asenhölle Manganelli »Hier wird die Schamlosigkeit hoch geschätzt. Wir kennen keine Ruchlosigkeit, die nicht philologisch erforscht wäre, und keine Sittsamkeit, von der nicht mit allen Mitteln einer zielstrebigen Erziehungskampagne abgeraten würde. Zunächst einmal sollten Sie wissen, daß die Unterstadt sich als rationalen Ort vorschlägt - ohne den wie auch immer interpretierten Begriff des Bösen -, und wenn viele der Meinung sind, daß dies die Hölle der Hölle, die nächtlichste Nacht, die finsterste Finsternis sei, sind wir der Meinung, daß das eine verzerrte und bösartige Darstellung ist. Wir, mein lieber Herr, glauben nicht nur an den Schmerz - was selbstverständlich ist -, sondein bekennen uns zu ihm als dem Inbegriff unserer Wonnen. Darum lieben wir die Sadisten, vergöttern die Masochisten und fördern jedwede Möglichkeit, Leid, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wichtig ist nur, daß alles als Konsumgut verbreitet wird - ohne nutzlose innere Konflikte -, so wie etwas, das unser Leben erst lebenswert macht... Ihr würdiges Aussehen, mein lieber Herr, gibt mir den Mut, Sie zu fragen, ob Sie bereit wären, mit dem Präsidenten unseres Wahlkomitees zu sprechen.«

»Mein Herr, Sie sind zwar neu in unserer Gegend, es besteht indes kein Zweifel, daß Ihr Äußeres von einer Ergebenheit in unsere Prinzipien zeugt, wie wir sie uns nur noch selten erhoffen können. Habe ich recht?«

»Sie werden verstehen, Herr Präsident des Wahlkomitees, ... ich kenne die Unterstadt überhaupt nicht ... ich habe diese Gasse soeben erst betreten.«

»Es würde viel zu unserem Prestige beitragen, wenn wir einen Mann mit würdigem Äußeren und sicherer Kenntnis des Bösen als Bürgermeister gewinnen könnten...«

»Gibt es hier falsche Götter

»Wenn es hier Götter gäbe, dann wären sie falsch. Wir finden es aber unnötig, Götter zu haben. Die falschen sind viel zu zahlreich und immer - ich betone: immer - mit guten Absichten verseucht.»

»Eine Gegend also, die jeder Art von Göttern entbehrt - habe ich recht?

»Wir wissen nicht, mein Herr, was sich in den Schlupfwinkeln unserer Stadt verbirgt; aber wenn es irgend etwas Numinoses gibt, dann kann es nicht anders sein als durch und durch unerfreulich...«

»Ich müßte immer in der Unterstadt bleiben, ohne sie je zu verlassen?»

»Die Unterstadt ist amüsant; sie ist grenzenlos und großartig; sie werden gar nicht mehr den Wunsch haben, sie zu verlassen.«

Er macht mir ein Zeichen, ihm zu folgen, und ich gehorche. Werde ich also Bürgermeister der Unterstadt sein? Eine Art König, Herzog, Tyrann? Ich bin ganz sicher, daß der Kerl lügt. Wenn sie keinen Bürgermeister haben, dann kann das nur deshalb sein, weil sie die Bürgermeister für ihre exquisiten Quälereien benützen. Sicher liegen in irgendeiner Gasse die schleunigen Überreste eines von zahllosen Giften zerfressenen Gemeindeoberhaupts.

