Zu diesem Umrisse gehören denn vornehmlich drey Stücke — die Stirne, die Nase, und das Kinn. Beynah immer starkgewölbte, vielfassende, selten scharfe, feste, gedrängte Stirnen. Beynah immer große, meist gebogne, und vornen scharfknorpelige Nasen. Beynah immer große, nicht fette, aber rund vorstehende Kinne. Immer fast etwas zusinkende Augen; bestimmt gezeichnete Lippen.
Merkwürdig, daß unter allen so gelehrten Jesuiten — so wenig Beyspiele sind, vielleicht nicht Ein entscheidendes ist — von einem wahrhaft philosophischen Kopfe. Mathematiker, Physiker, Politiker, Redner, Poeten — wie viel hatten sie! wie wenige philosophische Köpfe! Und das ist auch leicht zu begreifen. Die Art von Biegsamkeit, die Einschmeichlungskunst, die künstliche Beredsamkeit, die Uebungen im Schweigen und Verstellen — die ihnen so geläufig seyn mußten — wie konnten die so gar nicht neben freyer, kühner, allprüfender Philosophie bestehen! — Also, wo das eine mußte gesetzt werden — ward das andere eben dadurch schlechterdings aufgehoben.
Sehr wenige Jesuiten wird man finden von außerordentlicher Kühnheit. Eben die Bildung zur Feinheit kann nicht mit der Bildung zur persönlichen Kühnheit bestehen. Wenigstens wird gewiß nicht die Kühnheit, sondern die Feinheit immer die Oberhand behalten. Der religiose Enthusiasmus, Enthusiasmus sag‘ ich, nicht die so oft damit verwechselte Affektation des Enthusiasmus — haftet selten, ich dürfte sagen, niemals in starkgeknochten Körpern. Die Kühnheit der Jesuiten, ich weiß es, war unbegränzt. Aber ihre Kühnheit war Geheimniß; gründete sich auf Verborgenheit; war Lichtscheu. Und lichtscheue Kühnheit ist so wenig wahre Kühnheit, als lichtscheue Tugend Tugend ist.
Ignatius Loyola
Erst Kriegsmann, dann Ordensstifter. Eins der merkwürdigsten Phänomenen, Klippe und Charybdis unserer philosophischen Historiker.
Von dem Kriegerischen ist noch Ausdruck genug übrig in diesem Gesichte —
wo? In der Feste des Ganzen, dann im Munde und Kinne — aber der Umriß der Stirne
ist nicht des kühnen vordringenden Kriegers. Ueberschwenglich aber ist der frömmelnde,
Planmachende Jesuitismus über dieß Gesicht ausgegossen — Nur der Mund, wie er
hier, ich vermuthe fehlerhaft, erscheint, hat in der Unterlippe viel Schwaches.
Aber Stirn und Nase — besonders das Auge, dieß zusinkende Auge, dieser durchblickende
Blick zeigen den Mann von Kraft, stille zu dulden, und stille zu würken, und
weit und tief zu würken durch Stille. Die Stirn hat geraumen Sitz für tausend
sich kreuzende, verworfne, und wiederergriffne Anschläge. Der Mann kann nicht
müßig seyn. Er muß würken — und herrschen. Die Nase scheint
alles von ferne zu riechen, was für ihn und wider ihn ist. Doch oben her, in
diesem Bilde wenigstens, fehlt ihr viel von Größe. - (
lav
)
Der Adelige Iñigo López de Loyola y Onaz war vor seiner Bekehrung ein ruhmsüchtiger
und eitler Soldat, der vor allem auf seine Ehre bedacht
war und die Genüsse der Welt voll auskostete. Bei einer
Schlacht wurde er durch eine Kanone schwer verwundet, weshalb er lange Zeit
im Bett liegen musste. Den Großteil dieser Zeit als Verwundeter verbrachte er
mit dem Lesen von Büchern. Auch die "Vita Christi"
und Biographien über Heilige zählten zu seinem Lesestoff und erwirkten seine
Bekehrung und eine tiefe Reue
über sein in der Vergangenheit geführtes Leben. -
kathpedia
- Voltaire, Philosophisches Wörterbuch. Frankfurt
am Main 1967 (Sammlung Insel 32, zuerst 1764)
Lichtscheu (4)
Lichtscheu (5) Vor ein paar Jahren war es einem britisch-japanischen
Forscherteam gelungen, den Schleimpilz als Piloten eines Roboters
einzusetzen. Dazu nutzten sie aus, dass Physarum den Einfluss von Licht
zu vermeiden sucht. Jetzt musste man nur noch diese Bewegungen auf die
Maschine übertragen, und fertig war der lichtscheue Roboter. Einen
praktischen Einsatzzweck konnten die Forscher damals dafür nicht
finden. - Matthias Gräbner,
telepolis
vom 22. Januar 2010
Lichtscheu (6) Der Begriff
Ektoplasma wurde von Charles R. Richet
in die Parapsychologie übernommen und soll einen Stoff bezeichnen, der angeblich
bei einem Medium aus den Körperöffnungen tritt.
Ektoplasma soll grau-weiß oder rosa, schaumig oder leichte Fäden ziehend sein.
Laut Berichten von Charles Robert Richet und anderen Wissenschaftlern der damaligen
Zeit könne es aber auch bei vollständigeren Materialisationen fester werden.
