ruder Ich teilte mit meinem Bruder Robert das Zimmer. Sechs Jahre älter als ich. Das blonde Haar stark gewellt, wie die Wogen des Sees Genezareth, in der Bilderbibel, auf denen Jesus wandelt. Er behauptete, von mir gehe ein »pestilenzialischer Gestank« aus.
Er schnurkste ständig, so als zöge er von Zeit zu Zeit sein Uhrwerk auf.
Meine Mutter sagte dann: »Prost! Wisstu‘n Stück Brot?« Gern trug er Querbinder.
Die band er mit Geduld. Hinterher reckte er sich noch
ein Weilchen, als wollte er sagen: »Ich bin doch eigentlich recht staatsch.«
»Na, du Schleef?« sagte er, wenn wir uns auf dem Korridor begegneten.
- Walter Kempowski, Tadellöser & Wolff. Ein bürgerlicher Roman. München
1971
Bruder (2) 'Obwohl wir beide die gleichen Eltern haben,
so hat es doch Allah dem Erhabenen gefallen, uns in verschiedenen Gestalten
zu bilden und ihn seiner Schwester so unähnlich zu machen, wie es in sterblicher
Form nur geschehen kann. Überdies ist er tapfer und tatendurstig, und immer
sucht er etwas zu unternehmen und auszuführen, durch das er mir dienen kann;
und was er nur immer beginnt, das führt er mit großer Freude aus. Er hat eine
solche Gestalt und Form, wie der Sultan, dein Vater, sie beschrieben hat, und
er gebraucht als einzige Waffe nur die Keule aus Stahl. Sieh, ich will jetzt
sogleich nach ihm senden, aber erschrick nicht, wenn du ihn schaust!' Prinz
Ahmed gab zur Antwort: ,Wenn er in Wahrheit dein Bruder ist, was tut es dann,
wie er aussieht? Ich werde mich so freuen, ihn zu sehen, wie wenn man einen
werten Freund oder lieben Verwandten willkommen heißt. Warum sollte ich mich
fürchten, ihn anzuschauen? Wie Perî Banû diese Worte hörte, sandte sie
eine ihrer Dienerinnen fort, die ihr dann aus ihrem geheimen Schatze eine goldene
Räucherpfanne brachte; darauf befahl sie, ein Feuer in ihr anzuzünden, und nachdem
sie ein Kästchen aus Edelmetall, das mit Juwelen besetzt war, eine Gabe ihrer
Sippe, hatte kommen lassen, nahm sie etwas Weihrauch daraus hervor und warf
es in die Flammen. Alsbald entstand ein dichter Rauch, der hoch in die Luft
stieg und sich im ganzen Palaste verbreitete; wenige Augenblicke danach hielt
Peri Banu mit ihren Beschwörungen inne und rief: »Sieh da, mein Bruder Schabbar
kommt! Kannst du seine Gestalt erkennen?' Der Prinz schaute hin und erblickte
ein Männlein von Zwerggestalt, das nur drei Fuß hoch
war, mit einem Höcker auf der Brust und einem Buckel auf dem Rücken; doch trotzdem
trug er eine stolze Miene und ein hoheitsvolles Aussehen zur Schau. Auf seiner
rechten Schulter lag eine Keule aus Stahl, die
zweihundertundsechzig Pfund wog. Sein Bart war dicht
und zwanzig Ellen lang, aber so kunstvoll geflochten, daß er den Boden nicht
berührte; auch trug er einen langen gedrehten Schnauzbart,
der sich bis zu seinen Ohren hinauf kräuselte, und sein
ganzes Gesicht war mit langen Haaren bedeckt. Seine Augen
sahen ähnlich wie Schweinsaugen aus; sein Kopf, auf dem
er einen kronenartigen Haarwulst trug, war ungeheuer groß und hob sich gewaltig
gegen den winzigen Leib ab. - Tausendundeine Nacht, Die Geschichte von
dem Prinzen Ahmed und der Fee Perî Banû (271. Nacht, ff.)
