neigennützigkeit   Ich erwies den Leuten viel zuviel Gefälligkeiten, das wußte ich ja selbst genau. Niemand bezahlte mich. Ich erteilte, hauptsächlich aus Neugier, Gratiskonsultationen. Das ist unrecht. Die Leute rächen sich für die Gefälligkeiten, die man ihnen erweist. Die Tante Béberts hat, wie alle andern, meine eitle Uneigennützigkeit ausgenutzt. Sie hat sie sogar niederträchtig mißbraucht. Ich ließ mich gehen, ich log. Jch ließ mich kommandieren. Die Patienten hielten mich von Tag zu Tag mehr auf, winselten mich an und hielten mich zum Narren. Und dabei enthüllten sie mir alle Scheußlichkeiten, die sie in der Rumpelkammer ihrer Seele verborgen hielten und die niemand außer mir zu sehen bekam. Diese Greuel konnten gar nicht teuer genug bezahlt werden. Manchmal schlüpften sie einem durch die Finger wie klebrige Schlangen.- (reise)

Unneigennützigkeit (2)

Unneigennützigkeit (3)  „Nun also, mein lieber Amadeus, die Sache verhält sich folgendermaßen. Es will mich bedünken, als hätten wir uns seit La Rochefoucauld, und in seinem Kielwasser, gehörig festgefahren und als sei es keineswegs immer der Nutzen, der das Handeln des Menschen lenkt. Nein, es gibt auch uneigennützige Handlungen.. ."

„Das will ich hoffen", unterbrach ihn Amadeus' Treuherzigkeit.

„Verstehen Sie mich, bitte, nicht so rasch!  Mit uneigennützig meine ich: unmotiviert, in sich selbst vollendet, dem Augenblicke immanent. Und das Böse (was man so als böse abstempelt. . .) kann ebenso unmotiviert sein wie das Gute."

„Warum es dann aber tun?"

„Aus innerer Fülle, aus Neugier, aus Lust an Spiel und Abenteuer! Denn ich behaupte, daß die uneigennützigsten Seelen nicht notwendigerweise die besten sind — im katholischen Sinne des Wortes. Im Gegenteil: vom katholischen Standpunkt aus ist die bestgeschulte Seele die, die am besten Rechnung führt."

„Und sich dabei stets in Gottes Schuld weiß", ergänzte Fleurissoire fromm und verständnisinnig.

Julius ärgerten die ihm abgeschmackt erscheinenden  Unterbrechungen des Schwagers. Er fuhr fort:

„Zweifellos deutet Geringschätzung des Nutzens auf einen gewissen seelischen Aristokratismus... Wollen wir also eine Seele geltenlassen, die, der Zucht und den Prämien des Katechismus entronnen, jegliche Buchhaltung für verächtlich hielte?" Baraglioul wünschte eine Bejahung dieser Frage.

Aber: „Nein, nein! tausendmal nein: die wollen wir nicht gelten lassen!" schrie Fleurissoire.  - André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)

 

Selbstlosigkeit Grosszügigkeit Nutzen

 

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Gleichgültigkeit
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