unge  Eine gleichmäßig geformte, dem Mund angepaßte Zunge haben und klar und deutlich sprechen ist für jedermann von guter Vorbedeutung, während Nicht-sprechen-Können oder eine gebundene Zunge Stockung der Geschäfte und Armut bedeuten; denn die Armut raubt dem Menschen die Freiheit der Rede. Hier könnte man das Wort des Theognis anführen:

»Ja, wenn in Not hinschmachtet ein Mann, nie freut er des Wortes,
Nie sich der Tat, und der Zwang hält ihm die Zunge gelähmt.»

Eine geschwollene Zunge kündigt der Ehefrau des Träumenden, falls dieser verheiratet ist, Krankheit an, ist er es nicht, ihm selbst. Eine aus dem Mund heraushängende Zunge bedeutet Schaden infolge frecher Reden, häufig auch Verleumdung der Gattin des Träumenden als Ehebrecherin.

Glaubt man, Haare auf der Zunge zu haben, weiße oder schwarze, so ist es kein gutes Vorzeichen. Man behauptet zwar, Rednern von Beruf brächte es Glück, doch geht das Traumgesicht nach meiner Erfahrung für jedermann übel aus. Denn alles, was träge liegt und nicht abgenützt wird, fördert das Wachsen von Haaren, des Menschen Zunge darf aber nicht träge sein. Schwarze Haare beschleunigen, weiße verzögern die Traumerfüllung.

Meine persönlichen Ermittlungen hinsichtlich dieses Traumerlebnisses sind folgende: Öffentlichen Rednern versagte die Zunge ihren Dienst zum Reden, den übrigen Menschen zur Aufnahme von Nahrung; entweder lagen sie lange krank darnieder und konnten ihre gewohnte Kost nicht zu sich nehmen, oder die Krankheit raffte sie sogar dahin. Das bestätigt auch Apollonios aus Attaleia im zweiten Buch seiner Schrift, wo er ausführlich über dieses Traumgesicht spricht.

Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Haare aus der Zunge selbst, aus dem Gaumen, dem Zahnfleisch, aus den Zähnen oder den Lippen hervorgesprossen sind; es bedeutet immer dasselbe. - (art)

Zunge (2) Ich verfüge über eine außerordentliche Waffe. Wenige wissen sie zu nützen. Ich verfüge über eine außerordentliche Geschicklichkeit in der Zunge. Ich kann sie wie eine Schraube rollen, ich kann sie in horizontaler und vertikaler Richtung (in bezug auf die Achse des Gesichts) vibrieren lassen, ich kann sie in der Kehle zusammenziehen und dann wie einen Pfeil nach vorn katapultieren, ich kann sie auch leicht wie eine Angelrute schnellen lassen, ich kann sie während ein paar Minuten vollkommen unbeweglich halten und sie dann wieder mit so zuckenden Bewegungen, als wäre sie verrückt, angreifen lassen. Ich kann sie wie einen Teppich zusammenrollen und dann plötzlich aufrollen, ich kann sie wie einen Propeller drehen, wie eine Peitsche bewegen und wie ein Schwert zücken, ich kann sie wie ein Leintuch ausbreiten oder wie eine Fahne flattern lassen, ich kann sie hart wie Eisen oder weich wie eine Qualle machen. Um aber die größte Wirkung zu erzielen, muß man wie im Krieg vor allem das Uberraschungselement ausnützen. Und den Rhythmus.

Ohne den Rhythmus erreicht man nichts, man macht nur ein Durcheinander und sonst nichts. Der Rhythmus gehört nicht zu den Dingen, die man lernen kann, er ist eine Naturgabe, die man vervollkommnen kann, aber man muß begabt sein.

