inderspiel  Bei Höchstgeschwindigkeit aus einem Zug gefallen, fand man Marie Steckel aus Saint-Germain, 3 Jahre, wie sie am Bahndamm auf dem Schotter spielte. - (fen)

Kinderspiel (2) In der Nähe des Lagers spielten mein Bruder und ich einst gegen Abend auf einem sandigen Feldweg; die Mutter befand sich in einiger Entfernung. Plötzlich tauchte an der Wegböschung etwas leuchtend Gelbes auf, das meinem kindlichen Gemüt äußerst schön und begehrenswert vorkam; wie eine goldene Leuchtspur glitt es unter der Hecke hervor und auf den Weg hinunter, um auf die andere Seite zu gelangen. Mit einem Freudenschrei sprang ich herzu und packte es in der Mitte.

Ein merkwürdiges Gefühl der Kälte schien auf meinen ganzen Arm überzugreifen, was mich um so mehr erstaunte, als das Ding sich so warm und sonnig ansah. Ich ließ es jedoch nicht fallen, sondern hielt es in die Höhe und betrachtete es genau, während es mit dem Kopf etwa dreißig Zentimeter von der Hand herabbaumelte. Es wehrte sich nicht im geringsten; aber nun begann mein Bruder, der etwa drei Jahre älter war als ich, auf einmal wie wild zu schreien. »Mutter, Mutter«, rief er, »die Viper! Der Kleine hat eine Viper in der Hand!« Dann suchte er mir das Ding zu entreißen; aber nun zischte die Viper wütend und richtete bedrohlich den Kopf auf, in welchem Augen wie glühende Kohlen brannten — gegen meinen Bruder, nicht gegen mich. Ich ließ sie fallen, da ich meine Mutter herbeieilen sah; die Schlange stand einen Augenblick fast ganz aufgerichtet da, wobei sie immer noch heftig zischte; dann entfernte sie sich und verschwand. -  George Borrow, Lavengro der Zigeuner-Gentleman (Zürich 1987, zuerst 1851)

Kinderspiel (3)  Der Knabe hatte das Silberkesselchen ergriff en, das von der Schlangenspende noch im Vorhof stand. Er schlug es, nicht wie sonst mit seinem Birnholzlöffel, sondern mit einer erzenen Gabel an. Sie lockte aus dem Becken einen Ton hervor, der einem Lachen glich und Mensch und Tier erstarren ließ. Ich spürte, wie unter dem Fuß der Marmorklippen die Klüfte bebten, dann erfüllte ein feines Pfeifen hundertfach die Luft. Im blauen Glanz des Gartens brach ein helles Leuchten auf, und blitzend schossen die Lanzenottern aus ihren Schrunden vor. Sie glitten durch die Beete wie blanke Peitschenschnüre, unter deren Schwunge ein Wirbel von  Blütenblättern sich erhob. Dann stellten sie, am Boden einen goldenen Kreis beschreibend, sich langsam bis zur Manneshöhe auf. Sie wiegte das Haupt in schweren Pendelschlägen, und ihre zum Angriff vorgestellten Fänge blinkten tödlich wie Sonden aus gekrümmtem Glase auf. Zu diesem Tanze durchschnitt ein leises Zischen, als ob sich Stahl in Wasser kühlte, die Luft; auch stieg ein feines, hörnernes Klappern, wie von den Kastagnetten maurischer Tänzerinnen, von der Fassung der Beete auf.

In diesem Reigen stand das Waldgelichter vor Schreck versteinert, und die Augen quollen ihm aus den Höhlen vor. Am höchsten war die Greifin aufgerichtet; sie wiegte sich mit lichtem Schilde vor Chiffon Rouge und kreiste ihn wie spielend mit den Figuren ihrer Serpentinen ein. Das Untier folgte den Schwüngen ihrer tänzerischen Windung bebend und mit gesträubtem Fell — dann schien die Greifin es ganz leicht am Ohr zu streifen, und vom Todeskrampf geschüttelt, die Zunge sich zerbeißend, wälzte der Bluthund sich im Lilienflor. - Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen (1939)

