Onkel   Im März 1979 tötete der türkische Angeklagte seinen türkischen Onkel, der ein Jahr vorher seine Frau vergewaltigt hatte. Die Ehe des Angeklagten war dadurch zerstört, denn seine Frau nahm ihm übel, daß es jemand aus seiner Familie war, der das getan hatte. Sie wollte sich scheiden lassen, und später versuchte sie sich umzubringen. An jenem Tag im März 1979 trafen sich die beiden Männer auf der Straße. Der Onkel verhöhnte den Neffen, protzte mit der Vergewaltigung seiner Frau, sagte, er werde auch ihn »vögeln« und umbringen. Der ging nach Hause, nahm eine Pistole, sagte seiner Frau, er werde den Onkel jetzt endlich erschießen, ging zu dem Lokal, wo er ihn vermutete, traf ihn dort auch, wie er mit drei anderen Karten spielte, grüßte, stellte sich an die Theke, war sich bewußt, daß der Onkel keinerlei Angriff von ihm erwartete, zog die Pistole, schoß auf ihn und traf ihn tödlich. Das Schwurgericht beim Landgericht Münster hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil 1981 aufgehoben und gesagt, es sei zwar ein Mord gewesen, aber er müsse milder bestraft werden. - Uwe Wesel: Fast alles, was Recht ist. Jura für Nichtjuristen. Frankfurt am Main 1992 (Die Andere Bibliothek 92)

Onkel   (2)  der zweite Sohn hatte eine Frau, Nina hieß die, sie war eine Riesin, liebte Samt und Rosoliolikör, und als sie eines Tages aus dem Brunnen Wasser schöpfte, wurde ihr schwindlig, sie stürzte hinunter, man fand sie erst eine Woche später, weil man zuerst glaubte, ein Student habe sie entführt, was damaliger Sitte entsprochen hätte, sie war schon aufgequollen und eklig, ach, Jungfrau Maria, das Leben ist trotzdem zum Verrücktwerden schön, mochte in die Familie nicht einheiraten, weil der Onkel ein religiös veranlagter Fanatiker war und ein schwärmerischer Verehrer unserer Berge, der die Erde küßte und die Zäune vor den Häusern niederriß, im Himmel gibt es angeblich keine Zäune, also dürfen auf der Erde auch keine sein, er war damals schon ein Prediger des Umackerns der Raine zwischen den Menschen, kniete auf dem Marktplatz herum und rief, die Liebe wird die Zäune zwischen den Menschen beseitigen! die Leute aber verstanden es anders, auf der Stelle gingen sie heim und legten sich mit den Frauen aufs Kanapee, am Ende erhängte sich der Onkel auf dem Friedhof am Grabkreuz seiner Mutter und der Pfarrer schimpfte, daß der Friedhof neu geweiht werden müsse  - (hra)

Onkel   (3) Onkel Ruka scheint ein untätiges und seltsam chaotisches Leben geführt zu haben. Seine diplomatische Laufbahn war denkbar vage. Er war jedoch stolz darauf, chiffrierte Botschaften in jeder der fünf Sprachen, die er beherrschte, fachmännisch entschlüsseln zu können. Einmal unterzogen wir ihn einer Prüfung, und im Handumdrehen verwandelte er die Folge «5.13 24.11 13. 16 9.13  5 5 13 24 11» in den Anfang eines berühmten Shakespeare-Monologs.

In einem blaßroten Jagdrock nahm er in England oder Italien an Parforcejagden teil; in einem Pelzmantel versuchte er, mit dem Auto von St. Petersburg nach Pau zu fahren; in einem kurzen, seidengefütterten Umhang wäre er bei einem Flugzeugabsturz an der Küste bei Bayonne fast ums Leben gekommen. (Als ich ihn fragte, wie der Pilot der zertrümmerten Voisin die Sache aufnahm, dachte er einen Augenblick nach und erwiderte dann ohne eine Spur von Unsicherheit: «II sanglotait assis sur un rocher.») Er sang Barkarolen und modische Verse {«Il se regardent tous deux, en se mangeant des yeux...», «Elle est morte en fevrier, pauvre Colinette!...» «Le soleil rayonnait encore, fai voulu revoir les grands bois...» und Dutzende anderer). Er komponierte selber Musik der lieblichen, plätschernden Art und schrieb französische Verse, die sich eigentümlicherweise als englische oder russische Jamben lesen ließen und von einer fürstlichen Geringschätzung der Annehmlichkeiten des stummen e geprägt waren. Er war ein meisterlicher Pokerspieler. - (nab)

