(seume)
Stolz
(2)
Ich meinesteils
ziehe es vor, lästig und linkisch, als schmeichlerisch und unaufrichtig
zu sein.
Ich gestehe, daß einiger Stolz und Eigensinn dabei mit unterlaufen kann, sich so frei und offen ohne Rücksicht auf andere zu geben; und es kommt mir vor, daß ich da noch freimütiger werde, wo ich es weniger sein sollte, und erst recht ins Feuer gerate, wenn mir der Respekt Einhalt gebieten sollte. Es kann auch sein, daß ich nur aus Ungeschliffenheit meiner einfachen Natur den Lauf lasse.
Wenn ich den Großen gegenüber die gleiche Ungezwungenheit
in Worten und Gebärden bezeige, die ich zu Hause gewohnt bin,
so spüre ich wohl, wie nahe das an Ungezogenheit und Mangel an
Lebensart grenzt. Aber außer dem, daß ich nun einmal so geschaffen
bin, ist weder mein Geist geschmeidig genug, um eme unerwartete
Frage abzufangen und ihr durch eine behende Wendung auszukneifen,
oder um eine Wahrheit zu verfälschen,
noch mein Gedächtnis hinreichend, um die verfälschte zu behalten,
und erst recht mein Selbstvertrauen zu schwach, sie zu behaupten;
und so spiele ich den Tapferen aus Schwäche. Darum gebe ich mich
der Unbefangenheit hin, immer zu sagen, was ich denke, sowohl
aus Veranlagung wie aus Bedacht, und überlasse es dem Glück,
daraus werden zu lassen, was will. - (
mon
)
Stolz
(3)
Wenn es wahr ist,
daß jeder Roman ein autobiographisches
Element enthält - und das kann man kaum bestreiten, kann doch
der Schöpfer in der Schöpfung
einzig sich selber ausdrücken -, so gibt es eben unter uns Menschen
einige, denen es widersteht, ihre Gefühle offen zur Schau zu
stellen. Ich möchte die Tugend der Zurückhaltung nicht übermäßig
preisen. Oft ist Zurückhaltung nur eine Frage des Temperamentes.
Aber sie ist nicht immer ein Zeichen der Kälte,
eher schon des Stolzes. Nichts ist demütigender als mit ansehen
zu müssen, wie der Pfeil der eigenen Empfindungen das Ziel verfehlt,
das Lachen oder Weinen
heißt. Nichts ist demütigender! Denn sollte das Ziel verfehlt
werden, sollten die zur Schau gestellten Gefühle keine Wirkung
tun, so müssen sie unvermeidlich in Ekel
und Verachtung untergehen. Man kann
keinem Künstler einen Vorwurf daraus machen, daß er einem Wagnis
ausweicht, auf das sich einzulassen nur Narren versessen sind
und das nur das Genie ungestraft eingehen
darf. Bei einer Arbeit, die zur Hauptsache darin besteht, die
Seele mehr oder minder vor der Welt zu entblößen, ist die Rücksicht
auf das Schickliche, selbst um den Preis des Erfolges, nichts
als Rücksicht auf die eigene Würde, die ihrerseits untrennbar
ist von der Würde des Werkes. - Joseph Conrad, Über mich
selbst. Einige Erinnerungen. Frankfurt am Main 1982 (zuerst 1912)
Stolz
(4) In erstaunlichem,
fast erschreckendem Maße zeigten sich die Wesenszüge des vierzigjährigen
Umstürzlers, Staatsmannes, Parlamentsredners, Ministerkandidaten
bereits in dem Knaben und jungen Mann. Derselbe Geist, dasselbe
Feuer, dieselbe Zügellosigkeit. Der Fünfjährige, der seine fromme
Tante mit der Frage entsetzte, ob das
ein Wunder sei, wenn Gott einen Stock mit nur einem Ende erschüfe,
erregte immer wieder den väterlichen Zorn durch die Wildheit
seiner Streiche. Mit fünfzehn Jähren war Gabriel-Honore bei den
Soldaten, weil sein Vater in der Strenge der Vorgesetzten die
einzige Möglichkeit sah, seinen ungebärdigen Sohn zu einem brauchbaren
Menschen zu machen. Aber eben die Empörung seiner Vorgesetzten
sollte sehr bald den Zögling der Militärschule zwingen, seinen
Beruf wieder zu verlassen. Seine Wildheit hatte auch hier alle
Schranken durchbrochen. Nicht seine soldatischen Tugenden, sondern
seine wahrhaft dämonische Kunst der Verzauberung
