Aufgeblasenheit  Eigenliebe, Stolz und Aufgeblasenheit, die Chrysostomos eines der drei großen Fangnetze des Teufels heißt und Bernhard einen verschlagenen, unsichtbaren Feind nennt und als Pfeil bezeichnet, der die Seele durchbohrt und tötet, sind wichtige Auslöser der Melancholie. Wo weder Zorn, Wollust, Habgier, Angst, Kummer noch andere Leidenschaften Fuß fassen können, da ereilt uns dieses heimliche und unmerkliche Verderben.

Wen die Völlerei nicht übermannte, schreibt Cyprian, den hat endlich die Eigenliebe doch besiegt. Der alles Geld, alle Bestechungsversuche und Geschenke mit Verachtung von sich wies, aufrecht und ehrlich blieb, nicht in verführerischen Tagträumen schwelgte und sich allen tyrannischen Begierden des Leibes gewachsen zeigte, hat doch seine Ehre verloren und sich von der Aufgeblasenheit gefangennehmen lassen. Ständig belagert und bestürmt uns die Krankheit auf diese Weise, was wir aber für gewöhnlich gar nicht wahrnehmen oder wahrhaben wollen.

Gleichwohl ist die Eigenliebe ein gewaltiger Sturmbock und Auslöser von Melancholie und Narretei. Diese angenehme Stimmung, die sanfte Einflüsterung, der liebliche Wahn allgemeiner Beliebtheit, diese unbelehrbarste Leidenschaft und willkommenste Krankheit umgarnt uns auf denkbar süße Weise, entzückt unsere Sinne, lullt unsere Seele ein und läßt unsere Herzen schwellen wie Tierblasen, wobei wir zu allem Uberfluß gar nichts davon merken, und die Betroffenen sich weder unwohl fühlen noch Heilung suchen.

Wenn wir an dieser Krankheit leiden, lieben wir normalerweise den am innigsten, der uns am meisten schadet, und können von seinen verhängnisvollen Schmeicheleien gar nicht genug bekommen. Wir sind denen von Herzen zugetan, die uns Beifall spenden, und es klingt uns süß in den Ohren. Plinius gesteht seinem lieben Freund Augurinus entsprechend offenherzig: Alle deine Schriften sind mir sehr willkommen, besonders aber die, die von uns beiden handeln. Und etwas später heißt es gegenüber Maximus: Ich finde keine Worte dafür, wie angenehm es mir ist, gerühmt zu werden.

Und obwohl wir ironisch in uns hineinlächeln, wenn Parasiten mit falschen Lobreden Süßholz raspeln - und manchem Fürsten bleibt wenig anderes übrig, obwohl er weiß, daß er hinter der ihm unterstellten hehren Tugendhaftigkeit so weit zurückbleibt wie eine Maus hinter einem Elefanten -, so tut es uns trotzdem insgeheim wohl. Wir schützen Ärger vor und erröten bei Belobigungen, aber unser Herz hüpft vor Freude, und wir blasen uns auf und vergessen unsere Grenzen.

Die beiden Töchter der Eigenliebe sind Leichtsinn sowie übermäßige Freude und exzessiver Stolz, was allerdings auch jene anderen lasterhaften Begleiterscheinungen nicht ausschließt, die Jodocus Lorichius aufzählt, nämlich Prahlerei, Heuchelei, Verdrießlichkeit und Neugier. - (bur)

Aufgeblasenheit (2)

Aufgeblasener Lehrer


IVAN TURGENEV: Vor allem aufgeblasen, Lehrer, hart, pedantisch, ziemlich gebildet, sicher, muß eine häßliche Leidenschaft verbergen, finster, exakt, schreibt gleichmäßig und trocken, Ton des Pädagogen, ist leicht beleidigt und verzeiht nie.

PAULINE VIARDOT: Croupier — übles Subjekt — spielt auch auf eigene Rechnung — ermangelt nicht einer gewissen Intelligenz, innerlich beschämt und irritiert, nichts aus ihr gemacht zu haben. Braucht Emotionen, kennt aber nur schlechte, beschließt sein Leben im Gefängnis.