Kinderspiel (4)  Kinderspiele, die in Nachahmung der Großen oder in der Vorahnung einer unreifen Phantasie stark erotische Färbung oder sexuellen Charakter annehmen, wurden vielfach festgestellt und in psychoanalytischen Publikationen mehrfach beschrieben. So das »Vater und Mutter spielen«, besonders das »Doktorspielen«, wobei der »Doktor« den Patienten untersucht, entblößt, betastet und der Verschiedenheit der Genitalien besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Beim »Kühemelken« kauert ein Knabe auf allen Vieren. Seine Genitalien gelten als Euter der Kühe. Beim »Feuerwehrspiel« wird wirkliches oder scheinbares Feuer durch Urinieren gelöscht. Gewöhnlich zur Verspottung oder Verächtlichmachung eines anderen Kindes konnten »Kot- und Urinspiele« festgestellt werden, wobei es auf die ungeahnte Beschmutzung eines Kindes nach Art des »Blinden-Kuh-Spieles« abgesehen ist. In Frankfurt a. M. gibt es ein Kugelspiel der Knaben, das sog. Futt'ches, bei dem die Kugel in eine in den Sand gezeichnete Vulva gesetzt und dann aus dieser herausgeschossen wird. - (erot)

Kinderspiel (5) Den Ameisen hinter der Hauswand habe ich einen Teich gegraben. Wenn mein kleiner Bruder da ist, pinkelt er in die Vertiefung, sonst mach ich es selbst. In der Mitte schwimmt die Korkinsel, zu der ich die Strohhalmbrücke gelegt habe. Unter den Steinen neben der Hauswand leben viele Ameisen, diese kleinen roten Biester, von denen man Quaddeln auf der Haut kriegt. Ich hab schnell ein Häufchen davon gesammelt, jetzt laß ich sie schwimmen. Die, die sich ans Ufer retten wollen, blas ich ins Becken zurück, oder ich hebe sie mit einem Stöckchen auf die Brücke, über die sie sich zur Insel hinbewegen, um anszuruhn. Einige klettern aus dem Wasser auf die Insel, das sind die Sieger. Wenn sie sich immer wieder retten, auch nachdem ich sie mehrmals ins Wasser zurückgestoßen habe, werde ich böse. Mit dem Stöckchen tauche ich sie so lange unter Wasser, bis sie absaufen. Ich laß auch nicht eine davon leben.

Geschützt durch die vier Steinsäulen, vor Muttis Blick sicher, läuft die prächtige Schneckenstraße, die Autobahn. Die noch zugeklebten, von durchsichtigen Schichten verdeckten Eingänge der Schneckenhäuser breche ich mit harten Stöckchen auf, es dauert mir zu lang, bis die dummen Tiere aus ihren Häusern kriechen, ich muß sie tief ins Innerste stechen, bis sie leise zischend Schleim und bläuliche Würstchen abgeben. Später im Sommer, nach den ausgiebigen Regenstunden, wenn wieder die Sonne scheint, laufen sie überall im Garten, die gestreiften, gelb- und braungescheckten, meine Rennpferde. Die Einfarbiggelb-durchsichtigen sind meine Herdentiere; meine Zuchtpferde die weißen großen. Ich bring sie zur Rennstrecke und setze sie in die gewünschte Richtung. Viele von ihnen sind untauglich, ich muß sie gleich tot machen. Mit meinem Schuh oder mit Steinen knax ich sie auf, gegen den Rest halt ich ein Streichholz. Der komische Wurm da brennt schlecht, ich brauch mehrere Hölzer, bis sich das Klümpchen nicht mehr krümmt. Mutti wundert sich, wo ihre Sicherheitshölzchen, Welthölzchen, Streichhölzer — «verdammt, wer war das, wenn ich euch, ich tu euch nichts» — wo die bleiben. Einige kommen immer wieder von der mit Grashalmen vorgezeichneten Bahn ab; zur Strafe mach ich sie einäugig, mit meinen abgebissenen Fingernägeln ist's recht schwierig, die Augen abzukneifen, aber weil ich viel Zeit habe, gelingt es mir immer. Die Sieger gegen die Sieger, die Untauglichen ins Pinkelbecken, wo sie bald die ausgestreckten Schleimbäuche nach oben kehren. Oder mit blitzschnellen Stichen aufs Käferhölzchen gespießt, sie befühlen sich im sinnlosen Lauf, die Käfer, Spinnen, Schnecken, ich wünschte, Mutti oder meine Schwestern könnte ich so klein verzaubern, ich würde sie unter der dicksten Spinne festsetzen, stundenlang auf dem Bauch liegen, zusehen, ihren Fistelstimmen lauschen. Ich lasse niemals eines dieser Tiere am Leben, auch Bienen und Wespen mag ich nicht. - Jo Imog, Die Wurliblume. Reinbek bei Hamburg 1972 (rororo 1471, zuerst 1967)

