(freud)
Voyeur (2) Ich habe dieses Gefühl, als ob ein aufmerksam beobachtender Punkt aus exzentrischen Fernen das geheimnisvolle Getriebe kontrollierte und registrierte, selbst in den verworrensten Augenblicken nur selten verloren. Ja es schien mir oft, als ob in sehr menschlichen Augenblicken, etwa denen der Angst, dort oben etwas vorginge, was ungefähr einem mokanten Lächeln verglichen werden könnte. Aber auch andere Zeichen - Trauer, Rührung, Stolz - glaubte ich zuweilen gleich Signalen einer inneren Optik an jenem Fixpunkt zu erkennen, den ich als ein zweites feineres und unpersönliches Bewußtsein bezeichnen möchte.
Von dort aus gesehen, wird das Leben von noch etwas anderem
als von Gedanken, Empfindungen und Gefühlen begleitet, seine
Werte werden gleichsam noch einmal gewertet, ähnlich wie ein
bereits gewogenes Metall trotzdem von einer besonderen Instanz
einen zweiten Stempel erhält. Von dort aus gesehen, erhält dieses
Treiben auch erst einen fesselnderen Reiz als den innerhalb der
Bezirke einer selbstbewußten Vitalität möglichen. - (ej)
Voyeur (3) Nach dem
Koran sitzen auf den Schultern eines jeden Menschen zwei Engel,
der zur Rechten notiert die guten Taten, der zur Linken die schlechten.
- (eng)
Voyeur (4) Banntaiding des Marktes
Klamm, v. J. 1547. Wenn einer an einem Hause lauscht,
was darin gesprochen wird — alles, was er aus dem Hause gehört
hat (und wäre es auch wahr, daß er es so gehört hat), das ist
alles von ihm erlogen; und wenn der Hauswirt inne wird, wer da
gelauscht hat, und ihn ersticht, so wäre er ihm nichts weiter
schuldig als drei Pfennige, die er ihm auf die Wunde legen soll.
Österr. Weistümer 12, S. 877 f. - Aus: Wilhelm Ebel,
Curiosa iuris germanici.
Göttingen
1968
Voyeur (6) Bei einer Gelegenheit
lehnte Aktaion, der Sohn des Aristaios, an einem Felsen in der
Nähe von Orchomenos. Zufällig sah er Artemis
nahe in einem Strome baden und blieb, sie zu beobachten. Damit
er später nicht wagen könnte, sich vor seinen Freunden zu rühmen
und zu erzählen, daß er sie nackt gesehen hätte, verwandelte
sie ihn in einen Bock und
ließ ihn von seiner eigenen Meute von
fünfzig Hunden in Stücke reißen. -
(
myth)
Voyeur (6) Meine Familie
war nicht erfreut, als ich einen Juristen heiraten
wollte. Man stellte dem Zusammenleben schlimme Prognosen. Ich
weiß nicht, welche bösen Erfahrungen meine Familie, Theologen
und Kaufleute, mit Juristen gemacht hat; mein Onkel
Otto nannte sie Rechtsverdreher und unangenehme Pedanten.
Ich selbst aber war unbeschwert und neugierig und bin heute,
dies darf an dieser Stelle einmal gesagt werden, da wir in der
Hauptsache mit Juristen und Kriminologen zusammenkommen, recht
zufrieden mit meiner Wahl. Mein Mann ist Strafrichter und Kriminologe.
Was ein Strafrichter ist, weiß jeder — was aber ist ein Kriminologe?
Manche sagen, Kriminologen seien Leute, die auf kriminologischen
Kongressen auftauchen. Diese Formulierung scheint mir nicht schlecht
zu sein, aber doch zu einfach und ungenau, denn auf diesen Kongressen
tauchen Leute aller möglichen Berufe auf wie Gerichtsmediziner,
Kriminalisten, Soziologen, Sozialarbeiter, Anthropologen, Psychiater
— und alle interessieren sich für den Verbrecher
und das Verbrechen im weitesten Sinne, für den Mörder, den Betrüger,
den White-Collar-Täter oder den Sittlichkeitsverbrecher.
Aber interessiert sich denn nicht ein Jeder für das Verbrechen?
- Nach (
net
)
Voyeuse (7) Frau Milfa war einer nahezu
an apoplexie grenzenden unpäßlichkeit nahe, sie hatte sich schwankend
aus ihrem angenehm warmdurchnäßten sessel erhoben und beugte
sich wie ein matrose, der land sieht,
aus dem mastkorb ihres salonerkers, um die vor sich gehende szene
noch besser verfolgen zu können, und obgleich sie nicht mehr
wußte, ob sie schwebte oder verharrte,
stieg oder stürzte, blieb sie dem enthüllenden
binokel verbunden wie ein kind seiner mutter. Welch sodombeschwörendes
spektakel hinter dem fenster jener ersten etage: Astra, Nandors
längst abzuschreibende braut, diese stille, solide brillenträgerin
mit den antilopensanften zügen, hatte sich dem frechgrinsenden
drittelcaballero rittlings aufgehockt, zu welchem behuf, das
konnte die japsende schwiegermutter
dank der vorzüglichen qualität ihres optischen gerätes aufs haarschärfste
ausmachen - Astras hände verschränkten sich krampfig hinter ihrem
nacken, ihre hüften begannen zu kreisen, zuerst mit bedächtiger
raffinesse, dann schneller, erregter, und schließlich rasend
wie eine fleischgewordene windhose, so daß das ferne seidenbett,
frau Milva konnte es nicht hören, aber sie ahnte es, wie eine
schwere takelage im sturme ächzte ... Eine barmherzige ohnmacht
umfing die dame des hauses nummer 17 rue Larousse-Lautrec — wie
eine träufende honigwabe, die dem imker vom gestell rutscht,
so sank sie vom fensterbrett. - H. C.