Onkel   (4) Schon in seiner Kindheit gruselte Onkel Pepin sich gern. Um ins Städtchen zu gelangen, hatte er ein hübsches Stück Wegs der Brauereimauer zu folgen, hinter der die Ketten der angebundenen Pferde und Brauereiochsen rasselten, danach mußte er am Brauereigarten vorbei bis zur Elbe hinunter gehen und schließlich den Weg zwischen Holzschwemme und Feldern nehmen, bis ihm die Laterne beim ersten Gebäude den abenteuerreichen Weg erhellte. Olänek Kolärü und seine Freunde wußten, wie Onkel Pepin sich ängstigte, und legten sich in der Melde neben dem Weg auf die Lauer; die Mälzer waren auch nicht faul, und hatte Onkel Pepin, schweißnaß und froh, das Kettengerassel endlich hinter sich zu haben, an dem dunklen Abend die Ecke der Brauerei erreicht, wo der Wind, der vom Fluß heraufzog, an der Mauer pfiff und winselte, dann hißten die Mälzer mir nichts dir nichts an einer Stange flatternde Laken, worauf Pepin zum Fluß hinunter wetzte, und kaum erblickte er das erste Licht, dann fingen Olanek Kolaru und seine Freunde an, in der hohen Melde herumzukullern und zu rabascheln, und der Onkel hörte beim Näherkommen zu seinem Entsetzen menschliche Stimmen: Da kommt er... Er ist schon da... Habt ihr eure scharfen Messer dabei? ... Ganz leise, nur leise... Den bringen wir um! Und Onkel Pepin raste mit schlappender Zunge, wie er immer sagte, davon und machte erst beim nächsten Licht halt, doch wann immer er aus seinen Kneipen heimkehrte, lagen Olanek und seine Freunde wieder in der Melde am Weg, und wieder brummelten und beratschlagten sie halblaut: Da kommt er... Den bringen wir um! Onkel Pepin rannte zur Elbe hinab und kraxelte dann den Weg zur Brauereimauer herauf, wo sich nicht selten wieder ein am Stock wehendes Laken zu ihm herüberbeugte, wobei unmenschliche Jaultöne erschollen, was den Onkel veranlaßte, ohne Halt mit schlappender Zunge an den langen Brauereiställen entlangzurasen, wieder mit dem Gefühl, als lauerten hinter der Mauer Satanasse und rasselnde Ketten auf ihn... Und so stürzte er schweißgebadet zur Brauerei herein, und seine Rettung war die Bank vor dem Büro, wo wir mit Herrn Vanatko und seinem getreuen Hündchen Tricko meist bis in die Nacht saßen, und hier sank Onkel Pepin nieder und wischte sich den Schweiß ab und verschnaufte und erzählte, wie leicht er hätte ums Leben kommen können ...   - Bohumil Hrabal, Gotteskinder. In: Ders., Leben ohne Smoking. Frankfurt am Main 1993 (BS 1124, zuerst 1986)

Onkel (5)  Mein Onkel schwitzt reichlich. Sein Bauch ist eine Höhle für dicke Profite. Er trinkt seinem Hahn zu, ehe er loszieht, um Greueltaten in der Großen Schlucht zu verüben. Mein Onkel ist ein Mann von großer Stärke, ein Held und Rädelsführer, der König der Banditen. Er hat reichlich Glück und riesige Ohren. Sein Backenzahn ist so groß wie meine Faust. Frühmorgens am letzten Tag des Jahres stößt er das Tor seines Palastes weit auf und streckt seinen hochroten Daumen in den Hof hinaus. Er verbrennt sich schrecklich. Erstaunt schreit er auf. Seine Wut ist ein Lauffeuer, sie fegt durch das Ödland. Ein laut aufwogendes Gelächter füllt seinen Sombrero, und in seinen weiten Ärmeln findet ein Sandsturm statt. Er ist eine Springflut, ein Felsbrocken auf hoher See, eine kolossale Lüge. Nichts kann ihm Sorgen machen. Er täuscht sich sehr.  - (liu)