Wenn die Frau mitmacht, kann man auch den Champagnerpfropfen machen. Die Zunge wie einen Zapfen zusammenrollen, während die Frau ihre Zunge um die meine wickelt. Dann die Zunge mit einem heftigen Ruck zurückziehen. Das Vakuum erzeugt den Knall. Von außen hört man nichts, deshalb kann man es auch in der Öffentlichkeit machen. - Luigi Malerba, Die Schlange. München 1992 (zuerst 1966)

Zunge (3)

 Robert Crumbs Zunge

- Robert Crumb, Head Comix 1967

Zunge (4)

Zunge

- (forn)

Zunge (5)

- Aus: Songes drolatiques de Pantagruel, 1565, nach (fisch)

Zunge (6), von alters her als Leckerbissen berühmt und durch das Diktum der Salerner:

Reddit lingua bonum nutrimentum medicinae:

Nahrung, die gut wie Arznei, gibt die Zunge — auch noch mit dem Breve der Bekömmlichkeit versehen, zeichnet sich durch eigenartigen Wohlgeschmack und hohen Nährstoffgehalt aus und wird daher allerseits mit Zuvorkommenheit aufgenommen, beinahe ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Ochsen oder vom Büffel, vom Hammel, vom Schwein oder vom Rentier stammt. Südamerika bringt sogar geräucherte Pferdezungen in den Handel! In der Regel werden die Zungen, um ihnen die bekannte schöne Farbe zu geben, mit Salz und Salpeter eingelegt und dann geräuchert oder getrocknet. Man verwendet sie aber auch frisch und serviert sie gesotten, gedämpft oder geröstet mit mannigfachen Beigaben. Da sie kalt ebenso vortrefflich mundet wie warm, so bildet sie einen fast unentbehrlichen Bestandteil der »kalten Küche« und spielt namentlich bei Jagdmahlen und Gabelfrühstücken eine Rolle. Für einen ganz besonderen Schatz erachtet man die Karpfenzunge, die aber nicht jedem ins Maul fällt, der da möchte. - (ap)

Zunge (7) In Scheiben geschnitten schmeckt die Zunge trutzig bis Mitternacht; in Lappen verdaut ledern bis flandern. Jetzt erleben wir gleich einen kalten Aufschnitt, eine Art Pelz-Irritation, die Saugnäpf einzeln zu Berg, die Poren zu Tal, es bleibt nicht beim Geschmack. In haarscharfe Scheiben geschnitten übt die Zunge eine Zensur aus, da Diät, hie Diot. In der Mitte liegt holdes Bespeicheln. - (pas)

Zunge (8) Wenn ein falscher Zeuge entdeckt wurde, so behandelte man ihn ebenso schonungslos wie einen Ketzer. Als Zeichen seines Verbrechens wurden ihm zwei Stücke roten Tuches in der Form von Zungen auf die Brust und zwei auf den Rücken befestigt, die er lebenslänglich tragen mußte; er wurde während des Sonntagsgottesdienstes auf einem Gerüste dem Volke gezeigt und gewöhnlich lebenslänglich eingekerkert. Im Jahre 1322 wurde ein gewisser Wilhelm Maurs verurteilt weil er im Verein mit anderen Mitschuldigen Vorladungsbriefe der Inquisition gefälscht hatte in der Absicht, von den vorgeladenen Parteien Schweigegelder zu erpressen. Das Symbol der Zungen wurde bei ihm in das von Briefen um. gewandelt. - Henry Charles Lea, Die Inquisition. Hg. Joseph Hansen. Frankfurt am Main 1985 (Die Andere Bibliothek 6, zuerst 1887)

Zunge (9) Die Natur  hat von allen unseren Gliedern keines so behutsam umzäumt und umhegt wie die Zunge, indem sie die Zähne wie eine Wache vor ihr postierte. Wenn also die Vernunft die »prangenden Zügel des Schweigens« anziehen, die Zunge aber nicht folgsam zurückbleiben will, so sollen wir selbst mit blutigem Biß ihre Unbeherrschtheit zügeln. Denn nicht von den »unverschlossenen« Schatzkammern oder Häusern, sondern von »ungezügelten« Zungen sagt Euripides, Unglück sei ihr Ende. - (plu)

Zunge (10)  Daß sich nun erstlich der Geist im Herzen fasset und bricht durch alle Wachen bis auf die Zunge unvermerkt, das bedeutet, daß das Licht aus dem Herzen Gottes ist hervorgebrochen durch die äußerste, verderbte, grimmige, tote, bittere und herbe Geburt in der Natur dieser Welt, dem Tode und Teufel samt dem Zorne Gottes unbegreiflich, wie denn geschrieben stehet im Evangelio St. Johannes 1,5: Das Licht schien in der Finsternis; und die Finsternis hats nicht begriffen.