Bruder (3) Das Tal von Los Hermanos beginnt an der Stelle, wo der Guadalquivir sich in die Ebene ergießt; es hat seinen Namen von drei Brüdern, die, mehr noch durch ihre Neigung zu Räubereien als durch Bande des Blutes verbunden, diesen Ort für lange Zeit zum Schauplatz ihrer Überfälle gemacht hatten. Von den drei Brüdern waren zwei gefaßt worden, und am Eingang zum Tal konnte man ihre Leiber am Galgen hängen sehen; der dritte hingegen, der sich Zoto nannte, war aus dem Gefängnis von Còrdoba entflohen und hatte sich, wie es hieß, in die Berge der Alpujarras zurückgezogen.
Recht seltsame Dinge erzählte man sich über die beiden gehenkten Brüder.
Man sagte zwar nicht, daß sie Gespenster seien, doch man behauptete, daß ihre
Körper, durch irgendwelche Dämonen wiederbelebt, sich nachts vom Galgen lösten,
um die Lebenden zu peinigen. Das galt als so gewiß, daß ein Theologe
von Salamanca eine Abhandlung geschrieben hatte, in der er bewies, daß die beiden
Gehenkten etwas Ähnliches wie Vampire seien und daß das eine nicht weniger glaubhaft
sei als das andere — was selbst die Ungläubigsten ohne weiteres zugaben. Es
lief auch ein Gerücht um, das besagte, die beiden Männer seien unschuldig und
nähmen - als zu Unrecht Verurteilte - mit Erlaubnis des Himmels Rache an Reisenden
und anderen Passanten. Ich hatte in Còrdoba viel darüber gehört und näherte
mich nun voller Neugier dem Galgen. Der Anblick war um so abstoßender, als die
gräßlichen Leichen, vom Winde bewegt, seltsam schaukelten, während schreckliche
Geier an ihnen zerrten, um Fleischfetzen abzureißen. - (
sar
)
Brüder (4) bedeuten im Hinblick auf die Traumausgänge
dasselbe wie Feinde; denn sie sind einem nicht von Nutzen,
sondern, wie die Feinde, von Schaden, weil jeder das, was er für sich allein
besitzen sollte, nicht allein, sondern nur halb oder
zum Drittel mit den Brüdern besitzt. Timokrates träumte, einer seiner Brüder
sei gestorben, und er begrabe ihn. Bald darauf erlebte er, wie einer seiner
Feinde starb. Doch bedeutet der Tod von Brüdern nicht nur den Untergang von
Feinden, sondern auch den Freispruch von einer befürchteten Geldstrafe. So träumte
der Grammatiker Diokles, der befürchtete, er werde wegen einer beleidigenden
Äußerung Geld einbüßen, sein Bruder sei gestorben. Er
bekam keine Geldstrafe. - (
art
)
Brüder (5) Aus unserm Grundsatz scheint zu folgen,
daß Söhne der selben Mutter gleiche Geisteskräfte haben und, wenn Einer hochbegabt
wäre, auch der andere es seyn müßte. Mitunter ist es so: Beispiele sind die
Carracci, Joseph und Michael Haydn , Bernhard und Andreas Romberg
, Georg und Friedrich Cuvier : ich würde auch hinzusetzen, die Gebrüder
Schlegel ; wenn nicht der jüngere, Friedrich, durch den in seinem letzten
Lebensviertel, im Verein mit Adam Müller getriebenen, schimpflichen Obskurantismus
[Dunkelmännertum], sich der Ehre, neben seinem vortrefflichen, untadelhaften
und so höchst ausgezeichneten Bruder, August Wilhelm, genannt zu werden, unwürdig
gemacht hätte. Denn Obskurantismus ist eine Sünde, vielleicht nicht gegen den
heiligen, doch gegen den menschlichen Geist, die man daher nie verzeihen, sondern
Dem, der sich ihrer schuldig gemacht. Dies, unversöhnlich, stets und überall
nachtragen und bei jeder Gelegenheit ihm Verachtung bezeugen soll, so lange
er lebt, ja, noch nach dem Tode. - Aber eben so oft trifft die obige Folgerung
nicht zu; wie denn z. B. Kants Bruder ein ganz gewöhnlicher Mann war.
- (
wv
)
Brüder (6) Mr. Earnshaw hatte eines Tages auf dem Markt des Kirchspiels zwei Hengstfüllen gekauft und jedem der beiden Knaben eines übergeben. Heathcliff hatte das schönere genommen; doch schon bald fing es an zu lahmen; als er dies bemerkte, sagte er zu Hindley:
«Du musst dein Pferd mit mir tauschen; ich mag meines nicht. Willst du nicht, so werde ich deinem Vater sagen, dass du mich diese Woche dreimal geschlagen hast, und ich werde ihm meinen Arm zeigen, der davon blau ist bis zur Schulter.»
