Und so geschah es auch jetzt. In dem augenblick, als die wölfe die beiden geschwister gefressen hatten, wurden sie zu menschen, und nun war es eine alte frau, die darum bat, die menschenknochen ins haus zu bringen.
Die wolfsleute wohnten in einem großen, schönen haus, und es waren nicht
nur wölfe, die sich hier aufhielten. Sie hatten auch gäste auf den seitlichen
schlafbänken, und ihre gäste waren ein rabe und eine möwe, ein weißfuchs
und ein rotfuchs. Aber diese waren jetzt auch in menschengestalt. -
RASMUSSEN:
ESKIMOMÄRCHEN, nach (
dru
)
Verwandlung (2) Der böse Meister, der der Teufel selbst ist, hat den Jungen in die Lehre bekommen und ihm allerhand Zauber beigebracht. Er will ihn aber nie wieder freilassen und ganz in seinen Diensten verwenden. Da sinnt er auf Befreiung.
Eines Tages bemerkt er einen Sonnenstrahl in seinem Stall. Er sieht nach und findet einen Spalt in der Tür, durch den der Sonnenstrahl eingedrungen ist. Rasch verwandelt er sich in eine Maus, und schlüpft zum Spalt hinaus. Der Meister bemerkt, daß er fort ist, verwandelt sich in eine Katze und läuft der Maus nach.
Die Katze öffnet schon den Rachen, um die Maus zu töten, da verwandelt
sich diese in einen Fisch und springt ins Wasser. Der Meister wird im Nu
zu einem Netz und schwimmt hinter dem Fisch her. Fast hat er ihn gefangen,
da wird der Fisch zu einem Fasan. Der Meister macht als Falke auf ihn Jagd.
Schon fühlt der Fasan die Klauen seines Feindes, da läßt er sich in Gestalt
eines rotbackigen Apfels gerade in den Schoß des Königs fallen. Der Meister
wird zum Messer und der König hält es plötzlich in der Hand. Der König will
zugreifen und den Apfel zerschneiden, da ist der Apfel gar nicht mehr da
und statt seiner ein Häufchen Hirse. Davor steht eine Henne mit ihren Küken.
Sie picken un dpicken die Körner auf, bis ein einziges Körnchen übrig bleibt.
Das wird im letzten Augenblick zu einer Nadel. Das Huhn und die Küken aber
werden zu einem Faden im Öhr der Nadel. Nun flammt die Nadel auf, der Faden
verbrennt. Der Meister ist tot, die Nadel verwandelt sich in den Jungen
zurück, und er geht heim zu seinem Vater. - Georgisches Märchen,
nach (
cane
)
Verwandlung (3) Wenn alle Phantasie aus dem Morgenlande stammt, ist es dann nicht natürlich, daß angesichts aller Verwandlung, womit die Erde sich bedeckt, man dort auf den Gedanken kam, unsere Seelen wanderten von einem Leib zum andern? Ein kaum wahrnehmbarer Punkt wird zum Wurm, dieser Wurm wird zum Schmetterling; die Eichel bildet sich zum Eichbaum, das Ei zum Vogel; aus Wasser entstehen Gewölk und Donner; Holz wandelt sich zu Feuer und Asche; alles in der Natur scheint endlich Verwandlung. Auch den Seelen, die man für leichte Gestalten ansah, schrieb man bald zu, was man bei gröberen Körpern sah und fühlte. Die Idee der Seelenwanderung ist vielleicht das älteste Dogma, soweit wir das All kennen, und sie herrscht noch heute in einem großen Teil Indiens und Chinas.
Es ist nicht weniger natürlich, daß alle Verwandlung, deren Zeuge wir sind, jene alten Märchen hervorbrachte, die Ovid in seinem bewundernswerten Werk versammelt hat. Sogar die Juden haben ihre Verwandlungen. Wenn Niobe in Marmor verwandelt wurde, so ward Edith, das Weib Lots, zur Salzsäule. Blieb Eurydike im Schattenreich, weil sie sich umgeschaut hatte, so war es der gleiche Vorwitz, der jenes Weib Lots ihrer menschlichen Natur beraubte. Der Flecken in Phrygien, wo Philemon und Baukis wohnten, wird zum See; genauso ergeht es Sodom. Die Töchter des Anius verwandelten Wasser in Öl; wir haben in der Heiligen Schrift eine sehr ähnliche Verwandlung, wenn auch wahrhaftiger und heiliger. Kadmos ward zur Schlange wie Aarons Stab auch.
Oft wandelten die Götter sich zu Menschen;
die Juden haben ihre Engel nie anders als in Menschengestalt
erblickt: die Engel speisten bei Abraham. Paulus spricht in seinem
Brief an die Korinther, der Engel des Satans habe
ihn geohrfeigt: »Angelus Satana
me colaphiset.« - Voltaire, Philosophisches Wörterbuch, nach (
vol
)
Verwandlung (4) Astor, der Schäferhund,
pinkelte auf dem Balkon des Reiserschen Cafés zwischen den Eisengeländerstäben
durch, während auf der unteren Terrasse ein einsamer Herr in seine Zeitung vertieft
war. Drei Tropfen von Astors Urin fielen in seine Tasse, die noch eine Bodendecke
Tee enthielt. Der Herr, der seine Zeche bezahlt hatte, legte die Zeitung beiseite,
stand auf und ging weg, nachdem er seine Tasse geleert hatte. Dabei sah er auf
die Seite, als horche er oder sinne einem neuen Geschmack nach. Lächelte, verließ
die Terrasse und ging auf allen vieren weiter. An der Häuserecke, wo die Straße
eine Biegung machte, schnupperte er und hob das rechte Bein, trottete weiter
und richtete sich nach drei Schritten zu menschlicher Größe auf. Ging und fühlte
sich erfrischt, dachte: das muß ein starker Tee gewesen sein, der dich so munter
gemacht hat ... und erinnerte sich nicht mehr an seine vorübergehende Verwandlung.
- Hermann Lenz, Seltsamer Abschied. Frankfurt
am Main 1990
Verwandlung (5) Die Verwandlung von Frauen in Männer, so meint Plinius, gehöre keinesfalls ins Reich der Fabeln. ›In den Jahrbüchern findet sich die Notiz, daß im Konsulatsjahr des Quintus Licinius Crassus und des Gaius Cassius Longinus in Gasinum unter den Augen der Eltern aus einem Mädchen ein Knabe geworden sei, der dann auf Weisung der Wahrsager auf eine menschenleere Insel gebracht worden sei.‹ Licinius Mucianus verrät uns, er habe in Argos einen gewissen Arescon gesehen, der vorher Arescusa geheißen, sich sogar verehelicht habe, bei diesem hätten sich gar bald Bartwuchs und Zeichen der Männlichkeit gezeigt, und er hätte sich eine Frau genommen. Einen Knaben dieser Art habe er auch in Smyrna zu Gesicht bekommen.