Kinderspiel (6)

In der guten Stube hei Wahnschaffes.

FRAU POGATSCHNIGG: Also ich kann nur sagen, daß »Heldengrab im Hause« bei uns die weiteste Verbreitung gefunden hat und alles begeistert ist.

FRAU WAHNSCHAFFE (bescheiden abwehrend) : Ach, das war ja nur für die Toten. Aber jetzt hat Männe das Heldenkissen erfunden, das schönste Geschenk für unsere heimkehrenden Krieger, um auszuruhn von ihren Taten. Es enthält: 1. die sinnreiche Anrede: Siegreiche Krieger. 2. Das eiserne Kreuz. 3. Den Namen des Kriegers, von einem Eichenkranz umgeben als Sinnbild deutscher Stärke. 4. Deutsche und österreichische Fähnchen als Zeichen der Bundestreue -

FRAU POGATSCHNIGG: Wacker!

FRAU WAHNSCHAFFE: 5. Willkommen in der Heimat! M. 3,50.

FRAU POGATSCHNIGG: Preiswert. Was gibt es in Kinderbüchern und Kinderspielen Neues bei euch im Reich?

FRAU WAHNSCHAFFE: Wir spielen Weltkrieg.

FRAU POGATSCHNIGG: Wie?

FRAU WAHNSCHAFFE: Wir spielen Weltkrieg, ein zeitgemäßes Bilderbuch für unsre Kleinen. Nun und von richtich gehenden Spielen - na der 42 cm Brummer, aber der ist ja eigentlich von euch - warten Sie - ach ja, kennt ihr »Verteilung der Beute«?

FRAU POGATSCHNIGG: Ja, aber da ist man bei uns wenig befriedigt, ich weiß nicht, wie das kommt.

FRAU WAHNSCHAFFE: Ach, 's ist doch 'n entzückendes Spiel. Meine Jöhren sind ganz selig. Ja, für uns Deutsche ist das Beste -

FRAU POGATSCHNIGG: - gerade gut genug. Wir haben dafür jetzt den »Russentod«, etwas Erstklassiges.

FRAU WAHNSCHAFFE: Das muß fein sein.

FRAU POGATSCHNIGG: Der »Russentod«, eine sinnreiche Erfindung der Gräfin Taaffe, ist ein für Groß und Klein interessantes Geduldspiel, ein Erzeugnis der Verwundeten des Roten Kreuz-Lazaretts auf der Prager Kleinseite, wo die Gräfin als Oberschwester Samariterdienste versieht. In einem sehr geschmackvoll ausgeführten Osterei erscheint eine Miniaturfestung mit Drahthindernissen und Sumpf dargestellt, nebst kämpfenden verbündeten und russischen Soldaten. Durch Schütteln des Eies müssen die Verbündeten in die Festung hereingebracht und die Russen in den Sumpf getrieben werden.

FRAU WAHNSCHAFFE: Etsch!

FRAU POGATSCHNIGG: Der »Russentod« bildet ein geeignetes Ostergeschenk nicht nur für die Jugend, sondern auch für die Soldaten in den Spitälern, denen es eine angenehme Zerstreuung und spannende Unterhaltung bietet. Das »Russentod«-Osterei, in sehr geschmackvoller schwarz-gelb-seidener Ausführung, kostet K 3.60 und ist in der Prager Zentralverkaufsstelle des Kriegsfürsorgeamtes erhältlich.