Daß aber die Zunge mit dem obern Gaumen das Maul zuschleußt, wenn der Geist auf die Zunge kömmt, bedeutet, daß die sieben Quellgeister der Natur in dieser Welt zur Zeit der Schöpfung durch den Zorn Gottes nicht sind erstorben gewesen, sondern lebendig und wacker. Denn die Zunge bedeut das Leben der Natur, in welchem die animalische oder heilige Geburt stehet, denn sie ist ein Vorbild der Seelen.

Daß aber der Geist die Zunge alsobald infizieret, wenn er auf sie kommt, davon sie einen Freudensprung tut und will noch vorm Geiste zum Maul raus, bedeutet, daß die sieben Quellgeister der Natur, welches die siderische Geburt heißet, als das Licht Gottes, welches der Tag heißet, und ihnen aufging, alsbald göttlich Leben und Willen bekommen haben und sich hoch erfreuet wie die Zunge im Maule.  - (boe)

Zunge (11)  In einer der Göttergeschichten heißt es: in rechter Hand, an einem Arm ihrer zehn Arme, die Sichel schon hoch, habe Kali in ihrer Raserei die Zunge gezeigt, als ihr (vielleicht durch Zuruf von außen) bewußt wurde, daß sie zuletzt ihrem Göttergatten Shiva, der, gleich Kali, Gottheit der Zerstörung ist, an die Gurgel wollte; Zunge zeigen als Zeichen von Scham. Seitdem ist Kali in Abbildern  käuflich: als bemalte Tonfigur, aufglänzenden Postern, zehnarmig, zehnfüßig, oft auch der Kopf vervielfacht, entsprechend die Zunge. Hängt den Lappen raus, bekennt Farbe. Ringsum, sagt die Legende, besorgt ihr Gefolge, zehntausend entfesselte Weiber, noch das allerletzte Kopfabgeschäft, da zögert sie, schont den schlafenden, wie immer nichtsahnenden Gott, läßt ihm sein traumseliges Lächeln und zeigt ihren Ausweis vor.

Ähnlich Einstein auf dem bekannten Foto. Es sollen ihn Journalisten provoziert haben. Seine - wie Kalis - Zunge ist übertrieben lang. Abgesehen von der hechelnden Zudringlichkeit einer Zunft, die mit Vorliebe von privaten Abfällen lebt, könnte Scham auch Einstein befohlen haben, die Zunge zu zeigen.  - Günter Grass, Zunge zeigen. Darmstadt 1988

Zunge (12)  Bislang waren die Cymothoa exigua nur aus dem Golf von Kalifornien bekannt. Die im ausgewachsenen Alter einige Zentimeter großen Asseln leben im Mund ihres Wirts anstelle von dessen Zunge. Dabei handelt es sich um den Roten Schnappen (Lutjanus guttatus), der zu den barschartigen Fischen zählt. Der Parasit frisst die Zunge des Fisches auf und setzt sich dann am verbleibenden Stummel fest.

Auf einen flüchtigen Blick kann der Parasit dann als Zunge verwechselt werden. Tatsächlich ersetzt er auch auf mechanische Weise mit seinem Körper und nach vorne gerichteten Augen die Zunge und ist so immer ganz vorne dran, wenn sein Wirt eine neue Beute gemacht hat. Offenbar scheint es für den Wirt besser zu sein, die Assel als Zunge zu haben, als keine mehr zu besitzen.