Onkel   (6)  Er war weder schrullig, schick noch lasterhaft; und wie sie den Büchern entnahm, die sie verschlang, hätte ein Onkel zumindest eine dieser Eigenschaften besitzen müssen, sonst war er überhaupt kein Onkel. Nur sehr selten realisierte dieser Onkel überhaupt, daß es sie gab. Meist ging er schweigend in seiner nachdenklichen Art seinen Beschäftigungen nach und tat in der Abgeschiedenheit seines Labors mit unmöglich aussehenden Instrumenten geheimnisvolle Dinge. Hin und wieder ließ er sich zu einer Explosion hinreißen. Daphne glaubte mittlerweile, daß diese Explosionen für ihren Onkel dasselbe bedeuteten wie für andere ein regelmäßiges Besäufnis. Sie waren ein Ventil für seine Gefühle, und Daphne bewunderte die Mäßigung, mit der er sie nur auf den einen Ort im Haus beschränkte. Daphne Lambert hatte öfter den Wunsch, die ganze Gegend in die Luft zu sprengen, besonders den Platz, den ihre Mutter, Vater und Bruder zufällig bewohnten.

Manchmal überraschte sie ihren Onkel dabei, daß er sie mit seinen dunklen, stechenden und immer forschenden Augen leicht erstaunt ansah. Dann überkam Daphne aus unerfindlichen Gründen ein gewisses Hochgefühl. In seinem Blick lag immer etwas boshaft Herausforderndes, eine Art abschätzige Reserviertheit.   - (goetter)

Onkel  (7)  Er hieß Gil Perez und war der älteste Bruder meiner Mutter und mein Pate. Stellt euch ein dreieinhalb Fuß hohes Männchen mit ungeheurem Speckwanst und tief zwischen den Schultern sitzendem Kopf vor, so habt ihr meinen Onkel. Im übrigen war er ein Geistlicher, der keine andere Sorge kannte, als gut zu leben, das heißt: üppig zu tafeln. Die Mittel dazu lieferte ihm seine Pfründe, die nicht zu den schlechten gehörte.

Kanonikus

Er nahm mich schon als kleines Kind zu sich und ließ sich meine Erziehung angelegen sein. Ich schien ihm so aufgeweckt, daß er sich entschloß, meinen Geist zu bilden. Zu diesem Ende kaufte er mir eine Fibel und unternahm es in eigener Person, mich lesen zu lehren. Das kam ihm selbst ebensogut zustatten wie mir; denn dadurch, daß er mir meine Buchstaben erklärte, kam er selber wieder zum Lesen, was nie seine Leidenschaft gewesen war, und durch angestrengten Fleiß brachte er es wirklich so weit, daß er sein Brevier vom Blatt lesen konnte. Das hatte er zuvor nie fertiggebracht. Herzlich gern hätte er mir auch die lateinische Sprache beigebracht; damit hätte er nämlich das Schulgeld gespart. Aber ach! der arme Gil Perez hatte zeitlebens selbst kein Jota davon verstanden. Er war vielleicht - denn für gewiß will ich es nicht behaupten - der unwissendste Kanonikus im ganzen Domkapitel. Auch habe ich mir sagen lassen, er habe seine Pfründe nicht sowohl seiner Gelehrsamkeit zu verdanken gehabt, als vielmehr einzig und allein der Erkenntlichkeit einiger gutherziger Nonnen, deren verschwiegener Liebesbote er gewesen und die ihm dank ihrem Einfluß ohne vorherige Prüfung zur Priesterweihe verhalfen. - Alain René Lesage, Geschichte des Gil Blas von Santillana. München 1959 (zuerst 1705 - 1735)

Onkel  (8)   Zazie  lachte kurz auf,  nahm dann, da es ihr schon zur Gewohnheit geworden war, durch den Stoff der Hose hindurch ein Stück Fleisch vom Oberschenkel ihres Onkels zwischen die Fingernägel und drückte mit einer schraubenden Drehbewegung zu — Scheiße nochmal, brüllte Gabriel, das ist kein Spaß mehr, verflixte Scheiße, dieses kleine Spiel, hast du das immer noch nicht kapiert?

— Onkel Gabriel, sagte Zazie friedlich, du hast mir noch nicht erklärt, ob du ein Hormosechsueller bist oder nicht, erstens, und zweitens, wo du all die hübschen Dinge in der fremden Sprache aufgegabelt hast, die du vorhin von dir gabst? Antworte.

— Du bist recht hartnäckig für ne kleine Kröte, bemerkte Gabriel mit matter Stimme.