Ektoplasma (später auch Teleplasma genannt) sei sehr lichtempfindlich und somit
unter normalen Bedingungen kaum sichtbar, nur in dunklen oder mit Rotlicht beleuchteten
Räumen. Skeptiker betrachten Ektoplasma eher als „lichtscheu” – sie meinen,
es handle sich um Gaze, die nur im Dunklen als Ektoplasma verwendet werden könne,
weil sie bei Licht als Gaze erkennbar sei. -
Wikipedia
Lichtscheu (7) Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für alle, aber für dich und mich, und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat! Für dich ist es eine Schmach, zu beten!
Du weißt es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schoß-legen und es bequemer haben möchte: - dieser feige Teufel redet dir zu »es gibt einen Gott!"
Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe läßt; nun mußt du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!
Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht- „feiert".
Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, -
- für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens-Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt.
Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein gibt, da gibt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern.
Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: „lasset uns wieder werden wie die Kindlein und ,lieber Gott' sagen!" — an Mund und Magen verdorben durch die frommen Zuckerbäcker.
Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: „unter Kreuzen ist gut spinnen!"
Oder sie sitzen tagsüber mit Angelruten an Sümpfen und glauben sich tief damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische gibt, den heiße ich noch nicht einmal oberflächlich!
Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen ins Herz harfnen möchte: — denn er wurde der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens.
Oder sie lernen gruseln bei einem gelahrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern
wartet, daß ihm die Geister kommen - und der Geist ganz davonläuft! -
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra
Lichtscheu (8) Isaac stöberte in den hinteren Reihen herum. Er konnte sich keine Taschenlampe von einer Platzanweiserin des Tivoli auslei-hen. Wadsworth, der Mann, den er suchte, hätte sich vor ihm versteckt. Er mied die männlichen Prostituierten, die einen direkt an den Gängen ansprachen. »Brauchst du einen Finger, Baby? Kostet dich allerdings was. Drei Dollar pro Zentimeter.« Isaac hätte sie einbuchten lassen können, aber dann hätte er seinen Mann verloren. Er mußte Wadsworths Kino beschützen.
Hinter sich hörte er ein leises Knistern. »Was machst du hier, Isaac?« Wadsworth
war ein Albino, ein milchiger Neger mit rosa Augen.
In der Sonne konnte er nicht überleben. Wadsworth brauchte vierundzwanzig Stunden
Dunkelheit. Er lebte im Tivoli, spülte sich den Mund in der Trinkwasserfontaine
aus, wusch seine Unterwäsche im Waschbecken, schlich sich nach Mitternacht ins
Freie und kehrte vor dem ersten Sonnenstrahl in das Lichtspieltheater zurück.
Er lebte von Popcorn und Karamelbonbons aus den Automaten des Tivoli. Während
Zeichentrickfilmen, Spielfilmen und Vorankündigungen konnte er regungslos in
einer Stellung verharren. Wadsworth behauptete, niemals Schlaf zu brauchen.
- Jerome Charyn, Marilyn the Wild. München 1996
Lichtscheu (9) Mit der leiblichen Ausnüchterung und Purgierung hat die sensuelle und intellektuelle nicht Schritt gehalten. So bleiben noch die Lichtscheu der Augen, die Gedankenflucht und der Kopfschmerz. Immer qualvoller wird die Langeweile in dem künstlich leergehaltenen Kopf. Fechners Gattin, Mutter und Neffe lesen ihm vor, der sich hinter einem Wandschirm im Dunkeln hält. Das Dunkel noch dunkler zu machen, sitzt er schließlich in einem schwarzen Zimmer, in dessen Tür eine trichterförmige Öffnung geschnitten ist, durch die ihm mit erhobener Stimme vorgelesen wird. Auch dieses Arrangement ist noch zu viel des Guten. Tiefer muß er hinab. Er verträgt das Lesen nicht mehr, sucht nun eine mechanische Beschäftigung: »aber da ich sie ohne Gebrauch der Augen und des Kopfes treiben mußte, war die Wahl derselben sehr beschränkt. Ich drehte Schnürchen, zupfte Fleckchen, schnitt Spänne, schnitt Bücher auf, wickelte Garn und half bei den Küchenvorbereitungen mit Linsenlesen, Semmelreiben, Zuckerstoßen, Schneiden von Mohren, Rüben u. dgl., teils zu Hause, teils bei der Mutter, wo ich gegen Abend einige Stunden zuzubringen pflegte.« Eine Überreizung der Fingernerven macht schließlich auch diesem Ausweg in die Verkindlichung ein Ende.
Bald wehren sich die Augen auch gegen die schwarzen Tücher. Eine Gesichtsmaske
aus Metall wird angefertigt mit ausgetriebenen Buckeln über den Augen. Seinen
Wunsch, sich die Augen ausstechen oder von der Sonne ausbrennen zu lassen, reden
ihm die Angehörigen aus. Doch auch von diesen muß er noch abrücken. Der Ehering
geht verloren und kann nicht wiedergefunden werden. Die Hölle ist endlich eingerichtet:
»Von meiner Frau war ich fast ganz geschieden, da sie sich teils nicht in dem
selben Räume aufhalten konnte, als ich, teils alles anhaltende Gespräch mit
mir vermeiden mußte. So saßen wir bei Tische, wo ich mit der Maske Platz nahm,
oft fast stumm zusammen, und was ich verlangte, verlangte ich oft mehr durch
Zeichen als Worte. « Maskiert geht er durch den Garten, Eichendorff singend:
»möcht' auch spazieren gerne!« oder: »ich kann wohl manchmal singen, als ob
ich fröhlich sei.« .- Gerd Mattenklott, Gustav Theodor Fechner,
Nachwort zu: G.T.F., Das unendliche Leben.
München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1848)
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