Die Assel gelangt als Larve in den Mund des Fisches und klammert sich mit Krallen an der Zunge fest. Sie ernährt sich vom Blut aus der Zunge und frisst mit, was der Fisch als Beute gemacht hat. Mit zunehmender Größe ersetzt sie einen immer größeren Teil der Zunge, bis nur noch ein Stummel übrig ist. Im weiteren Leben profitiert er von seinem Wirt, ohne ihn zu töten. In einer weiteren Besonderheit scheint die Assel zunächst männlich zu sein, aber dann zu einem Weibchen zu werden. - Florian Rötzer 16.09.2005

Zunge (13)  «Gehen wir gleich zu Pablos mujer. Wenn es so schlimm ist, wollen wir's hinter uns haben.»

«Ich möchte sie nicht stören», sagte Rafael. «Sie haßt mich sehr.»

«Warum?»

«Sie behandelt mich wie einen Tagedieb.»

«Wie ungerecht!» sagte Anselmo spottend.

«Sie kann Zigeuner nicht leiden.»

«Was für ein Fehler!» sagte Anselmo.

«Sie hat selber Zigeunerblut», sagte Rafael. «Sie weiß, was sie redet.» Er grinste. «Aber sie hat eine Zunge, eine ätzende Zunge, die beißt wie eine Ochsenpeitsche. Mit ihrer Zunge schindet sie einem die Haut vom Leibe. In Streifen. Sie ist unglaublich barbarisch - Ernest Hemingway, Wem die Stunde schlägt. Frankfurt am Main 1978 (zuerst 1940)

Zunge (14)  Der arme Junge bekam Prügel. Darüber wurde er so böse, daß er zu seinem Vater sagte: «Der Tag wird kommen, da Ihr mir die Füße waschen werdet!» Und zu seiner Mutter gewendet sagte er: « Und Ihr, Mutter, werdet mir das Handtuch reichen, um sie abzutrocknen.»

Von diesem Augenblick an haßten ihn Vater und Mutter, und sie mochten ihn nicht mehr um sich haben. Eines Tages befahlen sie daher einem Diener, ihn in den Wald zu führen, zu töten und seine Zunge auf einer Schüssel vorzuweisen. Der Diener tötete das Kind nicht, sondern band es mit einer Schnur an einen Baumzweig, die Füße nach oben und den Kopf nach unten. Dann tötete er einen Hund, der ihm in den Wald gefolgt war, und brachte dessen Zunge seiner Herrschaft auf einer Schüssel.

Das arme Kind schrie zum Steinerweichen.   - (bret)

Zunge (15)   Von der Zunge steht es fest, da durch ihre Hilfe die meisten Reiche dem christlichen Glauben unterworfen sind, daher auch der heilige Geist den Aposteln Christi in feurigen Zungen erschien. Auch an anderen weisen Predigern zeigt sich täglich die Zunge der Hunde, welche die Wunden und Schwären des kranken Lazarus leckten: nach dem Worte: „Die Zunge deiner Hunde, die aus den Feinden die Seelen reißen." Daher wurde auch der Leiter und Vater des Predigerordens in der Gestalt eines bellenden Hundes, der eine brennende Fackel im Maule trägt, dargestellt, damit er bis auf den heutigen Tag durch sein Bellen die ketzerischen Wölfe von den Herden der Schafe Christi zu vertreiben habe.

Es erhellt auch aus der täglichen Erfahrung, weil durch die Zunge eines klugen Mannes oft der Tod unendlich vieler Menschen verhindert wird, weshalb Salomon nicht mit Unrecht zu ihrem Lobe Sprüche 10 mehreres gedichtet: „Auf den Lippen des Weisen findet sich Weisheit" und ferner: „Auserlesenes Silber ist die Zunge des Gerechten, das Herz des Gottlosen gilt nichts;" ferner: „Die Lippen des Gerechten unterweisen sehr viele, die aber ungelehrt sind, werden sterben in der Dürftigkeit ihres Herzens." Der Grund davon wird ebendort angegeben, weil es Sache des Menschen ist, den Geist vorzubereiten und Gott die Zunge leiten muß.