Ich selbst habe in Afrika den thysdritanischen Bürger Lucius Cossitius
gesehen, der am Tag seiner Hochzeit in einen Mann verwandelt worden war
und, als ich dies niederschrieb, noch am Leben war.‹ Derselbe Plinius
schreibt in demselben Buch folgendes: ›Es gibt von Geburt an doppelgeschlechtliche
Menschen, die wir Hermaphroditen nennen; früher nannte man sie Androgyne.
Sie galten als wundersame Vorzeichen, heutzutage aber dienen sie zu Liebesspielen.‹
- (gel
)
Verwandlung (6) Der ORT DER WANDLUNG war 1975 von
einer Gruppe Altachtundsechziger (in Wirklichkeit war keiner von ihnen
an den 68er Ereignissen in irgendeiner Weise beteiligt; sagen wir, sie
hatten eine Achtundsechziger-Gesinnung) auf einem großen, mit Kiefern bepflanzten
Gelände, das den Eltern von einem von ihnen gehörte, etwas südlich von
Cholet gegründet worden. Das Vorhaben, stark geprägt von den ultraliberalen
Idealen, die Anfang der siebziger Jahre in Mode waren, bestand darin, eine
konkrete Utopie zu verwirklichen, das heißt, einen Ort zu schaffen, an
dem man sich bemühte, »hier und jetzt« nach den Prinzipien der Selbstverwaltung,
der Wahrung der individuellen Freiheit und der unmittelbaren Demokratie
zu leben. Der ORT war jedoch keine neue Kommune; es handelte sich um den
— eher bescheidenen — Versuch, einen Ferienort zu schaffen, das heißt einen
Ort, an dem die Verfechter dieser Ideen die Möglichkeit hatten, während
der Sommermonate die erwähnten Prinzipien in konkreter Weise in die Tat
umzusetzen; es ging außerdem darum, Synergien und schöpferische Begegnungen
hervorzurufen, und das alles vor dem Hintergrund einer humanistischen,
republikanischen Einstellung; und es ging, den Worten eines der Gründer
zufolge, letztlich darum, »ordentlich zu vögeln «. - Michel
Houellebecq
,
Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)
Verwandlung (7)
Rückverwandlung eines Schamanen von der Tier- in die Menschengestalt (Lithographie eines Karibu-Eskimo, Kanada 1971)
- Aus: Alfred Stolz, Schamanen. Ekstase und Jenseitssymbolik.
Köln 1988 (dumont Taschenbücher 210)
Verwandlung (8) Elege und Kelaine waren Töchter des Proitos; die Königin von Kypros hatte sie liebestoll gemacht. In ihrer Raserei, so erzählt man, zogen sie nackt durch einen Teil der Peloponnes und kamen, von ihrer Krankheit getrieben, auch in andere Gebiete Griechenlands. Wie ich hörte, wurden auch die Frauen in Lakedaimon und Chios von einem bacchantischen Toben erfaßt. Und wie die böotischen Frauen in gottbegeisterter Verzückung rasten, das ist durch die Tragödie allbekannt. Als einzige sollen sich die Töchter des Minyas, Leukippe, Arsippe und Alkithoë, diesem Treiben entzogen haben. Der Grund war, daß sie ihre Ehemänner liebten, und deshalb beteiligten sie sich nicht an der schwärmerischen Verehrung des Gottes; das reizte seinen Zorn: Die Mädchen waren am Webstuhl beschäftigt und arbeiteten mit größtem Eifer an ihrer Weberei. Plötzlich rankten sich Efeu und Reben um die Webstühle, und in den Wollkörben lauerten Schlangen, von der Decke tröpfelte Wein und Milch. Aber selbst hiervon ließen sich die Mädchen nicht umstimmen, sich der Verehrung des Gottes anzuschließen. Dann jedoch begingen die Töchter des Minyas eine Untat, die — wenn sie auch nicht auf dem Kithairon geschah — wahrlich der auf dem Kithairon nicht nachsteht:
Sie verfielen in Raserei und zerrissen Leukippes Sohn, einen kleinen
zarten Knaben, als sei er ein Hirschkalb, und eilten dann zu denen, die
von Anfang an Mänaden geworden waren. Doch wegen ihrer blutigen Tat wurden
sie von diesen verfolgt, und so verwandelten sie sich in Vögel, die eine
von ihnen in eine Krähe, die zweite in eine Fledermaus
und die dritte in eine Eule. - (
ael
)
Verwandlung (9)
Ich war in vielen Gestalten,
Bevor ich die
passende Form fand.
Ich war die schmale Klinge des Schwerts.
(Ich
werde es glauben, wenn es erscheint.)
Ich
war ein Tropfen in der Luft.
Ich war ein leuchtender Stern.
Ich war
ein Wort in einem Buch.
Ich war zu Anfang ein Buch.
Ich war ein Licht
in einer Lampe.
Ein und einhalb Jahr.
Ich war eine Brücke zum Überschreiten
von
dreimal zwanzig Flüssen.
Ich bin gereist als Adler.
Ich war ein Schiff
auf dem Meer.
Ich war der Führer in einer Schlacht.
Ich war das Band
an eines Kindes Wickeltuch.
Ich war ein Schwert in der Hand.
Ich
war ein Schild im Kampf.
Ich war die Saite einer Harfe,
Verzaubert
für ein Jahr
In die Gischt des Wassers.
Ich war ein Schürhaken im
Feuer.
Ich war ein Baum im Dickicht.
Nichts
gibt es, was ich nicht gewesen.- Aus: CAD GODDEU (Die Schlacht
der Bäume). Nach (
grav
)
Verwandlung (10) Schon seit langem hatte ich meine Tinktur vorbereitet. Ich hatte mir von einer Chemikaliengroßhandlung ein umfangreiches Quantum eines besonderen Salzes besorgt, das, wie ich von meinen Versuchen wußte, den letzten notwendigen Bestandteil darstellte, und spät in einer verfluchten Nacht mischte ich die Ingredienzien, beobachtete, wie sie im Glas miteinander kochten und rauchten, und als das Aufwallen nachgelassen hatte, trank ich mit einer großen Willensanstrengung die Flüssigkeit aus.
Ein quälender Schmerz war die Folge. Ein Reißen in den Knochen, tödliche Übelkeit und ein Gefühl der Angst, das im Augenblick der Geburt oder des Todes nicht schlimmer sein kann. Dann schwand die Qual, und wie aus einer schweren Krankheit kam ich wieder zu mir.