Artmann
,
How much, schatzi? Frankfurt am Main 1971
Voyeur (8) Vor einer gaffenden
Menge — in der ich stehe — wird eine
Reihe von Hinrichtungen vorgenommen,
ein Vorgang, der mich im höchsten Maße fesselt. Bis zu dem Augenblick,
da der Scharfrichter samt seinen
Gehilfen auf mich zukommt, weil ich an der Reihe
bin, womit ich nicht gerechnet hatte und was mich gewaltig erschreckt.
- (
leiris
)
Voyeur (9) Als er jung gewesen war und Zukunftsträumen nachgehangen hatte — hatte er sich da nicht einen idealen Beruf ausgemalt, wie es ihn leider im wirklichen Leben gar nicht gibt? Er hatte es nie jemandem anvertraut, er hatte die Worte nie laut ausgesprochen, nicht einmal, wenn er allein gewesen war: er hatte ein »Zusammenflicker von Schicksalen« werden wollen.
Seltsamerweise war es ihm während seiner Laufbahn im Polizeidienst ziemlich häufig passiert, daß er Menschen, die die Zufälle des Lebens auf die schiefe Ebene gebracht hatten, wieder auf ihren richtigen Platz hatte zurückführen können. Und noch seltsamer war es, daß sich im Lauf der letzten Jahre ein Berufszweig herausgebildet hatte, der irgendwie dem ähnelte, den er sich ausgemalt: der des Psychoanalytikers, der sich bemüht, dem Menschen sein wahres Ich zu zeigen.
Wenn jemand nicht auf seinem richtigen Platz war, dann war
es diese Frau, die schweigend kam und ging, ohne daß man etwas
von ihrem Denken und Fühlen enträtseln
konnte. - Georges Simenon, Maigret und der Kopflose. München
1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 13, zuerst 1955)
Voyeur (10) Wir redeten über Frauen, linsten ihnen
unter die Röcke, wenn sie aus dem Auto stiegen, und bei Nacht sahen wir in Fenster
rein und hofften darauf, welche beim Ficken zu erleben, aber wir bekamen nie
was zu sehen. Einmal beobachteten wir ein Pärchen im
Bett, der Kerl hatte seine Frau schwer in der Mache, und wir dachten, jetzt
würden wir's aber gleich sehen, doch dann sagte sie: »Nee heut' abend will ich
nicht!« und drehte sich einfach auf die andere Seite. Er steckte sich eine Zigarette
an, und wir zogen weiter zum nächsten Fenster. -
Charles Bukowski, Die Stripperinnen vom Burbank & 16 andere Stories. Frankfurt
am Main 1980 (zuerst 1975)
Voyeur (11)
- Bosc, Love and order. Zürich 1973
(Diogenes, detebe 44)
Voyeur (12) Früher gab es nur frauen, sie trugen weder namen noch kleider, sie lebten in flußniederungen, der geist des himmels hatte sie erschaffen, er sah ihnen gerne beim baden zu, männer hatte er ihnen keine beigesellt, das würde ihn um sein größtes vergnügen gebracht haben, nämlich zu beobachten, wie sich diese frauen untereinander herzten und küßten. Der Große Geist des Himmels saß damals immer hinter einer riesenhaften regenwolke, die ein loch hatte, durch das er auf die erde blicken konnte. Es gab drei sonnen und drei monde, es war tag und nacht hell genug, um die frauen auf diese große entfernung gut beobachten zu können. Sonnen und monde hatte der vater des geistes des himmels erschaffen, zum geburtstag, sie beleuchteten die badenden frauen der flußniederungen. Einmal geschah es, daß ein frosch aus dem wasser auftauchte und diese frauen sah. Er rief die übrigen frösche herbei.
»Wir wollen mit diesen frauen schlafen«, sagte er zu ihnen, »wir wollen sie zu unseren frauen machen!«
Die frauen verwunderten sich über die penisse jener frösche, sie sagten: »Sie haben etwas an sich, das wir nicht haben.« Und sie gingen her und schliefen mit ihnen.
Der Große Geist des Himmels mußte niesen, gequak
und gekreisch war ihm in die nase gestiegen. Die regenwolke zerbarst, sie überschwemmte
die erde, sie verursachte die sintflut. Die frösche retteten diese frauen, sie
trugen sie auf ihren mächtigen rücken in die kronen der bäume des urwaldes des
berges Rikoodlenook, auf diesen bäumen brachten die frauen grüne kinder zur
welt, sie hatten hervorquellende augen und spitze, lange zungen, sie ernährten
sich anfänglich von käfern und libellen. Väter und mütter aber mochten sie nicht,
sie waren ihnen eine verhaßte brut, an der man keine ähnlichkeit
finden wollte; also ließ man sie allein und wendete sich anderen dingen zu,
die frauen in den bergen, die frösche wieder in ihrem wasser. -
(
ei
)
Voyeurin (13)
Voyeur (14)
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