erreißen  Ein Bote über den andern kam vor den König Pentheus und meldete ihm, welche Wundertaten die Chöre begeisterter Frauen, von seiner Mutter und ihren Schwestern angeführt, verrichteten. Ihr  Stab durfte nur an Felsen schlagen, so sprang Wasser oder sprudelnder Wein heraus, die Bäche flössen unter seinem Zauberschlage, mit Milch, aus den hohlen Bäumen träufelte Honig. «Ja», fügte einer der Boten hinzu, «wärest du zugegen gewesen, o Herr, und hättest den Gott, den du jetzt schiltst, selbst gesehen, du würdest dich in Gebeten vor ihm niedergeworfen haben!»

Pentheus, immer entrüsteter, bot auf diese Nachrichten alle schwerbewaffneten Krieger, alle Reiter, alle Leichtbeschildeten gegen das rasende Weiberheer auf. Da erschien Dionysos selbst wieder, und trat als sein eigener Abgeordneter vor den König. Er versprach ihm die Bacchantinnen entwaffnet vorzuführen, wenn nur der König selbst die Frauentracht anlegen wolle, damit er nicht als Mann und Uneingeweihter von ihnen zerrissen werde. Ungerne und mit sehr natürlichem Mißtrauen ging Pentheus auf den Vorschlag ein; doch folgte er endlich dem Gotte zur Schlachtbank. Aber als er hinausschritt zur Stadt, war er schon vom Wahnsinne, den ihm der mächtige Gott zugesandt hatte, besessen. Ihm däuchte es, als schaue er zwei Sonnen, ein gedoppeltes Theben und jedes seiner Tore zwiefach. Dionysos selbst kam ihm vor wie ein Stier, der mit großen Hörnern an dem Kopfe vor ihm herschreite. Er selbst wurde wider Willen von bacchischer Begeisterung ergriffen, verlangte und erhielt einen Thyrsosstab und stürmte in Raserei dahin. So gelangten sie in ein tiefes, quellenreiches, von Fichten beschattetes Tal, wo die Bacchospriesterinnen ihrem Gotte Hymnen sangen, andere ihre Thyrsosstäbe mit frischem Efeu bekleideten. Des Pentheus Augen aber waren mit Blindheit geschlagen, oder sein Führer Dionysos hatte ihn so zu leiten gewußt, daß sie die Versammlung der begeisterten Frauen nicht gewahr wurden. Der Gott faßte nun mit seiner wunderbar in die Höhe reichenden Hand den Gipfel eines Tannenbaums, beugte ihn hernieder, wie man einen Weidenzweig biegt, setzte den wahnsinnigen Pentheus darauf und ließ den Baum sachte und vorsichtig allmählich wieder in seine vorige Lage zurückkehren. Wie durch ein Wunder blieb der König fest sitzen und erschien auf einmal, hoch auf dem Tannenwipfel hingepflanzt, den Bacchantinnen im Tale, ohne daß er sie erblickte. Dann rief Dionysos mit lauter Stimme ins Tal hinab: «Ihr Mägde, schauet hier den, der unsere heiligen Feste verspottet; bestrafet ihn!» Der Äther schwieg, kein Blatt im Walde regte sich, kein Schrei eines Wildes ertönte. Auf richteten sich die Bacchantinnen, sperrten ihre Augensterne weit auf, und horchten auf der Stimme Hall, die zum zweitenmal ertönte. Als sie in dem Wort ihren Meister erkannt, schossen sie dahin, schneller denn Tauben; wilder Wahnsinn, vom Gotte gesandt, trieb sie mitten durch die angeschwollenen Waldbäche. Endlich waren sie nahe genug gekommen, um ihren Herrn und Verfolger auf dem Tannenwipfel sitzen zu sehen. Schnell flogen Kiesel, abgerissene Tannenäste, Thyrsosstäbe gegen den Unglücklichen empor, ohne die Höhe zu erreichen, in der er zitternd schwebte. Endlich durchwühlten sie mit harten Eichenästen den Boden rings um den Tannenbaum, bis die Wurzel bloß war und Pentheus unter lautem Jammergeschrei mit der stürzenden Tanne aus der Höhe zu Boden fiel. Seine Mutter Agave, vom Gotte geblendet, daß sie den Sohn nicht wieder erkannte, gab das erste Zeichen zum Morde. Dem Könige selbst hatte die Angst seine volle Besinnung wiedergegeben. «Mutter», rief er, sie umhalsend, «kennst du deinen Sohn nicht mehr, deinen Sohn Pentheus, den du im Hause Echions geboren? Hab Erbarmen mit mir, sei du es nicht, Mutter, die meine Sünden am eigenen Kinde straft!» Aber die wahnsinnige Bacchospriesterin, schäumend und mit weit aufgesperrten Augen, sah nicht ihren Sohn in Pentheus, sondern glaubte einen Berglöwen in ihm zu erblicken, faßte ihn an der Schulter und riß ihm den rechten Arm vom Leibe; die Schwestern verstümmelten den linken; die ganze wütende Rotte stürmte auf ihn ein, jede ergriff ein Glied des Zerrissenen; Agave selbst umklammerte das entrissene Haupt mit blutigen Fingern und trug es, als ein Löwenhaupt auf einen Thyrsosstab gesteckt, durch die Wälder des Kithairon. - (sage)

