich wegen seiner Ernährung dem
Klistier zuzuwenden, die Tatsache steht fest und kann kaum widerlegt werden,
daß er fortdauert mittels dessen, was wir Mahlzeiten nennen, ob sie nun freiwillig
oder unfreiwillig eingenommen werden, mit Vergnügen oder mit Schmerzen, mit
oder ohne Erfolg, durch den Mund, die Nase,
die Poren, durch den Speiseschlauch oder durch den Hintern
von unten nach oben mit Hilfe einer Spritze, das alles ist nicht wichtig, und
daß zwischen diesen Nährprozessen, ohne die das Leben, wie es allgemein aufgefaßt
wird, kaum fortdauern könnte, Perioden der Ruhe oder Entspannung ohne jede Nahrung
eintreten, es sei denn eventuell von Zeit zu Zeit bei Gelegenheit ein Gläschen,
eine Erfrischung oder ein Häppchen, die, wenn auch nicht unerläßlich, nichtsdestoweniger
willkommen sind, und zwar aufgrund einer unvorhergesehenen Beschleunigung des
Stoffwechsels infolge unvorhersehbarer Umstände wie zum Beispiel: eine verlorene
Rennwette, die Geburt eines Kindes, die Bezahlung einer Schuld, die Eintreibung
eines Lohns, die Stimme des Gewissens oder jede andere Erschütterung des Sympathikus,
welche die Ursache eines plötzlichen Ergusses von Chymus oder Chylus oder beidem
über die halbverdaute, langsam aber sicher erdwärts strebende Masse aus, zum
Beispiel, Sherry, Suppe, Bier, Fisch, Stout, Fleisch, Bier, Gemüse, Pudding,
Obst, Käse, Stout, Sardellen, Bier, Kaffee und Benediktiner ist, die leichten
Herzens vor wenigen Stunden erst höchstwahrscheinlich zu den Akkorden eines
Klaviers und eines Cellos hinuntergeschlungen wurden. Mary dagegen aß den ganzen
Tag. - (
wat
)
Hunger (7) Ein hungriges Huhn
traf auf der Wiese eine große Natter. Auch die Natter war hungrig. Die beiden
schauten sich an, dann begann das Huhn, nach der Natter zu hacken, um sie aufzufressen.
Diese sperrte das Maul auf und versuchte, den Kopf des Huhns zu verschlingen.
Beide starben durch Ersticken. -
(
ma
)
Hunger (8) Als die kleine Maus,
die in der Mäusewelt geliebt wie keine andere gewesen war, in einer Nacht unter
das Falleisen kam und mit einem Hochschrei ihr Leben hingab für den Anblick
des Specks, wurden alle Mäuse der Umgebung in ihren Löchern von einem Zittern
und Schütteln befallen, mit unbeherrscht zwinkernden Augen blickten sie einander
der Reihe nach an, während ihre Schwänze in sinnlosem
Fleiß den Boden scheuerten. Dann kamen sie zögernd, einer den andern stoßend,
hervor, alle zog es zu dem Todesort. Dort lag sie, die kleine liebe Maus, das
Eisen im Genick, die rosa Beinchen eingedrückt, erstarrt den schwachen Leib,
dem ein wenig Speck so sehr zu gönnen gewesen wäre. Die Eltern standen daneben
und beäugten die Reste ihres Kindes. - (
hochz
)
Hunger (9) Die Dichter, bei denen
Masson mich einführte, interessierten mich mehr als die Maler, denen
ich in Paris begegnet war. Ich wurde von den neuen Ideen davongetragen, die
sie brachten, und noch mehr von den Dichtungen, über die sie sprachen. Ich verschlang
sie nächtelang - Dichtungen vor allem in der Tradition von Jarrys ‹Surmâle›.
Als Ergebnis dieser Lektüre begann ich mich schrittweise von dem Realismus zu
entfernen, wie ich ihm bis zur ‹Ferme› gefolgt war, bis ich seit 1925 fast ausschließlich
nach Halluzinationen malte. In dieser Zeit lebte ich von ein paar getrockneten
Feigen am Tag. Ich war zu stolz, um meine Kollegen um Hilfe zu bitten. Hunger
war eine ergiebige Quelle für Halluzinationen. Lange vermochte ich dazusitzen
und schaute auf die leeren Wände meines Ateliers und versuchte, diese Gesichte
auf Papier oder Leinwand zu bannen. - Joan Miró, nach: Wieland Schmied, Zweihundert Jahre
phantastische Malerei. München 1980
Hunger (10)
Hunger (11) Ich kralle die nackte
Hand, deren Rinnen und Rillen mit nackter, feuchter, brauner Erde vollgeschwemmt
sind, in die Blumenkästen der Vorgärten und stopfe mir eine Hand voll fetter
Blumentopferde in den Speichel gefüllten Mund, ich greife nach jeder toten Fliege,
nach jedem nachtblinden Wurm, der seinen farblosen Leib durch den Kot der Pferde,
Hunde und Katzen windet, um sie mit Lippen, die vor Lust rauh sind und mit Zähnen,
die unter dem Giftpilz meiner irregeleiteten Sinne langsam dahinfaulen, hinunterzuschlingen.
