Zucken  Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten. - Georg Büchner, Dantons Tod

Zucken (2)

Sichelwagen, so heißt es, bespritzt von rauchendem Mordblut
Schneiden bisweilen so überaus rasch die Glieder vom Rumpf ab,
Daß man das aus den Gelenken geschnittene Stück auf den Boden
Fallend und dort noch zappelnd erblickt, obgleich doch des Menschen
Geistige Kraft von dem Schmerz nichts spürt, da so plötzlich das Unheil
Kommt und der Geist sich zugleich in die Kampfwut gänzlich verrannt hat.
Noch mit dem Körperstumpfe begehrt er den Kampf und das Blutbad
Und er bemerkt oft nicht, daß die Räder und reißenden Sicheln
Seine Linke zugleich mit dem Schild vor die Rosse geschleudert.
Einer, der Mauern erklimmt, fühlt seiner Rechten Verlust nicht;
Aufstehn möchte ein andrer trotz abgehauenem Beine,
Während daneben sein Fuß noch sterbend zuckt mit den Zehen;
Auch wenn das Haupt von dem warmen und lebenden Rumpfe getrennt ist,
Zeigt es im Sand noch lebendigen Blick und geöffnete Augen,
Bis es die Reste der Seele hat allesamt von sich gegeben.
Ja, wenn du Lust hast, der Schlange, die naht mit züngelnder Zunge,
Drohend erhobenem Schwanz und sich langhin rollendem Leibe,
Beides, den Leib wie die Seele, durch Schwertstreich vielfach zu trennen,
Siehst du, wie alle die Stücke zerschnitten mit frischer Verwundung
Einzeln sich winden und eitriges Blut auf dem Boden zerstreuen,
Wie sie sich selbst abmüht, mit dem Maul ihr Ende zu fassen,
Um durch den Biß sich den brennenden Schmerz der Zerfleischung zu lindern.

Sollen wir demnach sagen, ein jedes der Stücke besitze
Seine Seele für sich? Dann würde sich hieraus ergeben,
Daß ein einzig Geschöpf viel Seelen im Leibe behauste.
Folglich ward nur die eine, die vordem da war, zerteilet
Mit dem Körper zugleich; drum muß man doch beide für sterblich
Halten, da Seele wie Leib gleichmäßig sich vielfach zerteilen.

- (luk)

Zucken (3) Die Aechtheit eines Freundes zu erproben, hat man, nächst den Fällen wo man ernstlicher Hülfe und bedeutender Opfer bedarf, die beste Gelegenheit in dem Augenblick, da man ihm ein Unglück, davon man soeben getroffen worden, berichtet. Alsdann nämlich malt sich, in seinen Zügen, entweder wahre, innige, unvermischte Betrübniß; oder aber sie bestätigen, durch ihre gefaßte Ruhe, oder einen flüchtigen Nebenzug, den bekannten Ausspruch des Rochefoucauld : dans l'adversité de nos meilleurs amis, nous trouvons toujours quelque chose qui ne nous deplait pas [Im Mißgeschick unserer besten Freunde finden wir immer etwas, was uns nicht unangenehm ist]. Die gewöhnlichen sogenannten Freunde vermögen, bei solchen Gelegenheiten, oft kaum das Zucken zu einem leisen, wohlgefälligen Lächeln zu unterdrücken.  - (schop)

Zucken (4) 1. Alles Fleisch der Tiere zuckt nach dem Tode um so länger, als das Tier kälter ist und weniger ausdünstet. Dies beweisen die Schildkröten, die Eidechsen, die Schlangen etc.

2. Die vom Körper getrennten Muskeln ziehen sich zusammen, wenn man sie reizt.

3. Die Eingeweide behalten lange ihre peristaltische oder wurmförmige Bewegung.

4. Eine einfache Warmwasser-Einspritzung belebt nach Cowper das Herz und die Muskeln.

5. Das Froschherz bewegt sich, besonders wenn es der Sonne ausgesetzt ist, noch besser auf einem Tische oder einem heißen Teller, während einer Stunde und noch mehr, sobald man es aus dem Körper herausgenommen hat. Scheint die Bewegung dann rettungslos verschwunden? Man reize bloß das Herz, und dieser hohle Muskel schlägt noch. Harvey hat dieselbe Beobachtung an Kröten gemacht.

6. Baco von Verulam spricht in seiner Abhandlung Sylva-Sylvarum von einem des Verrats überführten Manne, welchen man lebendig öffnete und dessen in heißes Wasser geworfenes Herz mehrere Male, immer weniger hoch, bis zur senkrechten Höhe von 2 Fuß sprang.

7. Man nehme ein Hühnchen noch im Ei; man entferne sein Herz und man wird dieselben Erscheinungen unter beinahe gleichen Umständen wahrnehmen. Die Wärme des Atems allein vermag ein Tier, welches in der Luftpumpe beinahe leblos gemacht ist, wieder zu beleben.

Dieselben Erfahrungen, welche wir Boyle und Stenonis verdanken, macht man mit Tauben, Hunden, Kaninchen, von denen einzelne Stücke des Herzens sich ebenso wie das ganze Herz bewegen. Eine gleiche Bewegung sieht man an den getrennten Pfoten des Maul wurfs.

8. Die Raupe, die Würmer, die Spinne, die Fliege, der Aal bieten der Betrachtung Ähnliches dar, und die Bewegung der abgeschnittenen Teile nimmt im heißen Wasser, wegen der in demselben enthaltenen Anfeuerung, noch zu.