FRAU WAHNSCHAFFE: Zu niedlich. Und wie fein die hochgeborne Samariterin den Geschmack der Verwundeten berücksichtigt hat! Ja der östreichische Adel! Da ist denn doch noch bei aller Schlappheit mehr Grazie als bei uns, das muß sogar ich zugeben. Wie ist das also, liebe Pogátschnigg - man schüttelt das Ei und denn müssen unsre Braven in die Festung, die Russen aber in den Sumpf - etsch! Das ist ja das Ei des Columbus!

FRAU POGATSCHNIGG: Die Gräfin ist seit dieser Erfindung der Gegenstand von Huldigungen der Gesellschaft. Und Sie im Reich - haben Sie nichts dergleichen an die Seite zu stellen?

FRAU WAHNSCHAFFE: Na, ich sollte eigentlich, was Wahnschaffe schafft, nicht anpreisen - Sie wissen ja, Eigenlob - aber ich kann nicht umhin, Ihnen den neuen Kriegsspielkreisel wärmstens zu empfehlen. Dieses neue Spiel darf in keinem deutschen Hause fehlen und gewährt in jeder Familie, jeder Gesellschaft, bei jeder Gelegenheit eine spannende Unterhaltung für Jung und Alt. Zunächst wird von jedem Teilnehmer ein Einsatz in die Kasse gemacht. Sodann wird der Kreisel von jedem Teilnehmer der Reihe nach mit den Fingern in kreisende Bewegung versetzt. Die Buchstaben und Zahlen haben nachstehende Bedeutung: R. g. o: Rußland - gewinnt nichts. E. v. 1/1 England - verliert den ganzen Einsatz. F. v. 1/2: Frankreich verliert den halben Einsatz. T. g. 1/3: Türkei - gewinnt ein Drittel von der Kasse. Ö. g. 1/2: Österreich - gewinnt die Hälfte von der Kasse. D. g. a.: Deutschland über alles - gewinnt die ganze Kasse.

FRAU POGATSCHNIGG: Bravo! Wenn aber Österreich die Hälfte der Kasse gewonnen hat, wie kann dann Deutschland über alles verfügen? Nimmt denn Deutschland auch -

FRAU WAHNSCHAFFE: Nanu ihr oberfaulen Östreicher, das paßt euch wieder mal nicht - das ist also der Dank, daß wir euch so oft aus dem Dreck rausgezogen haben! Die letzte Offensive ist euch wieder mal glücklich vorbeigelungen!

FRAU POGATSCHNIGG (drückt ihr die Hand): Sie haben mich überzeugt. Österreich gewinnt zwar nur die Hälfte von der Kasse, aber - ich bin eine deutsche Hausfrau! (Sie gehen Schulter an Schulter, »Deutschland, Deutschland über alles« singend, ab.)  - Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit. München 1964 (dtv sr 23, zuerst 1926)

Kinderspiel (7)  Während die Kinder spielten, nahm ein Knabe einen Weidenzweig und zerstörte die Grube, in der Jesus das klare Wasser gesammelt hatte, und dieser Knabe war der Sohn des Schriftgelehrten Hannas.

Als Jesus sah, was jener an seinem Werk angerichtet hatte, da ergrimmte er und schrie ihn an: Du Frecher, du Gottloser, du Dummkopf! Was haben dir die Gruben und das Wasser zuleide getan? Siehe, auch du sollst jetzt verdorren, wie ein Baum ohne Wasser. Ohne Wurzel soll dein Schoß sein, und deine Frucht soll vertrocknen, wie ein Zweig, den der Wind abgebrochen hat, und ist nicht mehr.

Und sogleich verdorrte jener Knabe ganz und gar. - Evangelium Thomas' des Israeliten, nach: Die andere Bibel. Hg. Alfred Pfabigan. Frankfurt am Main 1990

Kinderspiel (8)  »Wenn du deiner Puppe eine Pille gibst, kriegt sie keine kleinen Puppen.«

»Peter ist ein Sauhund«, rief Yolanda.