Hindley streckte ihm die Zunge heraus und gab ihm eins über die Ohren.
«Du tätest besser sogleich, was ich dir sagte», beharrte Heathcliff, indem er sich nach dem Eingang flüchtete (sie befanden sich im Stall); «denn du wirst wissen, wenn ich von diesen Streichen rede, wirst du sie mit Zinsen zurückerhalten.»
«Drück dich, du Hund!» schrie Hindley, indem er ein Eisengewicht aufhob, das man beim Wägen der Kartoffeln und des Heus gebrauchte.
«Wirf es», erwiderte der andere, ohne sich zu rühren, «aber dann erzähle
ich, wie du geprahlt hast, du werdest mich, sowie dein Vater gestorben sei,
vor die Tür setzen, und wir wollen sehen, ob nicht du es sein wirst, der augenblicklich
hinausfliegt.» Hindley warf und traf Heathcliff mitten auf die Brust; dieser
fiel hin, stand aber sogleich taumelnd wieder auf, bleich und mit stockendem
Atem; und hätte ich ihn nicht daran gehindert, er wäre stracks zum Herrn gegangen
und hätte durch den Anblick, den er bot, und eine Anspielung auf den, der ihn
so zugerichtet, volle Genugtuung erlangt. «So nimm nun mein Pferd, Zigeuner!»
sagte der junge Earnshaw. «Und ich wünsche nur, dass es dir den Hals bricht;
nimm's und geh zum Teufel, zudringliche Bettelbrut! Und luchse meinem Vater
mit deinen Schmeicheleien alles ab, was er hat. Nur zeig dich ihm nachher als
das, was du bist - des Satans Handlanger. Da, nimm noch dies; ich hoffe, es
wird dir das Gehirn herausquetschen!» -
Emily Brontë, Sturmhöhe. Zürich 1973 (zuerst 1847)
Brüder (7) Der Veterinär war vor Entsetzen
regelrecht stumpfsinnig. Er fing an, wie ein Hampelmann im Stall
auf und ab zu stelzen, hob da und dort einer Kuh den Schwanz
hoch, rein aus alter beruflicher Gewohnheit, und stierte dabei seinen Bruder
mit blick- und ausdruckslosen Augen an. Honoré kochte immer noch vor Wut, und
es fehlte nicht viel, und er wäre aus dem Stall davongestürmt und hätte das
ganze Haus von seinem Wegzug verständigt, und das hätte ihn dann genötigt, seine
Drohung auch wahrzumachen. Die Verzweiflung seines
Bruders, die ihm nicht entging, hemmte seinen Schwung. Er zuckte die Achseln
und trat auf ihn zu. Ferdinand blieb ebenfalls stehen; er hielt noch einen Kuhschwanz
in der Hand und lächelte blöde. Honoré krampfte sich
angesichts dieses Lächelns das Herz zusammen, und er tat ihm leid. - Marcel
Aymé, Die grüne Stute. Reinbek bei Hamburg 1964 (rororo 402, zuerst 1932)
Brüder (8) Es waren drei Brüder: Jonathan, John und Andrew. John war bei der Stadt Wolverhampton als öffentlicher Ausrufer angestellt. Aber zur Zeit des Preston-Aufstandes quittierte er seinen Dienst und erwarb sich einen gewissen Ruf als Anführer des Pöbels, der den Betsaal der Quäker demolierte. Daraufhin wurde er als Aufrührer festgenommen, nach London gebracht und vorläufig der Aufsicht eines von der Regierung bestimmten Pflegers unterstellt. Dann wurde er in Stafford in Gewahrsam genommen und dem Grafschaftsgericht vorgeführt. Man sprach ihn schuldig, und das Urteil - öffentliche Auspeitschung und Gefängnishaft - wurde vollstreckt. John saß seine Strafe ab, wurde entlassen, konnte sich aber der Freiheit nicht lange erfreuen, denn vor rund vier Jahren starb er - fast zur gleichen Zeit wie seine Mutter; zwischen seinem und ihrem Tod lag nur ein Monat.