- (turg)

Aufgeblasenheit (3) A. ist sehr aufgeblasen, er glaubt, im Guten weit vorgeschritten zu sein, da er, offenbar als ein immer verlockender Gegenstand, immer mehr Versuchungen aus ihm bisher ganz unbekannten Richtungen sich ausgesetzt fühlt. Die richtige Erklärung ist aber die, daß ein großer Teufel in ihm Platz genommen hat und die Unzahl der kleineren herbeikommt, um dem Großen zu dienen.  - (hochz)

Aufgeblasenheit (4)  Da dumme Leute gemeiniglich aufgeblasen sind und Hochmut erniedrigt zu werden verdient, so muß das Wort Dummheit auf einen aufgeblasenen Einfältigen und nicht auf einen guten, ehrlichen Einfältigen, sondern auf einen eingebildeten Narren angewendet werden. - Immanuel Kant, nach (bes)

Aufgeblasenheit (5)  Caracas war und blieb durch all ihre Verwandlungen hindurch eine schöne Frau, wohlgeformt und harmonisch proportioniert. Wie schon erwähnt, war sie mit allen Merkmalen ihres Geschlechts wohl versehen. Besonders bemerkenswert waren ihre Genitalien (wenn man in ihrem Falle dieses Wort überhaupt verwenden kann), die zu besichtigen mir Gogol eines denkwürdigen Tages erlaubte. Ihre Gummihaut wölbte und buchtete sich dort äußerst sinnfällig; nichts war vergessen, und einleuchtende Vorrichtungen begünstigten, abgesehen vom Druck der Innenluft, den Gebrauch.

Caracas hatte, zumindest in Andeutungen, auch ein Knochengestell, das vermutlich aus Walfischbeinen bestand; besonders sorgfältig waren nur der Brustkorb, das Becken und der Schädel ausgeführt. Die Rippen- und Beckenpartien waren, wie nicht anders zu erwarten, mehr oder weniger sichtbar, je nach der Fülle des sie bedeckenden »Fettgewebes«. Es ist wirklich schade, wenn ich so etwas hier sagen darf, daß mir Gogol den Schöpfer dieses wahrhaftigen Kunstwerkes niemals verraten wollte; er verweigerte mir jede Auskunft hierüber mit mir unverständlicher Hartnäckigkeit.

Nikolaj Wassiljewitsch  blies seine Gattin mit Hilfe einer selbst erfundenen Pumpe auf, ähnlich denen, die man, wie in jeder Mechanikerwerkstätte zu beobachten, beim Gebrauch unter die Sohlen klemmt; an ihrem After befand sich ein kleines Flügelventil, oder wie immer dies technisch heißen mag, einer Herzklappe vergleichbar, jedenfalls so, daß der aufgepumpte Körper zwar weiter Luft aufnehmen, aber keine abgeben konnte. Um sie schrumpfen zu lassen, mußte man ihr in den Mund greifen und hinten in der Kehle einen Verschluß losschrauben. - Tommaso Landolfi, Gogols Gattin. In: Künstliche Menschen. Hg. Klaus Völker. Frankfurt am Main 1994 (st 2293)

Aufgeblasenheit (6)  Im Roten Meer soll nach dem Bericht des Leonidas von Byzanz ein Fisch leben, der so groß ist wie ein ausgewachsener Gründling. Er hat weder Augen noch ein Maul, wie es sich für Fische gehört. Er hat Kiemen und etwas, was wie ein Kopf aussieht, aber keine ausgeformte Gestalt hat. Unten unter dem Bauch hat er eine Art leicht eingedrückter Höhlung, die ein grünes Licht ausstrahlt. Das, so meint unser Gewährsmann, ist ihm Auge und Maul.