- Peter O. Chotjewitz,
Der Ghoul von der Via del'Oca. In: (
schrec
)
Hunger (12) Seit heute früh schon stopfe ich mich voll. Hab bei Bolle die hellblauen Milchmarken eingelöst, die Gerd mir zu Weihnachten geschickt hat. Es war höchste Zeit. Die Verkäuferin schöpfte schon aus schräg gehaltener Kanne und sagte, nun komme keine Milch mehr nach Berlin. Das heißt Kindertod.
Gleich auf der Straße trank ich ein paar Schluck ab. Füllte mir daheim den
Magen mit Griesbrei und schickte einen Brotkanten nach. Theoretisch bin ich
so satt wie lange nicht. Praktisch quält mich tierischer Hunger. Vom Essen bin
ich erst richtig hungrig geworden. Bestimmt gibt es dafür eine wissenschaftliche
Erklärung. Etwa, daß Speise die Magensekretion anregt und die Säfte verdauungslustig
macht. Und wenn diese dann richtig in Schwung kommen, ist der kleine Vorrat
schon wegverdaut. Dann grollen die Säfte. - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen
vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin 2005 (zuerst 1954)
Hunger (13) Warum sie sich
im Namen aller am Hungertuch nagenden Teufel nicht an uns hielten - sie
waren dreißig gegen fünf - und es sich wenigstens einmal tüchtig schmecken
ließen, wundert mich heute noch, wenn ich darüber nachdenke. Sie waren
große, kräftige Männer, denen es nicht eigentlich gegeben war, die Folgen
ihres Tuns in Betracht zu ziehen — Männer voll Tapferkeit und Stärke, auch
jetzt noch, da ihre Haut stumpf geworden und ihre Muskeln nicht mehr hart
waren. Ich erkannte, daß hier etwas Hemmendes im Spiel war, eines jener
menschlichen Geheimnisse, die aller Wahrscheinlichkeitsrechnung spotten.
Ich betrachtete sie mit wachsender Anteilnahme - nicht etwa weil mir zu
Bewußtsein gekommen wäre, ich könnte binnen kurzem von ihnen verspeist
werden, obwohl ich gestehen muß, daß ich gerade damals gewahr wurde (unter
einem völlig neuen Aspekt), wie ungesund die Pilger wirkten, und daß ich
hoffte, ja, aufrichtig hoffte, mein Aussehen möchte nicht so — wie soll
ich es nennen? - so — unappetitlich sein: eine Spur phantastischer Eitelkeit,
die gut zu dem traumhaften Gefühl paßte, das damals meine Tage durchwaltete.