Es war etwas Fremdartiges in meinem Empfinden, etwas unbeschreiblich
Neues und, weil es so neuartig war, etwas unglaublich Süßes. Ich fühlte
mich jünger, leichter, körperlich glücklicher. In meinem Innern wurde ich
mir einer berauschenden Sorglosigkeit bewußt, eines Stromes ungeordneter
sinnlicher Vorstellungen, der wie ein Mühlgraben durch meine Phantasie
rauschte, einer Lockerung aller Bande moralischer Verpflichtungen und eines
unbekannten, aber keineswegs unschuldsvollen Gefühls seelischer Freiheit.
Mit dem ersten Atemzug dieses neuen Lebens erkannte ich, daß ich lasterhaft
geworden war, zehnfach lasterhaft, ein Sklave meiner schlechten Veranlagung,
und der Gedanke daran erquickte und entzückte mich in diesem Augenblick
wie Wein. In diesem frischen Gefühl streckte ich
meine Hand aus, und dabei wurde ich plötzlich gewahr,
daß ich kleiner geworden war. - Robert Louis Stevenson, Dr. Jekyll
und Mr. Hyde
Verwandlung (11) Die klassisch gewordene Sequenz
zu Anfang von »Ein andalusischer Hund« verwandelt
den Betrachter, der zusieht, wie ein Auge durchtrennt wird, in jemanden,
dessen Auge durchgetrennt wird, und schließlich
in jemanden, der durch das Spiel der Einstellungen jemandem ein Auge zertrennt.
Der Schock bricht ein für allemal mit der bisher üblichen Logik
des Blicks. Die Beziehung zwischen Bild und Betrachter
kehrt sich um: Das Bild interpretiert den Betrachter.
- Carlos Rincón, Nachwort zu (
bun
)
Verwandlung (12) Noch eine Verwandlung Als
Triboll erwachte, saß sein Gesicht am Hinterkopf. Das gefiel Triboll. Wenn
er spazierenging, sahen ihm die Leute nach, und Triboll freute sich darüber,
weil er sehen konnte, daß ihm die Leute nachsahen. Doch diese waren nicht
dümmer als er. Als sie bemerkten, daß Triboll zusah, wie sie ihm nachschauten,
schauten sie ihm vor, und das konnte Triboll nicht mehr sehen, denn sein
Gesicht saß ja am Hinterkopf. Er glaubte deshalb, er sei wieder wie die
anderen, und wollte wieder Freundschaft mit
ihnen schließen. Doch die anderen wurden böse und sagten, er sei nicht
so wie sie. Triboll hielt es für eine Lüge und
empfahl ihnen, zu beichten, weil er fürchtete, sie kämen wegen ihrer Verlogenheit
in die Hölle. Die anderen lachten ihn aus. Da ging die Welt mit Triboll
und den anderen unter, und Triboll kam in den Himmel. Als er dort die anderen
schon vorfand, dachte er, er sei in der Hölle, und glaubte niemandem den
Himmel, denn er wußte, daß alle logen. So blieb
er seine Ewigkeit lang in der Hölle. - Gisela
Elsner, Kürzestgeschichten um Triboll. Aus: Deutsche Parabeln, Hg. Josef
Billen. Stuttgart 1982 (Reclam 7761)
Verwandlung (13) Die Form der Verwandlung ist für
uns der Tod: und die letzten Zeilen, die von Pinocchios
Verwandlung handeln, erzählen Pinocchios Tod. In der Nacht
und im Traum hat sich Pinocchio entschieden
zu sterben. Er hat sie alle zu sich gerufen:
die »Mordgesellen«, alle Arten von Feuer und Wasser,
das butterweiche Männchen, das gewaltige Fieber, die Blitze
seiner »schauerlichen Nächte«, die Schlange
und den grünen Fischer. Und er hat seine ganze Legende, sein ganzes Geschick
verwendet, um sich umzubringen: und mit seinem Selbstmord verschwinden
alle Ungeheuer, die als Geschick Pinocchios
existierten, für immer. Niemand konnte Pinocchio töten außer Pinocchio;
niemand außer ihm selbst konnte sein hartes Holz umbringen. Aber in diesem
Tod steckt ein Geheimnis. Der hölzerne Hampelmann
hat den Tod gewählt, damit der Pinocchio — wenn dies sein Name
sein wird — aus Fleisch und Blut anfangen kann zu leben; aber er hat sich
nicht verwandelt. Tot lehnt er als Leiche »an
einem Stuhl, er hatte den Kopf auf die eine Seite gedreht, ließ die Arme
schlaff herunterhängen und knickte die übereinandergeschlagenen Beine...
ein«. Pinocchio betrachtet den geheimnisvollen Hampelmann, den »wunderbaren«
und »komischen« Hampelmann. Im Haus des neuen Pinocchio bleibt die tote,
wundertätige Reliquie, der neue, lebendige Pinocchio muß mit dem alten
toten zusammenleben. Dieses meterhohe Holz wird nicht aufhören, ihn herauszufordern.
- Giorgio Manganelli, Pinocchio. Ein Parallel-Buch.
Frankfurt am Main 1993 (it 1517, zuerst 1977)
Verwandlung (14) Ich, Tschuang-Tse, träumte einst,
ich sei ein Schmetterling, ein hin und her flatternder, in allen Zwecken
und Zielen ein Schmetterling. Ich wußte nur, daß ich meinen Launen wie
ein Schmetterling folgte, und war meines Menschenwesens unbewußt. Plötzlich
erwachte ich; und da lag ich: wieder "ich selbst". Nun weiß ich
nicht: war ich da ein Mensch, der träumt, er sei ein Schmetterling, oder
bin ich jetzt ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch? Zwischen
Mensch und Schmetterling ist eine Schranke. Sie überschreiten ist Wandlung
genannt. - nach (
je
)
Verwandlung (15) Vollkommener Himmel: in seiner
großartigen Stofflichkeit befinden sich, als Ahnung, ohne Beobachtung,
alle Erdlandschaften. Ich brauchte nur genug selbstlose Energie, und ich
würde in ihm überleben: in dem ewigen Ziehen, Strahlen, Blauen, Scheinen,
in seiner Gegenbewegung zur Idee von Leben und Tod. Bei seinem Anblick
möchte ich mich verwandeln. In was? Nur verwandeln, aus mir heraussteigend,
mich übersteigend, riesig werdend und leicht, selbstüberwältigt, überwältigter
Überwältiger. Und in meiner Lust, mich in die Landschaft
zu verwandeln, zu entfalten und so gleichsam der Vertikalität von Leben
und Tod zu konterkarieren, fühlte ich plötzlich, bei der Vorstellung, das
könnte mir sogar gelingen, gleich jetzt, und zwar bei lebendigem Leibe,
eine Angst, ich könnte tatsächlich weg,
entleibt sein - (
bleist
)
Verwandlung (16) Gilgamesch, zwei Drittel Gott, ein Drittel Mensch, lebte in Eresch. Unbesiegbar unter den Kriegern, herrschte er mit eiserner Faust: Die jungen Männer dienten ihm, und er verschonte keine Jungfrau. Das Volk rief den göttlichen Schutz an, und der Herr des Himmels befahl Aruru (der Göttin, die den ersten Menschen aus Lehm geformt hatte), sie solle ein Wesen bilden, imstande, Gilgamesch entgegenzutreten und sein Volk zu beruhigen.