rettete ihn noch einmal. Er hatte oft genug auch seinen Kameraden
übel mitgespielt, er hatte sie doch noch öfters gewonnen, durch
seinen Geist, durch seine Liebenswürdigkeit, durch seine Kameradschaftlichkeit
- ja wodurch? Im letzten durch seine Fähigkeit, Menschen zu sich
heranzuführen, für sich zu begeistern, sich eine Gefolgschaft
zu verschaffen, eben jene Fähigkeit, die Geheimnis bleibt und
die Mirabeau oft genug in seinem Leben auf großartige und schreckliche
Weise bewiesen hat, vor den Abgeordneten, vor den Jakobinern,
vor den Frauen. Jetzt waren es seine von ihm so oft mißhandelten
Kamefaden, die sich für ihn verwendeten und die ihm noch einige
Jahre des Offiziersdaseins retteten. Er benutzte sie so, wie
gerade seine Jugend sie benutzen mußte. Von seinem zwanzigsten
Lebensjahre an verließen ihn das Glück und die Qual der Liebe
nicht mehr. Von seinem zwanzigsten Jahre an genoß er den Glanz
und die Kostbarkeiten des Lebens, stöhnte er unter dem Druck
der Schulden, die sein Leben vergifteten, die ihn zu mehr als
einer schimpflichen Tat trieben und die doch nie vermochten,
seinen Stolz, sein Selbstbewußtsein und seine Lebenskraft zu
zerbrechen. - Paul Sethe, Die großen Tage. Von Mirabeau
zu Bonaparte. München 1965 (dtv 313)
Stolz
(5)
So sehr auch durchgängig
der Stolz getadelt und verschrien wird; so vermuthe ich doch, daß dies hauptsächlich
von Solchen ausgegangen ist, die nichts haben, darauf sie stolz seyn könnten.
Der Unverschämtheit und Dummdreistigkeit der meisten Menschen gegenüber, thut
Jeder, der irgend welche Vorzüge hat, ganz wohl, sie selbst im Auge zu behalten,
um nicht sie gänzlich in Vergessenheit gerathen zu lassen: denn wer, solche
gutmüthig ignorirend, mit Jenen sich gerirt, als wäre er ganz ihres Gleichen,
den werden sie treuherzig sofort dafür halten. Am meisten aber möchte ich solches
Denen anempfehlen, deren Vorzüge von der höchsten Art, d. h. reale, und also
rein persönliche sind, da diese nicht, wie Orden und Titel, jeden Augenblick
durch sinnliche Einwirkung in Erinnerung gebracht werden: denn sonst werden
sie oft genug das sus Minervam [das Schwein das die Minerva
belehrt] exemplificirt sehn. "Scherze mit dem Sklaven; bald wird
er dir den Hintern zeigen" - ist ein vortreffliches Arabisches Sprichwort,
und das Horazische sume superbiam, quaesitam meritis [Eigne den Stolz
dir zu, den durch Verdienst du erwarbst] ist nicht zu verwerfen. -
(
schop
)
Stolz
(6)
Neid
und Verachtung sind die beiden Urteilssprüche vor
der Schranke des Stolzes.
Du existierst nicht. — Ich bin.
Du existierst zu sehr. — Ich bin nicht.
- N.N.
Stolz
(7)
Stolz
(8) Stolz ist der Glaube an
die Idee, die Gott vorschwebte, als er den Menschen schuf. Ein stolzer Mensch
ist sich dieser Idee bewußt und willens, sie zu verwirklichen. Er strebt nicht
nach einem Glück oder Behagen, das der Idee Gottes ungemäß sein könnte. Erfolg
ist für ihn das Gelingen, durch das die Absicht Gottes verwirklicht wird; der
Stolze liebt sein Schicksal. So wie der gute Bürger sein Glück in der Erfüllung
seiner Pflicht gegen die Gemeinschaft, so findet der stolze Mensch sein Glück
in der Erfüllung seines Geschickes.
Menschen, die keinen Stolz haben, wissen von keiner Idee des Schöpfers, der
sie ins Leben rief, und zuweilen flößen sie einem Zweifel ein, ob eine solche
Idee überhaupt bestanden hat oder ob sie verlorengegangen ist und wer sie wohl
wiederfinden kann. Sie müssen das als Erfolg buchen, was andere Erfolg nennen,
und müssen ihr Glück, ja, ihren eigenen Wert am Kurszettel des Tages abäsen.
Sie zittern vor ihrem Schicksal und haben guten Grund dazu. -
(blix2)