berwitz  Indessen wollen unsere Thebaner, gelehrte und ungelehrte, nicht bloß die Zielscheiben des Witzes sein, sondern selbst die fernhin treffenden Schützen; sie nehmen den Witz für sich in Anspruch, sie leben im Wahn eines Vollbesitzes, und es lohnt die Mühe, hier einen Augenblick zu verweilen und vorübergehend zu untersuchen, was aus dem Witz wird, wenn er in die Mache derer gerät, die keinen haben. Was ist der Witz ohne die Kraft des Witzes, ohne jene natürliche Fähigkeit und Inspiration, die unwillkürlich das Richtige trifft, leicht und spielend Sinn und Unsinn unterscheidet: was ist dieser mutterlose Witz, der schon verwaist auf die Welt kommt und nur einen Vater hat, aber keine Mutter? Ihm fehlt, was der Mutterwitz hat: der Sinn für den Sinn!

Sein Kennzeichen und gleichsam die Probe, die er ablegt, haben wir an dem Gegenteil des Mutterwitzes kennengelernt; sie besteht darin, daß er den baren Unsinn für Sinn hält: jene Art des Unsinnes meine ich, die der Mutterwitz zum Besten der Einfalt erfindet. Warum sollte der Unverstand dieses Geschäft nicht selbst verrichten, diese Probe, die sein Meisterstück ist, nicht aus freien Stücken ablegen und aus eigenem Bedürfnis zu seiner eigenen Befriedigung jenen Unsinn, den er für Sinn hält, selbst erfinden? Was der Mutterwitz an ihm vollzieht, um ihn zu entblößen, das leistet er mit hoher Zufriedenheit selbst, um sich als Meister zu zeigen. Wenn nun der weise Mann, es sei der Thebaner oder der Schildbürger, selbst auf den Einfall kommt, die Hausnummern von Europa zum Lehrbuch zu machen, mit Kanonen um die Ecke zu schießen, mit Hilfe der Eselsmilch die Ohren wachsen zu lassen, das Licht im Sacke einzufangen und nach Hause zu tragen u. s. f.? Hier haben wir den Witz in seiner völligen Verkehrung und Mißgestalt: statt der sinnvollen und scheinbar widersprechenden Combination erfindet er die sinnlose und in Wahrheit unmögliche und nimmt sie für Sinn. Er erfindet und hat insofern etwas dem Witz Ähnliches, aber es ist der Witz ohne das Vermögen des Witzes, ohne jede echte Bedingung desselben, der Witz, der sich zum Mutterwitz verhält wie der Aberglaube zum Glauben: der Aberwitz!

Es gehört zum Aberwitz, besonders wenn er sich auf gelehrte Dinge einläßt, daß er seine eigenen Empfindungen anstaunt und den Wunsch hat, angestaunt zu werden. Daher kann man eine Unzahl Beispiele desselben gedruckt haben, und ich erinnere bloß daran, was der Aberwitz geleistet hat in der Erklärung großer Dichtungen, z. B. des Goetheschen Faust, ja sogar des Lessingschen Nathan, bei welchem letzteren man eine Auflösung in bare Sinnlosigkeit nicht für möglich halten sollte. Aber die törichte Unmöglichkeit ist eben das Gebiet, auf dem der Aberwitz sein Spiel treibt, er hält das Sinnlose für Sinn und verkehrt das Sinnvolle in Unsinn. Wird aus diesem Spiele Wahn, so geht der Aberwitz in den Wahnwitz über: das ist die fixe, auf Unmöglichkeiten gerichtete Spekulation. - Kuno Fischer 1889, nach (uns)

Aberwitz (2)  ist der »falsche Witz, der nach Ähnlichkeiten hascht, wo keine sind. Während der Witz Vergnügen erregt, bringt der Aberwitz nur Langeweile hervor« (Damen-Conversationslexikon 1835). Der verständige Brockhaus verstand 1827 unter Aberwitz jedes »falsche, oder übertriebene, oder durchaus mangelhafte Wissen«, das den gesunden Menschenverstand beleidigt; er befällt mit Vorliebe »gernwitzige Dichter, die überall Pointen nachjagen«. Vom groben Unfug unterscheidet er sich durch seinen »Anspruch auf Witz und Verstand«; aber wenn die ihm inhärente Dummheit (»wie wenn z. B. jemand meint und behauptet, eine große Entdeckung gemacht zu haben, die nichts anderes als ein haltloser Einfall ist, oder tiefsinnig über Problemen grübelt, die in sich selbst widersprechend sind«, Brockhaus 1864) auf »größere Partien des Gedankenkreises« übergreift, nähert er sich stracks »dem Wahnsinn, in welchen er auch übergehen kann» (Brockhaus 1882). Der Brockhaus stellt 1864 eine epidemiologische Behauptung auf, die jedoch leider nicht mit Zahlenangaben näher belegt wird:

»Particulärer und momentaner Aberwitz ist übrigens viel häufiger, als man erwarten sollte, wenn man Verstand und Vernunft als ein ursprüngliches Eigenthum und nicht als ein mühsam erworbenes und sorgfältig zu hütendes Gut ansieht.» - (lex)

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Synonyme