»Klar«, fuhr Peter fort, »die Großen nehmen eine Pille, und dann sind die Kinder weg. Dich gibt's nur, weil deine Mutter vergessen hat, die Pille zu nehmen.«

»Tu nicht so.« Heidi schaufelte mit der hohlen Hand das verschüttete Pulver zusammen. »Das ist bei dir genau gleich.«

»Nein.« Yolanda küßte ihre Puppe auf die Nase. »Dich hat das Christkind gebracht.«

Heidi brach von einigen Streichhölzern die Köpfe ab und tat sie in einen Becher: »Es gibt auch Pillen mit Schokolade drumherum. Mein Vater kennt einen Brunnen, da steht ein Mann drauf und der frißt Kinder. Sogar die großen, die schon in die Schule gehen.«

»Wieviel Kieselsteine hast du?« wollte Peter wissen.

Heidi zog ihr T-Shirt über die Kartonschachtel: »Das geht dich nichts an.«

»Bevor ich weiterspiele, will ich wissen, wieviele Kieselsteine in der Kasse sind.«

»Da.« Yolanda bückte sich, hob einen Kiesel auf und reichte ihn Peter.

»Ich will kein Geld von dir. Ich möchte einbrechen.«

»Hast du einen Revolver?« fragte Yolanda.

»Klar.« Peter machte eine Faust, streckte den Zeigefinger als Lauf ab und richtete ihn auf Yolanda: »Päng, päng.« Dann nahm er den Yoghurtbecher: »Den brauche ich als Taschenlampe. Ich komme in der Nacht. Ihr dürft auch nicht blinzeln.«

»Wir haben einen Hund.« Yolanda machte mit ihrer Puppe Schnappbewegungen gegen Peter: »Wau, wau.«

»Hier.« Peter hielt der Puppe die Blechdose mit dem Wurm hin: »Friß die Wurst und hör auf zu bellen.«

»Was willst du stehlen?« fragte Yolanda.

»Gift.«

»Er will uns vergiften!«

»Wir vergiften Frau Huber.« Alle blickten zu einem Balkon hinauf. Es war niemand zu sehen. Aber Peters Stimme wurde leiser: »Dann kann sie uns nie mehr den Ball verstecken. Wir tun ihr jeden Morgen Gift in den Kaffee und sagen, ihr Mann sei es gewesen.«

»Toll«, Yolanda schöpfte kurz Atem, »dann spielen wir Gefängnis.«

»Aber diesmal sperren wir Peter ein.« Heidi jubelte.

»Ihr bringt mich nie in den Keller.«

»Oh, er hat Schiß. Siehst du, Yolanda, er hat Schiß.«

»Die Buben haben immer Schiß. Drum geben sie doch immer so an.«   - Hugo Loetscher, Die Papiere des Immunen. Zürich 1986

Kinderspiel (9) Ein Schulkumpan, der gewitzter und freimütiger war als ich, hatte sich bereits bemüßigt gefühlt, mir unter dem Deckmantel folgender Lehrfabel den Mechanismus des Liebesaktes zu erläutern: ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen zeigen sich gegenseitig ihre Geschlechtsorgane, und der kleine Junge sagt zu dem kleinen Mädchen, das ihn fragt: »Was hast du denn da?«: »Das ist ein Finger. Und was hast du da?«, worauf das kleine Mädchen entgegnet: »Das ist ein Auge«, und der kleine Junge abschließend: »Komm, laß uns Finger-ins-Auge-stecken spielen!«  - Michel Leiris, Die Spielregel 2. Krempel. München 1985 (zuerst 1955)

Kinderspiel (10)

- Marcantonio Raimondi

Kinderspiel (11)  schnitzte er sich alle Helden aus dem Telemach von Papier, bemalte sie nach den Kupferstichen mit Helm und Panzer und ließ sie einige Tage lang in Schlachtordnung stehen, bis er endlich ihr Schicksal entschied und mit grausamen Messerhieben unter ihnen wütete, diesem den Helm, jenem den Schädel zerspaltete und rund um sich her nichts als Tod und Verderben sah.