Aruru formte ein Geschöpf, das sie Enkidu nannte. Es war behaart, hatte
lange Zöpfe, bedeckte sich mit Fellen, hauste mit den Tieren und aß Krauter.
Es zerstörte auch die Fallen und rettete die Tiere. Als Gilgamesch dies
erfuhr, befahl er, daß ihm eine nackte Jungfrau vorgeführt werde. Enkidu
besaß sie sieben Tage und sieben Nächte hindurch und schließlich kannten
die Gazellen und die wilden Tiere ihn nicht mehr und er bemerkte, daß seine
Beine nicht mehr so leicht waren. Er hatte sich in einen Menschen verwandelt.
- Babylonische Erzählung aus dem zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt,
nach (
bo4
)
Verwandlung (17) Einmal in meinem Leben habe
ich bis jetzt die Verwandlung erfahren. Diese war mir davor ein bloßes
Wort gewesen, und als sie damals anfing, nicht gemächlich, sondern mit
einem Schlag, hielt ich sie zunächst für mein Ende. Sie traf mich als Todesurteil.
Plötzlich fand sich an meiner Stelle kein Mensch mehr, statt dessen ein
Auswurf, für den es, im Unterschied zu der bekannten Alt-Prager Groteske,
nicht einmal die Flucht in die wenn auch noch so schrecklichen Bilder gab.
Die Verwandlung kam über mich ohne ein Bild, als ein einziges Würgen. Zu
einem Teil erstarrte ich. Zum anderen Teil tat ich mit meinem Tag weiter,
als ob nichts wäre. So sah ich einmal einen Passanten, von einem Auto in
die Luft geschleudert, jenseits des Kühlers auf beiden Füßen landen und
mir nichts, dir nichts weitergehen, wenigstens für ein paar Schritte. So
hielt einst mein Sohn, als seine Mutter bei Tisch zusammenbrach, gerade
bloß für den Moment im Essen inne und kaute nach dem Abtransport des Körpers
allein an der Tafel weiter, bis sein Teller leer war. Und ebenso ich, als
ich im letzten Sommer von einer Leiter fiel: Sofort stieg ich wieder hinauf,
oder versuchte es. Und ebenso wieder ich selber noch vorgestern: Nachdem
die zurückspringende Messerklinge, in einem tiefen Schnitt, der mich kurz
alle Fleischschichten bis auf den Knochen sehen ließ, mir fast den Schreibfinger
abgetrennt hatte, putzte ich, während ich die Hand, auf das Blut wartend,
in den Wasserstrahl hielt, mit der andern sorgsam die Zähne. - Peter
Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994
Verwandlung (18) Aus Wasser Wein zu machen: Lasse
12 Pfund fließenden Wassers bis auf 10 Pfund lindlich einkochen, schütte
solches Wasser in ein reines Fäßgen und tue hinzu 2 und ein halb Pfund
zerstückten harten Zuckers nebst einem halben Schoppen des Branntenweins.
Schwenke das Fäßgen um und, alldieweilen das Wasser darinnen noch laulich
warm ist, wirf ein Stück lindlich gerösteten hausbacken Brots, so mit Hefen
von weißem süßen Biere überstrichen, hinein und lasse es, mit dem Spunden
verwahret, an einem warmen Orte zusammen gären. Nachdeme es nun einige
Tage über ziemlich, jedoch nicht gar völlig ausgegoren, so zapfe diesen
Wein ab in ein ander, rein und mit obigem Schwefel geschwefeltes Fäßgen,
spunde selbiges ganz feste zu, nachdeme zu Oberst in dem Fäßgen, gleichwie
in dem ersteren, noch ein geringes Spatium leer gelassen worden, und lasse
es in einem kühlen Keller 1 Monat lang stille liegen. Dann fülle solchen
Wein auf gläserne Bouteillen und halte selbige, ganz voll und mit Stösseln
von Gorke wohl verwahret, auf zum Gebrauche in dem kühlen Keller und Sande.
- (
zauber
)
Verwandlung (19)
Alles wandelt sich, nichts vergeht. Es schweift unser Geist,
kommt Und, da auf hoher Flut es mich trägt, ich dem Winde
die vollen |
- (
ov
)
Verwandlung (20) In eben diesem Augenblick zeigte sich der Sohn des Königs von Maol hoch am Himmel in der Gestalt eines Giftigen Löwen.
»Sohn des Königs von Maol, komm herab und kämpfe hier als Krieger«, schrie Céatach zu ihm hinauf.
