- (ael
)
Aufklärung
(2)
Ein Gelehrter lehrt Wörter.
Er lehrt die Wörter blinder Urwille und dunkler Drang, und er lehrt die
Wörter freier Blick und reine Vernunft. Mit seinen gelehrten Wörtern lehrt
der Gelehrte Weltbilder. Er lehrt das Weltbild aus den Wörtern blinder
Urwille und dunkler Drang, und er lehrt das Weltbild aus den Wörtern freier
Blick und reine Vernunft. Mit seinen gelehrten
Wörtern lehrt der Gelehrte das Weltbild des blinden Urwillens von Schopenhauer
und des dunklen Drangs von Klages, sowie das Weltbild des freien
Blicks von Feuerbach und der reinen Vernunft von Immanuel Kant.
Da nun aber blinder Urwille und dunkler Drang blind und dunkel und also
finster, und da freier Blick und reine Vernunft frei und rein und also
klar sind, lehrt ein Gelehrter, wenn er blinden Urwillen und dunklen Drang
lehrt, Finsternis, und lehrt ein Gelehrter, wenn er freien Blick und reine
Vernunft lehrt, Klarheit. Lehrt nun ein Gelehrter, der die Wörter blinder
Urwille und dunkler Drang lehrt, blinden Urwillen und dunklen Drang dort,
wo vorher freier Blick und reine Vernunft waren, dann verfinstert er die
Klarheit, lehrt aber ein Gelehrter, der die Wörter freier Blick und reine
Vernunft lehrt, freien Blick und reine Vernunft dort, wo vorher blinder
Urwille und dunkler Drang waren, dann klärt er die Finsternis auf. Ein
Gelehrter, der also die Wörter blinder Urwille und dunkler Drang gebraucht
und mit ihnen das Weltbild des blinden Urwillens von Schopenhauer und des
dunklen Drangs von Klages lehrt, betreibt Verfinsterung, während ein Gelehrter,
der die Wörter freier Blick und reine Vernunft gebraucht und mit ihnen
das Weltbild des freien Blicks von Feuerbach und der reinen Vernunft
von Immanuel Kant lehrt, Aufklärung betreibt. Verfinsterung ist folglich
die Lehre eines Gelehrten, der dort, wo die Wörter freier Blick und reine
Vernunft das Weltbild des freien Blicks von Feuerbach und der reinen
Vernunft von Immanuel Kant gelehrt hatten, mit den Wörtern blinder Urwille
und dunkler Drang das Weltbild des blinden Urwillens von Schopenhauer
und des dunklen Drangs von Klages lehrt. Und Aufklärung ist folglich
die Lehre eines Gelehrten, der dort, wo die Wörter blinder Urwille und
dunkler Drang das Weltbild des blinden Urwillens von Schopenhauer
und des dunklen Drangs von Klages gelehrt hatten, mit den Wörtern
freier Blick und reine Vernunft das Weltbild des freien Blicks von Feuerbach
und der reinen Vernunft von Immanuel Kant lehrt.
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Aus: Ludwig Harig, Sprechstunden für die deutsch-französische
Verständigung und die Mitglieder des gemeinsamen
Marktes, ein
Familie
nroman.
- München 1974 (dtv sr 125 , zuerst Hanser 1971)
Aufklärung
(3)
EIN VORBERICHT DER SEHR WENIG VOR DIE AUSFÜHRUNG VERSPRICHT
Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten. Hier finden sie ein unbegrenztes Land, wo sie sich nach Belieben anbauen können. Hypochondrische Dünste, Ammenmärchen und Klosterwunder lassen es ihnen an Bauzeug nicht ermangeln. Die Philosophen zeichnen den Grundriß und ändern ihn wiederum, oder verwerfen ihn, wie ihre Gewohnheit ist. Nur das heilige Rom hat daselbst einträgliche Provinzen; die zwei Kronen des unsichtbaren Reichs stützen die dritte, als das hinfällige Diadem seiner irdischen Hoheit, und die Schlüssel, welche die beide Pforten der andern Welt auftun, öffnen zugleich sympathetisch die Kasten der gegenwärtigen. Dergleichen Rechtsame des Geisterreichs, in so fern es durch die Gründe der Staatsklugheit bewiesen ist, erheben sich weit über alle ohnmächtige Einwürfe der Schulweisen, und ihr Gebrauch oder Mißbrauch ist schon zu ehrwürdig, als daß er sich einer so verworfenen Prüfung auszusetzen nötig hätte. Allein die gemeine Erzählungen, die so viel Glauben finden und wenigstens so schlecht bestritten sind, weswegen laufen die so ungenützt oder ungeahndet umher, und schleichen sich selbst in die Lehrverfassungen ein, ob sie gleich den Beweis vom Vorteil hergenommen (argumentum ab utili) nicht vor sich haben, welcher der überzeugendste unter allen ist? Welcher Philosoph hat nicht einmal, zwischen den Beteurungen eines vernünftigen und festüberredeten Augenzeugen und der inneren Gegenwehr eines unüberwindlichen Zweifels, die einfältigste Figur gemacht, die man sich vorstellen kann? Soll er die Richtigkeit aller solcher Geistererscheinungen gänzlich ableugnen? Was kann er vor Gründe anführen, sie zu widerlegen?