Mit einem Sprung drücke ich mich in einen Hauseingang, reiße eine Tür auf, renne drei Stufen hinauf, passiere eine weitere Türe und befinde mich in einem Saal voller Nasen. Ich verwandle mich in eine Nase. Auf der Treppe höre ich zuerst ein Getrappel, dann Stille. Jemand hat nicht den Mut, die Türe zu öffnen und in den Nasensaal einzutreten. Ich merke tatsächlich, daß die Nasen mächtig und gebieterisch sind. Die Nasen mustern mich jetzt, sie sprechen aus einem ihrer Nasenlöcher, im anderen haben sie ein Auge. Ich merke, daß sie mich wohlwollend beurteilen. Es gibt nur ein Problem: ich bin nackt, während alle anderen Nasen in einer Art Unterhose stecken, die um die Nasenlöcher herum offen ist. Es sind Unterhosen in verschiedenen Farben und aus gutem Stoff. Eine Nase sieht mich an und sagt heiser:
»Mein Herr, Sie sind eine äußerst würdige Nase, aber wahrscheinlich sind Sie neu in der Unterstadt, besonders in diesem Bezirk, und wissen darum noch nicht, daß man eine nackte Nase hier nicht duldet. Gestatten Sie mir deshalb, Ihnen eine purpurfarbene Unterhose zu überreichen, die Sie vielleicht nicht verschmähen werden.»

Etwas unbeholfen ziehe ich die Hose an. Die Nase fährt fort zu sprechen:

»Sie sind jetzt das, was eine Nase sein sollte - eine gebieterische und bedeutende Persönlichkeit. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie eine durchaus eindrucksvolle Nase sind. Wir freuen uns, Sie in unserer Gesellschaft aufzunehmen, die ja, wie Sie bestimmt wissen, einigermaßen exklusiv ist. Wir sind zugleich die höchste Autorität der Unterstadt und werden am meisten verfolgt. Wir sind auch ihre Hoffnung. «

»Und der Bürgermeister?«

Satan, nach Coppo di Marcovaldo

 »Wie Sie richtig vermuteten, hat es sich um eine List gehandelt, um eine besonders schmackhafte Beute anzulocken. Sehen Sie: Ihr Spitzel hatte schon begriffen, daß ie eine potentielle Nase waren, und hatte deshalb versucht, Sie einzufangen, denn die höchste Lust dieser Leute besteht darin, wie soll ich es sagen, eine bekannte Nase zu vergewaltigen; die beiden Nasenlöcher Sie verstehen...«

»Ich verstehe", sage ich, »aber ich traue der Sache nicht.»

»Begnügen Sie sich einstweilen damit, zu erfahren, daß wir Ihre Geste sehr schätzen und Sie auffordern möchten, dem Zentralkomitee der Nasen beizutreten.»

Ich versuche einige Hypothesen: Jener Gott, bzw. alle Götter, die ich hier druntoben getroffen habe, sind falsch, jedoch wahr für diejenigen, die für sie als Höllensiedler hier wohnen. Die Wahrheit verwirklicht sich in einer falschen Hölle. "Was wollen die Nasen nun also tun?«

»Sie wollen die Macht der erhabenen Bildung und die Würde eines hochrangigen Bösen durchsetzen.«

»Zum Beispiel klassizistische Arenen bauen für die allein den Nasen vorbehaltene Schändung der Unbenasten. Keine Orgien für die Trivia.«

»Die Trivialen«, wirft eine andere Stimme ein.

»Wie immer eure Würde aussieht«, beginne ich wieder, »und sie ist sicherlich sehr groß - auf welche Weise wollt ihr sie durchsetzen? Wir Nasen - man verzeihe mir diese eitle Kooptation - sind nur wenige.«

«Wenige aber mächtig. Das Nasenloch, durch das wir reden, birgt einen tödlichen Strahl, mit dem wir fangen, fesseln und foltern können wen immer wir wollen. Außerdem sind noch andere potentielle Nasen in den Gängen der Unterstadt versteckt.»

«Auch ich habe also diesen Strahl in meinem geschwätzigen Nasenloch

»Du nicht, mein Junge. Wir nehmen dich jetzt und benützen dich, denn wir müssen uns an dir rächen, du herrische und schamlose Nase, die nicht gezögert hat, in unsere Aula einzudringen.«
Doch ich bin jetzt ein großer Zeh, und der große Zeh rennt oh rennt um sein Leben läuft geläufig hüpfend und springend öffnet keine Tür schlüpft über Schwellen ist wieder in der Gasse - ich, der Zeh, sehe andere Zehen, alle auf großer Flucht. - (hoelle)

Nase Hölle Nasenwissenschaft
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