Zerreißen (2)  

Seitdem die Wut in Roland angeglommen,
Hatt' er schon manchen Länderstrich durchrannt
Und war zuletzt in das Gebirg gekommen,
Das von dem Franken trennt des Spaniers Land,
Indem er stets den Weg dahin genommen,
Wo er den Untergang der Sonne fand.
Hier war's, wo sich ein enger Pfad ihm zeigte,
Der in ein tiefes Tal hinab sich neigte.

Am Eingang nun von diesen Bergespfaden
Begegnen ihm zwei Burschen aus dem Wald,
Samt einem Esel, schwer mit Holz beladen.
Die beiden merken gleich an der Gestalt,
Es sei sein Kopf gesunden Hirns entladen,
Und rufen laut und drohend alsobald,
Er soll zurück sich oder seitwärts kehren
Und aus des Weges Mitte fort sich scheren.

Zur Antwort gibt der Graf kein andres Zeichen,
Als daß er wütend einen Fuß bewegt
Und mit der Kraft, der alle Kräfte weichen,
Gerade vor die Brust den Esel schlägt.
Er wirft das Tier so hoch, daß es zu gleichen
Dem Vogel scheint, der sich in Lüften regt.
Ein halbes Stündchen weit fliegt's ohne Flügel
Und fällt zuletzt auf einen fernen Hügel.

Nun stürzt er wütend auf die zwei Gesellen.
Der eine hatte Glück mehr als Verstand:
Er sprang in eine Schlucht, die sechzig Ellen
An Tiefe mißt, vom Schrecken übermannt,
Und traf in seinem Fall aufweiche Stellen,
Wo ein Gebüsch von Dorn und Laubwerk stand.
Das ihn ein wenig im Gesicht beschädigt,
Doch alles weitren Unheils ihn entledigt.

Der andre packt, um sich hinauszuschwingen,
Ein Felsenstück, das aus dem Berge ragt,
Und hofft gewiß, wird ihm der Sprung gelingen,
Daß droben ihn der Narr nicht weiter plagt.
Doch der, erpicht, ums Leben ihn zu bringen,
Faßt beide Füß', als er die Schwingung wagt;
Und alsobald, mit weit gespreizten Armen,
Reißt er ihn in zwei Fetzen ohn' Erbarmen.

Solch einen Riß wie dieser Bursch' erleiden
Zuweilen wohl der Reiher und das Huhn,
Will man einmal mit warmen Eingeweiden
Dem Falken oder Sperber gütlich tun.

- (rol)

Zerreißen (3)  
Zerstückeln
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