»Nein«, rief der Sohn des Königs von Maol, »verwandle dich doch auch in einen Giftigen Löwen und komm zu mir herauf.«
Céatach erhob sich auf seine Zehenspitzen und durch die Stärke seiner
beiden zauberkräftigen Hände sprang er als Giftiger
Löwe hinauf in den Himmel. Er war noch nicht eine
Minute dort, als er auch schon dem Sohn des Königs von Maol den Kopf mit
einem Prankenhieb abgeschlagen hatte. Herab zur Erde kam er wieder als
schöner mächtiger Krieger und lud den Sohn des Königs von Olachtaf zum
Kampfe ein. Der lehnte ab und forderte Céatach auf, auch mit ihm als Giftiger
Löwe zu kämpfen. Zum zweitenmal erhob sich Céatach auf seine Zehenspitzen
und durch die Stärke seiner beiden zauberkräftigen Hände verwandelte er
sich in einen Giftigen Löwen. Die beiden Zauberkrieger kämpften sieben
Tage und sieben Nächte, erst als Löwen, dann als
Drachen, dann als Adler, bis es auch nicht ein
Untier mehr gab, in das sie sich nicht schon verwandelt hatten. Keiner
konnte sich rühmen, stärker zu sein als der andere. Da fuhren sie in den
See und bekriegten sich dort als Fische. Sie stiegen als Krieger
ans Land und kämpften mit Schwertern, bis sie sich beide erschöpft, hungrig
und durstig m den Sand legen mußten, ohne daß eine Entscheidung gefallen
wäre. Einundzwanzig Tage hieben sie danach aufeianander ein. Und dann endlich
rannten sie wieder mit ihren Schwertern gegeneinander an, stießen sich
die Waffen ins Herz und fielen beide tot um. - Céatach, in: (
irm
)
Verwandlung (21) Daß er der venezianischen Quaestura avisiert worden war, hielt Pinöff für sehr wahrscheinlich, obwohl er auf der ganzen Strecke, weder im Berliner D-Zug noch im Rom-Expreß, irgendetwas Verdächtiges wahrgenommen hatte. Lediglich ein Kellner des Münchner Speisewagens hatte einmal unmotiviert frech geantwortet und ein alter Herr hinter Verona ein wenig zu korrekt um Feuer gebeten. Pinöff, der die Nervosität, welche ihm die Aufmerksamkeit der Polizei verursachte, endgültig loszuwerden wünschte, traf darum für alle Fälle seine Vorkehrungen, als der Zug Mestre verließ und über die lange Mole Venedig sich näherte. Er holte seine beiden Handkoffer, die nichts enthielten als in Lumpen gewickelte Steine, fürsorglich aus dem Netz herunter, überzeugte sich umständlich, ob die Schlösser wohl schlössen, legte Schirm und Plaid bereit, zog seinen dunkelbraunen Macferlane an und wartete, das wachsame Auge auf sein Gepäck gerichtet, stehend die Einfahrt ab. Als der Zug hielt, schrie er, so laut wie nur möglich, nach einem Facchino und folgte ihm, als er mit seinen Koffern beladen vor ihm herwankte, auf den Fersen. Vor den Toiletten hieß er ihn stehen bleiben, zog seinen Mantel aus, warf ihm diesen über die Schulter und betrat vor seinen Augen den Waschraum. Nachdem er abgesperrt hatte, entkleidete er sich hastig, wendete Rock, Weste und Hose, die nun von grüner Farbe sich erwiesen und als ungefüttert, ersetzte den harten Kragen durch einen weichen, wechselte die rötliche Krawatte gegen eine weiße aus, setzte sich eine graue Sportmütze auf statt des weichen Hutes und veränderte sein Gesicht durch eine diskrete Bemalung und eine kleine Grimasse, die es zur Gänze unkenntlich machte. Ohne irgendetwas zurückzulassen, zog er sich ganz hinten vor der Mauer an der Holzwand hoch, ließ sich, nachdem er gesehen hatte, daß er leer war, in den anschließenden Abort niedergleiten und erreichte von diesem aus auf dieselbe Weise den daneben befindlichen, dessen Tür er schnell öffnete und laut zuwarf. Und während er, gemächlich dahinschlendernd, eine Zigarette sich entzündete, verschwand er vor dem Bahnhof in der Menge, die sich gegen den Halteplatz des Vaporetto drängte.
Trotz aller dieser Exaktheit bemerkte Pinöff schon vor der Haltestelle
Rialto den alten Herrn aus dem Zug wieder, der ihn um Feuer gebeten hatte.
Nichts war zwar näherliegend, als daß ein Ankömmling denselben Vaporetto
benützte; was aber bot Pinöff die Gewähr dafür, daß es sich nicht anders
verhielt? Augenblicks war er entschlossen, sich Gewißheit
zu verschaffen und sein definitives Verschwinden,
das er ohnedies der Frezzaria vorbehalten hatte, mit peinlichster Vorsicht
zu organisieren. - Walter
Serner
,
Die Frezzaria. In: W.S.: Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten.
München 1982 (dtv 1741, zuerst 1925)
Verwandlung (22) Drei neue Modelle wurden hereingebracht und die drei erstigen fertigen abgeholt. Als das letzte auf das Brett gelegt wurde, erkannte ich an dem goldenen Ton der Haut das Mädchen vom Abend.
»Unsere Begleiterin«, sagte die Stimme neben mir. »Überzeugen Sie sich, daß die Herztätigkeit bereits zur Ruhe gekommen ist. Freilich, die Wärme des Körpers bleibt noch zwei Stunden die gleiche, bis sie auf das Minimum herabsinkt. Dann muß mittag beim besten Licht die Arbeit schnell zu Ende geführt werden.«
Als ich meine Hand unter die kleinen festen Brüste gelegt hatte, begannen mir plötzlich die Sinne zu schwinden. Ich hörte noch, wie mein Begleiter sagte: »Ja, die Hitze ist sehr groß. Sie sind es nicht gewöhnt.« Dann wurde ich fortgeführt und in einen Stuhl gesetzt.
Ich fühlte, wie sich ringsum Leute um mich bewegten,
wie sich jemand über mich beugte, mein Herz behorchte,
und es wurde mir schrecklich klar: auch ich hatte die Injektionen empfangen.
Aber diese Klarheit erstarb. Ein Vorhang von
silbergrauem, körnigem Stoff umrauschte mich, umzog mich, ich wollte mich
wehren gegen den andringenden Stoff, aber als ich gegen ihn schlug, erstarrte
er zu Stein. Und über meine Seele ergoß sich Dunkel.
