urstigkeit
Im Laufe dieses bunten Kuddelmuddels, den man Leben nennt, geschieht
es gelegentlich, daß einem das ganze Weltall als ein einziger großer Ulk vorkommt,
wenn einen» auch der Witz nicht durchaus klar ist und man den dringenden Verdacht
hegt, er sei ausgerechnet auf einen selbst gemünzt. Doch läßt man sich's nicht
anfechten und ist überhaupt jeder Auseinandersetzung abhold. Alles, was einem
an Begebenheiten, Glaubensbekenntnissen und Überzeugungen aufstößt, alles Greifbare
und Ungreifbare, und sei es ein noch so widerspenstiger Brocken, es wird wahllos
geschluckt, wie der Vogel Strauß mit seinem kräftigen Magen sich Flintenkugeln
und Feuersteine einverleibt. Nicht nur die kleinen Sorgen und Scherereien, auch
ein jähes Schicksal, das über einen hereinzubrechen droht, Gefährdung von Leib
und Leben, ja selbst der Tod, alles das kommt einem nur wie neckische Pritschenschläge
und herzhafte Rippenstöße vor, die einem der unsichtbare, unbegreifliche alte
Spaßmacher verabreicht. Diese groteske Lesart des Lebens, von der hier die Rede
ist, dieses lausige Lebensgefühl wandelt den Menschen nur im Zustand äußerster
Drangsal an; es überfällt ihn mitten im tödlichsten Ernst; und was einen soeben
noch höchst schwerwiegend dünkte, paßt dann auf einmal in das allgemeine Rüpelspiel
der Welt. - (mob)
Wurstigkeit (2) Ich nenne Wurschtigkeit den Zustand
eines Lebens, in dem jeder seine eigenen Voraussetzungen behält, immerhin aber
die andern Individualitäten zu achten versteht und sich zu verteidigen, Twostep
wird Nationalhymne, Antiquitätengeschäft, D. T. drahtlose Telephonie verwandelt
die Fugen von Bach, Lichtreklamen und Plakate für Bordells, die Orgel verteilt
Nelken für den lieben Gott, all das zusammen in Wirklichkeit ersetzt die Photographie
und den einseitigen Katechismus. - Tristan Tzara,
Manifest Dada 1918. In: Dada Almanach 1920. Hg. Richard Huelsenbeck. Berlin
1920 (Nachdruck Hamburg 1980)