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Eine starke Verschlimmerung der Langeweile war
jeden Tag auszuhalten, die Mittagspause. Sie dauerte eine Stunde, und es gab
drei Möglichkeiten, sie auszufüllen. Einige Angestellte gingen gemeinsam spazieren.
Das Bürohaus lag in einem Industriegelande, und wer hier spazierenging, mußte
es zwischen Lastkraftwagen, Lagerhäusern und Drahtmaschen-zäunen tun. Das wollte
Abschaffel nicht. Die zweite Möglichkeit war, in der Kantine, die im Kellergeschoß
eingerichtet war, etwas essen zu gehen. Die dort ausgegebenen Mittagessen waren
nicht das Unerträglichste; es waren die Gespräche, die das Essen begleiteten.
Abschaffel hatte diese Gespräche oft und oft angehört, und manchmal war seine
Wut so groß geworden, daß er glaubte, er verwandle
sich hier in einen hohen Turm, der dann von selbst umfällt. Die dritte Möglichkeit
war, einfach am Schreibtisch sitzen zu bleiben, ein mitgebrachtes Brot zu essen
und aus dem Fenster zu schauen. Die Angestellten machten von allen drei
Möglichkeiten abwechselnd Gebrauch, und es blieb ihnen gar nichts anderes übrig,
als sich dadurch lebendig vorzukommen. Abschaffel folgte ihnen darin, wenngleich
er stets das Gefühl hatte, nicht eigentlich zu leben, sondern sein Leben immerzu
zu überbrücken mit der zweit- und drittbesten Möglichkeit, weil die erste Wahl
auch für ihn nicht zu haben war. - (
absch
)
Wahl (2) »Ich muß Regina anrufen«, sagte Buddy. »Sie betet nicht für die armen Seelen, seit man nicht mehr soviel vom Fegefeuer hört. Sie betet immer noch Rosenkränze, damit ich keinen Scheiß baue. Siebenundzwanzig Tage Bittgebete, dafür betet man den Rosenkranz, und siebenundzwanzig Tage Danksagung, ob du nun bekommen hast, worum du bittest, oder nicht. Wenn ich anrufe, bedeutet es, daß man mich nicht verhaftet hat. Einmal hab ich sie am siebenundzwanzigsten Tag angerufen, und sie meint: ›Siehst du?‹ Regina denkt, wenn man mich nicht hochgenommen hat, war ich auch in keiner Bank. Mit anderen Worten: Ihre Gebete wurden erhört, und ich fahre nicht zur Hölle. Solange sie also weiß, daß ich draußen bin, hat sie was zu tun. Hey, aber wer weiß? Vielleicht rettet sie meinen Arsch, oder ich sollte besser sagen: meine Seele. Auch wenn ich nicht mehr sicher bin, ob es noch eine Hölle gibt oder nicht. Glaubst du, es gibt eine?«
»Ich weiß nur von dieser einen draußen in Palm Beach County«, sagte Foley. »Ich glaube kaum, daß irgend jemand für mich Rosenkränze betet, aber ich bin mir höllisch sicher, daß ich nie wieder dahin zurückgehe.«
»So sicher kannst du dir nicht sein«, sagte Buddy.
»Ja, na ja, ich bin wild entschlossen.«
»Wenn sie eine Waffe auf dich richten, gehst du zurück.«
»Wenn sie eine Waffe auf dich richten«, sagte Foley, »hast du immer noch
die Wahl, oder nicht?« - Elmore Leonard, Zuckerschnute. München 1998
(zuerst 1996)
Wahl (3) Die oberste, unsere Wahl und Neigung leitende
Rücksicht ist das Alter. Im Ganzen lassen wir es gelten von den Jahren
der eintretenden bis zu denen der aufhörenden Menstruation, geben jedoch der
Periode vom achtzehnten bis achtundzwanzigsten Jahre entschieden den Vorzug.
Außerhalb jener Jahre hingegen kann kein Weib uns reizen: ein altes, d.h. nicht
mehr menstruirtes Weib erregt unsern Abscheu. Jugend ohne Schönheit hat immer
noch Reiz; Schönheit ohne Jugend keinen. - Offenbar ist die hiebei uns unbewußt
leitende Absicht die Möglichkeit der Zeugung überhaupt:
daher verliert jedes Individuum an Reiz für das andere Geschlecht in dem Maaße,
als es sich von der zur Zeugung oder zur Empfängniß
tauglichsten Periode entfernt. - Die zweite Rücksicht ist die der Gesundheit:
akute Krankheiten stören nur vorübergehend, chronische, oder gar Kachexien [Kräfteverfall],
schrecken ab; - weil sie auf das Kind übergehn. - Die dritte Rücksicht ist das
Skelett: weil es die Grundlage des Typus
der Gattung ist. Nächst Alter und Krankheit stößt nichts uns so sehr ab, wie
eine verwachsene Gestalt: sogar das schönste Gesicht
kann nicht dafür entschädigen; vielmehr wird selbst das häßlichste, bei geradem
Wuchse, unbedingt vorgezogen. Ferner empfinden wir jedes Mißverhältniß des Skeletts
am stärksten, z. B. eine verkürzte, gestauchte, kurzbeinige Figur u. dgl. m.,
auch hinkenden Gang, wo er nicht Folge eines äußern
Zufalls ist. Hingegen kann ein auffallend schöner Wuchs alle Mängel ersetzen;
er bezaubert uns. Hieher gehört auch der hohe Werth, den Alle auf die Kleinheit
der Füße legen: er beruht darauf, daß diese ein wesentlicher Charakter der Gattung
sind, indem kein Thier Tarsus und Metatarsus [Fuß-und Zwischenfußwurzel] zusammengenommen
so klein hat, wie der Mensch, welches mit dem aufrechten Gange zusammenhängt:
er ist ein Plantigrade [Sohlengänger]. Demgemäß sagt auch Jesus Sirach: »Ein Weib, das gerade
gebaut ist und schöne Füße hat, ist wie die goldenen
Säulen auf den silbernen Stühlen.« Auch die Zähne sind
uns wichtig; weil sie für die Ernährung wesentlich und ganz besonders erblich
sind. - (
wv
)
Wahl (4) Bei Tisch sagte Johnson: «Es gibt Schlauköpfe,
die sich eine dumme Frau aussuchen, im Glauben, sie um
so eher in der Hand zu haben; aber weit gefehlt. Entweder ist sie dumm
wie ein Hund oder dumm wie ein Maulesel. Hunde gehorchen,
wenn sie Hiebe kriegen; bei Mauleseln hilft weder Zureden noch Dreinschlagen,
und auch die dummen Hunde verwandeln sich zuletzt oft in Maulesel. Außerdem
kann eine dumme Frau noch so lenksam sein, man ist doch ständig genötigt, sie
zu lenken. Verlassen Sie sich drauf, es gereicht keiner Frau zum Nachteil, wenn
sie etwas Grütze hat.» Ob es aus Höflichkeit geschah oder aus Überzeugung, war
mir nicht klar, jedenfalls setzte er hinzu: « Der Mann weiß, daß er der Frau
nicht gewachsen ist; deshalb sucht er sich die schwächste oder unwissendste
aus. Wenn es sich nicht so verhielte, brauchte ihm nicht davor zu bangen, daß
die Frau ebensoviel weiß wie er.» — Der Gerechtigkeit halber soll hier nicht
verschwiegen werden, daß er mir später versicherte, was er gesagt habe, sei
durchaus ernst gemeint gewesen. -
(
johns
)
Wahl (5)
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