— Antworte schon, sagte sie und trat ihm mit dem Fuß kräftig gegen den Enkel.

Gabriel begann auf einem Bein herumzuhüpfen und machte dabei Hokuspokus.

— Auuu, sagte er, auua, au.

— Antworte, sagte Zazie.

Eine Bürgerin, die in der Nähe herummarodierte, näherte sich dem Kinde, um ihm diese Worte zu sagen:

— Aber sieh nur mal, mein kleiner Liebling, du tust ihm ja weh, diesem armen Herrn. Man darf die großen Leute nicht so mißhandeln.

— Große Leute am Arsch, entgegnete Zazie. Er will mir nicht auf meine Fragen antworten.

— Das ist kein triftiger Grund. Die Gewalt, mein kleiner Liebling, soll in den zwischenmenschlichen Beziehungen immer vermieden werden. Sie ist äußerst verdammenswürdig.

— Verdammenswürdig am Arsch, entgegnete Zazie, ich hab Sie nicht gefragt, wie spät es ist.

— Sechzehn Uhr fünfzehn, sagte die Bürgerin.

— Wollen Sie die Kleine nicht endlich in Ruhe lassen, sagte Gabriel, der sich auf eine Bank gesetzt hatte.

—  Sie scheinen mir ja auch ein komischer Erzieher zu sein, Sie, sagte die Dame.

Erzieher am Arsch, war Zazies Kommentar.

— Sie brauchen sie ja nur sprechen zu hören (Gebärde), sie ist so was von ungehobelt, sagte die Dame und bekundete durch ihr Mienenspiel aufs lebhafteste, wie sehr sie das anwiderte.

— Kümmern Sie sich um Ihre Hinterbacken, sagte Gabriel. Ich habe meine eigenen Ansichten über Kindererziehung.

— Welche denn? fragte die Dame und setzte sich neben Gabriel auf die Bank.

— Zuerst einmal, primo, das Verständnis.

Zazie setzte sich auf die andere Seite Gabriels und kniff ihn in den Schenkel, nur so n bißchen.

— Und meine Frage, erkundigte sie sich zärtlich. Antwortet man mir nicht mehr auf meine Fragen?

— Ich kann sie schließlich nicht in die Seine werfen, murmelte Gabriel und rieb sich den Schenkel.

— Haben Sie Verständnis, sagte die Bürgerin mit ihrem bezauberndsten Lächeln. Zazie beugte sich vor, um zu ihr zu sagen:

— Werden Sie wohl bald aufhören, ihm die Speckschwarte zu streichen, meinem Onkel? Er ist nämlich verheiratet, müssen Sie wissen.

— Mademoiselle, Ihre Verdächtigungen sind nicht der Art, wie man sie einer Dame im Stande der Witwenschaft unterstellt.

— Wenn ich nur verduften könnte, murmelte Gabriel. - Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Frankfurt am Main 1999 (zuerst 1959)

Onkel  (9)  »Mein Herzblatt, er hat schon wieder Möbel gekauft.« Borgmann erhob sich in seiner Schüleruniform und machte vor Verlegenheit eine Verbeugung. Die Kellertür krachte. Im Flur polterten Stiefel und schurrte die Truhe. Die Stimmen Simon Wolfs und des rothaarigen Leikach dröhnten ohrenbetäubend. Beide waren betrunken.

»Bobka!« brüllte Simon Wolf, »rate mal, wieviel ich für diese Hörner gezahlt habe!«

Er schmetterte wie eine Trompete, und doch klang seine Stimme unsicher. Trotz seines Rausches wußte er, wie verhaßt uns der rothaarige Leikach war, der ihn zu allen diesen Käufen anstachelte und uns mit unnötigem, sinnlosem Trödelkram überhäufte.

Bobka schwieg. Leikach wisperte Simon Wolf etwas ins Ohr. Um sein Schlangenzischen zu übertönen und meine Erregung zu ersticken, schrie ich mit Antonius' Worten:

Noch gestern hätt' umsonst dem Worte Cäsars
Die Welt sich widersetzt: Nun liegt er da,
Und der Geringste neigt sich nicht vor ihm. O Bürger!   
Strebt' ich, Herz und Mut in euch
Zur Wut und zur Empörung zu entflammen,
So tat' ich Cassius und Brutus unrecht,
Die ihr als ehrenwerte Männer kennt . . .

