(bre)
Aberglaube
(2) Ich nahm auch an einer Konferenz
über Kosmologie teil, die von den Jesuiten im Vatikan veranstaltet wurde. Die
katholische Kirche hatte im Falle Galilei einen schlimmen Fehler begangen,
als sie eine Frage der Wissenschaft zu entscheiden suchte, indem sie erklärte,
die Sonne bewege sich um die Erde. Jahrhunderte später hatte sie nun beschlossen,
eine Reihe von Fachleuten einzuladen und sich von ihnen in kosmologischen Fragen
beraten zu lassen. Am Ende der Konferenz wurde den Teilnehmern eine Audienz
beim Papst gewährt. Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, daß wir uns mit
der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigten,
wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen,
denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit
das Werk Gottes.
Ich war froh, daß ihm der Gegenstand des Vortrags unbekannt war, den ich
gerade auf der Konferenz gehalten hatte: die Möglichkeit, daß die Raumzeit endlich
sei, aber keine Grenze habe, was bedeuten würde, daß es keinen Anfang, keinen
Augenblick der Schöpfung gibt. Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis
zu teilen, mit dem ich mich sehr verbunden fühle, zum Teil wohl, weil ich genau
dreihundert Jahre nach seinem Tod geboren wurde. - Stephen Hawking,
Eine kurze Geschichte der Zeit. - Reinbek 1991 (zuerst
1988)
Aberglaube
(3) Der Aberglaube ist die Freigeisterei
zweiten Ranges — wer sich ihm ergibt, wählt gewisse ihm zusagende Formen und
Formeln aus und erlaubt sich ein Recht der Wahl. Der Abergläubische ist, im
Vergleich mit dem Religiösen, immer viel mehr "Person" als dieser,
und eine abergläubische Gesellschaft wird eine solche sein, in der es schon
viele Individuen und Lust am Individuellen gibt. Von diesem Standpunkte aus
gesehen, erscheint der Aberglaube immer als ein Fortschritt gegen den Glauben
und als Zeichen dafür, daß der Intellekt unabhängiger wird und sein Recht haben
will. Über Korruption klagen dann die Verehrer
der alten Religion und Religiosität — sie haben bisher
auch den Sprachgebrauch bestimmt und dem Aberglauben eine üble Nachrede selbst
bei den freiesten Geistern gemacht. Lernen wir, daß er ein Symptom der Aufklärung
ist.- (
frw
)
Aberglaube
(4) Andere führen Gründe an,
weshalb sich die Weiber in größerer Zahl als die Männer abergläubisch zeigen;
und zwar sagen sie, daß es drei Gründe seien: der erste ist der, daß sie leichtgläubig
sind; und weil der Dämon hauptsächlich den Glauben zu verderben sucht, deshalb
sucht er lieber diese auf. Daher auch Prediger 13: „Wer schnell glaubt, ist
zu leicht im Herzen und wird gemindert werden." Der zweite Grund ist, weil
sie von Natur wegen der Flüssigkeit ihrer Komplexion leichter zu beeinflussen
sind zur Aufnahme von Eingebungen durch den Eindruck gesonderter Geister; infolge
dieser Komplexion sind viele, wenn sie sie gut anwenden, gut; wenn schlecht,
um so schlechter. — Der dritte Grund ist, daß ihre Zunge
schlüpfrig ist, und sie das, was sie durch schlechte Kunst erfahren, ihren Genossinnen
kaum verheimlichen können und sich heimlich, da sie keine Kräfte haben, leicht
durch Hexenwerke zu rächen suchen; daher der Prediger wie oben: „Mit einem Löwen
oder Drachen zusammen zu sein wird besser sein als
zu wohnen bei einem nichtsnutzigen Weibe. Gering ist
alle Bosheit gegen die Bosheit des Weibes." —
Item kann auch der Grund angefügt werden, daß, da sie hinfällig sind, sie auch
desto schneller den Dämonen Kinder opfern können, wie sie denn auch so handeln.
-
Jakob Sprenger, Heinrich Institoris, Der Hexenhammer. München 1985 (dtv klassik,
zuerst 1487)
Aberglaube
(5) Um über alle
geheime Sympathie, oder gar magische Wirkung, vorweg zu lächeln, muß man die
Welt gar sehr, ja, ganz und gar begreiflich finden. Das kann man aber nur, wenn
man mit überaus flachem Blick in sie hineinschaut, der keine Ahndung davon zuläßt,
daß wir in ein Meer von Räthseln und Unbegreiflichkeiten versenkt sind und unmittelbar
weder die Dinge, noch uns selbst, von Grund aus kennen und verstehn. Die dieser
Gesinnung entgegengesetzte ist es eben, welche macht, daß fast alle große
Männer, unabhängig von Zeit und Nation, einen gewissen Anstrich von Aberglauben
verrathen haben. - Arthur Schopenhauer,
Über den Willen in der Natur
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