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brant
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Bauch (2) Er sprach nicht - er brüllte. Er klang, als sei er betrunken. Boris Lemkin war klein, rund wie eine Tonne, mit rotem Gesicht, weißem Haar und weißen buschigen Augenbrauen, unter denen ein Paar Knopfaugen hervorspähten. Er trug einen Smoking, ein rosa Rüschenhemd und Lackschuhe. Zwischen seinen dicken Lippen steckte eine Zigarre. Er reichte mir eine Hand, die an drei Fingern Ringe hatte, und schrie: »Schalom aleichem! Ich habe jedes Wort gelesen, das Sie geschrieben haben. Bitte verführen Sie meine Perl nicht. Sie ist alles, was ich besitze. Was wäre ich ohne sie? Weniger als nichts. Perl, Darling, gib mir etwas zu trinken, meine Kehle ist ganz trocken.«
»Später bekommst du etwas zu trinken. Jetzt werden wir erst essen.«
»Essen? Wer kommt auf eine solche Idee? Doch nicht am Silvesterabend.«
»Du wirst essen, ob du willst oder nicht.«
»Gut, wenn sie auf dem Essen besteht, wird gegessen. Sehen Sie meinen Bauch? Der könnte sich seinen Weg durch ein Lebensmittelgeschäft und einen Metzgerladen fressen und wäre immer noch nicht voll. Ich habe meinen Körper nach meinem Tode der Anatomie vermacht. Die Ärzte werden dort medizinische Wunder entdecken.«
Wir gingen in die Küche. Obwohl Boris dabei blieb, daß er nicht hungrig sei, schlürfte er gierig zwei Schalen Suppe. Er schmatzte und stöhnte, und Perl sagte: »Immer noch ein Schwein.«
»Ich hatte eine kluge Mutter«, sagte Boris, »und sie pflegte zu sagen: ›Berele, nimm, so lange du kannst. Im Grab kannst du nicht mehr essen.‹ In Bessarabien gab es ein Gericht ›Karnatzlech‹, und es gibt nur einen Menschen in Amerika, der dieses Gericht zubereiten kann, und das ist Harry. Sonst taugt er zu nichts, dieser Eunuch. Ihm kann man eine Fünfdollarnote geben und ihm einreden, es seien hundert Dollar, aber wenn es ums Kochen geht, dann kann der Chef des Waldorf-Astoria ihm nicht das Wasser reichen. Darin hat er einen Instinkt, wie ihn Gott nur Idioten verleiht. Wenn Harry sagt, kauf diese Aktie, dann zögere ich keine Sekunde; ich rufe meinen Börsenmakler an und sage ihm: kaufen. Und wenn Harry sagt, verkaufe, dann verkaufe ich. Er hat keine Ahnung vom Aktienmarkt - ›General Motors‹ nennt er ›General Mothers‹. Wie erklären Sie sich das?«
»Man kann nicht alles erklären.« - Isaac Bashevis Singer, Die
Silvesterfeier. In: I.B.S., Leidenschaften.
Geschichten aus der neuen und der alten Welt. München 1993. (zuerst 1975)
Bauch (3) Alle fünf Systeme
des menschlichen Körpers - Atmung, Blutkreislauf, Verdauung, Zeugung, Denkapparat
- erhitzen sich und kühlen sich ab, spannen und entspannen sich, füllen und
leeren sich zugleich. Will man sich also erhitzen oder abkühlen, feucht oder
trocken werden, den Kopf anfüllen oder entleeren, dann genügt es, den Bauch
in einen solchen Zustand zu versetzen. - (
hds
)
Bauch (4)
- Thomas Rowlandson
Bauch (5) Es
ist drei Uhr morgens, und wir haben zwei Schlampen
hier, die auf dem blanken Fußboden Purzelbäume schlagen. Fillmore geht nackt
mit einem Becher in der Hand umher, und sein Schmerbauch ist gespannt wie eine
Trommel, hart wie eine Fistel. All der Pernod, Champagner,
Cognac und Anjou, den er seit drei Uhr nachmittags hineingeschüttet hat, gurgelt
in seinem Wanst wie in einem Abflußrohr. Die Mädchen legen das Ohr an seinen
Bauch, als wäre er eine Spieldose, öffnen ihm den Mund mit einem Stlefelknöpfer
und stecken eine Münze in den Schlitz. - (krebs)
Bauch (6) Alle Bäuche,
ob von Tieren, Frauen, Männern, pulsieren wie die der Frösche. Man kann
das sehr gut im Cirkus sehen und es beweist besser als irgend etwas das
pulsierende Leben des Spektakels. -
(cirkus)
Bauch (7) Alles Wesentliche meiner
Mutter scheint in ihrem Bauch versammelt. Er ist das
Hervorragendste an ihr. Alles übrige ihrer Person dient ihm als Geleit, als
Schutz und Zierat, diesem Bauch. Sie ist voller Hochachtung für ihn, den sie
spazierenführt. Sie nennt einen jeden «mein Guter» oder «meine Gute», schon
von weitem, aus Furcht, man könnte ihr gegen den Leib rennen. Kurzsichtig, immer
auf der Suche nach dem Hindernis, das es zu vermeiden oder zu umgehen gilt,
muß sie alles betasten, und da sie alles mit großer Zu-tuHchkeit aus nächster
Nähe betrachtet, prallt alles auf den Teil ihrer selbst, den sie zu schützen
wünscht. Ich glaube, sie weiß nicht, daß sie schmeichelt. Sie schmeichelt, so
wie eine Alge ein wenig klebrig ist. Ja, sie wirkt auf mich, ich weiß nicht
warum, wie eine fette Pflanze. Ich glaube nicht, daß sie ein Tier ist. Nein,
sie ist eine Pflanze. Sie wird wohl sehr lange leben, ganz regungslos zuletzt,
blind und taub, nur der Bauch zittert noch ein wenig, eine wunderliche sanfte
Blüte, unter Laken verborgen zwischen ihren beiden bleichen Händen. - Marcel Jouhandeau, Das
Tagebuch des Friseurs. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
Bauch (8) Hunger leidt kein verzug. Der Hunger ist ein Ungar. Der bauch läßt sein nit vergessen. Der bauch ein großer schalck / machet uns alle zu schelmen. Der Bauch ist ein böser rath geb. Der bauch lert alle kunst. Es geschicht alles von des bauchs wegen / was die gantz welt redt und thut. Der bauch murrt und belt ohn underlaß / der seine recht so eben haben will / dass er alle glider zu allen wercken an treibt / nun dass ihm gnueg geschehe / Da treibt er die faulen zu allerley arbeyt / und so sie nit wöllen arbeyten / so frißt er all glider / und treibt sie biß an galgen / Ja hengt sich mit dran.
Der bauch macht dieb / hürn / mörder / verraether / daß der
bauch ist weich / ein beynloser gott / der gern isst aber nicht gern trescht
... -
(klueg)
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