Über die böse Zunge aber wirst du gesprochen finden Prediger 28: „Die dritte Zunge erregte viele und zerstreute sie von Volk zu Volk, vernichtete befestigte Städte und stürzte die Häuser der Großen." Es heißt dritte Zunge die Zunge derer, welche zwischen zwei entgegengesetzten Teilen unvorsichtig und tadelnswert reden. - Jakob Sprenger, Heinrich Institoris, Der Hexenhammer. München 1985 (dtv klassik, zuerst 1487)

Zunge (16)  Die Malteser sprechen eine eigene sprache, einen verdorbenen, wenig klangschönen maghrebinischen (nordafrikanisch-arabischen) dialekt, »ein brennendes idiom, dessen schreiende accente der kehle entströmen, sodass man glauben könnte, diese sprache sei ohne zunge und mit geschlossenem munde zu reden.« - Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005

Zunge (17)  1514 arbeitete der zweiundzwanzigjährige Pietro Aretino als kleiner Küchenjunge bei einer wohlhabenden Familie in Rom. Er hatte den Ehrgeiz, ein großer Dichter zu werden, seinen Namen in aller Munde zu bringen. Doch wie konnte ein bloßer Lakai darauf hoffen, einen solchen Traum zu verwirklichen?

In jenem Jahr empfing Papst Leo X. eine Gesandtschaft des Königs von Portugal. Im Gepäck hatte sie zahllose Geschenke; das augenfälligste war ein großer Elefant - der erste, der seit den Tagen des Imperiums wieder in Rom zu sehen war. Der Papst bewunderte das Tier, kümmerte sich um es und überschüttete es mit Geschenken. Doch der Elefant, der Hanno genannt wurde, erkrankte trotz der päpstlichen Fürsorge schwer. Der Papst ließ Ärzte kommen, die dem Elefanten 500 Pfund Abführmittel verabreichten, doch das nützte nichts. Das Tier starb, und der Papst versank in Trauer. Um sich zu trösten, beauftragte er Raffael, ein lebensgroßes Bildnis von Hanno für dessen Grab anzufertigen. Es trug die Inschrift: »Was die Natur genommen, hat Raffael mit seiner Kunst wiedererstehen lassen.«

Wenige Tage später kursierte ein Pamphlet in Rom, das viel Belustigung und Gelächter hervorrief. »Letzter Wille und Testament des Elefanten Hanno«, lautete sein Titel, und es enthielt Passagen wie: »Meinem Erben, dem Kardinal Santa Croce, vermache ich meine Knie, damit er meine Kniefälle nachmachen kann ... Meinem Erben, dem Kardinal Santi Quattro, vermache ich meine Kiefer, damit er die Kirchensteuern schneller verschlingen kann ... Meinem Erben, dem Kardinal Medici, vermache ich meine Ohren, damit er hören kann, was jedermann tut ...« Kardinal Grassi, berüchtigt für seine Geilheit, bekam das entsprechende, übergroße Teil des Elefanten zugesprochen.

Keinen der Großen Roms ließ das Pamphlet aus, nicht einmal den Papst. Und bei jedem zielte es auf seine am besten bekannte Schwäche. Es endete mit den Worten: »Sorge dafür, daß Aretino dein Freund ist / Denn als Feind ist er furchtbar. / Allein seine Worte können den großen Papst zu Fall bringen / Gott bewahre jedermann vor seiner Zunge.«  - (macht)

Zunge (17)  

die zunge ist im mund drinnen
sie ist darin enthalten 
sie spielt beim essen trinken und sprechen
eine wichtige rolle
auch beim küssen und spucken
sie läßt sich zeigen
durch öffnen des mundes
oder durch herausstrecken
sie kann lecken schlecken und aufschlecken
durch den speichel ist sie naß
man kann sie sich unverhofft abbeißen
sie bewirkt das schmecken

