ritiker
Lessing
war der literarische Arminius der unser Theater von Fremdherrschaft
befreite. Er zeigte uns die Nichtigkeit, die Lächerlichkeit,
die Abgeschmacktheit jener Nachahmungen des französischen
Theaters, das selbst wieder dem griechischen nachgeahmt schien.
Aber nicht bloß durch seine Kritik, sondern auch durch
seine eignen Kunstwerke, ward er der Stifter der neuem deutschen
Originalliteratur. Alle Richtungen des Geistes, alle Seiten des
Lebens, verfolgte dieser Mann mit Enthusiasmus und Uneigennützigkeit.
Kunst, Theologie, Altertumswissenschaft, Dichtkunst, Theaterkritik,
Geschichte, alles trieb er mit demselben Eifer und zu demselben
Zwecke. In allen seinen Werken lebt dieselbe große
soziale Idee, dieselbe fortschreitende Humanität, dieselbe
Vernunftreligion, deren Johannes er war und deren Messias wir
noch erwarten. Diese Religion predigte er immer, aber leider
oft ganz allein und in der Wüste. Und dann fehlte ihm auch
die Kunst den Stein in Brot zu verwandeln; er verbrachte den
größten Teil seines Lebens in Armut und Drangsal;
das ist ein Fluch, der fast auf allen großen Geistern der
Deutschen lastet, und vielleicht erst
durch die politische Befreiung getilgt wird. Mehr als man ahnte
war Lessing auch politisch bewegt, eine Eigenschaft die wir bei
seinen Zeitgenossen gar nicht finden; wir merken jetzt erst was
er mit der Schilderung des Duodezdespotismus in »Emilia
Galotti« gemeint hat. Man hielt ihn damals nur für
einen Champion der Geistesfreiheit und Bekämpfer der klerikalen
Intoleranz; denn seine theologischen Schriften verstand man schon
besser. Die Fragmente »Über Erziehung des Menschengeschlechts«,
welche Eugène Rodrigues ins Französische
übersetzt hat, können vielleicht den Franzosen
von der umfassenden Weite des Lessingschen Geistes einen Begriff
geben. Die beiden kritischen Schriften welche den meisten Einfluß
auf die Kunst ausgeübt, sind seine »Hamburgische Dramaturgie«
und sein »Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei
und Poesie«. Seine ausgezeichneten Theaterstücke sind:
»Emilia Galotti«, »Minna von Barnhelm«
und »Nathan der Weise«.
Gotthold Ephraim Lessing ward geboren zu Kamenz in der Lausitz
den 22sten Januar 1729, und starb zu Braunschweig den 15ten Februar
1781. Er war ein ganzer Mann, der, wenn
er mit seiner Polemik das Alte zerstörend bekämpfte,
auch zu gleicher Zeit selber etwas Neues und Besseres schuf;
er glich, sagt ein deutscher Autor, jenen frommen Juden, die
beim zweiten Tempelbau von den Angriffen
der Feinde oft gestört wurden, und dann mit der einen Hand
gegen diese kämpften, und mit der anderen Hand am Gotteshause
weiter bauten. - Heinrich Heine, Die romantische Schule
Kritiker (2) Nie hat es einen Kritiker
gegeben, der den Vorgang des Kritisierens selbst so erstaunlich
und wahr zu gestalten gewußt hat. Das ist die außerordentliche
Kunst dieses Mannes. Er mußte um das Ziel zu erreichen
sich so schrankenlos exponieren: von seinen Feinden und Freunden,
seinen Nachbarn im Theater und zu Hause, seinen Tieren und seinen
Schriften, seinen politischen Überzeugungen und seinen Rankünen,
seinen Leidenschaften und seinen Verwandten sprechen. Es ist
für einen Leser dieses Buches beinahe selbstverständlich,
daß dieser Mann ein enragierter Menschenfeind und Sonderling
ist, unzugänglich von jeher, sich mehr und mehr auf seinen