Mein Körper war irgendwo, aber meine Seele
betrachtete ihn von fern, und ich sah mich stehen in einem Schaufenster
vor einem grünen Vorhang, mit aufgewichstem Schnurrbart, im Cutaway, Zylinder,
Lackstiefeln, graugestreiften Beinkleidern, die linke Hand in die Seite
gestützt, den rechten Fuß im eckigen Tangoschritt. Mit großen, dunklen
Augen starrte ich auf die bewegte Straße, der ich meine gelben Handschuhe
und meine ganze korrekte äußere Erscheinung präsentierte. Vergebens versuchte
meine Seele meinen Körper wieder zu erreichen, und diese stumpfsinnige
Wachspuppe, die ich war, zu beleben. Alle Anstrengungen erstarben. Vergebens
versuchte ich, die Brust zum Einsaugen der Luft zu bewegen, und es schien
mir, als ob gegen die Scheiben des Fensters gedrückt Menschen standen und
mich ob meiner Anstrengungen verspotteten. Und doch waren es keine Menschen,
es waren ja auch nur Wachspuppen. - Friedrich Freksa, Berliner
Reiseerlebnis. In: Jenseits der Träume. Seltsame Geschichten vom Anfang
des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch. Fankfurt am Main 1990 (st 1595,
zuerst 1919)
Verwandlung (23) Die Menschen und Tiere
müssen atmen und leben, damit die Pflanzen
wachsen und leben; ja, die Lungen der Menschen und Tiere lassen sich geradezu
als Organe ansehen, welche den Pflanzen dieses notwendigste Lebensbedürfnis
zuzubereiten haben. Wir halten Kühe, uns die Milch in ihren Eutern zu bereiten;
den Pflanzen werden von Gott Menschen und Tiere gehalten, die Kohlensäure
für sie in den Lungen zu bereiten. Die Kuh selber,
indem sie das Gras frißt, hilft durch ihren Atem
neues Gras bauen; sie frißt nur die alten Blätter, d. h. die Produkte der
früheren Lebenstätigkeit der Pflanzen, und das Fertige hat für die
Pflanzen nicht gar viel mehr zu bedeuten; sie haucht dafür den Stoff zu
neuer Lebenstätigkeit aus, denn in der Verwandlung jenes halb geistigen
Stoffes in leiblichen besteht die Hauptaufgabe des Lebens der Pflanzen;
das eben macht sie wachsen, grünen, leben. - Gustav Theodor
Fechner, Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen. In: G.T.F., Das
unendliche Leben. München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1848)
Verwandlung (24) Obwohl er seit seinem Eintritt bei der Kriminalpolizei mit dem Kommissar zusammenarbeitete und bei vielen Untersuchungen mitgemacht hatte, war er doch jedesmal wieder beeindruckt, wenn das Seltsame geschah.
Am Tage zuvor hatte sich Maigret mit wilder Leidenschaft in die Affäre gestürzt, die Figuren aus dem Schatten gezogen und sie immer wieder zwischen seinen dikken Tatzen hin und her gedreht, wie eine Katze es mit einer Maus macht. Dann stellte er sie wieder zurück in ihre Ecke. Er schickte seine Inspektoren fast planlos hierhin und dorthin und sagte sich, daß etwas dabei herauskommen würde.
Plötzlich spielte er nicht mehr. Ein anderer saß neben Janvier, ein Mensch, dem nichts etwas anhaben konnte, ein Mensch wie ein einziger steinerner Block.
Gegen Mittag glichen die Avenuen und Straßen von Paris in der Julihitze einem Feuerwerk. Überall sah man aufblitzende Lichter. Sie prallten von den Schieferdächern und den roten Ziegeln ab, von den Fensterscheiben, vor denen eine rote Geranie leuchtete. Sie rieselten von den roten, gelben, grünen, blauen Karosserien der Autos, begleitet von den Hupen, den Stimmen, den quietschenden Bremsen, den Glocken, den grellen Pfiffen der Polizisten.
Das schwarze Auto wirkte in diesem Lärm wie eine Insel des Schweigens und der Reglosigkeit Maigret schien ein Klotz zu sein, der nichts fühlt, denn bestimmt sah er nichts, hörte nichts und merkte kaum, daß man in der Rue des Acacias angekommen war.
»Wir sind da, Chef.«
Schwerfällig stieg er aus dem für ihn zu engen Wagen und betrachtete
die ihm vertraute Straße, als sei sie ihm völlig fremd. Dann hob er den
Kopf mit der Miene, als wollte er von dem ganzen Haus,
seinen Stockwerken, seinen Mietern Besitz ergreifen.
- Georges Simenon, Maigret hat Geduld. München 1971 (Heyne
Simenon-Kriminalromane 99, zuerst 1965)
Verwandlung (25) Die belebte Natur ist
extrem polymorph oder vielgestaltig. Ob es sich
um BAKTERIEN, Pflanzen oder Tiere handelt, sie ist geprägt von einer ungeheuren
Vielfalt der Formen, Größen, Farben und Arten der Reproduktion, Ernährung
und Fortbewegung. ARTEN, deren Zahl in die Millionen geht und die noch
lange nicht vollständig klassifiziert sind,
bevölkern Luft, Land und Meere.
Von der kleinsten einzelligen Bakterie mit einer Größe von weniger als
einem Tausendstel Millimeter bis hin zu den Meeressäugetieren und Riesenbäumen,
die zehnmillionenfach größer sind; von den Bakterien, die in unseren Eingeweiden
leben wie die Escherichia coli bis hin zu solchen, die unter extremen Temperaturen
oder in einer stark salzhaltigen Umgebung leben; von den tropischen Pflanzen
bis hin zu solchen, die in den trockensten Wüstengebieten wachsen wie Kakteen;
von kurzlebigen Organismen bis hin zu solchen, die tausende von Jahren
leben wie der Mammutbaum; von Arten, die in jedem Reproduktionszyklus tausende
Nachkommen hervorbringen (wie Fische und Quallen), bis hin zu solchen;
die in ihrem ganzen Leben nur einige wenige schaffen. -
(thes)
Verwandlung (26)
Ich will die Nacht um mich ziehn
als ein warmes Tuch Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus, Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz.
Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn, Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald.
Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß,
|
Verwandlung (27) Tereus, König der Thrakier,
hatte Prokne, die älteste Tochter Pandions, Königs von Athen, zur Gemahlin
erhalten, die ihm einen Sohn, Itys, gebar. Einst, da sie ihre entfernte
Schwester Philomele zu sehen wünschte, zog er aus, dieselbe abzuholen,
entehrte sie aber unterwegs, verwahrte sie an einem abgelegenen Orte und
schnitt ihr, damit die Untat verschwiegen bleibe, die Zunge
aus. Doch Prokne sandte Philomelen ein von ihr gewirktes Tuch, auf welchem
ihr Unglück im Bilde dargestellt war. Die Schwestern
sahen sich hierauf beim Bakchosfeste in Athen; sie beschlossen, den Itys
zu schlachten und dem Vater zum Mahl vorzusetzen.
Beide entflohen, von Tereus verfolgt, und auf ihr Hülfeflehen wurden alle
von den Göttern in Vögel verwandelt; Philomele in eine Schwalbe, Prokne
in eine Nachtigall, Tereus in einen Habicht oder Wiedehopf, Itys in einen
Fasan. Erst von den Spätern wird Philomele als Nachtigall,
ihre Schwester als Schwalbe bezeichnet. - Eduard Mörike, Kommentar
zu seiner Übersetzung anakreontischer Lieder
Verwandlung (28) Diese nackte Brust, die sie so natürlich zeigte, störte ihn. Es störte ihn auch, daß sie das Dienstmädchen rief, das so in die Intimität des unaufgeräumten Schlafzimmers drang.