In diesem Augenblick hörte ich etwas fallen. Es war Bobka. Ein Schlag ihres Mannes hatte sie zu Boden geworfen. Wahrscheinlich hatte Bobka eine bittere Bemerkung über die Geweihe gemacht.

Die tägliche Vorstellung begann. Simon Wolfs kupferne Stimme füllte alle Ritzen des Weltalls.

»Ihr saugt mir das Mark aus den Knochen«, schrie mein Onkel mit Donnerstimme, »das Mark aus den Knochen saugt ihr mir, um eure Hundeschnauzen zu stopfen! Die Arbeit hat mir die Seele aus dem Leib geschunden. Arbeiten kann ich nicht, Hände hab ich nicht, Beine hab ich nicht. Einen Stein habt ihr mir um den Hals gehängt, ein Stein hängt mir am Hals . . .«

Er überschüttete mich und Bobka mit jüdischen Flüchen, verhieß uns, daß uns die Augen ausrinnen würden, daß unsere Kinder im Mutterleib verfaulen würden, daß wir nicht dazu kommen würden, einander zu beerdigen, und daß man uns an den Haaren ins Massengrab zerren würde. - (babel)

Onkel  (10)  Der Onkel ging im Salon auf und ab. Sein seidenes Hemd hing ihm aus der Hose, und seine Krawatte, die er noch nicht gebunden hatte, hing in zwei langen Streifen auf die runde Brust des Fünfzigjährigen herab.

»Du solltest lieber nach Catania zurückkehren!« sagte der Onkel und blieb von Zeit zu Zeit vor dem Fenster stehen, wobei er bald die Windung des Tibers bei der Villa Glori, bald den Abhang der Villa Glori verdeckte. »Was machst du in Rom? Willst du das da bis ins letzte ergründen? Da gibt's nichts zu ergründen, versichere ich dir. Du bist Tag und Nacht damit zugange und verzehrst dich wie eine Kerze. Du hast ein ganz kleines Gesicht bekommen und bist immer todmüde wie ein Kater, der die ganze Nacht draußen gewesen ist! ... Zum Teufel! Mit den Frauen muß man maßhalten können. Man muß sie nur hinters Licht führen! Es ist ja leicht, sie zu täuschen, wenn man es nur ein bißchen gescheit anstellt. Ich bin sicher, daß du zu denen gehörst, die es sich ein Vermögen kosten lassen würden, wenn sie jede Nacht eine hohe Ziffer erreichten ... Ist es so, oder täusche ich mich?«

»Aber ich. . .«

»In gewisser Hinsicht, will ich mal sagen, hast du recht. Die Frauen streicheln dich mit der einen Hand, und mit der anderen rechnen sie. Aber es ist doch so leicht — Teufel auch! —, sie reinzulegen. Nur ein bißchen geschickt muß man sein. Gewiß gibt es auch Schlaue, die auf Kleinigkeiten achten, aber das ist die Schlauheit der Dummen, denn die klugen Frauen wissen, daß man auf ganz andere Dinge achten muß. Du mußt Schluß machen können, das ist es ... « - Vitaliano Brancati, Bell'Antonio. Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)

Onkel  (11)  Mein Onkel hob in einer Schublade eine große Anzahl Photographien und Umschläge auf. Mittendrin lag auch der Brief einer Deutschen, die durch ungewöhnliche Umstände hatte in Erfahrung bringen können oder sich in den Kopf gesetzt hatte, daß er, mein Onkel, ihren Sohn während einer Schlacht getötet hatte. »Werter Herr«, lautete der Brief, »ich kann Ihnen keinen Vorwurf machen, denn gewisse Dinge versteht auch eine Mutter. Doch wer weiß, bei wie vielen Schüssen Sie bislang Ihr Ziel verfehlt haben, wie oft Sie mit Ihrem Gewehr einen Stein getroffen haben. Er hieß Fritz und hatte kleine Hände. Oh, Signore, hätten Sie doch auch dieses Mal einen Stein getroffen!...« Es kam nicht häufig vor, daß mein Onkel diesen Brief noch einmal las, doch wenn er ihm zwischen die Finger kam, ging er mit ihm ans Fenster, überflog ihn, wobei seine Augen die Zeilen entlangliefen, und sagte dann ganz leise: »Mah!«  - Vitaliano Brancati, Pfeifen und Spazierstöcke. Nach (branc)


Onkel  (12)


Familie

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Knollennase