Offenbarung
des Johannes, nach lut
Heuschrecke (2)
Diesem
Jüngling aus Kohlhasenbrück
saß
ein Grashüpfer im Genick.
War das ein Vergnügen?
»Da
müßte ich lügen«,
sprach der Bursche
aus Kohlhasenbrück.
- (
lea
)
Heuschrecke (3)
Am Morgen war alles von einer Unmenge Heuschrecken bedeckt. Diese Insekten
fressen auf ihrem Zuge alles, was sie an Pflanzen antreffen, und in kurzer Zeit
sind die Bäume völlig kahl. Wenn sie ihren Unrat auf
das Laub und dürre Gras fallen lassen, glaubt man, es regnet, und wenn man die
Bäume schüttelt, fliegen sie wie eine schwarze Wolke davon. Sie richten ihren
Flug nach dem Wind, der zu dieser Jahreszeit aus Nordosten kommt. Sollte er
sich einmal drehen, so daß sie zurückfliegen müssen, würden sie verhungern,
denn sie verlassen alle Orte völlig kahl gefressen. - Mungo Park, Reise
in das Innere von Afrika. Leipzig 1984 (zuerst 1799)
Heuschrecke (4)
Eudoxos erzählt,
daß die westlichen Kelten folgendes tun (wer es für glaubhaft hält, mag es glauben,
wer nicht, lasse es bleiben): Wenn Wolken von Heuschrecken in ihr Land einfallen
und die Ernte angreifen, verrichten die Kelten bestimmte Gebete und vollziehen
Opfer, die Vögel herbeirufen sollen. Die Vögel erhören sie und kommen in geschlossenem
Zug und vertilgen die Heuschrecken. Wenn ein Kelte einen Vogel fängt, so ist
seine Strafe nach Landesrecht der Tod. Wird er begnadigt und freigelassen, versetzt
das die Vögel in Zorn, und als Rache für ihren gefangenen Artgenossen kommen
sie fortan nicht, wenn man sie wieder ruft. - (
ael2
)
Heuschrecke (5)
Wenn man am wenigsten
daran denkt, springt die Heuschrecke! Schrecken über Schrecken! Und es war immer
so. Im höchsten Moment meiner ekstatischsten Kontemplationen und Vergegenwärtigungen
sprang immer die Heuschrecke! Schwerfällig, unbewußt, quälend, reflektierte
ihr fürchterlich lähmender Sprung in einem Zusammenschrecken, das mein ganzes
Sein bis auf den Grund erschütterte. Heuschrecke - verhaßtes Insekt! Schrecken,
Alptraum, Marter und halluzinierender Wahnsinn in Salvador Dalis Leben.
Ich bin siebenunddreißig Jahre alt, und die Furcht, die Heuschrecken mir einflößen, hat seit meiner Jugend nicht abgenommen. Im Gegenteil. Wenn es möglich wäre, würde ich sagen, sie ist vielleicht noch größer geworden. Selbst heute - wenn ich mich am Rand einer Klippe befände und eine große Heuschrecke auf mich spränge und sich an meinem Gesicht festklammerte — würde ich mich lieber hinabstürzen als dieses fürchterliche »Ding« ertragen.
Die Geschichte dieser Angst bleibt für mich eines der größten Rätsel meines Lebens. Als ich sehr klein war, liebte ich wirklich Heuschrecken. Mit meiner Tante und meiner Schwester jagte ich sie mit eifrigem Vergnügen. Ich faltete ihre Flügel auf, die mir abgestufte Farben zu haben schienen wie die rosa-, malvenfarbenen und blaugetönten Dämmerungshimmel, die das Ende der heißen Tage in Cadaqués krönten.
Eines Morgens hatte ich einen sehr schleimigen kleinen Fisch gefangen, der
wegen dieser Eigenschaft »Geiferer« genannt wurde. Ich drückte ihn sehr fest
in der Hand, um ihn halten zu können, ohne daß er fortglitt, und nur sein Köpfchen
schaute aus meiner Hand heraus. Ich hielt es nah vor mein Gesicht, um es richtig
betrachten zu können, stieß aber sofort einen schrillen Schrei des Entsetzens
aus und warf den Fisch weit fort, während mir Tränen in die Augen schössen.
Mein Vater, der in der Nähe auf einem Felsen saß, kam und tröstete mich, versuchte
zu verstehen, was mich so aus der Fassung gebracht hatte. »Ich habe gerade dem
>Geiferer< ins Gesicht gesehen«, sagte ich mit schluchzender Stimme, »und
es war genau das gleiche wie bei einer Heuschrecke!« Seit ich diese Verwandtschaft
zwischen den beiden Gesichtern, dem des Fisches und dem der Heuschrecke entdeckt
hatte, wurde die letztere mir ein Greuel, und wenn ich plötzlich und unerwartet
eine sah, bekam ich mit großer Wahrscheinlichkeit einen so aufsehenerregenden
nervösen Anfall, daß meine Eltern den anderen Kindern strikt verboten, mit Heuschrecken
nach mir zu werfen, wie sie es dauernd versuchten, um sich an meinem Entsetzen
zu weiden. Meine Eltern indes sagten oft: »Wie merkwürdig! Früher hat er sie
so sehr gemocht!«
-
(dali)
Heuschrecke (6)
Des
Öfteren, denkt er bei sich, schwärmen an den heißen Tagen die geflügelten
Heuschrecken über die Straße. Obwohl das holzige Knistern und Schaben ihrer
Flügel für ihn keinen Schrecken mehr hat, kann er sich gleichwohl nicht
aus dem Sinn schlagen, zu ergründen, weshalb sie diese Gesetze befolgten;
die Erinnerung an ein matschiges grünes Trümmerfeld von Heuschrecken überfällt
ihn jählings; die in die Straße genagelten zerquetschten Köpfe und die
davon aufragenden unversehrten hinteren Leiber geißeln und stacheln ihn
zu einer heiligen gerechten Wut, die ihm in die Seite sticht und das Zwerchfell
schmerzhaft höhlt wie nach einem langen befreienden Lachen. Der Windstoß
eines Autos belebt die aufgekrümmten Leiber der Tiere, die Heuschrecken
und die hingeblätterten Frösche, und klappt ihre Leiber auf und fächelt
ihnen die Luft zu; die nicht mit ihrem Saft und Fleisch an die Straße geklebt
sind, rennen, kegeln, kugeln und jagen einander schockweise raschelnd in
dem Sog, den das Auto hinter sich her schluckt. -
Peter Handke, Die Hornissen. Frankfurt am Main 1977
Heuschrecke (7) Ich beobactete
eine große grasgrüne Zikade in meinem Zimmer. Ein Heimchen. Eine Grille. Sie
saß auf einem organgefarbenen Kissen. Ich betrachtete sie lange. Dies war also
das Urbild des Parasiten. So erstarrt, wie sie da saß, konnte sie fast das Denkmal
eines Grashüpfers sein. Konnte aber auch gleich einen enormen Satz tun. Die
dünnen Schenkel standen spitz in die Höhe. Die Fühler lagen nach vorn gestreckt
auf dem Kissen, wie der gesenkte Degen des Toreros. Was war dieses Vor-dem-Sprung-Sein?
Heuschrecke. Wieviel Namen für dies immer ähnliche Tier! Man fürchtet sich vor
der unmenschlichen Plötzlichkeit seines Sprungs.
Das vollkommen Jähe ist seine Waffe gegen uns. - Botho Strauß, Der junge Mann. München 1984
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