 - Ernst Jandl, Idyllen. Darmstadt 1989

Zunge (18)  „Denn ob sie auch schweiget", sagte ein weißbärtiger Bruder, „die Zunge ist doch allemal klein unter den Gliedern des Leibes und bewirket doch viel. Die Zunge kann kein Mensch bezähmen, sie ist zuchtlos und vom Übel, und ist voller Gift. Am Tage unseres Meisters wollen wir unsere Zungen reinmachen von allem Geschmack und sie reinigen von aller Lust und allem Ekel der Sinne, um sie zu bewahren und zu behüten für das höhere Geschäft des Lob- und Dankgesanges." - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

Zunge (19)

Zungenwerk

Dein seltsamer, stockender Singsang,
jahrzehntelang fortgesetzt,
und der Singsang des Andern
Flüstern, Summen, Keuchen, Stammeln –
wirre Wirbelstürme im Luftmeer:

Der gewandteste unter den Muskeln,
die Zunge allein – denke dir
eine einsame Zunge,
die sich vor dir auf dem Teller windet –,
die Zunge allein tut es nicht.

Seufzen, Murmeln, Schreien und Radebrechen –
»Qui la sua voce soave«, »Zu Befehl«,
»London Interbank Offered Rate«,
oder Verwickelteres
wie Koran oder Kosmologie:

Da geht es nicht ab ohne Blasebalg,
Ansatzrohr, Resonanzhöhlen;
da werden Knorpel gedreht, gekippt;
Deckel heben und senken,
Öffner und Schließer

spannen sich und erschlaffen,
Fasern, Membranen werden erregt,
immer so fort, innen,
im Andern, arbeitet es,
es arbeitet, innen, in dir:

eine Polsterpfeife, ein Zungenwerk,
unberechenbar, schwer verständlich,
ein chaotischer Oszillator,
immer so fort, bis ihr versteht,
oder bis euch die Luft ausgeht.

- Hans Magnus Enzensberger, Zukunftsmusik. Frankfurt am Main 1991

Zunge (20)  

Zunge (21)

Zunge (22, schwule)

- Jean Cocteau

Zunge (23)    Er verließ die Gruppe, begann alle laut schreiend mit Schimpfworten zu bedenken, mit dem Fuß aufzustampfen, in die Luft zu boxen, und ließ sich plötzlich zu Boden fallen, krümmte sich, und Schaum trat aus seinem Mund. Es war offensichtlich ein epileptischer Anfall, und in der Runde der Zuschauer fiel Helen auf, die umherrannte, sich ein paarmal auf Zehenspitzen dem am Boden liegenden Körper ihres Mannes näherte, um dann wieder zurückzuweichen und bei den Zuschauern Zuflucht zu suchen. Carvalho versuchte, seiner Aufforderung Gehör zu verschaffen, man solle ihm die Zunge festbinden, aber keiner hörte auf ihn, und als er sich anschickte, sich mit dem Gürtel seines eigenen Schlafrockes in der Hand auf den Schweizer zu stürzen, eilte Heida mit einer Gruppe von Sanitätern im Laufschritt herbei. Unter ihnen befanden sich auch Dr. Gastein und der kräftigste der Masseure. Sie umringten den Körper des Schweizers, schoben ihm einen metallischen Gegenstand in den Mund, den er nicht verschlucken konnte und der gleichzeitig verhinderte, daß er sich auf die Zunge biß. Während sie ihn festhielten, gab ihm Heida eine Beruhigungsspritze in seinen birnenförmigen, weißen Hintern voller Pickel und Haare, die dort kabbalistische Zeichen bildeten.  - Manuel Vázquez Montalbán, Wenn Tote baden. München 2003

Zunge (24)