Der jüngere Bmder, Andrew, der Kleidungszubehör, insbesondere Schnallen herstellte, verließ seine Heimat und zog nach London. Welchem Gewerbe er dort nachging, soll uns hier nicht kümmern, da er noch am Leben ist Und da wir nicht seine Geschichte, sondern die seines älteren Bruders aufzeichnen, haben wir kein Interesse daran, Dinge aufzurühren, die aus irgend einem Grund bestimmte Personen ungünstig beeinflussen könnten. Wir wollen lediglich erwähnen, daß er zur Zeit als Schuldgefangener im Poultry Compter sitzt. So hat denn jeder der drei Brüder Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht, wenn auch jeweils aus einem anderen Grund.
Jonathan war, wie gesagt, der älteste Bruder. Er wurde um 1683 geboren und
war bei seiner Hinrichtung etwa zweiundvierzig Jahre
alt. - Daniel Defoe, Jonathan Wild. In: D.D., Romane in zwei Bänden. München
1968 (zuerst 1725)
Brüder (9) Salomon versuchte so schnell zu
gehen wie die andern. Da ihm das nicht gelang, fing er an zu trippeln, wovon
er einen Schluckauf bekam. Michael sang mit seiner
tiefen Stimme, auf die er stolz war, und zog die Blicke hochbrüstiger Frauen
auf sich, die seine Größe bewunderten, seine lockigen Haare, seinen wie ein
Bäckerhörnchen gebogenen Schnurrbart, seine massigen Fäuste, die starken Seilen
gleichen Muskeln seines Halses, seinen weißen Faltenrock, der nur bis zu den
Knien ging, seine langen, weißen, von einer dünnen, roten Schnur festgehaltenen
Wollstrümpfe, seine Schuhe mit der nach oben gebogenen Spitze, auf der eine
rote Troddel befestigt war, seinen breiten, roten Gürtel, aus dem die mit Silber
eingelegten Griffe seiner beiden antiken Pistolen hervorsahen, seine kleine,
mit Litzen und Knöpfen vergoldete Weste. Wenn er vorüberging, hörten die Kinder
auf herumzutoben und die tugendhaften Frauen, die auf dem Weg zum rituellen
Bad waren, schlugen die Augen nieder. Mattathias, der das Schlußlicht bildete,
ging mit vorsichtigen Schritten dahin, da er an einem Seil einen Magnet hinter
sich herzog, welcher dazu bestimmt war, die Stecknadeln oder Stopfnadeln zu
erfassen, die von leichtsinnigen und tugendlosen Frauen vielleicht verloren
worden waren. Mit einem umsichtigen und blauen Blick sondierte er die Rinnen
der Wege, wobei er manchmal stehenblieb, um »sehr saubere Stücke Brot« aufzuheben,
die von sündigen Menschen preisgegeben worden waren.
- (
eisen
)
Brüder (10) Einmal, erzählt man, war Gisli mit Bard und Thorkel zusammen unterwegs. Sie waren schon halb bis Granaskeid - so hieß Bards Hof - und als niemand sich eines Bösen versah, erschlug Gisli den Bard. Thorkel wurde zornig und sagte, Gisli habe unrecht getan; aber Gisli bat seinen Bruder, sich zu beruhigen: »Laß uns die Schwerter tauschen, und nimm du, das besser beißt«, sagte er und machte einen Scherz daraus. Da wird Thorkel ruhig und setzt sich neben Bards Leiche. Aber Gisli geht heim und erzählt es seinem Vater, und der war's zufrieden.
Es wurde niemals wieder ganz heiter zwischen den Brüdern. -
Gisli-Saga, nach: Die schönsten Geschichten aus Thule. München 1993.
Hg. H.M. Heinrichs
Brüder (11)
Fläßeslust und Geistesblust, die zwei abartigen Brüder der Köchin, treffen sich auf dem Ku-Damm. Fleißeslust ist willig und stark, Geistesblust wach, doch schwer von Begriff. Fleißeslust erzählt ein starkes Ding. Geistesblust faßt sich an den Kopf. Fleißeslust zückt ein Foto, auf dem ein anständiger Arbeitsplatz in unanständiger Position dargestellt ist. Beide schnalzen sie. Hierauf verführt Geistesblust Fleißeslust mir nichts dir nichts zu einem ausschweifenden Geistesfleiß. Währenddessen beugt sich im Altbau die Köchin über den Fleischtopf. Heiße Tränen fallen. |
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