eugung   Der Begriff Zeugung bezeichnet die Tatsache, dass sich zwei Lebewesen zusammentun, um ein drittes hervorzubringen. Da wir an diesen Vorgang gewöhnt sind, nehmen wir gar nicht mehr wahr, wie sehr er der Logik widerspricht. Der Übergang von einem Lebewesen zu einem anderen ist durchaus verständlich im Fall der ersten auf der Erde entstandenen Lebewesen, die imstande waren, sich zu reproduzieren, also ein ihnen gleichartiges Wesen hervorzubringen. Der Mechanismus, der dabei im Spiel ist, lässt sich anhand der Eigenschaften eines Moleküls erklären, der DNA, die sich dank eines Prozesses zu replizieren vermag, der mit spezifischen chemischen Wechselwirkungen verbunden ist. Seit wir die Struktur dieses Moleküls aufgedeckt haben, scheint dem Übergang von einem zu zwei Lebewesen nichts Rätselhaftes mehr anzuhaften. Wesentlich größer ist die Schwierigkeit, wenn es um den Übergang von zwei zu einem Lebewesen geht.

Erzeuger wie Gezeugtes gelten als Individuen, also der Etymologie nach als unteilbare Wesen, was auszuschließen scheint, dass sie einen doppelten Ursprung haben könnten. Die ersten Erklärungsversuche wiesen denn auch nur einem der Erzeuger eine entscheidende Rolle zu, je nach Kultur dem Männchen oder dem Weibchen. Auf unsere Art angewandt, blieb diese Sicht nicht ohne Folgen für die Gesellschaftsstruktur und die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen. Dank der Entwicklung des Mikroskops wurden im 17. Jahrhundert die Spermatozoen und später die Eizellen entdeckte. Dadurch wurde es vorstellbar, dass das zukünftige Kind in einem dieser beiden GAMETEN bereits vorgeformt sei; doch in welchem? Über lange Zeit hinweg hielt sich der Disput zwischen den »Spermatisten« und den »Ovisten«.

Beide Theorien führten zur gleichen Schlussfolgerung: der Verschachtelung der aufeinander folgenden Generationen. Alle Vertreter derselben Art seien gleichzeitig geschaffen und wie russische Puppen in einem Spermium oder einem Ei des ersten Paares ineinander geschachtelt worden. - (thes)

Zeugung (2)  Dieser mit dem Tode gleich geheimnißvolle Vorgang stellt uns den fundamentalen Gegensatz zwischen Erscheinung und Wesen an sich der Dinge, d. i. zwischen der Welt als Vorstellung und der Welt als Wille, wie auch die gänzliche Heterogeneität der Gesetze Beider, am unmittelbarsten vor Augen. Der Zeugungsakt nämlich stellt sich uns auf zweifache Weise dar: erstlich für das Selbstbewußtseyn, dessen alleiniger Gegenstand, wie ich oft nachgewiesen habe, der Wille mit allen seinen Affektionen ist; und sodann für das Bewußtseyn anderer Dinge, d. i. der Welt der Vorstellung, oder der empirischen Realität der Dinge. Von der Willensseite nun, also innerlich, subjektiv, für das Selbstbewußtseyn, stellt jener Akt sich dar als die unmittelbarste und vollkommenste Befriedigung des Willens, d. i. als Wollust. Von der Vorstellungsseite hingegen, also äußerlich, objektiv, für das Bewußtseyn von andern Dingen, ist eben dieser Akt der Einschlag zum allerkünstlichsten Gewebe, die Grundlage des unaussprechlich komplicirten animalischen Organismus, der dann nur noch der Entwickelung bedarf, um unsern erstaunten Augen sichtbar zu werden. Dieser Organismus, dessen ins Unendliche gehende Komplikation und Vollendung nur Der kennt, welcher Anatomie studirt hat, ist, von der Vorstellungsseite aus, nicht anders zu begreifen und zu denken, als ein mit der planvollsten Kombination ausgedachtes und mit überschwänglicher Kunst und Genauigkeit ausgeführtes System, als das mühsäligste Werk der tiefsten Ueberlegung: - nun aber von der Willensseite kennen wir, durch das Selbstbewußtseyn, seine Hervorbringung als das Werk eines Aktes, der das gerade Gegentheil aller Ueberlegung ist, eines ungestümen, blinden Dranges, einer überschwänglich wollüstigen Empfindung. Dieser Gegensatz ist genau verwandt mit dem oben nachgewiesenen unendlichen Kontrast zwischen der absoluten Leichtigkeit, mit der die Natur ihre Werke hervorbringt, nebst der dieser entsprechenden gränzenlosen Sorglosigkeit, mit welcher sie solche der Vernichtung Preis giebt, - und der unberechenbar künstlichen und durchdachten Konstruktion eben dieser Werke, nach welcher zu urtheilen sie unendlich schwer zu machen und daher über ihre Erhaltung mit aller ersinnlichen Sorgfalt zu wachen seyn müßte; während wir das Gegentheil vor Augen haben.  - (wv)

Zeugung (3) -  ist allerdings Sekretionsphänomen, Phänomen der Sekretion seiner selbst. So beim Manne. — Die Frau scheint hier eher zu assimilieren, aber sie scheint es auch nur, denn sie sezerniert sich selbst ebenfalls, nur als Materie, während der Mann als Geist, als Idee, und so wird das Beseelte formiert. Der Mann in der Liebe ist Maler, Musiker, die Frau Plastiker. Die Frau bleibt geistiger, der Mann körperlicher, zurück. Die Frau entwickelt, und der Mann verwickelt sich.