»Das Frühstück, Marthe. Du hast doch noch nichts gegessen, Gilles? Dann auch das Frühstück für Monsieur.«
Sie streckte sich. Sie war zufrieden. Sie ging die Jalousien öffnen und rief:
»Sieh da! Es regnet . . .«
Dann, von einem Gedanken zum andern springend:
»Hast du deine Tante gesehen?«
»Sie ist ausgegangen.«
»Meinst du nicht auch, daß es nicht immer lustig sein wird, wenn sie ihre Mahlzeiten mit uns einnimmt?«
Er hätte gern die Tür zum Badezimmer abgeschlossen, um seine Toilette zu machen, aber er wagte es nicht. Und Alice schaute ihn an. Sie sagte:
»Sieh an! Du hast ja einen Schönheitsfleck auf dem linken Schulterblatt. Ich habe hier einen, auf dem Schenkel, aber er ist kleiner. Schau her . . .«
Sie war ganz einfach Frau geworden. Das amüsierte
ihn. - Georges Simenon, Ankunft Allerheiligen. Zürich 1979 (detebe
135/14, zuerst 1941)
Verwandlung (29) Ich war verheiratet mit diesem Weibe. Ich liebte sie unaussprechlich, sie aber warf ihr Auge auf einen Schweinehirten. Mit ihrem Zauberstabe verwandelte sie mich in einen Bullen; ich spießte die besten Stücke ihrer Herde. - Sie verwandelte mich in einen weißen Kranich; da stieß ich die Viehhürdcn um und ließ die wilden Tiere herein. - Sie verwandelte mich in einen Wolf, da zerriß ich ihre Schafe.
Da stachelte sie ihren Vater auf, mich mit Hunden zu hetzen und zu töten. Ich aber warf mich ihm zu Füßen, und er nahm mich in sein Haus auf. In der Nachbarschaft lebte ein Riese. Der stahl die Kinder des Königs in der Nacht, da sie geboren wurden; und wenn sie älter geworden waren, mußten sie seine Ziegen hüten.
Wieder war dem König ein Knabe geboren; da kam der Riese in der Nacht und ergriff das Kind. Aber der Wolf packte des Riesen Arm und riß ihn aus dem Schultergelenk.
Nun liebte der König den Wolf noch mehr. Das Weib aber bespritzte des Wolfes Rachen mit Blut und behauptete, er hätte den Knaben verschlungen; und sie verlangte, daß der Wolf getötet werden sollte.
Der König schlug es ab und tat dem Wolfe nichts weiter, als daß er ihn aus seiner Burg ausstieß.
Er traf die drei Kinder des Königs, die beim Ziegenhüten waren. Sie weinten. Da fragte er sie nach dem Grunde.
›Ach!‹ sagten sie, ›in der nächsten Nacht wird uns der Riese ermorden !‹
Da tötete der Wolf vier Ziegen und zog ihnen das Fell ab. Er und die drei Knaben zogen die Ziegenfelle über.
Dann sagte der Wolf: ›Wenn der Riese die Zcgen abends hereinruft, werde ich hineinstürzen und ihm dis Auge mit dem Ziegenhorn ausbohren. Am nächsten Morgen wird er euch rufen, um zu erfahren, ob ihr noch in dei Hütte seid. Darauf wird er die Ziegen bei ihren Namen riefen, um sie hinauszulassen. Dann geht ruhig hinaus, denn in eurer Verkleidung wird er euch nicht erkennen. Auch ich werde mich hinausstehlen. Wenn alle Tiere draußen sind, wird der Riese glauben, daß ihr allein noch darinnen seid, und er wird den großen Mittelpfosten der Hütte ausreißen, um seine Rache an euch zu nehmen, und sich und euch unter da Trümmern des Hauses begraben. Aber er wird nur sich allein den Schädel zerschmettern.‹
Und so geschah es.
Dann gingen der Wolf und die drei Knaben zur Burg des Königs. Der Wolf aber befahl den Knaben, eine Rute aus einem bestimmten Kasten zu holen. Sie brachten die Rute; der eine Knabe aber hatte gerade ein Stück Brot in der Hand.
Da schnappte der Wolf danach. Der Knabe aber schlug mit der Rute nach ihm.
Augenblicklich fiel die Verzauberung von dem Wolfe ab, und ich wurde wieder
ein Mensch. - (
ir
)
Verwandlung (30) Als ich an die bewußte Villa gelangte,
wo mich meine Freundin erwartete, veränderte sich das ganze Panorama meines
Schicksals, und es war wie der Einbruch einer neuen Kraft, einer, die meine
ganze »Konstellation« auf den Kopf stellte. Einer fremden Kraft! Dort erwartete
mich Jugend, aber eine andere, eine in menschlicher Gestalt Leib gewordene,
aber von anderer Gestalt als ineine - und diese Arme, zugleich identisch und
exotisch, machten mich auf einmal zu jemand anderem, sie zwangen dazu, daß ich
mich in diesen Umarmungen mit der Fremdheit einspiele als ihre Ergänzung. Die
Weiblichkeit verlangte von mir nicht Jugend,
sondern Männlichkeit, und ich wurde lediglich zum Mann,
zu einem eroberungsgierigen, zu besitzen fähigen, einem fremde Biologie annektierenden.
Ungeheuerlichkeit der Männlichkeit, die nicht mit der eigenen Häßlichkeit rechnet,
sich nicht zu gefallen müht, die ein Akt der Expansion und der Gewalt ist und
- vor allem - des Herrschens, dieses Herrsein, das nur
die eigene Befriedigung sucht ... es mag sein, daß mir das eine augenblickliche
Erleichterung brachte . . . das war, als hörte ich auf, ein menschliches Wesen
zu sein, ein ängstliches, bedrohtes, als ob ich zu einem Herrscher wurde, zu
einem Besitzer, einem Souverän . . . und sie, das Weib, tötete in mir den Jungen
durch den Mann. Aber das dauerte nicht lange. -
(
gom
)
Verwandlung (31) Als neunjähriger Junge war ich
von der Lektüre von Coopers «Lederstrumpf» so begeistert, daß ich das ganze
Buch vom «Letzten Mohikaner» hintereinander fein säuberlich in Rundschrift abschrieb.
Das Buch hatte mir ein Freund geliehen, dem ich es leider wieder zurückgeben
mußte. Ich aber liebte diese Indianergeschichte, ich wünschte sie ganz für mich
allein zu besitzen und darin lesen zu können, wann immer ich wollte — also schrieb
ich sie ab. Ich saß auf unserem Balkon, der wie ein Vogelkäfig über Eck an der
Fassade des häßlichen Mietshauses klebte, in dem wir damals in Berlin wohnten.