So liefen alle seine Spiele, auch mit Kirsch- und Pflaumenkernen, auf Verderben und Zerstörung hinaus. Auch über diese mußte ein blindes Schicksal walten, indem er zwei verschiedene Arten als Heere gegeneinander anrücken und nun mit zugemachten Augen den eisernen Hammer auf sie herabfallen ließ, und wen es traf, den traf s. Wenn er Fliegen mit der Klappe totschlug, so tat er dieses mit einer Art Feierlichkeit, indem er einer jeden mit einem Stück Messing, das er in der Hand hatte, vorher die Totenglocke läutete. Das allergrößte Vergnügen machte es ihm, wenn er eine aus kleinen papier-nen Häusern erbaute Stadt verbrennen und dann nachher mit feierlichem Ernst und Wehmut den zurückgebliebenen Aschenhaufen betrachten konnte,

Ja, als in der Stadt, wo seine Eltern wohnten, einmal wirklich in der Nacht ein Haus abbrannte, so empfand er bei allem Schreck eine Art von geheimem Wunsche, daß das Feuer nicht so bald gelöscht werden möchte.

Dieser Wunsch hatte nichts weniger als Schadenfreude zum Grunde, sondern entstand aus einer dunklen Ahnung von großen Veränderungen  - Karl Philipp Moritz, Anton Reiser. Nach: Rolf Dieter Brinkmann, Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Reise Zeit Magazin (Tagebuch). Reinbek bei Hamburg 1987

Kinderspiel (12)

Kinderspiel (13)

- Esther Bubley

Kinderspiel (14)  »Ein Kinderspiel. Als wir noch klein waren, haben wir das immer gespielt. Wir stellten uns in einer Reihe auf. Und dann gingen Frage und Antwort die Reihe hinunter. ›Mrs. McGinty ist tot! Wie starb sie? Sprich!< - ›Auf einem Knie, genau wie ich.‹ Und dann kam die nächste Frage. ›Mrs. McGinty ist tot! Wie starb sie? Sprich!‹ - ›Hielt ihre Hand hin, genau wie ich.‹ Und dann knieten wir alle und hielten unsere rechten Arme steif ausgestreckt. Und dann kam es! ›Mrs. McGinty ist tot! Wie starb sie? Sprich!‹ - ›Soooo!‹ Plumps fiel der erste in der Reihe seitwärts, und dann fielen wir alle um wie die Kegel.« Spence lachte bei dieser Erinnerung laut auf.

Poirot wartete höflich. Das war einer dieser Augenblicke, in denen er die Engländer, selbst nach einem halben Leben in ihrem Lande, nicht verstehen konnte. Er selbst hatte in seiner Kindheit Cache-Cache gespielt, aber er fühlte kein Bedürfnis, darüber zu sprechen oder auch nur daran zu denken.

Als Spence sich halbwegs beruhigt hatte, wiederholte Poirot ein wenig gelangweilt: »Nun, und wie ist sie also gestorben?« Das Lachen verschwand plötzlich von Spences Gesicht. Auf einmal war er wieder normal. »Sie wurde mit einem scharfen, schweren Gegenstand auf den Hinterkopf geschlagen. Ihre Ersparnisse, etwa dreißig Pfund in bar, wurden geraubt, nachdem ihr Zimmer durchwühlt worden war. Sie lebte allein in einem Häuschen und hatte einen Untermieter. «   - Agatha Christie, Vier Frauen und ein Mord. Bern u. München 1991 (zuerst 1951)

Kinderspiel (15)  In einer Stadt Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, daß junge Kinder, fünf-, sechsjährige, Mägdlein und Knaben, mit einander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchm sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau empfahen, daß man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredetennaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riß es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf; und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend; er nimmt von Stund an den Metzger mir sich, und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel, und wußten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, daß es kindlicher Weise geschehen war. Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen, roten Apfel in die eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen, und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken; nehme es den Apfel, so solle es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es auch töten. Dem wird gefolgt; das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt. - Jörg Wickram, Rollwagenbüchlein. Nach: Heinrich von Kleist (Berliner Abendblätter vom 28. Okt. 1810)

Kind Spiel
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