Bei der Zeugung — Kraft der Phantasie. Nichts als bloßes Gebilde des andern. Magie, wegen Wirkung der Chiffer, der Form, des Buchstabens (des organischen). Denn beide geben, keines eigentlich empfängt. Die Gestalt des Mannes muß ideell wirken, denn sie ruft dem Weibe die Materie hervor, die Gestalt der Frau materiell, denn sie ruft den Geist, die Idee, hervor. Beide vermählen sich, wie schon gesagt, zur Seele, zum Lebendigen. Der Mann ist der Frau ein Gott, die Frau dem Manne eine Natur. Gott und Natur gehen zu Welt zusammen. — Alles zeigt, daß das Wesen der Zeugung durchaus tiefer zu suchen ist, als in den bloßen Gesetzen der Materie. - (rit)

Zeugung (4)  Als der Immune und ich eines Tages  eine Samenbank aufsuchten, fragte ich ihn, woran er denke, wenn er für das Glasröhrchen Samen mit der eigenen Hand produziere. Er meinte nur »Nichts«, und ich fügte hinzu, er habe noch nie von einem Manne gehört, der im Moment der Zeugung etwas Vernünftiges gedacht habe.  - Hugo Loetscher, Die Papiere des Immunen. Zürich 1986

Zeugung (5) Selbst wenn ich wirklich schrieb, strafte sie meinen Zeitvertreib mit Verachtung, sie strafte mich zu Recht, denn mein Schreiben geschah um den Preis von Schmutz und Unordnung, und außerdem rauchte ich dabei und verbrauchte riesige Mengen von Kaffee. - Kaputtmachen wirst du dich, sagte sie, du wirst schon sehen, was du davon hast, du wirst dich und das Leben der anderen, die mit dir zu tun haben, kaputtmachen. - Doch sie sagte mir nie, wozu ich leben sollte ... ich war über vierzig, und sie hatte es bisher vor mir geheimgehalten ... aber schließlich hatte sie sich die Mühe gemacht, dieses wahnsinnig kreischende Bündel, das ich in den letzten Kriegs Jahren war, durch das Geheul und Geknatter der Bombennächte zu karren, mich in die Bunker zu schleppen, nein, sie hatte mich nicht einfach am Straßenrand weggeworfen, obwohl es gar nicht aufgefallen wäre. - Ach, und der Staat hatte mich nicht weggeworfen ... auch er konnte mir nicht erklären, wozu ich leben sollte, wenn nicht, um ihm zu dienen, um sein Eigentum an Bevölkerung zu mehren, für ihn lag es auf der Hand, daß ich ihm zu uneingeschränkter ewig währender Dankbarkeit verpflichtet war. Denn er im Grunde hatte mich gemacht ... oh, es war ein Zeugungsakt von ungeheurer Intensität geschehen, breit in ihrer ergebensten Hingabe hatte meine Mutter den Vater Staat in seiner ganzen kraftvollen Schönheit über sich kommen lassen, das grandiose Symbol des Aufbaus stand steil vor ihr empor und es senkte sich fest in ihren Leib, und zur Feier ihrer Beglückung wurde ein Meer von Fahnen entfaltet, die jungen Garden der Partei ließen es wogen über der Zeremonie dieses reinen Koitus, ich wurde unbefleckt empfangen und fleckenlos stand ich im Leben.   - (hilb2)

Zeugung (6)

Zeugung (7)   Dichten ist zeugen. Alles Gedichtete muß ein lebendiges Individuum seyn. Welche unerschöpfliche Menge von Materialien zu neuen individuellen Combinationen liegt nicht umher! Wer einmal dieses Geheimniß errathen hat - der hat nichts mehr nöthig, als den Entschluß, der unendlichen Mannichfaltigkeit, und ihrem bloßen Genüsse zu entsagen und irgendwo anzufangen - aber dieser Entschluß kostet das freye Gefühl einer unendlichen Welt - und fodert die Beschränckung auf eine einzelne Erscheinung derselben -

Sollten wir vielleicht einem ähnlichen Entschlusse unser irrdisches Daseyn zuzuschreiben haben?   - Novalis, Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen (entst. 1798)

Fortpflanzung Männlichkeit
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