Umgang mit den Katzen und Hunden
zurückzieht, die er auf der Straße gefunden und zu
sich genommen hat. Auch darin dem klassischen Charakterbilde
der großen Satiriker völlig entsprechend. Nur ein
sehr einsamer Mensch kann sein Ich so unverbraucht
und unbestechlich mitten ins sachliche Bereich hineinstellen,
so entscheidend mit dessen flüchtigsten Gedankenblitzen
es erleuchten. Dies Boulevardtheater der Flers et Caillavet,
der Bernstein, der Porto-Riche ist ganz einfach am eigenen Leibe
von diesem Mann als Plage empfunden worden, als menschenunwürdige
wie die Mücken- oder die Heuschreckenplage; sein Kampf dagegen
hat die ganze Überlegenheit und Resignation, aber auch den
Einschlag bewußter und weiser Komik, den ein Kampf gegen
Ungeziefer besitzen kann. - Walter Benjamin, Rez. Paul
Léautaud, Le Théatre de ..., in: W.B., Der
Stratege im Literaturkampf. Zur Literaturwissenschaft. Frankfurt
am Main 1974 (st 176, zuerst 1927)
Kritiker (3) Die Kritiker, die ihre vornehme Aufgabe,
Dichter zu formen, vortrefflich wahrnehmen, sie sind vielleicht nicht immer
begriffsstutzig, aber wenn sie zufällig einmal etwas verstehen, erheben
sie gleich ein großes Geschrei. Irgendeine Stelle ist ihnen dann allzu
deutlich, irgendein Vergleich allzu direkt, irgendein Bild für sie ein
Gemeinplatz. Daraus kann man leicht schließen, daß sie nicht einmal
das wenige, das sie verstehen, verstehen möchten, daß sie alles,
was dieser Erwartung zuwiderläuft, als beleidigend und ungehörig empfinden,
daß es letztlich ihre wahre Leidenschaft und ihr höchstes geistiges
Bedürfnis ist, ganz und gar nichts zu verstehen.
-
Tommaso Landolfi, Cancroregina. Die Krebskönigin oder Eine seltsame Reise zum
Mond. Zürich 1997
Kritiker (4) Er ist ein merkwürdiges Tier,
der Kritiker, vorn Kamel und hinten Fenster. - Kurt Schwitters,
nach: Hans Richter, Dada - Kunst und Anti-Kunst.
Köln 1964
Kritiker (5) Kritiker sind eine besondere Art Menschen. Zum Kritiker muß man geboren sein. Mit ganz außergewöhnlichem Schaafsinn findet der geborene Kritiker das heraus, worauf es nicht ankommt. Er sieht nie den Fehler des zu kritisierenden Kunstwerks oder des Künstlers, sondern sein eigenes Fehlen, sichtbar gemacht durch das Kunstwerk. Der Kritiker erkennt durch angeborenen Schaaafsinn gewissermaßen seinen eigenen Fehler durch das Kunstwerk. Das ist die Tragik aller Kritiker, sie sehen Fehler, statt Kunst. Kunst sehen heißt, für den Kritiker die Fehler am Kunstwerk rot anstreichen und eine Zensur darunter schreiben. Kritiker sind den mit Recht so beliebten Oberlehrern ähnlich. Allerdings braucht der Kritiker kein Examen zu machen, zum Kritiker ist man eben geboren. Der Kritiker ist ein Geschenk des Himmels an die Menschheit. Mit Oberlehrerin gesäugt, nährt er sich von Kunstfehlern zum Segen der Schaaaafzucht. Sich sägen bringt Regen. Zwischendurch trinkt der Kritiker dann noch ein Gläschen rote Tinte. Jeder Kritiker hat einen Regenschirm, in den er gewissermaßen hineingeheiratet hat. Denn sich sägen bringt Regen zum Segen der Schaaaaafzucht. Das besagte Oberlehrerin aber ist ein dicker syrupartiger Saft, hergestellt aus Absonderungen der Galle von wirklichen geheimen Oberlehrern und dem Magensaft verblödeter Schaaaaaafe.
Besagte Schaaaaaaafe brauchen kein Examen gemacht zu haben, wie der Kritiker.