9. Ein betrunkener Soldat hieb einem Truthahne den Kopf ab. Das Tier blieb stehen, dann ging es, lief; als eine Mauer ihm in den Weg kam, wandte es sich um, schlug mit den Flügeln, wobei es seinen Lauf fortsetzte, und endlich fiel es um. Auf dem Boden ausgestreckt, bewegten sich alle Muskeln dieses Hahnes aufs Neue. Das habe ich gesehen, und es ist leicht, nahezu dieselben Erscheinungen bei kleinen Katzen, oder Hunden, denen man den Kopf abgeschnitten, zu sehen.

10. Die Polypen bewegen sich nicht bloß, nachdem man sie zerschnitten; sie verwandeln sich binnen acht Tagen in eben so viele Tiere, als zerschnittene Teile vorhanden sind. - Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch eine Maschine. In: Künstliche Menschen. Hg. Klaus Völker. Frankfurt am Main 1994 (st 2293)

Zucken (5)   Nicht nur. daß das Geheimnis des Lebens im Tod liegt, sondern auch das Geheimnis des Lichts in der Dunkelheit, das Geheimnis des Guten im Schlechten, das Geheimnis der Wahrheit im Irrtum, das Geheimnis des Ja ist im Nein. Deshalb muß sich jeder Faust, der leben will, jede gierige Seele, die das Leben umarmen will, wie man eine Geliebte umarmt, um sie ganz zu spüren, ganz zu küssen, ganz zu genießen, auf das Sterben vorbereiten, muß sich in den Tod begeben. Wenn es uns — wenigstens für ein paar Augenblicke - gelingt, intensiv zu leben, werden wir gewahr, daß das Leben ein langsames Sterben ist und jede Wollust nur ein Zucken und ein Röcheln in dieser langen Agonie. - Giovanni Papini, Ein geistiger Tod. In. G.P., Der Spiegel auf der Flucht (Spiegelfluchten). Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis Borges

Zucken (6)  Trat der Vater in die Stube, wurde es darin ungemütlich. Auch wenn er nur am Fenster stand, befiel uns übrige eine Fahrigkeit, die uns in allem ruckhaft werden ließ. Nicht einmal die sitzende Schwester konnte dann ihre Macht behaupten; anstelle der Seelenruhe atemlose Starre. Und seine Unstetigkeit war ansteckend: In der großen Stube ein im Kreis gehender kleiner Mann, um den herum, je länger er so ging, immer mehr einzelne Augen, Köpfe und Gliedmaßen zu zucken anfingen. Oft führte zu solch einem Gerucke allein schon, daß er die Tür aufstieß, seinen Blick wunder Hoffnungslosigkeit gegen die Angehörigen abschoß und wieder verschwand, oder daß wir spürten, wie er reglos im Vorhaus stand, so als warte er dort gleichermaßen seinen Erlöser ab wie den Erdrutsch, der ihn samt dem Anwesen endlich verschütten sollte. Wir atmeten auf, sobald er in seiner Werkstätte war, aber auch von dort schollen seine Wutschreie herüber, unter denen wir, obwohl wir sie durch die Jahrzehnte gewohnt waren, noch immer zusammenfuhren; sogar der Arbeitsplatz, an dem er sich doch unabhängig und befreit hätte fühlen können, galt dem Vater nicht als Zuhause. - Peter Handke, Die Wiederholung. Frankfurt am Main 1992 (zuerst 1986)

Zucken (7)

Zucken (8) »Zücke nicht gleichgultig mit den Schultern. Morgen muss ich schon sagen: Morgen geht mein Flug.«

»Es ist seltsam, dass wir für shrugging kein deutsches Wort haben und so umständlich sagen müssen: Mit den Schultern zucken«, hätte Benjamin Lee Baumgartner fast gesagt. »Wo es doch im Grunde kein Zucken ist. Es ist mehr eine schnelle Hebe- und Senkbewegung, nicht aber schnell genug, um von einem Zucken zu sprechen, das ja auch überhaupt nicht zu der Ratlosigkeit passen würde, zu der resignativen Gleichgültigkeit, zu der trotzigen Einsicht, die man richtigerweise mit einem kurzen Anheben und Sinkenlassen der Schultern zum Ausdruck bringt, nicht aber mit einem nervigen Zucken.«

»Woran denkst du?«

»Zucken ist doch eine wesentlich schnellere, reflexhafte Körperreaktion, das Zucken eines Augenlides oder das epileptische Zucken des Körpers, das wir in wenigen Stunden erleben werden, wenn unsere jungen, so gut zueinander passenden Körper sich in Verzückung derart ineinander verschlungen haben, dass wir nur noch durch diesen elektrischen Notausgang in einige Stunden normalen Lebens entkommen, die wir kurz für Nahrungsaufnahme und lebenserhaltende Maßnahmen nutzen können, bis es wieder so weit ist und die gepeinigten Körper sich abermals suchen und in Verzückung verschlingen und verheddern werden.«

»Warum sagst du nichts?« Sie rüttelte ihn wie einen kaputten Automaten, der wenigstens das eingeworfene Geldstück wieder zurückgeben soll. »Hey! Was ist los mit dir? Hast du einen Gehirnschlag?«

»Ich bin auf einmal unsicher, ob es im Deutschen heißt: mit den Schultern zucken oder mit den Achseln zucken

»Ich habe auch schon gelesen mit den Achseln zucken. Aber es klingt disgusting

»Ungustiös

»Ungustiös. Very very ungustiös! Ich muss immer an deutsche Frauen denken, mit Haare-Achseln! Stört dich das nicht?«

Benjamin Lee Baumgartner zuckte mit den Achseln.  - Wolf Haas, Verteidigung der Missionarsstellung. Hamburg 2012

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