Wer von ihm ißt, hat ihn zu seinem eigenen Verderben gefangen, und so geht der Mensch zugrunde: Hat er von ihm gegessen, so schwillt er auf, und schließlich platzt ihm der Bauch, und er stirbt. Aber auch der gefangene Fisch muß büßen. Zuerst, wenn er aus dem Wasser kommt, bläst er sich auf. Faßt ihn einer an, schwillt er noch mehr, und berührt man ihn länger, wird er wie von Fäulnis ganz durchsichtig und wie wäßrig, und zuletzt zerreißt es ihn. Wenn man ihn aber noch lebend ins Meer zurückwerfen will, schwimmt er oben, wie von einer Luftblase hochgetrieben. Leonidas berichtet, man nenne ihn wegen dieser Erscheinung Physalos, den Aufblase-Fisch. - (ael2)

Aufgeblasenheit (7)

Aufgeblasenheit

Das expandierende Universum läßt sich mit der Oberfläche eines Ballons vergleichen, der aufgeblasen wird. Alle Galaxien entfernen sich voneinander. - Nach: Roger Penrose, Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz, Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Heidelberg 1991, zuerst 1989

Aufgeblasenheit (8)   Tronche war ein ruhiger, kaltschnäuziger Mann. Als er sich aber bückte, um den Sarg aufzuheben, und dabei das Gesicht des Toten hinter dem verglasten Guckfenster im Sargdeckel sah, fuhr er zurück.

»Mein Gott!« rief er. »Seht mal her, man könnte meinen, der Bordelaiser wollte aus seinem Mausoleum aussteigen!«

Die beiden Matrosen eilten herbei. Sie waren bestürzt. Das aufgedunsene Gesicht des Bordelaisers nahm das ganze Guckfenster ein; seine Nase drückte sich gegen das Glas.

»Glaubst du, es gibt nach?« fragte der eine.

»Du siehst doch, daß er sich bewegt!« sagte der andere.

Tatsächlich liefen leichte Zuckungen über das Gesicht des Toten, die nicht dem Schlingern des Schiffes zuzuschreiben waren und die man erst wahrnahm, wenn man dieses entstellte Gesicht lange und aufmerksam beobachtete. Ein kaum sichtbares Beben — als könne man mit bloßem Auge die ständig fortschreitende Schwellung verfolgen, die das Gesicht von innen her auftrieb — stieß, drückte, drängte es immer dichter an die Glasscheibe.

»Der wird platzen, das sag ich dir«, bemerkte einer der Matrosen nach einer Weile.

»Ihr seid Dummköpfe«, erwiderte Tronche. »Das sind die Gase. Die arbeiten in ihm. Und außerdem ist es hier zu heiß. Los, wir beeilen uns und bringen ihn nach nebenan, dann hat er Ruhe, der arme Kerl.«   - Blaise Cendrars, Wahre Geschichten. Zürich 1979

Aufgeblasenheit (9)  Wenn man immer nur mit großen Ideen herumlaufe, oder sich wahlweise von Leuten einspannen lasse, die mit großen Ideen herumliefen, dann ende alles früher oder später in einem Desaster. Es liefen nämlich nicht allein wurschtige Leute herum, die als Erstbeste anderen in ihren Verhältnissen verketteten Menschen Ratschläge geben, sondern es liefen auch genügend Leute mit einer großen Idee herum, die auf nichts anderes aus seien, als andere Menschen für ihre Idee einzuspannen. Eine Idee habe ja das Gute und fast Unüberwindbare, daß man sich nach Belieben hinter dieser Idee verstecken könne, und daß man dabei immer so tun könne, als ginge es allein um die Idee. Und weil man sich so gut hinter Ideen verstecken könne, hätten diese Ideen auch bald entsprechende Bürokomplexe und Aufsichtsräte, hinter denen ein Verstecken dann noch bequemer sei. Je mehr etwas aufgeblasen werde, desto besser könne man sich dahinter verstecken. Natürlich genüge umgekehrt immer weniger, dieses bis zum Zerreißen Aufgespannte zum Platzen zu bringen.   - (rev)

Aufblasen Luft Luft
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