Unter mir verchwanden Straße, Kohlenplatz und
Schule; ich war weit fort, war mit dem Kundschafter bei den Indianern, bei dem
edlen Greise Chingachgook und seinem Sohn und Erben Unkas. Ich sah den tapferen
Major Hayward, den einfältigen Prediger und Mabel und Cora von den schrecklich
bemalten Irokesen bedroht; an meiner Hüfte hing ein Pulverhorn, ein Jagdmesser
stak in meinem Gürtel, und eine lange Kentuckyflinte, das Schloß sorgsam gegen
Nässe umwickelt, lag in meiner Hand. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein
großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst
1955
Verwandlung (32)
Smileys Verwandlung
Vorher |
Nachher |
|
|
:-| |
&:-) |
|
|
(-| |
@:-) |
|
|
|:o( |
\:o) |
|
|
7:-| |
?:-) |
|
|
#:-( |
|:-#) |
Verwandlung (33) Gemeinsam blickten sie auf Mr. Lambs Bett und sahen ein Pferd. Soviel Bettdecke wie möglich lag auf dem Pferd; sein Kopf lag zwar in den Kissen, doch blieb vieles unbedeckt und baumelnd. Hufe und Beine waren deutlich sichtbar. Es war völlig klar, daß nur das entschlossenste aller Pferde es auf sich nehmen würde, nur um eines Bettes willen in einer solch verkrampften Position zu schlafen.
»Mein Gott«, sagte Mrs. Lamb und hielt den Atem an. »Was wird das Personal dazu sagen?«
Unter den prüfenden Blicken der zwei Frauen rührte sich das Pferd vor Unbehagen und schlug ein Auge auf. Das genügte. Mrs. Lamb erlaubte sich ein Ringen nach Luft. Hebe war einfach nur interessiert. Nicht zufrieden mit dieser Demonstration, hob das Pferd seinen Kopf aus den Kissen und blickte Hebe und Mrs. Lamb fragend an. Dann rollten sich seine Lippen in einem höhnischen Grinsen zurück und gaben den Blick frei auf ein kräftiges Gebiß mit gemein aussehenden Zähnen. Es verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße sichtbar war, und trat mit dem Vorderfuß in Richtung Mrs. Lamb aus; eine Geste, die seine unverhohlene Absicht, ihrem Körper und ihrer Person eine schmerzhafte Verletzung zuzufügen, eindringlich illustrierte. Hastig fuhr Mrs. Lamb zurück und rettete sich in ihr Bett und unter die Decke.
»Unternimm irgend etwas, Hebe«, kam ihre gedämpfte Stimme herüber. »Sieh zu, daß du diese Kreatur aus dem Haus bekommst, ohne daß das Personal etwas merkt. Es geht einfach nicht an, daß sie denken, deine Mutter hätte ein Pferd im Nebenzimmer. Du weißt, wie Untergebene reagieren.«
Das Pferd hörte mit aufgestellten Ohren aufmerksam zu, und bei dieser letzten
Bemerkung blinzelte es Hebe langsam und in aller Ruhe an. Das Mädchen war verblüfft.
Das war ihr Vater, wie er leibte und lebte. In diesem Augenblick akzeptierte
sie die Tatsache, daß etwas Sonderbares geschehen war. Dann, nach einigen Minuten
gedankenvoller Erwägungen, wobei er hierhin und dorthin schaute, wie um das
günstigste weitere Vorgehen zu bestimmen, stieg Mr. Lamb vorsichtig aus dem
Bett. Ein Vorgang, der sich jedoch nicht ohne beträchtliches Gepoltere sowie
Hin- und Hergerolle bewerkstelligen ließ. Hebe betrachtete ihn amüsiert und
voller Interesse. Sie wußte, es war ihr Vater. - (
lam
)
Verwandlung (34) Mr. Lamb hatte eher eifrig denn mit Anmut getanzt, jetzt aber war es mit dem Tanzen vorbei. Um die Wahrheit zu sagen, war Mr. Lamb soeben im Begriff, eiligst zu verschwinden: Sein Haarschopf befand sich in gleicher Höhe mit dem Tischtuch, und wenige Minuten später war das wenige, das er für geeignet hielt, den Tisch zu zieren, den Blicken der Öffentlichkeit völlig entzogen. Hebe, der die Abneigung ihres Vaters, in aufrechter Haltung zu verbleiben, nicht entging, rief den Kellner und verlangte die Rechnung. Dieser kehrte in Erwartung eines dicken Trinkgeldes sogleich zurück. Als er sich aber anschickte, die abschließende Rechnung zu präsentieren, blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen, seine Augen hefteten sich an den Fußboden, das Strahlen schmolz aus seinem Gesicht und machte einem Ausdruck Platz, den zu erblicken, entschieden zermürbend war. Die Gesellschaft blickte nach unten und sah, was der Kellner sah - einen langen, breiten, lohfarbenen Schwanz, der unter dem Tisch hervorragte. Der Kellner war sicher, daß ein solches Ding auch nur anzusehen, nicht in seinem Lohn enthalten war. Auf Zehenspitzen machte er sich davon und nahm die Rechnung wieder mit. Sollten unerschrockenere Geister sie kassieren, sofern sie es konnten. Er hatte schließlich eine Familie zu versorgen.
Die beiden jungen Damen lenkten ihre Blicke auf den einen übriggebliebenen Mann, der seinerseits auch nicht sonderlich entschlossen war.
»Was wohl am anderen Ende ist?« fragte Sandra. Hebe lehnte sich vor und betrachtete gedankenverloren den Schwanz.
»Was weiß ich«, sagte sie schließlich, »ich kann mich nicht entfernt daran erinnern, jemals etwas mit einem solchen Schwanz zu tun gehabt zu haben.«
»Vielleicht ist es ein insgesamt neues und besseres Tier«, schlug Mr. Long wagemutig vor.
Er zog einen Taschenflakon hervor und reichte ihn den beiden Ladies. Die Situation verlangte nach einem Drink. »Das«, sagte Hebe und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, »werd ich dir mein Leben lang nicht vergessen.« In diesem Augenblick beschloß Mr. Lamb, die Spannung der Situation zu lösen. Ein langer, schmaler Kopf mit einer spitzen Schnauze erschien über der Tischkante, glitt auf das zerwühlte Tischtuch und blickte die drei jungen Leute mit feuchten Augen an. Dem Kopf folgte bald darauf ein Körper, der auf seinem Stuhl unbeholfen nach hinten sank.
»Ich will ja nichts übereilen«, sagte Hebe, »aber grob gesprochen glaube
ich, mein Vater und unser Gastgeber neigen dazu, ein Känguruh zu sein.« - (
lam
)