- Apollonia Saintclair

Zunge (25)  Die Zunge ist der Dolmetsch der Seele, sie gibt auf Fragen Bescheid, ermahnt zum Guten, tröstet im Bösen, gibt Aussprüche getreulich wieder, vermittelt Freundschaften, ist für die Ohren angenehm, leistet uns in der Einsamkeit Gesellschaft, eifert, wenn sie überzeugen will, und leiht uns Worte, damit wir uns mitteilen können. Ich sehe von vielen anderen Vorzügen ab, die zwar materieller, doch ziemlich unentbehrlich sind, zum Beispiel, daß die Zunge Speisen hin und her bewegt, damit sie kälter werden, wenn sie sehr heiß sind, oder sich erwärmen, wenn sie . kalt sind, und so zum Magen fahren, daß er sie gut vertragen kann. Jedoch wie eklig und geifernd wäre der Mund, wenn es keine Zunge gäbe, um den Speichel festzuhalten, der unwillkürlich dem Gehirn entträufelt und aus dem Magen hochsteigt? Wie könnte man den Schleim aus der Brust nach oben ziehen, wenn nicht die Zunge nachhülfe? Wer möchte bestreiten, daß sie angenehm ist, wenn sie bittet, und unangenehm, wenn sie etwas abschlägt? Sie ist für das Materielle wunderbar geeignet.

Wer vermöchte indessen auf irgendeine Weise die Eigenschaften der Zunge zu nennen, selbst wenn sie ihren freien Willen hätte und über sich selber reden konnte, ohne von einem anderen Organe abzuhängen? Einige sagen, sie gleiche einer Lanzenspitze, und täuschen sich, weil eine Lanzen-spitze weder in der Breite so breit noch am Ende so spitz ist.

Mir scheint sie einem Schlangenkopf zu gleichen, und wer das einsehen möchte, mag sie betrachten, während er sich in einem Spiegel ansieht, und er wird finden, was ich sage: auc]hwird er sehen, wie leicht sie sich bewegen kann, schneller al alle übrigen Glieder des Leibes; wie sie aus eigener Kraf länger und breiter wird, wie behende sie im Munde auf- um niederhüpft und sich von einer Lippe zur anderen bewegt wie sie herausspringt und wieder zurückschnellt, ohne daf man sieht, wodurch sie sich lang macht oder wohin sie zu rückweicht; und wenn man sie mit allen diesen Akzidentien betrachtet, sieht sie einer Viper ähnlich, die an der Öffnung ihrer Höhle liegt, um hervorzuschnellen oder nicht hervorzuschnellen. Und schließlich schnellt sie hervor und hat zu ihrer Wache und Verteidigung die beiden Mauern der Zähne und der Lippen, die ihre Freiheit im Reden behindern; aber deswegen läßt sie nicht davon ab, alles zu sagen, was man ihr befiehlt, und manchmal weit mehr, als man ihr befiehlt. Ein schmähliches Laster, das man gewöhnlich bei sehr gemeinen Leuten wie Fischhökerinnen und Waschweibern findet; und wenn es Männer sind, gleichen sie ihnen nach Herkunft und Gewohnheit, und bedächten sie, welche Bedeutung das für die Ruhe ihres Lebens und für die Sicherheit ihres Todes hat, dann möchten sie lieber verstummen als so viel und dabei so viel Übles zu reden. Tausendmal habe ich überlegt, weshalb man solche Menschen lose Zungen nennt, obgleich sie derart fest an ihrer Zunge hängen. Und wenn ich die anderen Gründe übergehen darf, so meine ich, daß die Betreffenden so viel und so übel reden, weil sie möchten, daß ihre Zunge durch  Reden verschleißt und hinunterfällt,  und deshalb nennt man sie lose Zungen, obgleich noch immer wahre Seezungen, ja Schollen fest in ihrem Rachen sitzen; dem, der unter ihnen zu leiden hat, werfen sie nämlich viele Schollen auf den Sarg. - Vicente Espinel, Das Leben des Schildknappen Marcos von Obrégon. In: Spanische Schelmenromane, Hd. Horst Baader. München 1965

Nase Träume
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