Den Regenschirm benutzt der Kritiker, um ihn verkehrt aufzudrehen. Kritiker
brauchen ihre Regenschirme in der Kunstausstellung nicht abzugeben. Der Regenschirm
aber muß ein Examen machen. Nur löcherige Regenschirme werden zur Kunstkritik
zugelassen. Je mehr Löcher, desto mehr Regen, je mehr Regen, desto mehr Sägen,
je mehr Sägen, desto mehr Kritik. Um auf das Schaf zurückzukommen: Kritiker
sind eine besondere Art Menschen. Zum Kritiker muß man geboren sein. Kritiker
sind schafgeboren, schafgesäugt mit Oberlehrerin und schaftrunken vor dem Kunstwerk.
Der Unterschied zwischen Künstler und Kritiker ist der: ›Der Künstler schafft,
während der Kritiker schaaft‹. - Kurt Schwitters, nach: Hans Richter, Dada - Kunst und Anti-Kunst.
Köln 1964
Kritiker (6) Die edelste Art der Kritiker ist die der WAHREN KRITIKER, deren Ursprung auch von allen am weitesten zurückliegt. Jeder wahre Kritiker ist ein geborener Held, der in direkter Linie von einem himmlischen Geschlecht abstammt, und zwar durch Momus und Hybris, die Zoilus zeugten; der aber zeugte Tigellius, der Etcetera den Altern; der Bentley und Rhymer und Wotton und Perrault und Dennis; und der erzeugte Etcetera den Jüngern.
Und dies sind die Kritiker, von denen die Republik der Gelehrten zu allen
Zeiten so unendliche Wohltaten empfangen hat, daß die Dankbarkeit ihrer Bewunderer
ihren Ursprung gleich dem des Herkules, des Theseus,
des Perseus und andrer großer Wohltäter der Menschheit in den Himmel verlegte.
Aber selbst die heroische Tugend ist nicht von der Nachrede böser Zungen verschont
geblieben, denn man hat eingewandt, jene alten Helden, die berühmt sind, weil
sie so viele Riesen und Drachen und Räuber bekämpften, seien an sich für die
Menschheit ein größerer Schade gewesen als alle Ungeheuer,
die sie bezwangen; und deshalb hätten sie, um sich ungeschmälerten Dank zu erwerben,
als alles andre Gewürm vernichtet war, rechtens das gleiche Gericht an sich
selber vollstrecken sollen. Herkules hat das in edlem Mut getan, und deshalb
hat er für sich mehr Tempel und Anbeter errungen als alle seine Genossen zusammengenommen.
Das ist auch der Grund, vermute ich, weshalb manche der Ansicht sind, es sei
dem öffentlichen Nutzen der Bildung sehr zuträglich, wenn jeder wahre Kritiker,
sowie er seine Aufgabe erfüllt habe, Rattengift nehme oder zum Strick greife;
und niemandes Ansprüche auf einen so erlauchten Namen sollten anerkannt werden,
bevor er nicht diese Tat vollbracht habe. -
Jonathan Swift. Nach: J. S., Satiren. Frankfurt am Main 1965 (Sammlung
Insel 5)
Kritiker (7) Sie
erklären mir meine gezeichneten Antworten auf meine ganz eigenen Fragen.
Sie tun es zwar mit heuchlerischer Attitüde, mit einem fragenden Oberton
in ihrer Stimme, aber in Wahrheit fragen sie nicht, sondern sie erklären
mir meine Chose, und nach 'ner Weile bin ich auch überzeugt, dass ich zwar
hinreissend zeichnen kann, aber natürlich keine Ahnung habe, was das eigentlich
ist. Ein Blinder sozusagen, dem man sein Nichtgesehenes abkauft. Und dann
haben die unter sich die totale Freiheit des Interpretierens. Die Schwafler
- sie sind noch nie um eine Kastanie rumgcgangen - nein, nein, ich meine
nicht den Baumstamm ... - (
jan
)
Kritiker (8)
- N. N.
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