Soll er auch nur eine einzige dieser Erzählungen als wahrscheinlich einräumen? wie wichtig wäre ein solches Geständnis, und in welche erstaunliche Folgen sieht man hinaus, wenn auch nur eine solche Begebenheit als bewiesen vorausgesetzet werden könnte? Es ist wohl noch ein dritter Fall übrig, nämlich sich mit dergleichen vorwitzigen oder müßigen Fragen gar nicht zu bemengen und sich an das Nützliche zu halten. Weil dieser Anschlag aber vernünftig ist, so ist er jederzeit von gründlichen Gelehrten durch die Mehrheit der Stimmen verworfen worden.
Da es eben so wohl ein dummes Vorurteil ist, von vielem, das mit einigem
Schein der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund nichts zu glauben, als von
dem, was das gemeine Gerüchte sagt, ohne Prüfung alles zu glauben, so ließ
sich der Verfasser dieser Schrift, um dem ersten Vorurteile auszuweichen,
zum Teil von dem letzteren fortschleppen. Er bekennet mit einer gewissen
Demütigung, daß er so treuherzig war, der Wahrheit
einiger Erzählungen von der erwähnten Art nachzuspüren. Er fand
— — — wie gemeiniglich, wo man nichts zu suchen hat — — — er fand nichts.
Nun ist dieses wohl an sich selbst schon eine hinlängliche Ursache, ein
Buch zu schreiben; allein es kam noch dasjenige hinzu, was bescheidenen
Verfassern schon mehrmalen Bücher abgedrungen hat, das ungestüme Anhalten
bekannter und unbekannter Freunde. Überdem war ein großes Werk gekauft,
und, welches noch schlimmer ist, gelesen worden, und diese Mühe sollte
nicht verloren sein. Daraus entstand nun die gegenwärtige Abhandlung, welche,
wie man sich schmeichelt, den Leser nach der Beschaffenheit
der Sache völlig befriedigen soll, indem er das Vornehmste nicht verstehen,
das andere nicht glauben, das übrige aber belachen
wird. - Immanuel Kant, Träume eines
Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik.
1766
Aufklärung
(4)
Das Ende der Heiterkeit. — Ihr schreibt
den Verlust der Heiterkeit dem Verfall der Sitten zu, ich möchte ihn eher
der erstaunlichen Vermehrung unserer Kenntnisse zuschreiben. Wir sind durch
unsere Aufklärung eher arm als reich geworden, wir wissen, daß eine Unmenge
Dinge, die unsere Väter für wahr ansahen, falsch sind, und wir wissen sehr
wenig wahre, die sie nicht wußten. Diese Leere ist in unserer Seele
und in unserer Phantasie geblieben, sie ist,
glaube ich, der wahre Grund unserer Traurigkeit.
- (
gal
)
Aufklärung
(5)
Jetzt will ich euch über etwas aufklären. Merkt es euch: alle, die
je behauptet haben, sie brächten Zwergmenschen
aus Indien, sind Lügner und Betrüger. Ich versichere
euch, die sogenannten Zwerge werden auf der Insel Klein-Java hergestellt.
Ihr werdet gleich hören, wie das vor sich geht. In Wahrheit lebt hier eine
Rasse winziger Affen mit menschenähnlichem Gesicht.
Die Einheimischen fangen solche Äffchen, scheren sie überall, nur die Bart-
und Brusthaare lassen sie stehen. Zur Schur verwenden sie eine bestimmte
Salbe. Manchmal stechen sie Löchlein in die Kinnhaut und stecken lange
Haare hinein. Sobald die Haut
austrocknet, ziehen sich die Löchlein zusammen,
und die Barthaare scheinen ganz natürlich gewachsen
zu sein. Füße und Hände und gewisse andere Glieder,
die den menschlichen Gliedmaßen nicht entsprechen, dehnen sie und spannen
sie von Hand, bis sie menschenähnlich sind. Danach lassen die Leute die
Äffchen austrocknen, und behandeln sie derart mit Kampfer und anderen Mitteln,
daß sie zum Schluß das Aussehen von Menschen haben. Nun kennt ihr den Schwindel.
- (
polo
)
Aufklärung
(6)
In meinem vierten Jahre brachte mich meine Mutter in die Schule.
