itwe   Ein Verwandter des Herrn Herzogs von Saint-Simon, den man den Einäugigen Dupont nannte, hatte eine Alte geheiratet. Er raste vor Wut, daß er mit ihr schlafen mußte: er war unterwegs, sooft er konnte; sein Nachtquartier nahm er immer zwei oder drei Meilen entfernt von zu Hause; anderntags kam er spätabends nach Hause und versäumte nie, irgendeinen Morast zu durchqueren, um glaubhaft zu machen, daß er rechtschaffen müde sei (oder daß er sich bei einem Sturz verletzt habe); dies alles, damit sie glaubte, er habe einen langen Weg zurückgelegt, um sie zu sehen. So fand er also diese Nacht ein Mittel, allein zu schlafen, denn er begab sich gleich nach seinem Eintreffen zu Bett. Anderntags ließ er ein unvermutetes Geschäft dazwischenkommen und machte sich solcherart davon, so gut er konnte. Er besaß einen Diener, der genau richtig war für die Tändelei; er konnte seine Sache aber nicht so gut machen, daß die Alte ihn nicht begraben hätte und noch einen anderen nach ihm. - (tal)

Witwe (2) Ich hatte Madame de Jadelle im letzten Winter in Paris kennengelernt. Sie gefiel mir sofort ungemein. Sie kennen sie übrigens ja ebenso gut wie ich ... nein ... mit Verlaub ... fast so gut wie ich ... Sie wissen, wie sprunghaft und zugleich poetisch sie ist. Frei im Benehmen und empfänglichen Herzens, willkürlich, selbständig, kühn, waghalsig, nun ja: über jedes Vorurteil erhaben und dabei doch empfindsam, feinsinnig, schnell verletzlich, zart und schamhaft.

Sie war Witwe, ich schwärme für Witwen, aus Faulheit.

Nun, ich war aufs Heiraten aus, ich machte ihr den Hof. Je näher ich sie kennenlernte, desto besser gefiel sie mir; und ich hielt es an der Zeit, meinen Antrag zu wagen. Ich war in sie verhebt und wurde es mittlerweile allzu sehr. Wenn man heiraten will, soll man seine Frau nicht übermäßig heben, weil man dann Dummheiten begeht; man stürzt sich in Peinlichkeiten und wird so blöde wie brutal. Man muß sich immer noch bezwingen können. Wer am ersten Abend den Kopf verliert, darf gewärtig sein, daß er ihn ein Jahr darauf verziert bekommt.

Eines Tages also stellte ich mich mit hellen Handschuhen bei ihr ein und sagte: »Madame, ich habe das Glück, Sie zu lieben, und möchte Sie fragen, ob ich einige Hoffnung hegen kann, Ihnen zu gefallen, wenn ich mir alle Mühe gebe, und Ihnen meinen Namen antragen darf.«

Sie antwortete seelenruhig: »Wie eilig Sie es haben, Monsieur. Ich weiß durchaus nicht, ob Sie mir früher oder später gefallen werden; aber ich wüßte mir nichts Besseres, als die Probe daraul zu machen. Als Mann finde ich Sie nicht übel. Bleibt zu erfahren, wie Ihr Herz, Ihr Charakter, Ihre Gewohnheiten sind. In den meisten Ehen gibt es entweder Sturm oder Betrug, weil man sich unzureichend kennt, wenn man sich verbindet. Es genügt eine Kleinigkeit, eine eingewurzelte Manie, eine starrsinnige Meinungen über irgendeinen Punkt der Moral, der Religion oder  was immer, irgendeine Verhaltensweise, die mißfällt, ein Tick, ein ganz kleiner Mangel oder eine unliebsame Eigenschaft, daß aus den zärtlichsten und leidenschaftlichsten Brautleuten unversöhnliche, erbitterte und fessellose Feinde bis in den Tod werden.

Ich will nicht wieder heiraten, Monsieur, ehe ich den Mann, mit dem ich mein Leben teilen möchte, nicht gründlich, bis in sämtliche Winkel und Falten seiner Seele kenne. Ich will ihn in Muße studieren, aus der Nähe und über Monate hin.« - (nov)

Witwe (3) Der Geruch von Alkohol hing in dicken Schwaden im Zimmer.

Die Frau des Metzgers betrachtete ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck, als ob sie noch am Tod ihres Mannes zweifelte. Aber trotzdem schien sie erleichtert, ja fast heiter.

»Ich nehme an, daß Sie über alles unterrichtet sind?«

Sie nickte, und es war nicht aus Kummer, daß ihre Augen so leuchteten.

»Ihr Mann ist tot. Jemand hat ihn getötet.«

»Ich habe mir immer gedacht, daß das eines Tages passieren würde!« stieß sie mit heiserer Stimme hervor.

Sie lachte kurz, und Maigret erkannte, daß sie noch betrunkener war, als er zunächst geglaubt hatte.

»Hatten Sie mit einem Mord gerechnet?«

»Bei ihm mußte ich auf alles gefaßt sein.«

Mit einer Handbewegung wies sie auf das unordentliche Bett und das noch nicht aufgeräumte Zimmer und stammelte:

»Entschuldigen Sie bitte.«

»Sie hatten nicht das Bedürfnis, herunterzukommen?«

»Was soll ich da?«

Plötzlich wurden ihre Augen scharf und aggressiv.

»Ist er wirklich tot?«

Als er nickte, ließ sie ihre Hand unter die Bettdecke gleiten und zog eine Flasche Schnaps hervor. Sie setzte sie an die Lippen.

»Auf sein Wohl«, sagte sie übermütig. - Georges Simenon, Maigret erlebt eine Niederlage. München 1972 (Heyne Simenon-Kriminalromane 20, zuerst 1956)

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