Vielleicht hatte ich auch ein wenig Fie,ber. Man kann nicht beständig mit
dem Finger am Puls leben. Ich hatte oft >ein bißchen Fieber< oder
einen Anflug von sonst etwas -die spielerischen Prankenhiebe der Wildnis,
das einleitende Geplänkel vor dem ernsteren Überfall, der dann auch zu
gegebener Zeit erfolgte. Ja, ich betrachtete sie, wie man ein jedes menschliche
Wesen betrachtet, neugierig, was ihre Impulse, Fähigkeiten, Schwächen sein
möchten, wenn sie auf die Probe eines unerbittlichen physischen Bedürfnisses
gestellt würden. Hemmung! Was konnte das für eine Hemmung sein? War es
Aberglaube, Abscheu, Geduld, Furcht - oder eine Art Primitiver Ehre? Keine
Furcht kann sich gegen den Hunger behaupten, keine Geduld ihn überdauern,
Abscheu gibt es einfach nicht, wo Hunger ist; und was den Aberglauben,
den Glauben und die sogenannten Grundsätze anlangt, so sind sie weniger
als Spreu im Wind. Wißt ihr nicht um die Teuflischkeit anhaltenden Hungerleidens,
um ihre zermürbende Folter, ihr düsteres und brütendes Ungestüm? Nun, ich
habe sie kennengelernt. Sie raubt einem Mann all seine eingeborene Willenskraft,
sich dem Hunger anständig zu widersetzen. Es ist wirklich einfacher, Verarmung,
Schande und die Verdammnis der eigenen Seele zu ertragen - als anhaltenden
Hunger. Traurig, aber wahr. Und diese Burschen hatten obendrein keinen
erdenklichen Grund zu irgendwelchen Skrupeln. Hemmung! Ich hätte ebensogut
von einer Hyäne Hemmungen erwarten können, die zwischen den Leichen
eines Schlachtfeldes umherstöbert. Doch hier stand ich vor einer Tatsache
- der Tatsache, die so verwirrend anzusehen war wie der Schaum auf den
Tiefen des Meeres, wie das Gekräusel eines unauslotbaren Rätsels, eines
Geheimnisses, größer noch — wenn ich es recht bedenke — als der merkwürdige,
unerklärliche Klang verzweifelter Trauer bei jenem wilden Tumult, der auf
dem Flußufer hinter der undurchdringlichen Weiße des Nebels an uns vorübergefegt
war. - Joseph
Conrad, Herz der Finsternis. Frankfurt am Main 1968
Hunger (14) »Aber wir haben doch so viel gemeinsam durchgestanden!«
»Wann?«
»Seit ich euch in dem Brunnenschacht gefunden habe.«
»Das mag ja stimmen, aber ich glaub nicht dran.«
»Und ich glaub auch nicht dran.«
»Ich aber bin es gewiß.«
»Sag das nicht, niemand ist niemals gewiß. Hast du nicht gesehen? Auch deine Frau ist eine andere, und die aus deinem Dorfe sind auch wieder andere.« »Warum legen nicht auch wir uns einen anderen Namen zu und fangen noch einmal von vorne an?« »Ja, geben wir uns einen anderen Namen.«
»Da mache ich nicht mit, ich will nicht noch einmal von vorne anfangen.«
»Warum?«
»Weil ich Hunger habe.«
»Eigentlich brauchte man keine Angst vor dem Hunger zu haben, es genügt doch zu essen.«
»Ich habe sagen hören, der Hunger komme beim Essen.«
»Dies widerfährt nur Königen, Päpsten und Kaisern.«
»Dann gehen wir doch essen.«
»Wo?«
Millemosche antwortet nicht einmal, er geht entschlossen auf eine Stelle
auf der anderen Seite des Flusses zu, die beiden anderen folgen ihm und stolpern
über die weißen Steine, die auf der Erde verstreut herumliegen, das heißt über
die Knochen der Toten. - Luigi Malerba, Tonino Guerra: Von Dreien,
die auszogen, sich den Bauch zu füllen. Berlin 1969
Hunger (15) Bösartige männer, die mit geschliffenen
säbeln und gezogenen hirschfängern durch die engen gedärme ziehen, eiserne hüte
tragen sie auch, sie haben schuhe an, kratzige wolfsfelle, gesträubte schnurrbärte,
schweinshauer, scharfen atem, sand an den händen, ihre pergamentenen marschbefehle
knirschen wie zerbrechendes marienglas, bunte reflexe ihr blick, ihre schatten
wie verdorbener essig, die stimmen wie räder auf gläsernen landstraßen, fingernägel
aus frischgegossenem zinn, über ihren stachelhüten raubvögel, die knirschend
die luft scheuern, grus gegen grus und nicht von der feinsten sorte dieser,
ihre rülpser vom klang brechender ochsenherzen, graugekantet ihre inter-jektionen,
jeder schritt ein hufschlag gegen den magen des horchers, ihre haut die fleischfarbene
dachpappe des hungers unter einem regen aus saurer milch und faulem menschenblut...
- (
hca
)
Hunger (16)
La rueda del hambriento Por entre mis propios dientes salgo humeando, Una piedra en que sentarme Siquiera aquella otra, Siquiera la que hallaren atravesada y sola en un insulto, Un pedazo de pan, tampoco habrá ahora para mi? |
Das Rad des Hungrigen Zwischen meinen eigenen Zähnen hervor komme ich rauchend, Es wird sich also kein Stein finden, Oder der andere, Oder wenigstens jenen, der tückisch und einsam in einer Beleidigung
steckt, Wird sich kein Stückchen Brot für mich finden? |
- César Vallejo, Gedichte. Frankfurt am Main 1963
Hunger (17)