Eine alte Jungfer, Susanna mit Namen, hoch und riesig von Wuchs, mit freundlichen
blauen Augen, war die Schulmeisterin; ich sehe sie noch mit ihrer tönernen
Pfeife, eine Tasse Tee vor sich, an ihrem runden Tisch sitzen. Dort wurde
ich, wie ich glaube, zuerst mit einer Masse von Knaben bekannt, und es
dauerte nicht lange, so erfuhr ich allerlei, was ich besser noch nicht
erfahren hätte, nämlich, daß der Storch die Kinder nicht brächte, sondern
daß sie ganz wo anders herkämen; auch, daß es nicht das Kind Jesus sei,
welches mich zu Weihnacht beschenke, sondern, daß meine Eltern das täten.
Letzteres konnte ich nicht für mich behalten, sondern teilte es meiner
Mutter gleich mit, sie bestritt mich nicht, sondern sagte mir bloß, daß
ich, nun ich an das Kind Jesus nicht mehr glaube, auch zu Weihnacht nichts
wieder bekommen würde.
- (
heb
)
Aufklärung
(7)
Dieser Mitschüler war der einzig Rothaarige in der Klasse gewesen,
und man hatte behauptet, er würde schlecht riechen, da sein Vater Straßenkehrer
war. Ansonsten war er größer und breitschultriger gewesen als die anderen
und hatte Sommersprossen gehabt.
»Hast du deinen Vater schon mal deine Mutter besteigen sehen?« hatte er eines Tages gefragt.
Emil war rot geworden. Er war damals wohl acht oder neun Jahre alt gewesen, und seine Mutter lebte noch. Gewiß, er wußte, daß die Kinder nicht aus dem Teich kamen, aber seine Kenntnisse waren doch recht unvollständig. Es war ihm lieber gewesen, nicht mehr darüber zu erfahren. Es genierte ihn, wenn er an seine Mutter dachte, sich gewisse Gesten vorzustellen, von denen seine Mitschüler flüsternd sprachen.
»Sie tun es nicht«, hatte er geantwortet, »sonst hätte ich Brüder und Schwestern.«
Der andere hieß Ferdinand.
»Das glaubst du? Nun, mein Lieber, du bist noch naiv. Ich habe es meine Alten machen sehen. Ich habe durchs Schlüsselloch geguckt. Eltern sind Menschen wie alle anderen. Übrigens hat mein Vater nicht angefangen, sondern meine.Mutter, ob du's glaubst oder nicht.«
Emil schämte sich, zuzuhören. Dennoch brannte er darauf, Fragen zu stellen. Schließlich hatte er, sich selbst hassend, gestottert: »War - sie - aus - ausgezogen?«
»Ausgezogen? Ich will dir mal sagen.... « - Georges Simenon, Der
Umzug. München 1971 (Simenon-Romane 117, zuerst 1957)
Aufklärung
(8)
Aufklärung
(9)
Es begabsich einstmals, daß die gute Jungfrau zu andern
Weibern kam, die nichts anderes denn von halsen, küssen
und solchen abenteuerlichen Dingen redeten. Die jung Frau stund und hörte zu;
sie wußte nichts dazu zu reden, als der Sachen unerfahren. Als nun die Frau
am Abend heimkam, fragete sie ihren Mann, was doch halsen und küssen wäre. Der
Mann antwortet ihr alsbald, morgen will ich's dir zeigen; und als der Tag kommen
war, stund der Mann auf, legt seinen Harnisch an und sprach zu seiner Frauen:
Komm her, ich will dir's zeigen, was halsen ist, sie nahm und an die eiserne
Brust drucket, daß sie ersticken hätt mögen; er saget zu ihr, das wäre gehalset.
Darauf nahm er die eisernen Handschuhe fuhr ihr damit um den Mund und um das
Angesicht und sprach zu ihr, das war geküsset. Die gute Jungfrau, die dem Mann
seine Red glaubt, wollt nicht mehr, weder gehalset noch geküsset sein; sie verwundert
sich, daß die Frauen am vorigen Tag von so großer Freud gesagt hätten und es
ein solch unmenschlich hart Ding wäre.
Nun begab es sich eines Nachts, daß dem alten Kämpfer eine Freude in eine
Achsel schoße, daß er anhub seine neue Braut am ersten zu beschlafen, doch machet
er bälder Feierabend, denn der guten Tochter lieb war. Und als ihr solches wohl
gefiel, fraget sie ihn, wie er doch das hieße, so er jetzund mit ihr getrieben
hätte. Ei, sagte er, es heißt (mit Züchten zu reden) im Hintern
geleckt. - (
kal
)
Aufklärung
(10)
Es gibt zwei große Daten in den ersten Urkunden, die man noch nicht
genügend gewürdigt hat: Satan, der oberste der Engel,
will seinen Wohltäter entthronen, und die Frucht der Erkenntnis des Guten und
des Bösen bringt den Tod. Das eine bedeutet, daß die Undankbarkeit jedem Geschöpfe
eingeboren ist, das andere, daß Aufklärung die Völker nicht glücklich macht.
- Rivarol, nach (
riv
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